von Rechtsanwalt Dr. Eren Basar und Prof. Dr. Anja Schiemann
Abstract
Heiko Maas hatte sich viel vorgenommen, als er eine Expertenkommission damit beauftragte, Empfehlungen zu erarbeiten, die das Strafverfahren effektiver und praxistauglicher machen. Der im Oktober 2015 vorgelegte Bericht befürwortete zahlreiche Änderungen und Ergänzungen, blieb aber für viele Betrachter hinter den Erwartungen einer „großen“ StPO-Reform zurück. Der Regierungsentwurf des BMJV folgte vergleichsweise schnell, er fährt den Katalog an Veränderungen jedoch noch einmal spürbar herunter. Schnell geschossen heißt nicht unbedingt gut getroffen, so möchte man der Bewertung im Fazit vorweggreifen. Viele Änderungen sind sicher gut und richtig, allerdings werden viele drängende (Dauer-)Probleme des deutschen Strafverfahrens nicht angegangen.
I. Gesetzentwürfe wohin man schaut – StPO-Reform als Stückwerk?
Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens enthält Änderungen und/oder Ergänzungen in Bezug auf 25 Paragrafen der Strafprozessordnung.[1] Aber dieser Entwurf ist nicht der einzige derzeit kursierende, der sich der Reformierung des Strafverfahrens widmet, er ist allerdings der einzige, der den von Bundesjustizminister Heiko Maas gesetzten Slogan aufgreift, das Strafverfahren solle effektiver und praxistauglicher werden.
Gut eine Woche nach Veröffentlichung dieses Gesetzentwurfs wurde der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung Online gestellt,[2] der auch eine Forderung der eingesetzten Expertenkommission aufgreift, nämlich die Abschaffung des Richtervorbehalts in § 81a Abs. 2 StPO bei Straßenver-kehrsdelikten – allerdings konnte man sich im Referentenentwurf nur zu einer Ergänzung des Abs. 2 entschließen.[3] Ferner sind in diesem Entwurf kleinere Änderungen im siebten und achten Buch der Strafprozessordnung vorgesehen.
Der Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffengerichts[4] dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs.[5] Dieser Regierungsentwurf ist insoweit europäischen Vorgaben geschuldet, die bereits vor Einsetzung der Expertenkommission gefordert wurden. Vorgesehen ist u.a. ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen und Gegenüberstellungen, das übrigens auch von der Expertenkommission empfohlen wird.[6] Daneben sieht der Gesetzentwurf auch eine Erweiterung der Hinweispflichten in der Strafprozessordnung (z.B. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO-E) und im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vor (§ 83c Abs. 2 IRG). Darüber hinaus wird im Jugendgerichtsgesetz § 67a JGG-E neu eingefügt, nach dem die Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter bei einer Freiheitsentziehung des Jugendlichen zu unterrichten sind.[7] Außerdem wird Staatsanwaltschaft und Verteidigung oder Nebenklagevertretung gestattet, bei richterlichen Vernehmungen des Zeugen oder Beschuldigten Fragen zu stellen und Erklärungen abzugeben (§§ 168c, 406h StPO-E). Auch die Vorschriften im EGGVG zur sog. Kontaktsperre werden reformiert. Allerdings ist von der geplanten Abschaffung des Kontaktsperregesetzes keine Rede mehr.[8] Vielmehr werden Ergänzungen dergestalt vorgenommen, dass bei einer Kontaktsperre der Zugang zum Verteidiger nicht mehr in allen Fällen ausgeschlossen ist.[9] Daneben sieht auch der Regierungsentwurf zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 17.8.2016 Änderungen vor, die „den technischen Fortschritt nachvollziehen und die Strafjustiz modernisieren“ sollen.[10] Vorgesehen ist hier die Einfügung eines neuen Abschnitts ins 1. Buch der Strafprozessordnung unter der Überschrift „Aktenführung und Kommunikation im Verfahren“ (§§ 32-32f StPO-E), zudem daraus resultierende Folgeänderungen sowie die Einfügung von Paragrafen zum Schutz personenbezogener Daten in einer elektronischen Akte und zur Verwendung personenbezogener Daten aus elektronischen Akten (§§ 496 ff. StPO-E).[11]
Ferner ist am 2.6.2016 ein Referentenentwurf des BMJV zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte (EMöGG) veröffentlicht worden.[12]
Diese Partikulargesetzentwürfe machen deutlich, dass es die große StPO-Reform nicht gibt, sondern zersplitterte Reförmchen. Ob dabei zu viele Köche den Brei verderben, ist nicht gesagt, zumal die Rezeptur immer aus dem gleichen Ministerium kam. Allerdings geht durch die unterschiedlichen Gesetzentwürfe das Gesamtbild verloren. Nicht vorzuwerfen ist es aber, dass das Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren Informations- und Verteidigungsrechte separat ausweitet, da hier eine entsprechende Richtlinie umgesetzt werden sollte. Des Weiteren war es dringend geboten, den Gleichklang mit den zunehmenden Opferrechten zumindest annähernd wiederherzustellen. Hier war es aufgrund des 3. Opferrechtsreformgesetzes[13] – übrigens ebenfalls durch eine europäische Richtlinie initiiert[14] – dringend erforderlich, auch die Verfahrensrechte der Beschuldigten anzupassen.
Unverständlich ist dagegen die künstliche Abspaltung der Reform des § 81a StPO (Richtervorbehalt bei der Blutprobenentnahme) im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung.[15]
II. Die Empfehlungen der Expertenkommission
1. Ziele der Reform
Die Ziele von Maas waren im Juli 2014 hoch gesteckt, als er in seiner Eröffnungsrede forderte, es gehe ihm nicht um eine kurzfristige Reparaturgesetzgebung mit kleinteiligen Änderungsvorschlägen. „Vielmehr soll Aufgabe der Kommission sein, die Ziele der Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit gerade durch weiter reichende Reformvorschläge zu erreichen“. Dabei betonte Maas, dass es sich um ein „tiefer gehendes Programm“ handeln sollte „das sich aller Verfahrensstadien, aller Interessen annimmt, das die Tücke des Details sieht. Ein Programm, das auch die Wechselwirkungen einzelner strafprozessualen Maßnahmen nicht außer Acht lässt.“[16]
Bei solch großen Vorsätzen sind die Erwartungen ebenfalls groß und ein Scheitern im Detail nicht selten vorprogrammiert. Schließlich haben „sich über ein Jahrhundert lang die besten Köpfe der deutschen Strafprozesswissenschaft vergeblich abgemüht“, eine große Strafprozessreform aus der Taufe zu heben.[17] Wie sollte also in gut einem Jahr Arbeit in der Expertenkommission[18] der große Wurf gelingen?
2. Die Empfehlungen im Einzelnen
Rund 1000 Seiten hatte die Expertenkommission zusammengetragen, als sie Justizminister Maas ihre Ergebnisse am 13.10.2015 präsentierte. Neben dem 186 Seiten umfassenden Bericht mit den Kommissionsempfehlungen wurden zwei Anlagenbände mit Protokollen der Sitzungen und Gutachten übergeben. Man kann also nicht sagen, dass die Expertenkommission nicht gründlich und umfangreich gearbeitet hätte. Vielmehr ziehen sich die Empfehlungen durch alle Verfahrensstadien, die Vorschläge werden daher untergliedert in Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, besondere Verfahrensarten, Hauptverhandlung, Rechtsmittelverfahren, Strafvollstreckung und Jugendstrafverfahren.
a) Leitlinien
Einleitend stellt die Kommission Leitlinien zu den Empfehlungen auf. An erster Stelle steht die Optimierung der Wahrheitsfindung durch Dokumentation, Transparenz und Kommunikation. Durch verstärkten Einsatz moderner audiovisueller Dokumentationstechniken im Ermittlungsverfahren sollen die technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts in größerem Umfang in der Strafprozessordnung umgesetzt werden. Bei der Einführung der audiovisuellen Dokumentation von erstinstanzlichen Hauptverhandlungen ist die Kommission dagegen zurückhaltender und empfiehlt lediglich eine Überprüfung. Hervorgehoben wird, dass der verstärkte Rückgriff auf audiovisuelle Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen nicht nur den Prozess der Wahrheitsfindung optimiere, sondern darüber hinaus der Förderung einer transparenten und kommunikativen Verhandlungsführung diene. Eine kommunikative Verhandlungsführung diene wiederum der Verfahrensförderung. Daher spricht sich die Kommission zudem für die Einführung eines nichtöffentlichen Erörterungstermins zur Vorbereitung der Hauptverhandlung bei umfangreichen Strafverfahren vor dem LG und OLG aus. Außerdem befürwortet sie eine Eröffnungserklärung der Verteidigung und eine Erweiterung der gerichtlichen Hinweispflichten.[19]
Zweite Leitlinie ist die Stärkung der Beschuldigtenrechte für das Ermittlungsverfahren, das u.a. um Anwesenheitsrechte des Verteidigers, Anhörungsrechte des Beschuldigten sowie ein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers erweitert werden soll. Daneben soll der Grundrechtsschutz des Betroffenen durch Rechtsgrundlagen im Bereich der Quellen-TKÜ und beim Einsatz von V-Personen sowie einem Verbot der Tatprovokation gestärkt werden.[20]
Das Stichwort Verfahrensbeschleunigung wird als dritte Leitlinie benannt. Hier wird die Einführung einer Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei, die Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Blutprobenentnahme im Bereich der Straßenverkehrsdelikte und die moderate Erweiterung der Möglichkeit, zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfragen vor Anklageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg zu klären, empfohlen. Auch für die Hauptverhandlung, das Revisions- und Strafvollstreckungsverfahren werden Verfahrenserleichterungen vorgeschlagen, das Zwischenverfahren jedoch leider ausgespart und eine nähere Prüfung in der Zukunft empfohlen.[21]
Auch andere Fragestellungen bleiben ausdrücklich ausgespart, auch wenn die Expertenkommission hier anregt, diese in anderem Rahmen weiterzuverfolgen. Es handelt sich um die Beweisverwertungsverbote, die Beweisaufnahme und das Tat- oder Schuldinterlokut.[22]
Die Thematik der Beweisverwertungsverbote hat die Kommission mit der Empfehlung ausgeklammert, hier grundlegend zu prüfen, ob und inwieweit eine umfassende Kodifikation geboten ist. Daneben wird angedacht, die von der Rechtsprechung entwickelte Widerspruchslösung durch eine Zustimmungslösung zu ersetzen.[23] Die Widerspruchslösung, nach der der Angeklagte der Verwertung rechtzeitig widersprechen muss, wird schon seit langem in der Literatur heftig kritisiert.[24]
Ausführlich erörtert wird auch die Beweisaufnahme unter Bezug auf den entsprechenden Alternativ-Entwurf zur Beweisaufnahme.[25] Dieser sieht vor, Vernehmungssurrogate leichter in die Hauptverhandlung einführen zu können. Die Kommission positioniert sich hier skeptisch, empfiehlt aber punktuelle Änderungen.[26]
Dritter Baustein der Erörterungen der Expertenkommission, die zu keinem Endergebnis geführt haben, ist das sog. Schuldinterlokut. Über die Einführung eines Schuld-interlokuts wird seit Beginn der 1970er Jahre intensiv diskutiert.[27] Man versteht hierunter die Zweiteilung der Hauptverhandlung in einen Beweisaufnahme- und einen Strafzumessungsteil. Die Kommission ist der Ansicht, dass durch die Zweiteilung der Strafzumessung mehr Gewicht zukommen würde. Kritisch merkt die Kommission hier die textbausteinartigen Erwägungen in den Entscheidungsgründen an. Allerdings seien neben positiven Aspekten auch Bedenken zu berücksichtigen, da eine Zweiteilung im Bereich amtsgerichtlicher Verfahren nicht sinnvoll erscheine. Auch im Jugendstrafverfahren müsse den Besonderheiten des Jugendstrafrechts Rechnung getragen werden.[28]
Schon diese von der Expertenkommission selbst angesprochenen Auslassungen machen deutlich, dass deren Empfehlungen hinter dem von Maas geforderten tiefer gehenden Programm mit Regelungen aller Verfahrensstadien und aller Interessen mit Blick auf Details zurückbleiben. Angesichts des geringen Zeitfensters ist das auch nicht verwunderlich. Offensichtlich wollte man seitens des Bundesjustizministeriums noch in dieser Legislaturperiode eine gesetzliche Umsetzung der StPO-Reformen gewährleisten und hat auf Eile gedrängt. Ansonsten hätte die Gefahr bestanden, dass eine zeitintensive, mehrere Jahre andauernde Befassung zu einem zwar umfassenden, detailreichen, wirklich großen StPO-Reformvorschlag geführt hätte, dieser aber aller Wahrscheinlichkeit nach nur für die deutsche Strafrechtsgeschichte tauglich und niemals umgesetzt worden wäre. Mehrheiten für wirklich grundlegende, umfassende Änderungen sind selten und manchmal ist weniger mehr oder wenigstens mehr als nichts. Der Bericht der Kommission enthält insgesamt 50 Einzelempfehlungen, die nicht alle einen Reformvorschlag enthalten. Viele Empfehlungen bestehen darin, den derzeitigen Rechtszustand unverändert zu belassen.[29]
b) Ermittlungsverfahren
Klarer Schwerpunkt der Reformvorschläge liegt auf dem Ermittlungsverfahren, 20 der 50 Empfehlungen betreffen diesen Verfahrensabschnitt.[30] Dabei waren einige Punkte durchaus heftig umstritten und führten zu denkbar knappen Abstimmungsergebnissen, wie beispielsweise die Einführung einer gesetzlichen Regelung des Einsatzes von V-Personen oder des Rechts auf einen „Pflichtverteidiger der ersten Stunde“.
