Vermerk zur rechtlichen Bewertung der GenStA Koblenz vom 13.10.2016
Vermerk zur rechtlichen Bewertung
Es ist bereits fraglich, ob die in Rede stehende Darbietung als Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung des türkischen Staatspräsidenten zu charakterisieren ist, ohne dass – wie es die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt (vgl. BVerfG, NJW, 1995, 3303, 3305; NJW 2002, 3767; NJW 2009, 3016, 3018; NJW 2014, 3357, 3358) – andere mögliche Auslegungen hinreichend verlässlich auszuschließen sind. Bei der werkgerechten Ermittlung des Aussagekerns sind nach der Rechtsprechung die Gesamtumstände und die Besonderheiten satirischer Darstellungsformen, seine Einkleidung und die Sicht eines zur Berücksichtigung des Gesamtkonzepts bereiten Beobachters zugrunde zu legen und zu beachten (vgl. hierzu im Einzelnen näher unten). Es ist daher unzulässig, sich bei der Beurteilung der Darbietung auf den Wortlaut der Gedichtverse zu beschränken, ohne den Gesamtkontext, in den sie gestellt wurden, zu berücksichtigen.
Ferner wäre selbst bei Annahme einer Ehrverletzung eine Abwägung des Ehrenschutzes mit der Kunst- und Meinungsfreiheit vorzunehmen, ohne dass hinreichend sicher anzunehmen wäre, dass Letztere zurückzutreten hätte. Eine solche Abwägung ist namentlich nicht bereits unter dem Aspekt der „Schmähkritik“ entbehrlich, da der Darbietung bei der gebotenen Berücksichtigung aller Gesamtumstände ein sachlicher Bezug zu der seinerzeit öffentlich diskutierten Frage des Umgangs mit der Presse-, Meinungs- bzw. Kunstfreiheit durch den türkischen Staatspräsidenten nicht abzusprechen ist. Bei der erforderlichen Abwägung aller Gesamtumstände sind u.a. Anlässe und Begleitumstände zu berücksichtigen, denen namentlich bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage sowie der Geltendmachung eines sog. „Rechts zum Gegenschlag“ besondere Bedeutung beizumessen ist. Nach der Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass „derjenige, der im öffentlichen Meinungskampf zu einem herabsetzenden Urteil Anlass gegeben hat, eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen muss, wenn sie sein Ansehen mindert“.
Es ist deshalb zweifelhaft, ob – eine Ehrverletzung durch den in Rede stehenden Beitrag unterstellt – die Abwägung im vorliegenden Fall zu Gunsten des Ehrenschutzes auszufallen hätte. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass der türkische Staatspräsident seinerseits zuvor mit drastischen Mitteln auf einen nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckten Beitrag reagiert und damit eine öffentliche Diskussion ausgelöst hatte. Zwar war der Beschuldigte nicht persönlich vom türkischen Staatspräsidenten angegangen worden, doch durfte er sich als Ausübender der tangierten Kunstgattung betroffen fühlen. Handelt es sich damit um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, wird nach der Rechtsprechung eine Vermutung zu Gunsten der Meinungsfreiheit angenommen (BVerfG, NJW 1985, 787), ohne dass es darauf ankommt, ob die Kritik berechtigt ist (VGH München, NJW 2011, 793, 794).
Letztlich ist die Annahme der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten Böhmermann sei jedenfalls die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, wegen der Besonderheiten der zu bewertenden Fallgestaltung zutreffend. Angesichts seiner Einlassung ist dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, dass er billigend in Kauf nahm, die Darbietung stelle sich aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen und zur Berücksichtigung des Gesamtkonzepts bereiten Beobachters nicht mehr als satirisch kritische Auseinandersetzung zu dem Umgang mit den durch Art. 5 GG gewährten Freiheiten, sondern als Kundgabe der ernst gemeinten Missachtung gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten in dessen personalen, sozialen oder ethischen Wert dar.
Diese Prämissen und Folgerungen beruhen im Einzelnen auf folgenden Erwägungen:
1. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist eröffnet
Es ist unmöglich Kunst generell zu definieren (BVerfG, NStZ 1985, 211, 212; NJW 1987, 2661). Die Staatsanwaltschaft hat zu Recht darauf verwiesen, dass als „das Wesentliche der künstlerischen Betätigung […] die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“ (BVerfG, NJW 1971, 1645) angesehen wird. Zulässig ist allein eine „Unterscheidung zwischen Kunst und Nichtkunst“, nicht jedoch eine „Niveaukontrolle, also eine Differenzierung zwischen ‚höherer‘ und ‚niedriger‘, ‚guter‘ und ‚schlechter‘ (und deshalb nicht oder weniger schutzwürdiger) Kunst“ (BVerfG, NJW 1987, 2661). Die vorbehaltlose Gewährung der Kunstfreiheit durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG darf nicht durch eine wertende Einengung des Kunstbegriffs ausgehebelt werden (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1646). Auch im Falle der Meinungskundgabe in Form künstlerischer Betätigung bleibt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG maßgebliches Grundrecht (BVerfG, NJW 1987, 2661). Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG lex specialis (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1648; NJW 1987, 2661). Die in Rede stehende Sendung wird von dem Beschuldigten sowie dem Sender dem satirischen Genre zugeschrieben.
