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Gesetzentwurf zur effektiveren Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings

Gesetz zur effektiveren Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings sowie Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Zwangsprostitution: BGBl. I 2021, S. 3513 ff.

Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom 1. März 2017: BGBl I 2017, Nr. 11, S. 386 ff.

19. Wahlperiode

Gesetzentwürfe: 

 

Am 16. Februar 2021 veröffentlichte das BMJV einen Referentenentwurf zur effektiveren Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings. Der zuvor veröffentliche Evaluierungsbericht zeige, dass trotz der Neufassung des § 238 StGB immer noch Probleme in der Verfolgungspraxis bestünden. Insbesondere die Tatbestandsmerkmale „beharrlich“ sowie „schwerwiegend“ knüpfen hohe Anforderungen an ein strafrechtlich relevantes Verhalten. Der Grundtatbestand des § 238 Abs. 1 StGB sowie die Qualifikationen des § 238 Abs. 2 und 3 StGB sei als nicht hinreichend bewertet worden um schwerwiegende Konstellationen zu erfassen. Der Referentenentwurf sieht daher vor § 238 StGB neu zu fassen, um eine bessere und einfachere Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. In § 238 Abs. 1 StGB soll der Begriff „beharrlich“ durch den Begriff „wiederholt“ ersetzt werden, das Tatbestandsmerkmal „schwerwiegend“ soll einen Austausch gegen das Tatbestandsmerkmal „nicht unerheblich“ erfahren. Die Qualifikationsvorschrift des § 238 Abs. 2 StGB soll in Regelbeispiele umgewandelt werden. 

Des Weiteren bestehe aufgrund der steigenden Fälle von Cyberstalking auch hier ein Nachbesserungsbedarf. Sog. Stalkingware ermöglicht es den Tätern, unbefugt auf Email- oder Social Media-Konten der Opfer zuzugreifen und sie auszuspähen. Genauso problematisch seien die Fälle, in denen die Täter unter der Identität des Opfers ebensolche Konten anlegen und unter deren Namen abträgliche Erklärungen oder Fotos des Opfers veröffentlichen. Daher sollen aus Gründen der Rechtssicherheit und Bestimmtheit im Handlungskatalog des § 238 Abs. 1 StGB typische Begehungsformen des Cyberstalkings aufgenommen werden. 

Am 24. März 2021 beschloss das Kabinett den Regierungsentwurf , der im Vergleich zum Referentenentwurf insbesondere in Abs. 2 den Katalog der Begehungsformen noch weiter ausdehnt. 

§ 238 StGB – Nachstellung

„(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt

1. die räumliche Nähe dieser Person aufsucht,

2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht,

3. unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten dieser Person

a)  Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für sie aufgibt oder

b)  Dritte veranlasst, Kontakt mit ihr aufzunehmen,

4. diese Person mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit ihrer selbst, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person bedroht,

5. zulasten dieser Person oder einer ihr nahestehenden Person eine Tat nach § 202a begeht,

6. eine Abbildung dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,

7. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, diese Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, unter Vortäuschung der Urheberschaft der Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, oder

8. eine mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung vornimmt.

(2) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 7 wird die Nachstellung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. durch die Tat eine Gesundheitsschädigung des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person verursacht,

2. das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt,

3. dem Opfer durch täglich oder nahezu täglich begangene Tathandlungen über einen Zeitraum von mindestens vier Monaten nachstellt,

4. dem Opfer durch eine Vielzahl von Tathandlungen über einen Zeitraum von mindestens neun Monaten nachstellt,

5. bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 ein Computerprogramm einsetzt, dessen Zweck das digitale Ausspähen anderer Personen ist,

6. eine durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangte Abbildung bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 6 verwendet,

7. einen durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangten Inhalt (§ 11 Absatz 3) bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 7 verwendet oder

8. über einundzwanzig Jahre ist und das Opfer unter sechzehn Jahre ist.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(4) In den Fällen des Absatzes 1 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“

Dazu Justizministerin Christine Lambrecht: „Wir möchten die Betroffenen besser schützen. Es müssen mehr Stalking-Fälle vor Gericht kommen und die Täter konsequent zur Verantwortung gezogen werden. Der Straftatbestand hat bisher zu hohe Hürden. Diese Hürden senken wir jetzt deutlich.“

Am 21. April 2021 hat die Bundesregierung ihren Entwurf in den Bundestag eingebracht und am 22. April 2021 erstmals beraten. Er wurde im Anschluss der Debatte an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. 