aa) Partizipatorisches Ermittlungsverfahren
Die erste Empfehlung geht dahin, ein Anwesenheits- und Fragerecht des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, Tatrekonstruktionen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten gesetzlich zu verankern. Für ersteres nimmt die Kommission explizit Bezug auf die Auslegung des EGMR zu Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und die Richtlinie 2013/48/EU, die nun sozusagen in überholender Kausalität auch zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffengerichts geführt hat. Allerdings ist in diesem Regierungsentwurf lediglich das Recht auf Anwesenheit des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen und Gegenüberstellungen gesetzlich normiert, nicht dagegen weitere Verteidigungsrechte bei Tatrekonstruktionen, die ebenfalls in der Richtlinie gefordert werden.[31]
Diskutiert, aber verneint hat die Expertenkommission zudem weitere Beteiligungsrechte bei der Zeugen- und Mitbeschuldigtenvernehmung. Hier überwiegen u.a. die Befürchtungen eines (negativen) Einflusses auf die Aussagebereitschaft.[32] Ebenfalls nicht befürwortet wurde ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der Exploration des Beschuldigten durch einen Sachverständigen. Auch wenn hier der vernehmungsähnliche Charakter der Untersuchung und das Gebot der Verfahrensfairness und effektiven Verteidigung als Argumente pro Anwesenheitsrecht durchaus gesehen werden, überwiegen für die Kommission die Bedenken, dass die Anwesenheit des Verteidigers für die Entwicklung einer vertraulichen Arzt-Patienten-Beziehung im Explorationsgespräch nicht förderlich sei. Zudem bestehe kein Regelungsbedürfnis, da der Beschuldigte entsprechend § 137 Abs. 1 S. 1 StPO ohnehin die Anwesenheit seines Verteidigers wünschen oder die Untersuchung ganz ablehnen kann.[33] Diese Argumentation ähnelt der zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen, die faktisch auch ohne gesetzliche Grundlage durch die Ankündigung erzwungen werden kann, dass anderenfalls der Beschuldigte von seinem Schweigerecht Gebrauch macht.[34] Schlothauer weist allerdings zutreffend darauf hin, dass Gegenstand der Exploration auch das dem Beschuldigten vorgeworfene Tatgeschehen sein kann und Äußerungen hierzu eine Aussage zur Sache darstellen. Von daher ist, wie von ihm vorgeschlagen, in Abwesenheit des Verteidigers zumindest eine audio-visuelle Aufzeichnung zu normieren und die Reformüberlegungen sollten an dieser Stelle weiter vorangetrieben werden.[35]
Insgesamt bleiben die Anwesenheitsrechte der Verteidigung hinter dem in der Richtlinie 2013/48/EU angedachten Umfang zurück. Die Richtlinie fordert die Anwesenheit des Rechtsbeistands bei Ermittlungs- und Beweiserhebungshandlungen, soweit sie im betreffenden nationalen Recht vorgesehen sind und sofern die Anwesenheit des Verdächtigen vorgeschrieben oder zulässig ist. Allerdings werden lediglich drei Mindeststandards gesetzt, nämlich Anwesenheit bei Vernehmung, Gegenüberstellung und Tatortkonstruktion.[36] Alles andere kann harmonisiert werden, muss es aber nicht. Zumindest die Empfehlungen der Expertenkommission erfüllen diese Mindeststandards. Nicht erfüllt werden diese in Bezug auf das Anwesenheitsrecht bei der Tatortkonstruktion im Zweiten Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren.
Zu begrüßen ist die Empfehlung der Expertenkommission, die Pflicht zur Belehrung für den Sachverständigen zu Beginn des Explorationsgesprächs in der Strafprozessordnung explizit zu regeln.[37] Nach geltender Rechtslage erfolgt die Belehrung durch den Sachverständigen nur auf Anweisung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft.
Schon lange überfällig ist der Vorschlag einer gesetzlichen Regelung zur Anhörung des Beschuldigten vor der Entscheidung über die Auswahl eines Sachverständigen. Die Auswahl des Sachverständigen ist ein ganz entscheidender Baustein des Strafverfahrens. Die derzeitige unterschwellige Regelung in Nr. 70 RiStBV als Richtlinie wird der Bedeutung nicht gerecht, vielmehr ist eine Regelung im Rahmen des § 73 StPO geboten.[38]
Sehr ausführlich diskutiert und denkbar knapp mit 11 zu 10 Stimmen hat sich die Expertenkommission gegen die zeitliche Ausdehnung der notwendigen Verteidigung bei vorläufiger Festnahme oder eines aufgrund eines Haft- oder Unterbringungsbefehls verhafteten Beschuldigten nach § 127 Abs. 2 StPO ausgesprochen. Es ist bedauerlich, dass hier ein schwarzes Loch unzureichender Beteiligungsrechte nicht geschlossen worden ist. Nach geltendem Recht ist ein Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 S. 4 StPO erst mit der Vollstreckung der Haft zu bestellen, der Zeitraum vor der Vollstreckung wird nicht erfasst. Dies wird zu Recht kritisiert, da die vom Richter durchzuführende Vernehmung nach § 115 Abs. 2 StPO den unverteidigten Beschuldigten unter dem Eindruck der Verhaftung in der Regel überfordert.[39] Mit Blick auf die Richtlinie 2013/48/EU ist eine Anpassung nicht unbedingt geboten, allerdings wurde zur Zeit der Beratungen der Expertenkommission auf Unionsebene über eine neue Richtlinie nachgedacht, die die vorläufige Prozesskostenhilfe für verhaftete Verdächtige und Beschuldigte sowie im Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls regeln möchte.[40] Den Ergebnissen wollte die Kommission nicht vorweggreifen, zumal sie praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer solchen Regelung sieht und die in der StPO vorhandenen Schutzmechanismen als ausreichend ansieht. Nunmehr hat allerdings der Rat entschieden und am 13.10.2016 die Richtlinie über Prozesskostenhilfe für Verdächtigen oder Beschuldigte in Strafverfahren sowie in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls verabschiedet.[41] Die Mitgliedstaaten müssen diese Richtlinie binnen 30 Monaten nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Union in nationales Recht umsetzen. Um die Schutzmechanismen der StPO weiter zu verbessern, empfiehlt die Kommission aber, dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren ein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu gewähren. Die bisherige Regelung, nach der lediglich die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit hat, eine gerichtliche Entscheidung über eine Pflichtverteidigerbestellung herbeizuführen, bezeichnet sie zu Recht als „nicht hinnehmbare Rechtsschutzlücke“.[42] Zudem empfiehlt die Kommission, eine einheitliche Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für Beiordnungsentscheidungen im Ermittlungsverfahren zu schaffen.[43]
Darüber hinaus schlägt die Expertenkommission vor, das mündliche Anbahnungsgespräch zwischen Rechtsanwälten und Beschuldigten in den Schutzbereich von § 148 StPO einzubeziehen und damit eine ungestörte, vertrauliche Kommunikation zwischen Beschuldigten und seinem zukünftigen Verteidiger bereits in dieser ersten Phase vor Beginn des Mandatsverhältnisses zu schützen.[44] Um Missbrauch vorzubeugen, soll der Schutzbereich des § 148 StPO allerdings nicht auf schriftliche oder fernmündliche Kontaktaufnahme im Vorfeld einer möglichen Mandatierung erweitert werden.[45]
Letztlich enttäuschen die Vorschläge der Kommission zum Ausbau der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren und bleiben weit hinter den Erwartungen zurück.[46] Es ist bedauerlich, dass die Empfehlungen an dieser Stelle angesichts der immer zentraler werdenden Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für das ganze Strafverfahren[47] nicht mutiger und konsequenter ausgefallen sind. Ein wahrhaft partizipatorisches Ermittlungsverfahren wird so nicht erreicht.[48]
bb) Beschuldigtenstatus und -begriff
Weiterhin spricht sich die Expertenkommission dafür aus, die Möglichkeit eines gesetzlichen Beschuldigtenbegriffs näher zu prüfen. Eine konkrete Empfehlung zur Ausgestaltung des Beschuldigtenbegriffs wollte die Kommission jedoch nicht geben. Sie weist hier nur auf die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen dem formalen, materiellen und formell-materiellen Beschuldigtenbegriff hin, ohne sich eindeutig zu positionieren.[49] Gleichfalls regt die Kommission an, in die Überlegungen zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung des Beschuldigtenstatus auch die Rechtsstellung des strafunmündigen Kindes mit einzubeziehen.[50]
cc) Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht
Vier Empfehlungen firmieren unter der Überschrift der Neuordnung der Aufgabenverteilung, wobei die erste Empfehlung mehr eine Verdeutlichung als eine Neuordnung betrifft. Die bereits bestehende Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei im Ermittlungsverfahren soll ausdrücklich im Gesetz geregelt werden. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass in der Praxis bei Verkehrsstraftaten und Delikten im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität die Ermittlungen durch die Polizei bis zur Vorlage der Akte an die Staatsanwaltschaft weitgehend eigenständig geführt werden,[51] der Vorgang also ohne frühzeitige Informierung der Staatsanwaltschaft sozusagen ausermittelt ist. Man darf aber bezweifeln, ob eine solche Normierung eines abstrakten Programmsatzes tatsächlich dazu führen würde, dass die ohnehin überlastete Staatsanwaltschaft in der Praxis dazu übergehen würde, die Sachleitungsbefugnis stärker wahrzunehmen. Zudem erschließt sich der Mehrwert der Regelung nicht. Wenn die Staatsanwaltschaft es für richtig hält, ihre Sachleitungsbefugnis wahrzunehmen, wird sie es – wie bisher auch – tun. Die Polizei wird nicht besser oder schlechter arbeiten, nur weil die Staatsanwaltschaft von jedem Bagatelldelikt bereits vor jedweder Ermittlungshandlung erfährt.
Eine strukturelle Vereinfachung erhofft sich die Kommission durch die Empfehlung, eine Erscheinens- und Aussagepflicht eines Zeugen vor der Polizei für den Fall zu normieren, dass der Ladung ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.[52] Diese Empfehlung überrascht ein wenig, wenn man zuvor die Begründung zur ausdrücklichen Regelung der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft gelesen hat. Zwar spricht sich die Kommission gegen eine generelle Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen vor der Polizei aus und beschränkt dies explizit auf die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft diese initiiert. Sie begründet jedoch die mit dieser Regelung verbundene weitergehende Verlagerung von Zeugenvernehmungen auf die Polizei mit knappen Ressourcen der Staatsanwaltschaft – ein Punkt, der bei der zuvor geforderten frühzeitigen Sachleitung für Bagatelldelikte offensichtlich keine Rolle gespielt hat.
Schon lange gefordert und von der Kommission empfohlen wird die Abschaffung des Richtervorbehalts für Blutprobenentnahmen im Bereich der Straßenverkehrsdelikte.[53] Der Richtervorbehalt bei Blutproben ist in Polizeikreisen schon lange auf Missmut gestoßen und eine unterschiedliche Handhabung der Gefahr-in-Verzug-Regelung führte in der Vergangenheit zu einer unübersichtlichen Kasuistik.[54] So gesehen ist die Empfehlung der Expertenkommission aus Gründen der Praktikabilität uneingeschränkt zu begrüßen. Auch die Abschaffung anderer gesetzlicher Richtervorbehalte wurde diskutiert, aber mehrheitlich abgelehnt, so dass die Beibehaltung der in anderen Bereichen bestehenden Richtervorbehalte ausdrücklich von der Kommission empfohlen wurde.[55] Der Richtervorbehalt bei der Leichenöffnung, bei der Anordnung einer Sicherheitsleistung und der Überwachung der laufenden Telekommunikation bleibt daher erhalten.
dd) Dokumentation des Ermittlungsverfahrens
Ein kleiner Meilenstein ist die Ausweitung der audiovisuellen Aufzeichnung im Ermittlungsverfahren.[56] Wie schon in den Leitlinien angekündigt, soll die Dokumentation von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen der modernen Technik angepasst werden. Die Kommission empfiehlt, Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen jedenfalls bei schweren Tatvorwürfen oder bei einer schwierigen Sach- oder Rechtslage im Regelfall audiovisuell aufzuzeichnen und zusätzlich zu protokollieren.[57] Ein Wortprotokoll, wie vielfach gefordert,[58] lehnt sie dagegen ab, ebenso eine generelle Ausweitung auf sämtliche Vernehmungen für alle Deliktsbereiche.[59] Auch wenn der Kommission die praktischen Umsetzungsschwierigkeiten durchaus bewusst sind, sind die bestehenden Defizite herkömmlicher Protokollierungen doch so augenscheinlich, dass auf eine zeitgemäße Modernisierung gesetzt wird. Gewinner dürften alle Beteiligten, Beschuldigte, aber auch Ermittlungsbehörden sein, wird doch ein dunkler Raum gegenseitigen Misstrauens für alle Beteiligten hell und die gewonnenen Ergebnisse sind endlich nachvollziehbar und über jeden Zweifel erhaben. Die praktische Umsetzung wird allerdings die Strafverfolgungsbehörden vor gewisse Herausforderungen stellen, denn eine entsprechende technische „Aufrüstung“ wird Zeit und Geld kosten.
ee) Einzelmaßnahmen
Als Einzelmaßnahme empfiehlt die Kommission, für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung[60] zum Zwecke des Grundrechtsschutzes des Betroffenen eine rechtliche Grundlage zu schaffen.[61] Während die instanzgerichtliche Rechtsprechung ohne viel Federlesen die Quellen-TKÜ kurzerhand unter § 100a StPO subsumiert,[62] wird dies – nicht zuletzt unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG zur Online-Durchsuchung – auch kritisch gesehen.[63] Daher spricht sich die Kommission für eine eigenständige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage aus. Außerdem wird eine ausdrückliche Klarstellung verlangt, dass technisch sichergestellt wird, ausschließlich die laufende Kommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen. Eine gesetzliche Klarstellung ist sicher zu begrüßen und führt zu mehr Rechtssicherheit in diesem Bereich.
Weitere Empfehlung ist die Neuausrichtung des Katalogs des § 100a Abs. 2 StPO. Die in den letzten Jahren immer wieder vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen des Straftatenkatalogs haben nach Auffassung der Kommission zu Wertungswidersprüchen geführt, die durch eine Überarbeitung behoben werden sollen. Für die Neuordnung sollen die Schwere der Straftat sowie die Umstände, unter denen sie begangen wurden, von entscheidender Bedeutung sein.[64] Ausdrücklich abgelehnt wird eine weitere Ausdehnung des Katalogs auf sämtliche Delikte aus dem Bereich Cybercrime und solche, denen eine Flüchtigkeit von Telekommunikationsdaten zueigen ist.[65] So sehr dies Ermittlungsbehörden ärgern wird, ist diese restriktive Ausgestaltung doch im Sinne des Grundrechtsschutzes der Bürger durchaus zu begrüßen. Die Kommission macht hier in der Begründung deutlich, dass nicht jedes nützliche und erfolgversprechende Ermittlungsinstrument im Rahmen mittlerer Kriminalität verfassungsrechtlich zulässig ist.