Satire kann Kunst sein, doch ist nicht jede Satire stets auch Kunst (BVerfG, NJW 1992, 2073; NJW 1998, 1386, 1387; NJW 2002, 3767; BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 67). Es gehört zum Wesen der Satire mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten (BVerfG, NJW 1987, 2661; NJW 1992, 2073; NJW 1998, 1386, 1387). Auch sie muss den genannten Grundanforderungen entsprechen, wenn sie als Kunst dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unterfallen will. Das Erfordernis, dass die Darstellung das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung sein muss, ist nicht schon bei jeder bloßen Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung erfüllt (BVerfG, NJW 2002, 3767). Der Schutzbereich ist auch dann nicht eröffnet, wenn der „Kunstbezug“ sich lediglich als „Beiwerk“ einer an erster Stelle stehenden Meinungsäußerung darstellt (BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 66; vgl. BVerfG, NJW 1990, 1985). Allerdings ist einem als Satire in Betracht kommenden Werk die Einordnung als Kunst nicht schon deshalb zu nehmen, weil durch eine bestimmte Darstellung Aufsehen erregt und der Absatz des Werks gefördert werden soll (BVerfG, NJW 1990, 2541). Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung. Es verbietet sich, einzelne Teile eines Kunstwerks aus dessen Zusammenhang zu lösen und gesondert darauf zu unter-suchen, ob sie als Straftat zu würdigen sind (BVerfG, NStZ 1985, 211, 213; BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 68; OLG Köln, NJW 1993, 1486, 1487), da künstle- rische Äußerungen interpretationsfähig und interpretationsbedürftig sind und die Gesamtschau des Werks unverzichtbares Element dieser Interpretation ist (BVerfG, a.a.O.). Zu berücksichtigen ist auch, ob sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung mehrere Interpretationsmöglichkeiten ergeben (vgl. BVerfG, a.a.O.). Dies gilt auch für die Frage, ob einem Werk der Charakter einer Satire zukommt (vgl. BVerfG, NJW 1990, 2541). Die zu beurteilende Darbietung enthält satiretypische Elemente. Zu den für Satire typischen Stilmitteln gehört es namentlich, Erklärungen erkennbar nur zum Schein aufzustellen (vgl. BayObLG, NJW 1957, 1607, 1608) oder in ironischer Form darzubringen (vgl. BGH, NJW 2000, 1036, 1039) sowie auf Kosten von Prominenten oder Politikern zum Lachen zu reizen (BVerfG, NJW 2002, 3767, 3768).
Unabhängig davon, ob und inwieweit man die Darbietung als Satire verstehen will, beschränkt sie sich nicht auf einer von Verzerrungen oder Übertreibungen geprägten Meinungsäußerung, sondern ist auch von künstlerischen Elementen geprägt, die nicht lediglich als bloßes „Beiwerk“ der Meinungskundgabe zu werten sind. Zu den die Darbietung prägenden künstlerischen Elementen dürfte weniger der Vortrag eines in Reimform verfassten Gedichtes (zur Dichtung als Kunstgattung BVerfG, NStZ, 1985, 211, 212; OLG München, Beschl. v. 6.2.2013 – 18 W 206/13 –, BeckRs 2013, 07462), sondern vor allem die „Einrahmung“ in eine Art „Lehrstück“ sowie die Untermalung mit einer – auf den „extra 3“- Beitrag „Erdowie, Erdowo, Erdowan…“ anspielenden – Musik und die Inszenierung unter Verwendung der türkischen Flagge sowie einem Portrait des türkischen Staatspräsidenten mit einer Art „Bühnenbild“ (zur „bühnenhaften Umsetzung“ als schöpferisches Element OLG München, a.a.O.) beitragen. Die Darbietung ist ferner durch eine Kommunikation zwischen Moderator und einer Art Co-Moderator in Form eines wiederholten Wechsels zwischen Gedichtvortrag und Kommentierung gekennzeichnet. Damit kommt sowohl eine schöpferische Gestaltung als auch eine bestimmte Formensprache zur Veranschaulichung von Erfahrungen, Erlebnissen oder Eindrücken im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG jedenfalls in noch hinreichender Weise zum Ausdruck.