Am 7. Mai 2021 beschäftigte sich auch der Bundesrat erstmalig mit dem Entwurf. Aus den Fachausschüssen kam Kritik. Der Rechts- sowie der Innenausschuss empfahlen dem Bundesrat, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen (BR Drs. 251/1/21). Sie fordern Präzisierungen und Klarstellungen. Insbesondere der Innenausschuss gab zu bedenken, dass die neuen Begrifflichkeit sozialadäquates Verhalten unter Strafe stellen und die Handhabung der Norm erschweren würden. Die Stellungnahme (BR Drs. 251/21 (B)) des Bundesrates wird nun der Bundesregierung zwecks Gegenäußerung zugeleitet. Sie bezieht sich zum einen auf eine Erweiterung des Katalogs der Regelbeispiele für besondere schwere Fälle, zum anderen auf eine Prüfung, ob ein Einsatz von Abhörgeräten, GPS-Trackern oder Drohnen vom Tatbestand erfasst werden könne. 

Am 19. Mai 2021 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Experten sprachen sich überwiegend für einen Nachbesserungsbedarf aus. Dr. Oliver Piechaczek begrüßte den Regierungsentwurf. Dieser trage den Ergebnissen der Evaluierung des § 238 StGB Rechnung und werde die Beweisproblematik in der Praxis erleichtern. Auch Leonie Steinl sah in den geplanten Änderungen eine Vereinfachung der Handhabung des Tatbestandes, gerade in Bezug auf die unbestimmten Rechtsbegriffe. Sie regte jedoch an, das neu vorgesehene Tatbestandsmerkmal „nicht unerheblich“ genauer zu definieren. Claudia Hurek sprach sich ebenfalls für den Entwurf und damit für eine praktische Handhabung des Tatbestandes aus. Dr. Clemens Prokop lenkte den Blick in seiner Stellungnahme auch auf die Opfer. Da die strafrechtliche Eingriffsschwelle abgesenkt werde, könnten Eskalationen in der Zukunft besser verhindert werden. Das Problem der Sanktionierung von Bagatellen erschien ihm unbegründet. Dies sah Prof. Dr. Jörg Eisele anders. Um dies zu verhindern, sollte seiner Ansicht nach besser von einer „erheblichen“ Beeinträchtigung gesprochen werden, um nicht bereits leichteste Beeinträchtigungen tatbestandlich zu erfassen. Außerdem sei es vorzugswürdig, das Merkmal „beharrlich“ durch das Merkmal „wiederholt“ zu ersetzen, da die innere Einstellung des Täters nur schwer nachweisbar sei. Dr. Rainer Spatscheck sah die vorgesehene Absenkung der Strafbarkeitsschwelle in seiner Stellungnahme als nicht zielführend an. Zwar sehe er die starke psychische Belastung der Opfer, es sei aber nicht zielführend die derzeit in § 238 StGB enthaltenen unbestimmte Rechtsbegriffe durch andere zu ersetzen. Anne-Kathrin Krug beurteilte den Gesetzentwurf als in wesentlichen Teilen gelungen. Allerdings seien einige sehr häufig vorkommende Handlungsweisen nur unzureichend erfasst, während für andere derart hohe Anforderungen gesetzt wurden, dass eine Anwendung kaum zum Tragen kommen könne. Beate Köhler berichtete aus der Praxis und sah daher in jeder Änderung eine Chance den Opferschutz zu verbessern. 

Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag den Regierungsentwurf in der Fassung des Rechtsausschusses angenommen. Bereits einen Tag später passierte das Gesetz auch den Bundesrat. 

Das Gesetz zur effektiveren Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings sowie Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Zwangsprostitution wurde am 17. August 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 3513 ff.). Es tritt am 1. Oktober 2021 in Kraft. 