Denkbar knapp mit 11 zu 10 Stimmen hat sich die Expertenkommission für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage beim Einsatz von Verbindungs- oder Vertrauenspersonen ausgesprochen.[66] Bereits 2015 hatte das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes dem Einsatz für Vertrauensleute einen gesetzlichen Rahmen im BVerfSchG gegeben.[67] Bislang stützt sich der Einsatz von V-Leuten „nur“ auf die Ermittlungsgeneralklausel, dieser ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch als zulässiges Mittel der Strafverfolgung anerkannt. Dennoch empfiehlt die Kommission eine ausdrückliche Regelung, soweit die V-Person in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung oder andere Grundrechte eingreift und über den reinen Akt der Informationsbeschaffung hinausgeht.[68] Es erscheint angemessen, den Einsatz von V-Leuten explizit zu regeln, um so einem möglichen Grundrechtseingriff Rechnung zu tragen.[69]
Vor dem Hintergrund neuerer Entscheidungen zur Tatprovokation[70] erscheint es zudem sinnvoll, dass sich der Gesetzgeber hier eindeutig positioniert. Insofern ist die Empfehlung der Expertenkommission, das Verbot der Tatprovokation ausdrücklich gesetzlich zu regeln, absolut zu begrüßen. Neben einer Definition des Begriffs der Tatprovokation wird eine Regelung der verfahrensrechtlichen Folgen einer verbotswidrigen Tatprovokation vorgeschlagen. Zu Recht betont die Kommission, dass es sich bei der Problematik der Tatprovokation um eine „Kernfrage des Rechtsstaats, nämlich darum (handelt), inwieweit die Strafverfolgungsorgane bei ihrer Aufgabenerledigung tätig werden dürfen. Eine Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers hierzu ist rechtspolitisch erforderlich.“[71] Während Schünemann die Eingrenzung auf rechtsstaatswidrige Tatprovokation nicht weit genug geht,[72] muss doch betont werden, dass eine Abgrenzung geboten ist, um die Handlungsfähigkeit der Polizei und ihrer V-Personen im Bereich der Organisierten Kriminalität nicht gänzlich auszuhebeln.
Die letzte Empfehlung betrifft den Umgang mit Strafanzeigen, die zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche erstattet werden. Die Expertenkommission spricht sich dafür aus, den Anwendungsbereich des § 154d StPO dahingehend zu erweitern, dass auch bei einer Vorgreiflichkeit von Tatsachenfragen ein Verweis auf die Austragung der Frage im Zivil- oder Verwaltungsprozess erfolgen kann, sofern die Beschreitung des jeweiligen Rechtswegs dem Antragsteller möglich und zumutbar ist.[73]
c) Zwischenverfahren
Enttäuschend ist, dass sich die Expertenkommission nicht mit der seit jeher bestehenden grundsätzlichen Kritik am Zwischenverfahren[74] auseinandergesetzt hat. Vielmehr hält sie das Zwischenverfahren für ein den Schutz der Rechte des Angeschuldigten sowie für die Vorbereitung eines effizienten Hauptverfahrens entscheidendes Verfahrensstadium. Daher empfiehlt die Kommission eine Stärkung der Filterfunktion des Zwischenverfahrens bei Land- oder Oberlandesgerichten mit dem Ziel der Vermeidung oder Entlastung der Hauptverhandlung.[75] Wie die Stärkung der Filterfunktion jedoch konkret aussehen soll, sagt die Kommission in ihrer Begründung nicht. Hier wird nur angeregt, dies näher zu prüfen.[76] Es zeigt sich wieder, dass die kurze Zeitleiste gar nicht ausreichen konnte, hier fundamentale Neuerungen der StPO in die Wege zu leiten. Wann und ob überhaupt eine Prüfung erfolgen wird, bleibt mehr als ungewiss.
d) Besondere Verfahrensarten
Die Expertenkommission hat weiterhin erwogen, ob neben dem Strafbefehlsverfahren ein neues schriftliches Verfahren eingeführt oder das Strafbefehlsverfahren um ein „Strafbescheidsverfahren“[77] erweitert werden sollte. Beides lehnt die Kommission richtiger Weise ab.[78] Allerdings wird vorgeschlagen, den Katalog der Privatklagedelikte um den Tatbestand der Nötigung zu erweitern, jedoch besonders schwere Fälle nach § 240 Abs. 4 StGB hiervon auszunehmen.[79]
e) Hauptverhandlung
Trotz der 16 Empfehlungen, die die Kommission zur Hauptverhandlung ausspricht, sind die vorgeschlagenen Änderungen doch recht verhalten und primär darauf ausgerichtet, Auslegungen der Rechtsprechung in eine gesetzliche Form zu gießen oder kleinere Verbesserungen vorzunehmen.[80]
Die Kommission empfiehlt zunächst, das Recht der Befangenheitsanträge dahingehend zu ändern, dass die Hauptverhandlung bei einem erst kurz vor Aufruf der Sache gestellten Ablehnungsantrag durchgeführt werden kann, bis die Staatsanwaltschaft den Anklagesatz verlesen hat. Außerdem soll den Verfahrensbeteiligten aufgegeben werden können, die Anträge schriftlich zu stellen. Des Weiteren soll für das Ablehnungsverfahren der Anwendungsbereich des § 257a StPO eröffnet werden, um der Missbrauchsgefahr der mit „Verzögerungspotenzial“ behafteten Befangenheitsanträge vorzubeugen.[81]
Weiterhin schlägt die Kommission zur Förderung der transparenten und kommunikativen Hauptverhandlung in umfangreichen Strafverfahren vor dem LG und OLG einen nicht-öffentlichen Erörterungstermin zum äußeren Ablauf der Hauptverhandlung vor.[82] Da dies allerdings nicht verpflichtend sein soll, bleibt der Mehrwert einer solchen Regelung fraglich.[83] Zu begrüßen ist die Empfehlung der Kommission, gesetzlich die Möglichkeit einer Eröffnungserklärung des Angeklagten oder seines Verteidigers zu normieren.[84]
Befürwortet wird von der Kommission weiterhin die verstärkte Nutzung des Gerichts zur Erörterung des Verfahrensstands (§ 257b StPO). Eine Pflicht zur Abgabe eines Sachstandsberichts oder einer vorläufigen Einschätzung zu Beginn der Hauptverhandlung wurde dagegen eindeutig abgelehnt mit dem Hinweis auf die „Zuspitzung der ohnehin im Strafverfahren virulenten Problematik des Perseveranzeffekts“.[85] Dieser Hinweis ist schon deswegen erstaunlich und unglaubwürdig, weil sich die Kommission in der Würdigung des diesen Effekt schürenden Zwischenverfahrens überhaupt nicht damit auseinandergesetzt hat. Es wäre an der Zeit, den bislang fehlenden gedanklichen Austausch zwischen den Verfahrensbeteiligten im Hauptverfahren aufzubrechen und zu einer wahrhaften Kommunikation zu kommen, die diesen Namen auch verdient. Plakative Hinweise auf ein kommunikatives und transparentes Strafverfahren helfen da leider nicht weiter.
Erfreulich ist dagegen die Empfehlung der Kommission, die Hinweispflicht des Gerichts nach § 265 StPO auf die Verhängung von Nebenfolgen auszuweiten.[86] Leider nicht durchringen konnte sich die Kommission dazu, die strafzumessungsrelevanten Fragestellungen zur Person des Angeklagten auf den Abschluss der Beweisaufnahme zu verlegen und so zu einer Abmilderung der vielfach kritisierten Perseveranzeffekte beizutragen.[87]
Zwar keine klare Empfehlung zur Einführung, aber eine „Prüfungsempfehlung“ stellt der Vorschlag dar, die Einführung der audiovisuellen Dokumentation erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor LG und OLG näher zu erwägen.[88] Auch hier ist bedauerlich, dass das zeitlich streng limitierte Mandat der Kommission nur eine Abwägung des Für und Wider, aber keine klare Positionierung möglich gemacht hat. Praktische und finanzielle Anforderungen[89] sind ganz pragmatische Erwägungen, während am idealistischen Ende der positive Einfluss auf die Wahrheitsfindung steht.[90] Inwieweit allerdings solche Prüfungsempfehlungen, so detailliert auch die Abwägung wiedergegeben wird,[91] in näherer oder fernerer Zukunft überhaupt Einfluss in die Gesetzgebung finden, erscheint mehr als fraglich.
Die Kommission empfiehlt weiterhin die audiovisuelle Dokumentation von einzelnen Vernehmungen in amtsgerichtlichen Verfahren.[92]
Was den Beweistransfer aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung betrifft, werden gleich 5 Empfehlungen ausgesprochen. Die erste bezieht sich auf erweiterte Verlesungsmöglichkeiten für nichtrichterliche Vernehmungsprotokolle. Diese sollte für nicht verteidigte Angeklagte auch dann möglich sein, wenn diese der Verlesung nach Belehrung zustimmen und die Verlesung lediglich der Bestätigung des Geständnisses dient.[93] Empfohlen wird darüber hinaus die Vorführung der audiovisuellen Aufzeichnung einer richterlichen Zeugenvernehmung, sofern das Konfrontationsrecht des Beschuldigten gewahrt war.[94] Ebenfalls befürwortet wird die Vorführung der audiovisuellen Aufzeichnung einer früheren richterlichen Beschuldigtenvernehmung und die erweiterte Verlesungsmöglichkeit für ärztliche Atteste.[95] Gegen diese Vorschläge ist ebenso wenig einzuwenden wie gegen die Neuerung im Selbstleseverfahren. Die Kommission empfiehlt, den Vorsitzenden zu verpflichten, den wesentlichen Inhalt einer Urkunde oder eines Schriftstückes in der Hauptverhandlung mitzuteilen, wenn diese im Selbstleseverfahren in das Verfahren eingeführt werden.[96] Diese Empfehlung dient der Transparenz der Hauptverhandlung und ermöglicht der Verteidigung die Nachvollziehbarkeit der gerichtlichen Schlussfolgerungen.
Weiterhin schlägt die Kommission vor, dass der Vorsitzende nach Abschluss der Beweisaufnahme eine angemessene Frist zur Stellung von Beweisanträgen bestimmen kann.[97] Die Fristenlösung der Rechtsprechung betrachtet die Expertenkommission als unzureichend und schlägt eine Ablehnung der erst nach Fristablauf gestellten – unentschuldigten – Beweisanträge im Urteil vor.[98]
Unter dem Eindruck des NSU-Verfahrens spricht sich die Kommission für die Bündelung von Nebenklagevertretern in der Hauptverhandlung aus. In Ausnahmefällen sollte es dem Vorsitzenden möglich sein, Gruppen von Nebenklägern zu bilden und diesen für die Vertretung in der Hauptverhandlung einen Gruppenrechtsbeistand beizuordnen.[99] Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebots und einer effektiven Strafrechtspflege durchaus geboten.
Abschließend spricht sich die Expertenkommission unter zutreffenden Erwägungen gegen eine Änderung der Regelungen zur Besetzungsreduktion in großen Strafkammern aus.[100]
f) Rechtsmittelverfahren
Änderungen im Rechtsmittelverfahren schlägt die Expertenkommission so gut wie gar nicht vor. Weder soll die Annahmeberufung ausgeweitet noch die Sprungrevision im Bereich der Annahmeberufung ausgeschlossen werden.[101] Auch ein Wahlrechtsmittel – nur noch Berufung oder Revision gegen amtsgerichtliche Urteile einzulegen – wurde abgelehnt. Beibehalten werden soll dagegen die Möglichkeit, gegen Berufungsurteile der Landgerichte Revision einzulegen.[102] Ebenfalls nicht geändert werden soll der Zeitrahmen der Revisionsbegründungsfrist.[103] Die Kommission spricht sich auch nicht dafür aus, eine Regelung, nach der Verfahrenshindernisse vom Revisionsgericht nur noch auf eine Rüge hin überprüft werden, zu schaffen.[104] Auch eine Erweiterung der Möglichkeiten, über die Revision im Beschlussverfahren ohne Revisionshauptverhandlung zu entscheiden, sollte laut Kommission nicht erfolgen. Ebenfalls abgesehen wurde von einer generellen Begründungspflicht bei Zurückweisung einer Revision als offensichtlich unbegründet.[105]
Zu zwei Änderungen im Rechtsmittelverfahren hat sich die Kommission dann doch durchgerungen: Zum einen empfiehlt sie die gesetzlich verpflichtende Abgabe einer Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren, wenn Verfahrensrügen erhoben wurden, soweit dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerden erleichtert wird. Letztlich wird dadurch die ohnehin in Nr. 162 Abs. 2 RiStBV festgeschriebene Regelung in Gesetzesrang erhoben.[106] Die zweite Änderung betrifft die Schaffung der Einstellungsmöglichkeit nach § 153a Abs. 2 StPO in Revisionsverfahren. Dadurch soll auch dem Revisionsgericht die Möglichkeit gegeben werden, ein Verfahren nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen einzustellen.[107]
g) Wiederaufnahmeverfahren und Jugendstrafverfahren
Im Bereich des Wiederaufnahmeverfahrens und des Jugendstrafverfahrens sieht die Kommission derzeit keinen nennenswerten Reformbedarf.[108] Lediglich eine Reform des § 55 Abs. 1 JGG sollte geprüft werden.[109]
h) Strafvollstreckung
Als letztes spricht sich die Expertenkommission für die Zuständigkeitskonzentration bei der sog. großen Strafvollstreckungskammer aus. Ist von der Strafvollstreckungskammer zugleich über die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung und über die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafte zu entscheiden, sollte die Strafvollstreckungskammer in der Besetzung mit drei Richtern für alle Verfahren zuständig sein.[110]
3. Was fehlt
Schon die diversen Anregungen zur Prüfung möglicher Änderungen seitens der Expertenkommission, die immer mit dem Hinweis erfolgen, dass ihr selber zur Klärung die Zeit fehlte, machen deutlich, dass der große Wurf nicht gelungen ist – angesichts des schmalen Zeitfensters auch nicht gelingen konnte. Neben den angesprochenen, aber nicht umgesetzten Änderungspotentialen in der Strafprozessordnung gibt es aber auch noch solche, die die Kommission – leider – überhaupt nicht erörtert hat.