2. Die Kunstfreiheit ist grundsätzlich vorbehaltlos gewährt
Die Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG bezieht sich nur auf die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und kann nicht auf die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG ent-sprechend angewandt werden (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1646). Auch eine unmittelbare oder analoge Anwendung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 Satz 1. Hs. 2 GG kommt nicht in Betracht (BVerfG, a.a.O.; NStZ 1985, 211, 212). Daher dürfen grundsätzlich auch nicht einzelne Teile aus einem Kunstwerk herausgelöst und le-diglich allein als den Schranken gem. Art. 5 Abs. 2 GG unterliegenden Meinungsäußerungen i.S.d. Art. 5 Abs. 1 GG angesehen werden (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1646). Die Kunstfreiheit ist wird jedoch nicht schrankenlos gewährt (BVerfG, a.a.O.). Aus der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts ergibt sich aber, dass ihre Grenzen nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind (BVerfG, a.a.O.).
Zu den insofern in Betracht kommenden von der Verfassungsordnung des Grundgesetzes als ebenfalls wesentlich geschützten Rechtsgütern gehört namentlich das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht (BVerfG, NStZ 1985, 211, 212). Dieses umfasst den „Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das eigene Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken“ (BVerfG, NJW 2004, 590, 591; BGH, GRUR 2014, 1021, 1022). Allerdings begründet es nicht den Anspruch, nur so dargestellt zu werden, wie man selber gesehen werden möchte (BVerfG, NJW 2002, 3767, 3768; NJW 2011, 47, 48). Die Kunstfreiheit ihrerseits zieht wiederum dem Persönlichkeitsrecht Grenzen (BVerfG, NStZ 1985, 211, 212). Letztlich ist „ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen“ (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1646). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kunstfreiheit als „Teil des grundrechtlichen Wertsystems […] insbesondere der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet [ist], die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht“ (BVerfG, a.a.O.).
3. Der Konflikt zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit ist durch Abwägung zu lösen
Von einer Ehrverletzung ausgehend ist die „Spannungslage zwischen den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen“ grundsätzlich durch eine Abwägung zu lösen (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1647; vgl. BVerfG NJW 1987, 2661, 2662; NJW 2002, 3767, 3768).
Wie schwierig es ist, dem durch Wechselwirkungen der betroffenen Belange gekennzeichneten Abwägungsprozess Konturen zu verleihen, wird auch anhand der Rechtsprechung deutlich: So genügt jedenfalls nicht die Feststellung einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, etwa in Form einer Beleidigung, ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit (BVerfG, NStZ 1985, 211, 212). Vielmehr ist zu klären, ob diese Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat (BVerfG, a.a.O.). Insofern reicht angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit weder eine geringfügige Beeinträchtigung noch die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung aus (BVerfG, a.a.O.; vgl. KG, NStZ 1985, 385, 387; OLG München, Beschl. v. 6.2.2013 – 18 W 206/13 – , BeckRs 2013, 07462). Ist jedoch eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei festzustellen, kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (BVerfG, a.a.O.). Von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ist bei Eingriffen in den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre stets auszugehen (BVerfG, NJW 1987, 2661, 2662). Tastet eine Äußerung die Menschenwürde eines anderen an, müssen Meinungs- wie Kunstfreiheit zurücktreten, „denn die Menschwürde als Wurzel aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig“ (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3304). Eine Verletzung des „sozialen Geltungsanspruchs“ als „Menschenwürdekern“ ist stets anzunehmen, „wenn – ausdrücklich oder im Weg der Implikation – die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in einer sozialen Gemeinschaft oder die Achtung als Mensch grundsätzlich negiert oder in Frage gestellt wird (…)“, worunter „etwa die Zuschreibung eines tierischen Wesens (…) oder verfälschende Darstellungen, die ‚menschenunwürdige’ Tabubrüche unterstellen“ fallen (OLG München, Beschl. v. 6.2.2013 – 18 W 206/13 – , BeckRs 2013, 07462 m.w.N.). Da jedoch „sämtliche Grundrechte Konkretisierungen des Prinzips der Menschwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt“ (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3304). Es gibt zwar eine „Grenze des Zumutbaren“, auch wenn „Übertreibungen ’strukturtypisch‘ sind und Personen, die […] im öffentlichen Leben stehen, in verstärktem Maße Zielscheibe öffentlicher, auch satirischer Kritik sind“ (BVerfG, NJW 1987, 2661, 2662). Da zur Meinungsbildung beitragende öffentliche Äußerungen Aufmerksamkeit erregen sollen, sind jedoch „angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen“ (BVerfG, NJW 1969, 227, 228; BGH, NJW 2007, 686, 688), so dass den Betroffenen in seiner Ehre herabsetzende Äußerungen „jedenfalls dann noch rechtmäßig“ sind, „wenn sie gemessen an den von der Gegenseite erhobenen Ansprüchen oder aufgestellten Behauptungen nicht unverhältnismäßig erscheinen“ (BVerfG, NJW 1969, 227, 228).