 

 

 


18. Wahlperiode

Gesetzentwürfe:

Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 420/1/16

Antrag des Landes Niedersachsen: BR Drs. 420/2/16

Stellungnahme des Bundesrates: BR Drs. 420/16 (B)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: BT Drs. 18/10654

 

Das Bundeskabinett hat am 13. Juli 2016 den Referentenentwurf des BMJV zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen beschlossen.

Die 2007 ins Strafgesetzbuch eingefügte noch recht „junge“ Vorschrift des § 238 StGB sollte einen besseren Opferschutz gegen beharrliche Nachstellung gewährleisten. Da der Straftatbestand als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, bedarf es nach geltender Rechtslage einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung. Dieser Nachweis, lässt sich häufig nicht führen. Nach derzeitiger Rechtslage führen bisher nur ein bis zwei Prozent der Anzeigen nach Paragraf 238 zu einer Verurteilung. Daher wird im Entwurf § 238 Abs. 1 StGB in ein potentielles Gefährdungsdelikt umgewandelt.

Es soll für die Tatbestandsverwirklichung zukünftig ausreichen, dass die Handlung des Täters objektiv geeignet ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung herbeizuführen. Nach geltendem Recht dagegen führt eine Befragung der Opfer häufig dazu, festzustellen, dass es zu keiner gravierenden Änderung der Lebensgestaltung, wie z.B. Wohnortwechsel kam, so dass das Verfahren mangels Tatbestandsverwirklichung eingestellt werden muss. Nach dem Entwurf wird nun eine eigenständige Bewertung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zur Schwere der Beeinträchtigung unabhängig vom eingetretenen „Taterfolg“ erforderlich. Zudem soll der Stalking-Paragraf zukünftig aus dem Katalog der Privatklagedelikte der StPO gestrichen werden. Eine weitere Neuerung, die mit dem Gesetzentwurf eingeführt werden soll, betrifft darüber hinaus das Gewaltschutzverfahren.

Weiterhin sieht der Referentenentwurf vor, den Auffangtatbestand der „andere(n) vergleichbare(n) Handlung“ mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und einer zu großen Ausweitung der Strafbarkeit zu streichen.

Am 23. September 2016 hat der Bundesrat über die von der Bundesregierung geplante Verschärfung beraten und einen geringen Änderungsbedarf festgestellt. Die Stellungnahme des Bundesrates wurde der Bundesregierung zugeleitet. Am 14. Oktober 2016 hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Dieser Entwurf greift Anregungen der Gesetzesanträge der Länder Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen nach einer Erweiterung des § 238 StGB auf. Auch dieser Entwurf gestaltet den Tatbestand des § 238 Absatz 1 StGB in ein potentielles Gefährdungsdelikt um und stellt dabei auf die objektive Geeignetheit der Handlung des Täters ab, eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung seitens des Opfers herbeizuführen.

Flankierend ist zur Stärkung des Opferschutzes die Streichung der Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte, die Einführung der gerichtlichen Bestätigung von in Gewaltschutzverfahren geschlossenen Vergleichen sowie die Erweiterung des § 4 GewSchG auf Verstöße gegen Verpflichtungen aus einem gerichtlich bestätigten Vergleich vorgesehen.

Am 09. November 2016 fand eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses statt, bei der die Experten das Änderungsvorhaben durchaus kontrovers betrachteten – Einigkeit bestand jedoch hinsichtlich des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs. Ursprünglich sah der Regierungsentwurf vor, auf die Aufnahme einer Handlungsgeneralklausel, wie sie bisher in § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB enthalten ist, zu verzichten. Nachdem einige Sachverständige jedoch diesbezüglich Bedenken im Hinblick auf mögliche Schutzlücken geäußert hatten, wurde angeregt die Handlungsgeneralklausel beizubehalten. Die Stellungnahmen der Sachverständigen können Sie hier abrufen.

Am 15. Dezember 2016 hat der Bundestag gegen das Votum der Opposition den Gesetzentwurf in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (18/10654) angenommen.
Am 10. Februar 2017 hat der Bundesrat den Gesetzentwurf gebilligt. Das Gesetz wird nun dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorgelegt. Es tritt nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft.

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