Dies gilt vor allem für das „Kardinalproblem des deutschen Strafverfahrens“[111], dass der Eröffnungsbeschluss durch den darin „besiegelten“ hinreichenden Tatverdacht, also der Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung,[112] beim Gericht zu einem negativen Vorurteil führt.[113] Jedenfalls ist die Möglichkeit eines psychologischen Konflikts des Richters nicht von der Hand zu weisen, der in der Hauptverhandlung so handeln muss, als ob er zur Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung durch den Beschuldigten noch niemals eine Entscheidung gefällt hätte.[114] Auch wenn sich die Expertenkommission zum Zwischenverfahren und dessen Filterfunktion bekennt und eine Stärkung empfiehlt,[115] hätte sie sich doch zumindest mit der Frage auseinandersetzen können, ob es nicht sinnvoll wäre, ein anderes als das mit der Hauptverhandlung zuständige Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden zu lassen.[116]
Bedauerlich ist auch, dass die Kommission die bestehende Revisionsbegründungsfrist unverändert lassen möchte. Aus Gründen des Beschleunigungsgebots lehnt sie eine Staffelung für alle Verfahrensbeteiligte in Abhängigkeit von der Anzahl der verhandelten Hauptverhandlungstage ab.[117] Dies erscheint aus Fairnessgesichtspunkten bedenklich, stellt es doch gerade bei lang andauernden Hauptverhandlungen für viele Verteidiger nahezu eine Unmöglichkeit dar, die Revision nach Zustellung der Urteilsgründe in entsprechender Zeit zu begründen.[118]
Auch wäre angesichts der Kritik an den stark begrenzten Möglichkeiten eines Wiederaufnahmeverfahrens und der Forderung nach einer Stärkung des Wiederaufnahmerechts zugunsten des Angeklagten hier eine Empfehlung zur moderaten Anpassung wünschenswert gewesen. Die Kommission setzt sich allerdings mit den Argumenten Für und Wider auseinander und kommt zu der Einschätzung, dass das geltende Wiederaufnahmerecht dem Zweck, Fehlurteile zu beseitigen, ausreichend Rechnung trägt.[119]
III. Der Referentenentwurf des BMJV
1. Ziele des Entwurfs
Der Referentenentwurf des BMJV vom 29.5.2016 nimmt direkt Bezug auf die Empfehlungen der von Maas eingesetzten Kommission.[120] Ziel des Entwurfs ist es, mit „zahlreichen“ Vorschlägen das Strafverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, die Dokumentation des Ermittlungsverfahrens zu verbessern, die Transparenz von Kommunikation im Strafverfahren zu fördern, die Beschuldigtenrechte zu stärken und die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden „klarzustellen“ und zu „konkretisieren“.[121] Oberflächlich betrachtet steht dies durchaus im Einklang mit den dargestellten Empfehlungen der Kommission.
2. Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission im Referentenentwurf
Während die Kommission insgesamt 50 Einzelempfehlungen ausgesprochen hat, enthält der Referentenentwurf „nur“ 25 Gesetzänderungen. Hieraus bereits eine Bewertung über den Umfang der Umsetzungen ziehen zu wollen, wäre verfehlt. Zum einen sind einige der Vorschläge der Kommission in den bereits zuvor genannten anderen Gesetzesinitiativen „verarbeitet“ worden. Und zum anderen enthielten die Empfehlungen der Kommission nicht ausschließlich Reformvorschläge, sondern auch Stellungnahmen dahingehend, Einzelregelungen der StPO nicht zu verändern. Diese Empfehlungen finden im Referentenentwurf naturgemäß keine Erwähnung.
a) Das Recht der Ablehnung (§ 26 ff. StPO-E)
Der Entwurf sieht eine Anpassung des Ablehnungsverfahrens vor. Die Kommission hatte hierzu empfohlen, § 29 StPO dahingehend zu ändern, dass die Hauptverhandlung bei einem erst kurz vor dem Aufruf der Sache gestellten Ablehnungsantrag durchgeführt werden kann, bis der Staatsanwalt den Anklagesatz verlesen hat. Der Antrag sollte nach dem Willen der Kommission vor Beginn der Vernehmung des Angeklagten verbeschieden werden müssen.[122] Dem wird nun im Referentenentwurf durch Einfügung eines neuen § 29 Abs. 1 S. 2 StPO-E Rechnung getragen, der diese Vorgehensweise im Gesetz verankert. Verbunden wird diese Regelung mit einem Zusatz in § 26 Abs. 1 S. 2 StPO-E, der in Abänderung der bisherigen Rechtslage für das Recht der Befangenheitsanträge die eingeschränkte Anwendung von § 257a StPO zulassen will. Es soll möglich werden, dass das Gericht anordnet, dass Befangenheitsanträge schriftlich begründet werden müssen.[123] Kommt der Antragsteller diesem Erfordernis nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist nach, soll der Antrag gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO-E als unzulässig verworfen werden können. Während die Neuregelung in § 29 Abs. 1 S. 2 StPO-E ein praktisches Bedürfnis der Strafgerichte mit der Subjektstellung des Beschuldigten (noch) in Einklang bringt,[124] geht der Verweis auf § 257a StPO jedoch zu weit. Verwiesen wird nämlich auch auf § 257a S. 3 StPO, der wiederum das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO für anwendbar erklärt.[125] So ausgestaltet böte die Neuregelung aber die Gefahr, dass Strafgerichte sich den Einwänden der Verfahrensbeteiligten, sie seien befangen, nicht mehr transparent in der Hauptverhandlung stellten bzw. aus ihrer Sicht „störende“ Anträge in das „Hinterzimmer“ entsorgen könnten.[126] Mit anderen Worten: Die beabsichtigte Eindämmung der Missbrauchsmöglichkeiten der Antragsteller würde zu Missbrauchsmöglichkeiten auf Seiten der Gerichte führen. Auch wenn das Ablehnungsverfahren selbst nicht Teil der Hauptverhandlung ist,[127] darf nicht unterschätzt werden, dass die Begründung sich regelmäßig auf Ereignisse in der Hauptverhandlung beziehen wird. Dies aus der Öffentlichkeit auszuklammern wird der tragenden Bedeutung, die der Unparteilichkeit des Richters für das Strafverfahren zukommt,[128] nicht gerecht. Besser wäre es daher, wenn der Gesetzgeber den Verweis auf § 257a StPO-E präzisieren und die Anwendung des Selbstleseverfahrens für die schriftliche Begründung von Befangenheitsanträgen ausschließen würde.[129]
b) Audiovisuelle Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen (§ 58a StPO-E)
Zentrales Reformanliegen im Referentenentwurf ist – in Übereinstimmung mit der Kommission – die Erweiterung der Möglichkeiten zur Aufzeichnung von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen.[130] Diese sollen nach dem Referentenwurf zukünftig bei Vorliegen bestimmter an die Tat oder die Person anknüpfender Umstände verpflichtend werden.[131] Anerkannt wird, dass die Aufzeichnung dem herkömmlichen Protokoll überlegen ist. Diese sei „grundsätzlich fehleranfällig“.[132] Eine Aufzeichnung könne zudem Aspekte einer Aussage konservieren, die keinen Eingang in das Inhaltsprotokoll fänden und erst im weiteren Verlauf der Ermittlung an Bedeutung erlangten.[133] Mit der Dokumentation verbunden werden zugleich eine Stärkung des Schutzes vor rechtswidrigen Vernehmungsmethoden und ein Schutz der Vernehmungsbeamten vor falschen Anschuldigungen in diesem Bereich.[134] Angesichts der mit der Dokumentation einhergehenden Vorteile will der Referentenentwurf die bereits in der StPO vorgesehene Möglichkeit einer audiovisuellen Vernehmung „moderat“ erweitern. Der bestehende § 58a Abs. 1 StPO wird von einer Kann- in eine Mussvorschrift aufgewertet. Wörtlich soll es in § 58a Abs. 1 Nr. 1 StPO-E nun heißen:
Die Vernehmung eines Zeugen ist dann in Bild und Ton aufzuzeichnen, wenn die Aufzeichnung aufgrund des schweren Tatvorwurfs oder der besonderen schwierigen Sachlage geboten erscheint und die äußeren Umstände oder die besondere Dringlichkeit der Vernehmung der Aufzeichnung nicht entgegenstehen.
Die Pflicht zur Aufzeichnung wird also an den „schweren Tatvorwurf“ oder die „schwierige Sachlage“ geknüpft. Beide Begriffe definiert das Gesetz nicht. Ausweislich der Begründung im Referentenentwurf wird deutlich, dass dem Vernehmungsbeamten bewusst ein hohes Maß an Auslegungsspielräumen verbleiben und eine flächendeckende Anwendung dieses Instruments vermieden werden soll. Selbst bei den „schweren Straftaten“ wird eine Katalogisierung vermieden. Der Begriff werde – so die Begründung – „bewusst offen gehalten.“[135] Einzig bei gravierenden Delikten wie Schwurgerichtssachen, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität oder dem Staatsschutz soll stets eine Aufzeichnung erfolgen.[136] Abgelehnt wird die von der Kommission als Möglichkeit genannte Anlehnung an § 140 Abs. 2 StPO und an § 100a Abs. 2 StPO.[137] Diese beiden Vorschriften sollen allenfalls eine „gewisse Orientierung“ bieten können. Begründet wird dies damit, dass diese Regelungen nicht direkt vergleichbar sind. Bei § 100a Abs. 2 StPO wird hingewiesen, dass auch Vergehen enthalten und daher nicht alle dort enthaltenen Delikte als „schwer“ einzuordnen sind.[138] Für einen Gleichlauf mit der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO wird eingewandt, dass die Entscheidung zur Bestellung eines Pflichtverteidigers erst mit Anklageerhebung – und damit auf Grundlage abschlussreifer Ermittlungen – erfolgt, während die (erste) Vernehmung von Zeugen bzw. Beschuldigten zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem noch nicht alle Informationen für eine Entscheidung in Hinblick auf § 140 Abs. 2 StPO vorliegen.[139]
Dies gilt ebenfalls für das zweite Merkmal des neuen § 58a Abs. 1 Nr. 1 StPO-E („schwierige Sachlage“). Als einziges Beispiel für eine solche „schwierige Sachlage“ nennt der Entwurf Fälle der „Internet- oder Wirtschaftskriminalität, wenn [sich] die Frage der Strafbarkeit nur mit speziellen Fachkenntnissen beurteilen lässt“.[140] Weiter abgeschwächt wird die Pflicht zur Aufzeichnung dadurch, dass auch bei schweren Straftaten nicht jede Zeugenvernehmung audiovisuell zu dokumentieren ist. Bei sogenannten nebensächlichen Umständen könne man – so der Entwurf – hiervon absehen.[141] Im Übrigen soll § 58a StPO-E unverändert bleiben. Dies gilt ausdrücklich für den Beweistransfer, dessen bestehendes Regelungssystem durch die Reform des § 58a StPO-E nicht verändert wird.[142] Die weiteren in § 58a Abs. 1 Nr. 2 StPO enthaltenen Fallgruppen werden in § 58a Abs. 1 Nr. 2 StPO-E überführt.[143] In § 58a Abs. 1 Nr. 2 lit. c StPO-E wird jedoch noch eine neue Fallgruppe hinzugefügt, und zwar für „Personen, die unter erheblich eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden.“ Erkennbar sollen damit die beiden Fälle „Bauer Rupp“ und „Peggy“ verarbeitet werden.[144] Ob diese zusätzliche Variante in dieser Form tatsächlich mehr Schutz gewährleistet, muss bezweifelt werden. Ob die Voraussetzungen für eine Aufzeichnung vorliegen, muss der Vernehmungsbeamte selbst entscheiden. Wenn der Beamte sich – bewusst oder unbewusst – falsch entscheidet, bleibt dies ohne Konsequenz. Der Referentenentwurf stellt klar, dass § 58a StPO-E (auch in den Fällen, in denen es um den Schutz der Zeugen geht) eine Ordnungsvorschrift darstellt und das Fehlen einer audiovisuellen Aufzeichnung grundsätzlich nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage führen kann, auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Aufzeichnung vorgelegen haben.[145] Die Ausführungen im Referentenentwurf deuten darauf hin, dass die von der Kommission befürwortete Stärkung der audiovisuellen Dokumentation durch den Entwurf nicht erreicht wird, weil die gewählten Formulierungen den Vernehmungsbeamten einen weiten Spielraum geben.[146] Es ist daher davon auszugehen, dass der Einsatz audiovisueller Vernehmung trotz der Änderung in eine Ist-Vorschrift unverändert restriktiv zur Anwendung kommen wird. Die Gründe für die Zurückhaltung lassen sich nicht mit der bislang fehlenden Technik erklären. Hierfür ist eine ausreichend lange Einführungsfrist vorgesehen.[147]
c) Anhörung Sachverständigenauswahl (§ 73 StPO-E)
Die bislang in Nr. 70 Abs. 1 der RiStBV enthaltene Regelung, wonach bei der Bestellung des Sachverständigen dem Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird, erhält nunmehr Gesetzesrang. Nach § 73 Abs. 3 StPO-E ist dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Einschränkungen sind vorgesehen für häufig wiederkehrende, tatsächlich gleich gelagerte Sachverhalte[148] oder bei Gefährdung des Untersuchungszwecks bzw. Verzögerung des Verfahrens. Damit wird eine Empfehlung der Kommission passgenau abgebildet,[149] die in der Praxis auf breite Zustimmung stoßen dürfte.
d) Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (§ 141 StPO-E)
Geschaffen werden soll das unmittelbare Recht des Beschuldigten, schon im Ermittlungsverfahren die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu beantragen. Zwar wird er nach § 141 Abs. 3 S. 4 StPO-E den Antrag bei der Staatsanwaltschaft zu stellen haben, doch hat diese den Antrag unverzüglich dem zuständigen Gericht weiterzuleiten. Ebenso ist nach § 141 Abs. 3 S. 5 StPO-E ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn eine richterliche Vernehmung durchgeführt und dies durch die Staatsanwaltschaft beantragt wird oder zur Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint. Flankiert wird diese Regelung durch eine Belehrungspflicht in § 136 Abs. 1 S. 3 StPO-E. Mit der Ausweitung des Antragsrechts auf den Beschuldigten wird die „nicht hinnehmbare Rechtsschutzlücke“[150] geschlossen und werden die Beschuldigtenrechte aufgewertet.
e) Anbahnungsgespräche (§ 148 StPO-E)
Geregelt werden sollen zudem die sog. Anbahnungsfälle in den Justizvollzugsanstalten, bei denen umstritten ist, ob die in diesem Gespräch geführte Kommunikation nach § 148 Abs. 1 StPO geschützt ist,[151] da der Rechtsanwalt, der den inhaftierten Beschuldigten das erste Mal in der JVA aufsucht, regelmäßig noch nicht mandatiert ist und es deswegen an einem Verteidigungsverhältnis fehlt.[152] Der Referentenentwurf beseitigt die mit dem Meinungsstreit bestehende Rechtsunsicherheit. Potentiellen Verteidigern wird in § 148 Abs. 2 S. 1 StPO-E gesetzlich zugesichert, dass diese im Rahmen des Anbahnungsgesprächs nicht überwacht werden. Dies entspricht der Empfehlung der Kommission, die in diesem Kontext die Vermutung ausgesprochen hat, dass das bestehende Regelungsdefizit die Gefahr in sich birgt, dass das Anbahnungsverhältnis sehr frühzeitig in ein Mandatsverhältnis umgewandelt wird, um eine unüberwachte Kommunikation zu ermöglichen.[153] Weitergehende Privilegierungen enthalten die Neuerungen nicht,[154] jedoch zusätzlich eine Ausnahmeklausel. Danach gilt § 148 Abs. 2 S. 1 StPO-E nach § 148 Abs. 2 S. 2 StPO-E dann nicht, wenn der Zweck der Inhaftierung oder die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet werden. Die Erläuterungen im Referentenentwurf weisen darauf hin, dass der Ausnahmefall durch die Anstalt mit tatsächlichen Anhaltspunkten belegt sein muss.[155]
f) Einstellung im Revisionsverfahren (§ 153a StPO-E)
Ausgedehnt werden soll § 153a StPO – wie von der Kommission vorgeschlagen[156] – auf das Revisionsverfahren. Der Referentenentwurf ist sich bewusst, dass die Anwendung dieser Vorschrift im Revisionsverfahren die Ausnahme bleiben wird. Übereinstimmend mit der Kommission erhofft man sich in den wenigen Fällen, in denen diese Vorschrift in Betracht kommt, dadurch einen Effizienzgewinn, dass eine Zurückverweisung obsolet wird.[157]
g) Erscheinenspflicht des Zeugen gegenüber der Polizei (§ 163 StPO-E)
Der Referentenentwurf sieht eine Erscheinenspflicht für Zeugen gegenüber Ladungen der Polizei vor und folgt damit der Kommission, die dies ebenfalls als Empfehlung ausgesprochen hatte. Zeugen sollen nach dem jetzigen Entwurf durch die Neufassung des § 163 Abs. 3 StPO-E in Zukunft verpflichtet sein, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu Erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zu Grunde liegt.[158] Als Grund nennt der Entwurf, dass das bestehende System insoweit einen Fehler enthalte. Ein Zeuge, der nicht erscheine, müsse von der Staatsanwaltschaft vernommen werden, und zwar unabhängig von der Bedeutung der Aussage. Ob die Staatsanwaltschaft oder die Polizei den Zeugen vernehme, hänge somit ausschließlich von der Verlässlichkeit des Zeugen ab.[159] Der mit der Vernehmung durch den Staatsanwalt verbundene Aufwand sei angesichts „knapper Ressourcen“ zu hoch und würde dem Beschleunigungsgrundsatz zuwiderlaufen.[160] Das Thema ist nicht neu und hat bereits mehrere „Anläufe“ hinter sich.[161] Anders als im letzten Entwurf von 2010 sieht die jetzt vorliegende Neufassung aber in § 163 Abs. 4 StPO-E vor, dass bestimmte Entscheidungen bei der Staatsanwaltschaft verbleiben, auch wenn die Polizei die Vernehmung im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt,[162] womit Bedenken gegenüber früheren Entwürfen abgemildert werden sollen.[163] Zugleich wird gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei der Rechtsweg eröffnet. Mit dieser Ausgestaltung soll sichergestellt werden, dass die Sachleitungsbefugnis substanziell bei der Staatsanwaltschaft bleibt.
Ob dies gelingt, wird davon abhängen, wie die „Auftragserteilung“ der Staatsanwaltschaft formal gehandhabt werden muss.[164] Dazu äußert sich der Entwurf nicht klar. Erfreulich ist, dass sich in der Begründung nicht die Formulierung des Entwurfs aus 2010 wiederfindet, in der es hieß, dass der Auftrag der Staatsanwaltschaft „allgemein oder für den Einzelfall“ erklärt werden könne.[165] Stattdessen heißt es nun, dass die „Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen vor der Polizei von einer vorherigen Entscheidung der Staatsanwaltschaft abhängig ist.“[166] Ob diese allgemein oder für den Einzelfall erteilt werden kann, bleibt unerwähnt. Hier sollte der Gesetzgeber unbedingt deutlicher werden und der globalen bzw. allgemeinen Ladung eine Absage erteilen. Zugleich wäre es wünschenswert festzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft sehr wohl – vor allem in komplexen Verfahren – noch Vernehmungen selbst durchführen soll.[167] Tritt beides nicht ein, würde die schon 2010 geäußerte Skepsis[168] unverändert Geltung beanspruchen.
h) Erörterungstermin (§ 213 StPO-E)
In Zukunft soll in umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren der Vorsitzende den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung mit den Verfahrensbeteiligten erörtern. Als umfangreich sieht das Gesetz in § 213 Abs. 2 StPO-E Hauptverhandlungen, die voraussichtlich länger als drei Tage dauern werden. Die Erörterungen sollen eine bessere zeitliche und inhaltliche Planung ermöglichen.[169] Der Erörterungstermin „soll“ stattfinden, ist also nicht als verpflichtender Termin vorgesehen. Da diese Termine bereits nach derzeitiger Rechtslage stattfinden können und stattfinden, stellt die Neuregelung nur einen Programmsatz dar, der in der Praxis nur einen überschaubaren Mehrwert haben dürfte. Der Referentenentwurf folgt hier aber der Empfehlung der Kommission, die sich mit knappem Abstimmungsergebnis nicht zu einem gesetzlich verpflichtenden Erörterungstermin hatte durchringen können.[170]
i) Opening Statement (§ 243 StPO-E)
Erfreulicherweise wurde der Vorschlag der Kommission aufgenommen, das „opening statement“ im Gesetz zu verankern. Bislang besteht für die Verteidigung kein Recht, eine solche als Erwiderung zur Anklage verstandene Erklärung abzugeben, wenngleich das Gericht dies – im Rahmen der Verhandlungsleitung – gestatten kann.[171] Die Kommission hatte aus Gründen der Transparenz im Verfahren das Recht auf eine Eröffnungserklärung der Verteidigung durchaus befürwortet,[172] wenngleich auch nur knapp.[173] Der Entwurf übernimmt diese Empfehlung. Nicht übernommen wurde der weitere Vorschlag der Kommission, der Staatsanwaltschaft ihrerseits das Recht einzuräumen, eine Gegenerklärung zur Erklärung der Verteidigung abzugeben, obwohl dieser Vorschlag deutlich mehr Befürworter in der Kommission hatte.[174] § 243 Abs. 5 S. 2 StPO-E sieht folgenden Wortlaut vor:
Auf Antrag erhält der Verteidiger Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben; § 257 Abs. 3 und § 257a gelten entsprechend.
Die so genommene Formulierung erweckt den Eindruck, als ob die Erklärung der Verteidigung, wenn von ihr Gebrauch gemacht wird, eine Erklärung zur Sache für den Angeklagten darstellt. Damit würde die von Verteidigungen oftmals aus strategischen Gründen gewählte Vorgehensweise, die Erklärung nur im eigenen Namen abzugeben,[175] damit diese nicht als Sacheinlassung des Angeklagten verwertet werden kann,[176] durch das Gesetz keine Fundierung erfahren. Belegt wird dieser Eindruck durch die Erläuterungen im Referentenentwurf. Dort heißt es, dass das Gericht den Angeklagten auch neben der Erklärung der Verteidigung persönlich zur Sache vernehmen kann. Wenn der Verteidiger von seinem Erklärungsrecht für den Angeklagten Gebrauch gemacht habe, könne diese Vernehmung zur Sache aber auf die Fragen beschränkt werden die aus Sicht des Gerichts neben (!) der Erklärung der Verteidigung offen geblieben seien oder zu der es persönliche Antworten des Angeklagten für erforderlich halte.[177] Ob die Kommission eine Regelung in diesem Sinne vor Augen hatte, als es ihre Empfehlung aussprach, lässt sich dem Abschlussbericht nicht entnehmen.[178] Es steht zu erwarten, dass diese Regelung – sollte es bei dieser Fassung bleiben – Gegenstand von Auslegungsstreitigkeiten werden wird. Besser wäre es, wenn die Worte „für diesen“ einfach gestrichen würden. Der primäre prozessuale Mehrwert einer Erklärung durch die Verteidigung liegt nicht in der Ersetzung der Sacheinlassung des Angeklagten, sondern in der Offenlegung der Prozessstrategie gegenüber der Anklage.[179] Inhaltlich darf zudem nicht vergessen werden, dass auch der schweigende Angeklagte das Recht auf Verteidigung hat und es durchaus auch Konstellationen geben kann, in denen der Gebrauch des Schweigerechts erläutert wird.[180]
j) Fristsetzung Beweisanträge (§ 244 StPO-E)
Der Referentenentwurf sieht die Einführung eines neuen § 244 Abs. 6 StPO-E vor, mit der dem Strafgericht gesetzlich die Möglichkeit gegeben werden soll, nach Abschluss der Beweisaufnahme, den Verfahrensbeteiligten eine angemessene Frist zum Stellen der Beweisanträge aufzugeben. Anträge, die nach dieser Frist gestellt würden, könnten – soweit nicht ein Grund vorgetragen wird – dann erst im Urteil beschieden werden. Hintergrund für diesen Reformvorschlag ist, dass die durch die Rechtsprechung entwickelte Fristenlösung aus Sicht der Kommission unzureichend ist, da diese – anders als der jetzt vorliegende Vorschlag – die verspätete Antragstellung nur als Indiz der Verschleppungsabsicht heranzieht und das Strafgericht einen hohen Aufwand betreiben muss, um diese zu begründen.[181] Die Neuregelung stellt nicht mehr auf die Verschleppungsabsicht ab, sondern lässt die Verspätung genügen. Ausweislich der Begründung sollen damit Verfahrensverzögerungen vermieden werden, die dadurch entstehen, dass der Angeklagte oder der Verteidiger erst nach Abschluss der gerichtlichen Beweisaufnahme wiederholt neue Beweisanträge stellt. Das Recht, Beweisanträge zu stellen, soll nicht beschränkt werden. Auch eine Erweiterung der Ablehnungsgründe ist nicht vorgesehen.[182] Augenscheinlich scheint diese Ausgestaltung somit nur eine „leichte“ Anpassung zu enthalten. Bei tiefergehender Analyse ist jedoch zu bemängeln, dass die Neuregelung – strafrechtstheoretisch gesprochen – zur deutlichen Verkürzung der Wahrheitsermittlung führen kann und in der Praxis neue Fragestellungen provozieren dürfte.[183] Ungeklärt ist nämlich, ob die vorgesehene (formell auf die Fristsetzung abstellende) Lösung neben oder anstelle der bisherigen (materiell auf die Verschleppungsabsicht abstellende) Regelung tritt.[184] Weiterhin darf nicht übersehen werden, dass die neue Regelung nicht vorsieht, dass bereits eine gewisse Anzahl von Hauptverhandlungen stattgefunden haben muss.
Gerade letzteres ist ein Einwand mit deutlichem Gewicht für die Verfahrensbalance. Aus Sicht der Verteidiger hat der Beweisantrag die Funktion, mit dem Gericht vor Urteilsverkündung in einen kommunikativen Prozess zu treten.[185] Die Einschränkung wird nicht aufgewogen durch eine wirkliche Effizienz im Verfahren,[186] zumal die Missbrauchsgefahr nur verlagert wird und ein Einschnitt in die Diskursfunktion des Beweisrechts kaum verneint werden kann.[187] Der Befund steht in dieser Form nicht im Einklang mit den selbst gesteckten Zielen der Kommission. Diese wollte mit den Reformvorschlägen – neben der Verfahrensbeschleunigung – die Kommunikation fördern und die Beschuldigtenrechte stärken.[188] Zwei von drei Reformzielen werden durch diesen Vorschlag in dieser Form verletzt. Angesichts dessen sollte überdacht werden, diese Regelung ersatzlos zu streichen.
k) Erweiterung Verlesungsmöglichkeiten (§§ 251, 256 StPO-E)
Ausgeweitet werden sollen die in der StPO angelegten Verlesungsmöglichkeiten von Protokollen nichtrichterlicher Vernehmungen von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten oder von Urkunden in der Hauptverhandlung. § 251 StPO soll dahingehend „moderat“ erweitert werden, dass auch der unverteidigte Angeklagte der Verlesung seiner Vernehmung zustimmen kann, wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses dient.[189] Pate dieser Neuregelung ist das Bedürfnis, Verständigungen „abzusichern“. Die Rechtsprechung hat den Strafgerichten aufgegeben, dass Geständnisse nicht unkritisch einem Strafurteil zu Grunde gelegt werden dürfen, sondern darauf zu untersuchen sind, ob sie mit dem Ermittlungsergebnis übereinstimmen.[190] Die vereinfachte Verlesung soll den Strafgerichten hierfür ein weiteres Beweismittel an die Hand geben.[191] Daneben soll auch § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E mit einer kleinen, aber folgenreichen Veränderung versehen werden. Diese soll die Möglichkeit schaffen, ärztliche Atteste in der Hauptverhandlung immer dann zu verlesen, wenn das Vorliegen einer körperlichen Beeinträchtigung bewiesen werden soll. Die bislang bestehende Eingrenzung dieser Verlesungsmöglichkeit auf Delikte der (nicht schweren) Körperverletzungsdelikte soll somit aufgehoben werden. Grund hierfür soll sein, dass die Vernehmung von Ärzten in vielen Fällen – mangels Erinnerung an den Patienten – ohnehin nur auf die Wiedergabe des Attests hinauslaufe und damit weitere Erkenntnisse aus der Vernehmung des Arztes nicht gewonnen werden würden. Der Vorschlag soll hier zu einer Effektivierung führen, wenngleich darauf hingewiesen wird, dass die Vernehmung des Arztes auch weiterhin angezeigt sein wird, wenn es nicht nur um den Nachweis körperlicher Beeinträchtigungen geht, sondern weitere Feststellungen bei der Gelegenheit der Untersuchung im Raum stünden.[192] Isoliert betrachtet muss man beide Vorschläge nicht übermäßig kritisieren. In der Gesamtbetrachtung wird allerdings ein seit Jahren bestehender Trend fortgesetzt, der dadurch gekennzeichnet ist, den Beweistransfer aus dem Ermittlungsverfahren so zu erweitern, dass die Hauptverhandlung nur als „Bestätigungsverhandlung“ des Ermittlungsverfahrens ausgestaltet ist.[193] Die Hauptverhandlung, die als „Kernstück des Strafverfahrens“ bezeichnet wird,[194] wird somit als zentraler Kontrapunkt zum Ermittlungsverfahren[195] weiter entwertet.[196]
l) Erweiterung Hinweispflichten (§ 265 StPO-E)
Erfreulich ist, dass die Hinweispflichten in § 265 Abs. 2 StPO-E erweitert werden sollen. Vorgesehen ist, dass zukünftig (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO-E) Hinweise erteilt werden müssen, wenn sich Umstände ergeben, die die Anordnung von Verfall, der Einziehung oder der Unbrauchbarmachung rechtfertigen. Dasselbe ist vorgesehen für die Verhängung von Nebenstrafen oder Nebenfolgen.[197] In § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO-E wird die Hinweispflicht auf Fälle ausgeweitet, in denen das Gericht von einer vorher vorläufig mitgeteilten Bewertung der Sach- und Rechtslage abweichen will. Und schließlich wird die Hinweispflicht in § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO-E auch bei Vorliegen einer „veränderten Sachlage“, die für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam sind, eingeführt.[198]
m) Gegenerklärung Staatsanwaltschaft (§ 347 StPO-E)
In § 347 StPO soll ein dritter Satz eingefügt werden, der in Revisionsverfahren, in denen das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten wird, der Staatsanwaltschaft die Pflicht auferlegt, eine Gegenerklärung abzugeben, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird. Die bisher in Nr. 162 Abs. 2 S. 1 RiStBV vorhandene Regelung wird damit ins Gesetz überführt und der Empfehlung der Kommission gefolgt.[199] Unverändert bleibt in diesem Zusammenhang jedoch die vorgesehene Frist, womit ebenfalls der Kommission gefolgt wird. Diese hatte erörtert, in § 347 StPO eine gestaffelte Frist zu verankern, weil die bestehende Wochenfrist zu einer faktischen Benachteiligung der Verteidigung führe.[200] Von einer diesbezüglichen Empfehlung hat sie aber mit Blick auf das Beschleunigungsgebot Abstand genommen.[201]
n) Erweiterung Privatklage (§ 374 StPO-E)
Und schließlich soll der Katalog der Privatklagedelikte um den Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB erweitert werden.[202] Die Änderung dürfte in der Praxis kaum eine Rolle spielen. De facto werden Nötigungen nur in seltenen Fällen verfolgt. Oftmals werden diese Verfahren von den Staatsanwaltschaften nach § 153 StPO bei Vorliegen der Voraussetzungen und ohne tiefergehende Prüfung eingestellt. Vom Privatklageverfahren ausgenommen bleiben die besonders schweren Fälle der Nötigung nach § 240 Abs. 4 StGB.
3. Was fehlt und was ergänzt wurde
Neben den Bereichen, die reformiert werden sollen, gibt es aber auch eine Vielzahl von Empfehlungen der Kommission, die sich nicht im Referentenentwurf wiederfinden.[203] Die Kommission hatte aus Gründen der Rechtssicherheit vorgeschlagen, eine Reihe von Befugnissen in die StPO zu überführen. Dies betraf die Normierung eines gesetzlichen Verbots der Tatprovokation, die gesetzliche Regelung des V-Manns und die Einführung der Quellen-TKÜ. Keiner dieser Anregungen hat es – leider – in den Entwurf geschafft. Unberücksichtigt geblieben ist auch die von der Kommission empfohlene Ausweitung des § 154d StPO auf Tatsachenfragen, der Vorschlag zur Reform des Selbstleseverfahrens und der Vorschlag zur Bündelung von Nebenklägerbeiständen.
Dagegen findet sich im Referentenentwurf auch eine Änderung, die nicht Gegenstand der Kommissionsempfehlungen gewesen ist: Durch eine Reform der §§ 81e und 81h StPO soll die Verwertbarkeit sog. „Beinahetreffer“ legalisiert werden.[204] Dem liegt eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2012 zu Grunde, in der er die Verwertung von Beinahetreffern für rechtswidrig erklärt hatte.[205] Die Entscheidung hatte – insofern wenig überraschend – eine Diskussion zur Frage nach sich gezogen, ob der Gesetzgeber reagieren müsse.[206] Der Entwurf nimmt dies auf und erweitert im bestehenden Rahmen des § 81h StPO-E den Untersuchungsumfang auf Verwandte in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad. Im Falle eines solchen Beinahetreffers könne dann gegen einen konkreten Verdächtigen vorgegangen werden. [207]
Begleitet wird diese Erweiterung von einer entsprechenden Belehrungspflicht, damit die Teilnehmer am Reihengentest wissen, dass auch Verwandte – und nicht nur sie selbst – in Verdacht geraten können. Die Legalisierung der Spurensuche mittels „Beinahetreffern“ tangiert vor allem die Strafrechtsphilosophie der deutschen StPO. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Mechanismus im Interesse der Straftataufklärung steht. Gleichwohl darf man nicht übersehen, dass der Reihengentest nach § 81h StPO für sich genommen schon in der Kritik steht, weil er als weitflächig angelegte Ausforschungsmethode die Unschuldsvermutung herausfordert. Zwar wird eingewandt, dass die Teilnahme an dem Test freiwillig ist (und bleibt) und die Weigerung für sich genommen keinen Verdacht begründet, [208] doch berücksichtigt werden muss, dass dieses Postulat in der Praxis schnell verwässern kann.[209] Die Neuregelung würde diesen Trend fortschreiben.
IV. Bewertung und Ausblick
Die von der Kommission abgegebenen Empfehlungen stellten für sich genommen schon keinen „großen Wurf“ dar. Gleichwohl waren sie nicht so schlecht, wie manche sie hielten,[210] auch wenn sie hinter den gesteckten Erwartungen weit zurückfielen. Der jetzige Referentenentwurf bleibt noch ein gutes weiteres Stück hinter der Qualität der Empfehlungen zurück. Am sichtbarsten ist dies bei der Umsetzung der audiovisuellen Dokumentation von Aussagen im Ermittlungsverfahren, die deutlich zaghafter umgesetzt wird, als die Kommission es im Blick hatte. Dabei war dieser Vorschlag zur Neuausrichtung gerade derjenige, der auf eine durchweg positive Resonanz stieß.
Außerdem wurden grundlegende Reformen – z.B. bzgl. des Zwischenverfahrens – nicht vorgenommen. Dazu bestand natürlich schon deswegen keine Veranlassung, weil die Expertenkommission dazu schwieg. Auch Anregungen zur weiteren Prüfung konnten naturgemäß noch nicht in Gesetzesform gegossen werden. Dennoch, zumindest einige weitere Empfehlungen der Kommission hätten umgesetzt werden können. Gerade die Einfügung einer gesetzlichen Regelung zur Quellen-TKÜ und zur Tatprovokation hätten hier Akzente gesetzt, die der aktuellen kriminalpolitischen Debatte Rechnung tragen.
So ist es nur zu einer verhaltenen Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission gekommen. Ob der Gesetzgeber den Entwurf tatsächlich verabschiedet, wird abzuwarten sein. Es bleibt zu hoffen, dass er – im beschriebenen Sinne – Korrekturen vornimmt.
[1] Abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumte/RefE_Gesetz_zur_effektiveren_und_praxistauglicheren_Ausgestaltung_des_Strafverfahrens.pdf?__blob=publicationFile&v=1, S. 4 ff., zuletzt abgerufen am 3.10.2016.
[2] Abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Aenderung_StGB.pdf?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 3.10.2016.
[3] Dieser Referentenentwurf und damit auch die Änderungen in § 81a StPO sind aber nicht Gegenstand der hiesigen Erörterungen. Abs. 2 wurde um folgenden Passus ergänzt: „Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe steht abweichend von Satz 1 der Staatsanwaltschaft, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch ihren Ermittlungspersonen zu, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Tat vorliegen, die der Beschuldigte bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat.“
[4] Abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumete/RegE_Beschuldigtenrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1, zuletzt abgerufen am 3.10.2016.
[5] ABl.L 294 v. 6.11.2013, S. 3.
[6] Abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Abschlussbricht_Reform_StPO_Kommission.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 15; zuletzt abgerufen am 3.10.2016.
[7] Hierzu und zu Ausnahmefällen o. Fn. 4, S. 8.
[8] So aber noch die Meldung vom Juni 2015 in beck-aktuell, becklink 2000283. Zur zeitgeschichtlichen Würdigung des im „deutschen Herbst“ 1977 verabschiedeten Gesetz s. Müller, KritV 2009, 193; zu Änderungen in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Krekeler, NJW 1986, 417.
[9] O. Fn. 4, S. 5 ff.
[10] BT-Drs. 18/9416, S. 1. Auch dies dient letztlich der von Maas geforderten „Effektivierung“, ohne explizit hierauf Bezug zu nehmen.
[11] BT-Drs. 18/9416, S. 8 ff.
[12] Abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumte/RefE_Erweiterung_Medienoeffentlichkeit_Gerichtsverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 3.10.2016. S. hierzu auch Rittig, NJ 2016, 265.
[13] In Kraft seit dem 31.12.2015, BGBl. I 2015, 2525; einen Überblick über die Änderungen geben Ferber, NJW 2016, 279; Haverkamp, ZRP 2015, 53; Hetger, DRiZ 2016, 260; Burhoff, ZAP Fach 22, 861.
[14] EU-Opferschutzrichtlinie (2012/28/EU), Abl.L 315 v. 25.10.2012, S. 57.
[15] Die Änderungsvorschläge dieses Entwurfes bleiben hier unberücksichtigt, hinzuweisen ist aber darauf, dass insbesondere die geplante Einführung des Fahrverbots als Nebenstraße für alle Delikte sehr umstritten ist. Vgl. hierzu bereits die ablehnenden Stellungnahmen von DAV, DBH und DRB, abrufbar unter: https://kripoz.de/Kategorie/stellungahmen/fahrverbot-stellungahmen/.
[16] Die Rede ist insgesamt abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Reden/DE/2014/07072014_Expertenkommission_Reform_StPO.html, zuletzt abgerufen am 3.10.2016.
[17] Schünemann, StraFo 2016, 45.
[18] Mitglieder der Expertenkommission waren: Prof. Dr. Katharina Beckemper, RD Dr. Monika Becker, Vors.RiLG Stefan Caspari, Ri Dr. Susanne Claus, OStA Martin Engers, StA Dr. Antonio Esposito, Prof. Dr. Robert Esser, MR Dr. Michael Gebauer, MDin Marie Luise Graf-Schlicker, MDgt Heinz-Leo Holten, Prof. Dr. Theresia Höynck, RA Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, LOStA Dr. Axel Isak, RiOLG Prof. Dr. Matthias Jahn, RA Dr. Stefan König, MDgt Dr. Matthias Korte, OStA BGH Dr. Matthias Krauß, StA Christian Meiners, RG Dr. Marc Meyer, Ltd MR Dr. Jochen Müller, RiBGH Dr. Norbert Mutzbauer, Prof. Dr. Cornelius Nestler, Prof. Dr. Heribert Ostendorf, RiBGH Prof. Dr. Henning Radtke, Prof. Dr. Thomas Rönnau, OStA b BGH Oliver Sabel, MDgt Arne Schlatmann, OStA Johannes Schmengler, MRn Stefanie von Strünk, Prof. Dr. Sabine Swoboda, ORRn Dr. Felicitas Wannek, RiAG Ulf Thiele, ORin Dr. Felicitas Wannek, RiOLG Marc Wenske, StAn Dr. Susanne Wollmann. Als Vertreterinnen und Vertreter haben an einzelnen Sitzungen teilgenommen: OStA Dr. Christian Burr, RA Prof. Dr. Rainer Hamm, OStA BGH Marcus Köhler, RA Dr. Ali Norouzi, RiAG Johanna Paulmann-Heinke, RA Dr. habil. Helmut Pollähne, Prof. Dr. Reinhold Schlothauer, OStA Dr. Michael Sommerfeld.
[19] Zur ersten Leitlinie s. Bericht der Expertenkommission, S. 2 ff.
[20] A.a.O., S. 4.
[21] Zur dritten Leitlinie s. Bericht der Expertenkommission, S. 5 f.
[22] A.a.O., S. 7 ff.
[23] A.a.O., S. 7.
[24] Zur Widersprüchlichkeit der Widerspruchslösung Kasiske, NJW-Spezial 2011, 379; Kröpil, JR 2012, 451; mit zahlr. Lit-Hinw. s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. (2016), § 136 Rn. 25a.
[25] Der Alternativ-Entwurf ist in GA 2014, 1 veröffentlicht.
[26] Bericht der Expertenkommission, S. 7 ff.
[27] Grundlegend zum Schuldinterlokut Dahs, GA 1971, 353; Wolter, GA 1980, 81; vgl. auch Schöch/Schreiber, ZRP 1978, 63, kurz zur damaligen juristischen Diskussion Haddenbrock, NJW 1981, 1302 (1304) m.w.N.
[28] Bericht der Expertenkommission, S. 9 f. Ausführlicher zur Kritik Basar, StraFo 2016, 226 (228).
[29] Im Schrifttum ist der Bericht der Expertenkommission, soweit ersichtlich, in folgenden Beiträgen aufgegriffen worden: Caspari, DRiZ 2015, 386; von Galen, ZRP 2016, 42; Schünemann, StraFo 2016, 45; Schlothauer, StV 2016, 607; Basar, StraFo 2016, 226; Kudlich, JR 2016, 514; Greco, GA 2016, 1.
[30] Bericht der Expertenkommission, S. 15 ff.
[31] ABl.L 294 v. 6.11.2013, S. 4.
[32] Zu anderen Erwägungsgründen s. Bericht der Expertenkommission, S. 31 f., zusammenfassend Basar, StraFo 2016, 226 (229).
[33] Bericht der Expertenkommission, S. 33 ff.
[34] Jüngst noch einmal zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers Schlothauer, StV 2016, 607 (609); Kudlich, JR 2016, 514 (516 f.).
[35] Schlothauer, StV 2016, 607 (610).
[36] ABl.L 294 v. 6.11.2013, S. 3 f.
[37] Bericht der Expertenkommission, S. 35.
[38] Bericht der Expertenkommission, S. 36 ff.; näher zu der Begründung auch Basar, StraFo 2016, 226 (229).
[39] Ausführlich zur Kritik Jahn, Zur Rechtswirklichkeit der Pflichtverteidigerbestellung, 2014, S. 36.
[40] S. hierzu Bericht der Expertenkommission, S. 40 f.
[41] Vgl. unter:
https://ec.europa.eu/germany/news/neue-eu-vorschriften-garantieren-prozesskostenhilfe-strafverfahren_de; zuletzt abgerufen am 15.10.2016.
[42] A.a.O., S. 44.
[43] A.a.O., S. 45.
[44] A.a.O., S. 47.
[45] A.a.O., S. 49.
[46] Kritisch bereits Schünemann, StraFo 2016, 45 (49); zur Pflichtverteidigung von Festgenommenen und der Forderung nach einem „Notverteidiger“ s. Schlothauer, StV 2016, 607 (615).
[47] Hierzu Schünemann, StraFo 2016, 45 (48) m.w.N. in Fn. 27.
[48] Schünemann geht mit seiner Kritik sogar noch weiter: „an eine dem Funktionswandel des Ermittlungsverfahrens Rechnung tragende Balanceregelung“ habe die Kommission „offensichtlich nicht einmal gedacht“, StraFo 2016, 45 (49).
[49] Bericht der Expertenkommission, S. 51 f. Zu den unterschiedlichen Ansätzen bzgl. der Beschuldigteneigenschaft vgl. Burhoff, Hdb. für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl. (2015), Rn. 900 ff. m.zahlr.w.N.
[50] Bericht der Expertenkommission, S. 52 f.
[51] A.a.O., S. 54 ff.
[52] Bericht der Expertenkommission, S. 57.
[53] A.a.O., S. 60; zur Diskussion vgl. Burhoff (Fn. 48), Rn. 1171.
[54] Zur Missachtung des Richtervorbehalts s. Burhoff, StRR 2009, 204; vgl. zur Thematik ebenfalls Pichon, HRRS 2011, 412; Ebert, ZIS 2010, 249. Ausf. mit Beispielen auch Burhoff (Fn. 48), Rn. 1155 ff.
[55] Bericht der Expertenkommission, S. 64 ff.
[56] Schünemann spricht von dem wichtigsten Vorschlag, StraFo 2016, 45 (49).
[57] Bericht der Expertenkommission, S. 67 ff.
[58] Grundlegend Meyer-Mews, NJW 2002, 103.
[59] So aber z.B. Schlothauer, StV 2016, 607 (613).
[60] Zur Quellen-TKÜ vgl. Graf, in: BeckOK-StPO, 25. Ed. (1.7.2016), § 100a Rn. 107a.
[61] Bericht der Expertenkommission, S. 73.
[62] Z.B. LG Landshut, NStZ 2011, 479; LG Hamburg, MMR 2011, 693.
[63] Vgl. Becker/Meinicke, StV 2011, 50; Buermeyer, StV 2013, 470.
[64] Bericht der Expertenkommission, S. 77 f. mit Beispielen zum Wertungswiderspruch.
[65] Bericht der Expertenkommission, S. 79.
[66] A.a.O., S.18, 80.
[67] BGBl. I 2015, 1938; zu § 9b BVerfSchG vgl. Marscholleck, NJW 2015, 3611 (3615).
[68] Bericht der Expertenkommission, S. 83.
[69] So bereits 1996 Duttge, JZ 1996, 556, der auch einen konkreten Regelungsvorschlag macht.
[70] EGMR, NJW 2015, 3631 (Furcht gegen Deutschland); hierzu Sinn/Maly, NStZ 2015, 378; zur deutschen Rspr. BVerfG, NJW 2015, 1083; BGHSt 60, 238; 60, 276; s. auch Jahn/Kudlich, JR 2016, 54; Britz, jM 2016, 123.
[71] Bericht der Expertenkommission, S. 86.
[72] Schünemann, StraFo 2016, 45 (51).
[73] Bericht der Expertenkommission, S. 88. Ausf. zu dieser Empfehlung Basar, StraFo 2016, 226 (232).
[74] Hierzu unten unter S. 8 II 3.
[75] Bericht der Expertenkommission, S. 93.
[76] A.a.O., S. 95 ff. mit einigen Vorschlägen, zusammengefasst bei Basar, StraFo 2016, 226 (232 f.).
[77] Den Anwendungsbereich eines solchen Verfahrens sieht die Kommission für Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren, Bericht der Expertenkommission, S. 104.
[78] Bericht der Expertenkommission, S. 102 ff.
[79] A.a.O., S. 108 f.
[80] Zu dieser Einschätzung auch schon Schünemann, StraFo 2016, 45 (51); von Galen, ZRP 2016, 42 (44).
[81] Bericht der Expertenkommission, S. 110 ff. Da der Vorschlag im Referentenentwurf aufgegriffen wurde vgl. zur Kritik III 2 a.
[82] Bericht der Expertenkommission, S. 113 f.
[83] Ausf. – auch zu taktischen Erwägungen – Basar, StraFo 2016, 226 (234).
[84] Bericht der Expertenkommission, S. 115 ff. Hierzu ausf. unter III 2 i und Basar, StraFo 2016, 226 (234).
[85] Bericht der Expertenkommission, S. 118 (122).
[86] A.a.O., S. 125 ff.
[87] A.a.O., S. 127; kritisch schon Basar, StraFo 2016, 226 (234).
[88] Bericht der Expertenkommission, S. 128 ff.
[89] A.a.O., S. 131.
[90] A.a.O., S. 130.
[91] A.a.O., S. 128-133.
[92] A.a.O., S. 134.
[93] A.a.O., S. 135 f.
[94] A.a.O., S. 137 f,
[95] A.a.O., S. 139, 140.
[96] A.a.O., S. 142.
[97] A.a.O., S. 143 ff.
[98] Ausf. hierzu und zu den Hintergründen Basar, StraFo 2016, 226 (236).
[99] Bericht der Expertenkommission, S. 146.
[100] A.a.O., S. 148 ff.
[101] A.a.O., S. 151 f.
[102] A.a.O., S. 153 f.
[103] A.a.O., S. 155 f.; hierzu kritisch Basar, StraFo 2016, 226 (236).
[104] Bericht der Expertenkommission, S. 157 f.
[105] A.a.O., S. 162 ff.
[106] A.a.O., S. 159.
[107] A.a.O., S. 166.
[108] A.a.O., S. 168 ff. und S. 173 ff.
[109] A.a.O., S. 173 ff.
[110] A.a.O., S. 171 f.
[111] So Schünemann, StraFo 2016, 45 (51).
[112] Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. (2016), § 203 Rn. 2.
[113] Vgl. Schünemann, StraFo 2016, 45 (51); Schlothauer, StV 2016, 607 (608); Basar, StraFo 2016, 226 (237).
[114] Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. (2015), Rn. 622.1
[115] Bericht der Expertenkommission, S. 93.
[116] Für eine entsprechende Gesetzesänderung spricht sich Kühne, Rn. 622.2 aus. Als weitere Lösung wäre in Betracht zu ziehen gewesen, das Zwischenverfahren ausschließlich zur formellen Prüfung der Anklage zu nutzen und die Tatverdachtsprüfung entfallen zu lassen.
[117] Bericht der Expertenkommission, S. 155 f.
[118] Ausf. zur Kritik Basar, StraFo 2016, 226 (236).
[119] Bericht der Expertenkommission, S. 170.
[120] Referentenentwurf, S. 12.
[121] So die zusammenfassenden Überschriften in der Begründung des Referentenentwurfs, S. 12 – 15. Bemerkenswert ist, dass im Entwurf in der Einleitung festgehalten wird, dass die Aufgaben des Strafprozesses („Ermittlung des wahren Sachverhalts“) für die Strafgerichte dadurch erschwert würden, dass diese sich einer dauerhaft hohen Belastung ausgesetzt sehen und in Haftsachen das Beschleunigungsgebot gelte. Unerwähnt bleibt, dass die – unstrittig bestehende – hohe Arbeitsbelastung der Strafgerichte nicht zufällig entstanden ist, sondern durch den Gesetzgeber selbst geschaffen wurde. Dieser neigt seit Jahrzehnten dazu, das materielle Strafrecht auszuweiten, ohne gleichläufig das Personal der Justiz zu stärken.
[122] Damit soll zum einen die Verzögerung des Verfahrens vermieden aber zugleich die Rechtsposition des Angeklagten gewahrt werden, da dem Angeklagten zugesichert bleibt, nicht von einem Mitglied des Gerichts vernommen zu werden, dem der Makel der Besorgnis der Befangenheit anhaftet vgl. Bericht der Expertenkommission, S. 110.
[123] Der Verweis auf § 257a StPO soll hier nur „in Ausnahmefällen“ zur Anwendung kommen und sich ausdrücklich nur auf die Begründung der Anträge beziehen. Diese Ausgestaltung soll nach dem Referentenentwurf, S. 17 die Grundentscheidung, Anträge mündlich anbringen zu können, unangetastet lassen.
[124] Es soll schlicht die Verzögerung am Tag der Anklageverlesung verhindert werden.
[125] Auf diese Möglichkeit weist auch der Referentenentwurf, S. 17 ausdrücklich hin.
[126] So schon Basar, StraFo 2016, 226 (233) in Hinblick auf die Empfehlung der Kommission.
[127] Kudlich/Noltensmeier, in: SSW-StPO, 2. Aufl. (2016), § 26 Rn. 1.
[128] Zur Reichweite des verfassungsrechtlichen Gewährleistungsinhalts dieser Prozessmaxime vgl. Schlei, Die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig, 2015, S. 28 und 59 ff.
[129] § 26 Abs.1 S. 2 StPO-E könnte hierfür mit einer weiteren Einschränkung versehen und wie folgt gefasst werden: „§ 257a S. 1 findet für die Begründung des Ablehnungsgesuch entsprechende Anwendung“.
[130] Die Forderung, das Strafverfahren besser zu dokumentieren, ist nicht neu, sondern wird schon seit langem erhoben. Eine Übersicht zur Geschichte enthält Leitner, Videotechnik im Strafverfahren, 2012, S. 34 f. und 111 f.
[131] Referentenentwurf, S. 19.
[132] Referentenentwurf, S. 19. Bemerkenswert ist, dass der Entwurf als Ursache für Defizite des herkömmlichen Protokolls anführt, dass der Beamte durch die Mitschrift der Vernehmung belastet ist und er sich daher schlechter auf den Inhalt der Aussage und auf ihre äußeren Umstände konzentrieren kann, weil er sie gleichzeitig dokumentieren muss. Dies dürfte allseits Zustimmung finden, wenngleich man die Frage anschließen muss, warum man mit dieser Erkenntnis noch zulässt, dass in der Hauptverhandlung vor den Land- und Oberlandesgerichten gesetzlich keine Mitschrift vorgesehen ist. In der Praxis ist nicht selten zu beobachten, dass alle Verfahrensbeteiligten „fleißig mitschreiben“. Der Referentenentwurf geht gleichwohl nicht so weit, die Mitschrift abschaffen zu wollen oder gar durch eine wörtliche Transkription zu ersetzen. Stattdessen heißt es im Referentenentwurf, S. 22, dass an der bisherigen Übung der Mitprotokollierung durch den Vernehmungsbeamten grundsätzlich festgehalten werden soll – die Verschriftung könne dann aber auch später mithilfe der Videodokumentation erfolgen.
[133] Ausdrücklich werden im Referentenentwurf, S. 19, 21 „körpersprachliche Signale“ genannt, deren Interpretation eine Rolle spielen kann. Die Videoaufzeichnung sei deswegen unbestritten technisch das „optimale Mittel“, eine Vernehmung wahrheitsgemäß abzubilden.
[134] Dieser Gesichtspunkt hat durchaus Gewicht. In der Praxis werden die Vernehmungsvorschriften nach Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. (2014), Rn. 1088 häufiger verletzt als man gemeinhin annimmt.
[135] Referentenentwurf, S. 23.
[136] A.a.O., S. 23.
[137] Vgl. Bericht der Expertenkommission, S. 67.
[138] Referentenentwurf, S. 24. Einige Verbrechen seien in dem Katalog nicht enthalten; dafür seien aber auch Vergehen inkludiert, die aufgrund des „konspirativen Vorgehens“ Eingang in den Katalog gefunden haben.
[139] Referentenentwurf, S. 24. Der Hinweis hat durchaus Gewicht, nicht zuletzt da eine Entscheidung nach § 140 Abs. 2 StPO immer auch einen Beurteilungsspielraum belässt. Unerwähnt lässt der Referentenentwurf in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Expertenkommission, S. 71 auch § 140 Abs. 1 StPO als denkbaren Katalog angesprochen hat. Hier wäre auch an eine Beschränkung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 (Hauptverhandlung vor dem LG oder OLG im 1. Rechtszug) und Nr. 2 (Verbrechen) zu denken gewesen.
[140] So der Referentenentwurf, S. 24. Dies wirkt wenig durchdacht. Das „klassische“ Szenario einer schwierigen Sachlage wäre vielmehr eine potentielle Aussage gegen Aussage Situation, wo die frühzeitige Konservierung von Körpersprachsignalen fallentscheidend sein kann.
[141] Dies ist deswegen widersprüchlich, weil im Referentenentwurf, S. 19, zuvor eingeräumt wird, dass verschiedene Aspekte einer Aussage auch erst später im Verfahren bedeutsam werden können. Mit anderen Worten: Eine anfänglich nebensächliche Tatsache (bzw. ein Zeuge!) kann später (doch noch) wichtig werden. Weswegen man diese – vom Referentenentwurf anerkannte – Dynamik an diesem Punkt ignoriert und bei schweren Straftaten die Aufzeichnung im Einzelfall ungenutzt lassen will, ergibt sich aus der Begründung nicht.
[142] Ein umfassender Beweistransfer lehnt der Referentenentwurf, S. 22 ab und fügt hinzu, dass die audiovisuelle Aufzeichnung nur dort in der Hauptverhandlung eingeführt werden kann, wo das geltende Recht eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ohnehin gestattet.
[143] Das betrifft den gegenwärtigen § 58a Abs. 1 Nr. 1 StPO, der die „schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Abs. 2 genannten Straftaten verletzt worden sind“ als Anlass für eine audiovisuelle Dokumentation nennt. Diese beiden Fallgruppen sollen nunmehr in § 58a Abs. 1 Nr. 2 a) StPO – E und § 58a Abs. 1 Nr. 2 b) StPO – E erfasst werden.
[144] Auf diese bezieht sich der Referentenentwurf, S. 25 ausdrücklich.
[145] So wörtlich im Referentenentwurf, S. 23.
[146] Angesichts dieser Ausgestaltung ist auch fraglich, ob die Neuregelung in den Fällen „Bauer Rupp“ und „Peggy“ zu dem intendierten Schutz geführt hätte. Immerhin hat in diesen Fällen das rücksichtslose Vorgehen der Polizei in der Vernehmungssituation eine erhebliche Rolle gespielt. Wenn die Außerachtlassung der Voraussetzungen der Pflicht zur audiovisuellen Dokumentation für die Verwertbarkeit der so gewonnenen Aussage keine Rolle spielt, werden solche Beamte nicht gerade „ermutigt“, ihr Verhalten zu überdenken.
[147] Die audiovisuelle Dokumentation des Ermittlungsverfahrens soll erst am 1.1.2020 in Kraft treten, um den Ländern Zeit für Anschaffung der Ausstattung zu gewähren.
[148] Als Beispiel werden im Referentenentwurf, S. 26, in Übereinstimmung mit der entsprechenden Empfehlung der Kommission Blutalkoholgutachten genannt.
[149] Bericht der Expertenkommission, S. 36.
[150] So wörtlich aus dem Bericht der Expertenkommission, S. 44.
[151] Wessing, in: Beck-OK, Stand: 1.7.2016, § 148 Rn. 1.
[152] Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 59. Aufl. (2016), § 148 Rn. 4.
[153] Bericht der Expertenkommission, S. 48: „Die gegenwärtige Rechtslage drängt Rechtsanwälte somit möglicherweise übereilt – zur Aufnahme von rechtsgeschäftlichen Mandatsverhältnissen. Umgekehrt wird auf diese Weise auch dem Beschuldigten nahegelegt, seinen Verteidiger ohne vorherige Prüfungsmöglichkeit zu mandatieren. Diese Praxis ist vor dem Hintergrund der sich daraus ergebenden Gefahr des Verteidigerwechsels nicht sinnvoll“.
[154] Fernmündliche oder schriftliche Kommunikation ist ausdrücklich nicht in den Anwendungsbereich der nach § 148 Abs. 2 S. 1 StPO-E geschützten Anbahnungsgespräche einbezogen.
[155] Als Beispiel für einen Missbrauch der Privilegierung wird auf S. 35 des Referentenentwurfs der Besuch mehrerer Beschuldigter zur „Abstimmung des Aussageverhaltens“ genannt.
[156] Bericht der Expertenkommission, S. 167.
[157] Referentenentwurf, S. 35.
[158] Hierfür bedarf es nach der Begründung im Referentenentwurf, S. 36 der vorherigen Entscheidung der Staatsanwaltschaft.
[159] Referentenentwurf, S. 36; Bericht der Expertenkommission, S. 58.
[160] Referentenentwurf, S. 36.
[161] Zuletzt war 2010 ein Gesetzesantrag der Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessens im Bundesrat eingebracht worden (BR-Drs. 120/10), vgl. dazu und zu den Einwänden Beck, ZRP 2011, 21; Erb StV 2010, 655.
[162] Referentenentwurf, S. 36. Dies betrifft neben den Zwangsmitteln nach §§ 51 und 70 StPO (Nr. 4), die Entscheidungen über die Zeugeneigenschaft oder das Vorliegen von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten (Nr. 1), über eine Gestattung nach § 68 Abs. 3 S. 1 StPO, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen (Nr. 3) und über die Beiordnung eines Zeugenbeistandes nach § 68b Abs. 2 StPO (Nr. 3).
[163] Erb StV 2010, 655 hatte bezüglich des Entwurfs von 2010 eingewandt, dass das Hauptproblem einer Erscheinenspflicht in den Fällen liegt, in denen Unklarheiten über die Existenz und Reichweite eines Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechts besteht.
[164] von Galen, ZRP 2016, 42 (43), äußert die Befürchtung, dass die Staatsanwaltschaft derartige Anordnungen formularmäßig erteilen wird.
[165] BR-Drs. 120/10, S. 5.
[166] Referentenentwurf, S. 36.
[167] Wenn man die Sachleitungsbefugnis ernst nimmt, darf sie auf keiner Seite starr verstanden werden. Es macht keinen Sinn, der Staatsanwaltschaft die Teilnahme an einer Vernehmung aufzubürden, wenn es sich um eine (wenngleich auch entscheidende) Aussage im Bereich der kleineren Kriminaldelikte handelt. Zugleich wäre es falsch, wenn die Staatsanwaltschaften die Neuregelung dazu nutzten, sich von der Verpflichtung zur Durchführung von Vernehmungen zu „befreien“. Im Wirtschaftsstrafverfahren, bei denen außerstrafrechtliche Normen strafbegründend wirken können, gebietet die sachliche und rechtliche Komplexität die Teilnahme der Staatsanwaltschaft an Vernehmungen. Der Entwurf täte gut daran, dies in der Begründung mitabzubilden.
[168] Beck, ZRP 2011, 21; Erb StV 2010, 655.
[169] Referentenentwurf, S. 39.
[170] Basar, StraFo 2016, 226 (234) mit Verweis auf den Bericht der Expertenkommission, S. 110.
[171] Schneider in: KK, StPO, 7. Aufl. (2013), § 243 Rn. 33.
[172] Bericht der Expertenkommission, S. 115: „Die Verteidigung kann die Schwerpunkte ihrer Überlegungen offenlegen und auf diese Weise ein gezieltes Verhandeln der Streitpunkte ermöglichen“.
[173] Die Abstimmung fiel 11:10 aus.
[174] Bericht der Expertenkommission, S. 116. Hier stimmten 16 Mitglieder dafür. Der Referentenentwurf, S. 41, verwirft diese „Replik“ der Staatsanwaltschaft aber nicht vollends, sondern verweist auf das Gericht. Dieses könne – sofern angezeigt – im Rahmen der Verhandlungsleitung der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zur „Gegenerklärung“ geben.
[175] Zum Ganzen Burhoff, Handbuch der Hauptverhandlung, 8. Aufl. (2016), Rn. 1457.
[176] Diese Vorgehensweise wird immer dann gewählt, wenn der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will.
[177] Referentenentwurf, S. 40.
[178] Bericht der Expertenkommission, S. 115. Auch aus den Protokollen ergibt sich hierzu kein Hinweis. Streitpunkt scheint mehr die Frage eines opening statements als solchem gewesen zu sein, vgl. Bericht der Expertenkommission, Anlagenband II, S. 121 ff. Wichtiger war es der Kommission, dafür Sorge zu tragen, dass das Recht der Eröffnungserklärung nicht missbraucht wird, was im Verweis auf § 257 Abs. 3 und § 257a StPO Niederschlag gefunden hat.
[179] Burhoff, Handbuch der Hauptverhandlung, 8. Aufl. (2016), Rn. 1457.
[180] Krause, in: MAH, 2. Aufl (2014), § 7 Rn. 111; Burhoff, Handbuch der Hauptverhandlung, 8. Aufl. (2016), Rn. 1457. Sommer, Effektive Strafverteidigung, 3. Aufl. (2016), Rn. 1061 geht sogar so weit, dass das Eröffnungsplädoyer der Verteidigung vor allem dann zur Strukturierung der Hauptverhandlung beitragen kann, wenn der Angeklagte schweigt.
[181] Basar, StraFo 2016, 226 (235) mwN; ausführlich Börner, StV 2016, 681 (681). Zur bisherigen Fristenlösung des BGH vgl. Krehl, in: BeckOK-StPO, Stand 01.07.2016, § 246 Rn. 1; Julius, in: HK, 5. Aufl. (2012), § 244 Rn. 39.
[182] Referentenentwurf, S. 41.
[183] Zum Ganzen im Folgenden Börner, StV 2016, 681 (682 f.).
[184] Börner, StV 2016, 681 (686) weist zudem darauf hin, dass die materiell auf die Verschleppungsabsicht abstellende Lösung nach der Rechtsprechung des BGH zudem nur dann in Betracht kommt, wenn zuvor bereits wiederholt Beweisanträge wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden mussten.
[185] Börner, StV 2016, 681 (685) weist darauf hin, dass Sinn der Ablehnungsentscheidung auch ist, den Antragsteller darüber zu informieren, so dass dieser sich auf die prozessuale Lage einstellen und mit weiteren Beweisanträgen reagieren kann. Das hat die Kommission durchaus gesehen und erörtert, vgl. Basar, StraFo 2016, 226 (234), wobei sie sich nicht hat durchringen können, das Strafgericht dazu zu verpflichten, Sachstandsberichte o.ä. abzugeben. Begründet wurde dies mit der potentiellen Zunahme der „ohnehin bestehenden virulenten Problematik der Perserveranzeffekte.“ Da diese „virulente“ Problematik aber insgesamt nicht mit einer Lösung versehen wurde, bleibt die von Börner angeführte Diskursfunktion des Beweisantrags, die aus seiner Sicht auch Nötigungselemente aufweisen kann, weil das Beweisrecht das Gericht zur Kognition zwingt, auch wenn es die Beweisaufnahme für unnötig hält, für die Verteidigung des Angeklagten von unverändert zentraler Bedeutung.
[186] Der Bericht der Expertenkommission, S. 143 räumt selbst ein, dass die Neuregelung nicht viele Verfahren betreffen dürfte.
[187] Basar, StraFo 2016, 226 (236). Zustimmend wohl Börner, StV 2016, 681 (686), der das Szenario in Aussicht stellt, dass der Vorsitzende in Zukunft zügig eine Frist setzt und zugleich (dies lässt die StPO durchaus zu) die bisher gestellten Anträge zurückstellt. Anträge nach Fristeingang könnten dem Einwand ausgesetzt werden, dass diese zu spät sind und die anderweitig gestellten (und vielleicht zeitgleich mit der Fristsetzung abgelehnten) Anträge nichts daran änderten, dass der nach Frist gestellte Antrag der Verteidigung schön früher hätte einfallen können. Dieses Szenario ist keineswegs abwegig. Es gibt Strafgerichte, die Verteidigungsanträge lange „liegen“ lassen und diese erst nach dem eigenen Beweisprogramm – und der eigenen Urteilsbildung – verbescheiden. Es versteht sich von selbst, dass Anträge der Verteidigung dann aus Sicht des Gerichts als überflüssig betrachtet werden. Hierfür bietet der neue § 244 Abs. 6 StPO-E eine schöne Grundlage.
[188] Bericht der Expertenkommission, S. 2 ff.
[189] Referentenentwurf, S. 42.
[190] Zum sogenannten „schlanken“ Geständnis als Grundlage einer Verständigung Eschelbach, in BeckOK-StPO, Stand 01.07.2016, § 257c Rn. 23 ff., der die Auffassung vertritt, dass dieses nur nach einer durchgeführten Beweisaufnahme als ergänzende Urteilsgrundlage und erst dann als Verständigungsgegenstand in Frage komme. Auch einer lediglich ergänzenden Beweiserhebung nur durch Zeugenvernehmung von Ermittlungsbeamten, um letztlich das Aktenwissen in die Hauptverhandlung einzuführen, steht er kritisch gegenüber. Zustimmend insofern Moldenhauer/Wenske, in: KK, 7. Aufl. (2013), § 257c Rn. 13. Differenzierter dagegen Jahn/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 257c Rn. 126 ff., die den Begriff des „schlanken“ Geständnisses nicht verwenden wollen, sondern vielmehr von einem „detailarmen“ Zugestehen sprechen, das im Einzelfall für § 261 StPO ausreichen könne.
[191] Für die Bewertung dieser Neuregelung wird der Blick in die Praxis wesentlich sein. Der Referentenentwurf, S. 42 geht davon aus, dass das Strafgericht am Maßstab der Amtsaufklärungspflicht zu entscheiden haben wird, ob von der Verlesung Gebrauch gemacht wird oder eine unmittelbare Vernehmung vorzuziehen ist.
[192] Referentenentwurf, S. 43.
[193] Zum Ganzen auch in Bezug auf die Vorschläge der Expertenkommission Greco, GA 2016, 1 (6 f.).
[194] Fischer, in: KK, 7. Aufl. (2013), Einleitung Rn. 209. Auch der Referentenentwurf, S. 22, bekennt sich zur Bedeutung der Hauptverhandlung in der Konzeption des deutschen Strafprozessrechts.
[195] So Eschelbach, HRRS 2008, 190 (196).
[196] Die Kritik an der isolierten Ausweitung von §§ 251, 256 StPO wäre vielleicht nicht angebracht, wenn der Gesetzgeber „Blüten“ aus diesen Vorschriften gelegentlich auch wieder „einsammeln“ würde. Dies betrifft vor allem § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO, der die Einführung von „Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden“ in die Hauptverhandlung zulässt. Angeblich soll bzw. sollte dies nur „Routinevorgänge“ betreffen. Jüngst hat der BGH, BeckRS 2016, 06430 aber zu § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ausgeführt, dass durchaus auch außerhalb der Routine liegende Vorgänge vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst sind (entschieden wurde über polizeiliche Observationsberichte). Im Gesamtkontext ist die Kritik von Greco, GA 2016, 1 (6 f.) somit durchaus berechtigt.
[197] Referentenentwurf, S. 44.
[198] In Abgrenzung zu § 265 Abs. 4 StPO, der unverändert bleibt, sollen damit Fälle erfasst werden, bei denen eine Aussetzung zur Vorbereitung der Verteidigung nicht erforderlich ist, aber gleichwohl die Veränderung der Sachlage in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht, vgl. Referentenentwurf, S. 44.
[199] Expertenkommission, S. 159.
[200] A.a.O., S. 160: die Verteidigung sei deswegen benachteiligt, weil sie bei einer Revision der Staatsanwaltschaft innerhalb einer Woche Stellung beziehen muss, wenn sie Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nehmen will, die Revision doch noch zurückzunehmen.
[201] Der Hinweis geht – wie immer – fehl. Das Beschleunigungsgebot ist nach Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, 2011, S. 56 zu allererst ein Schutzrecht des Beschuldigten. Wenn man diese Dimension versteht verbietet es sich, das Verteidigungsrecht mit dieser Prozessmaxime einzuschränken bzw. Benachteiligungen unverändert zu lassen. So sieht es auch Börner, StV 2016, 681 (681).
[202] Referentenentwurf, S. 46.
[203] Außer Betracht bleiben sollen hier die Vorschläge, zu denen sich die Kommission schon nicht hat durchringen können.
[204] Referentenentwurf, S. 26 ff.
[205] BGH, StV 2013, 427. Besprechung bei Swoboda, StV 2013, 461, die einer Reform allerdings ablehnend gegenübersteht. Anders dagegen Busch, NJW 2013, 1771, der die Hoffnung formuliert, der Gesetzgeber würde handeln und die Verwertung zulassen.
[206] Die Politik schien sich jedenfalls sehr schnell für eine Reform einsetzen zu wollen, vgl. www.zeit.de/wissen/2013-11/gentest-beinahetreffer-verbrechen, zuletzt abgerufen am 3.10.2016.
[207] Referentenentwurf, S. 27.
[208] Dies betont der Referentenentwurf, S. 28 gleichfalls
[209] Anerkannt ist nämlich auch, dass bei Vorliegen anderer verdachtsbegründender Umstände die Verweigerung der freiwilligen Abgabe einer Speichelprobe einen verdachstverstärkenden Umstand darstellen kann, vgl. Senge, in: KK-StPO, 7. Aufl. (2013), § 81h Rn. 5. Dies soll vor allem dann vorliegen, wenn nach einem durchgeführten Reihentest eine große Zahl von Personen ausscheidet und nur noch „wenige Personen“, die dem Täterprofil entsprechen, „ungeklärt“ sind. Gegen die „ungetesteten“ soll dann – je nach Einzelfall – ein Anfangsverdacht bestehen können, vgl. Brauer, in: HK-StPO, 5. Aufl. (2012), §81h Rn. 13.
[210] Eine „Themaverfehlung“, so wie vom Justizminister Bayerns behauptet, vgl. www.bayern.de/stpo-expertenkommission-uebergibt-abschlussbericht-bayerns-justizminister-bausback-ergebnis-kommt-in-weiten-teilen-einer-themaverfehlung-gleich/; zuletzt abgerufen am 3.10.2016, liegt jedenfalls nicht vor.