Die dargestellte Rechtsprechung dokumentiert die Komplexität einer erforderlichen Abwägung, bei der es letztlich stets auf die Umstände des Einzelfalles ankommt. So hat das BVerfG selbst im Zusammenhang mit der Abwägung zwischen persönlicher Ehre und Meinungsäußerungsfreiheit Folgendes erklärt: „Das Ergebnis dieser Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, sondern hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Doch ist in der Rechtsprechung eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt worden, die Kriterien für die konkrete Abwägung vorgeben. Hierzu gehört insbesondere die Erwägung, dass bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurückzutreten hat […]“.
Dem Ehrenschutz kann daher verfassungsrechtlich unbedenklich der Vorzug eingeräumt werden, wenn es sich um sog. Schmähkritik oder Formalbeleidigungen handelt. Im Fall von Schmähkritik ist eine eingehende Abwägung in der Regel entbehrlich (vgl. BVerfG, NJW 2009, 749, 750; NJW 2014, 3357, 3358). Die Rechtsprechung hat den Begriff der Schmähkritik jedoch „eng definiert“ (BVerfG, NJW 2009, 749; NJW 2009, 3016, 3017; NJW 2014, 3357, 3358; Beschl. v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – , Rn. 21, zit. nach juris, m.w.N.). Hiernach genügt eine überzogene oder gar ausfällige Kritik nicht zur Charakterisierung als Schmähung, sondern es muss hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, NJW 2009, 749, 750 m.w.N.; NJW 2009, 3016, 3017; NJW 2014, 3357, 3358; Beschl. v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – , Rn. 21, zit. nach juris). Zusammengefasst ist „wesentliches Merkmal der Schmähung […] eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung“ (BVerfG, Beschl. v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – , Rn. 21). Dies wird jedoch „bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage […] nur selten vorliegen und eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben“ (BVerfG, a.a.O.; BVerfG, NJW 2013, 3021; NJW 2014, 3357, 3358; Beschl. v. 28.9.2015 – 1 BvR 3217/14 – , BeckRS 2016, 41100, Rn. 14). Bei der Beurteilung, ob die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt, so dass von einer Schmähkritik auszugehen ist, sind regelmäßig Anlass und Kontext der Äußerung zu beachten (BVerfG, NJW 2009, 749, 750; NJW 2009, 3016, 3018).
Von der Berücksichtigung von Anlass und Kontext kann abgesehen werden, „wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpf-wörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein kann“ (BVerfG, NJW 2009, 749, 750). Nur unter diesen Voraussetzungen kann auch eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs ausnahmsweise die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen (BVerfG, NJW 2009, 3016, 3018). Bei der Beurteilung der Darbietung des Beschuldigten ist aber – wie mehrfach ausgeführt – nicht allein auf den Inhalt der Verse des Gedichts oder gar nur einzelne Begriffe abzustellen, vielmehr ist auch die die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage des Umgangs mit der Meinungs- und Kunstfreiheit in den Blick zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass ausweislich der Anmoderation bzw. der zwischenzeitlichen Kommentierung des Gedichts sowohl auf den Hintergrund bzw. die Vorgeschichte der Darbietung als auch darauf hingewiesen wurde, dass der Vortrag des Gedichts (isoliert betrachtet) unzulässig wäre. Damit war – jedenfalls nicht widerlegbar – gerade nicht die Behauptung verbunden, der türkische Staatspräsident übe tatsächlich die beschriebenen sexuellen Praktiken aus oder der Beschuldigte schreibe dem Beschwerdeführer die „angedichteten“ Attribute tatsächlich zu. Vielmehr wurde die Krassheit der Formulierungen als Beispiel eines „Gegenpols“ zu dem im Vergleich hierzu noch relativ „harmlosen“ und vom deutschen Rechtsverständnis als zulässig gedeckten, aber von dem türkischen Staatspräsidenten kritisierten „extra 3“-Beitrag dargestellt.
Dies gilt gleichermaßen für die Passagen in derber Sprache und mit drastischem Sexualbezug. Sie unterliegen auch einer von der Entscheidung des BVerfG zu den so gen. „Strauß-Karikaturen“ (BVerfG, NJW 1987, 2661) abweichenden Bewertung: Der Darstellung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten als ein Schwein, welches u.a. mit einem anderen Schwein in richterlicher Amtstracht kopuliert, war die Aussage zu entnehmen, der Ministerpräsident „mache sich die Justiz in anstößiger Weise seinen Zwecken zunutze“ und er „empfinde an einer ihm willfährigen Justiz ein tierisches Vergnügen” (BVerfG, NJW 1987, 2661, 2662). Bei den so gen. „Strauß-Karikaturen“ ging es darum, aufzuzeigen, dass der Betroffene „ausgesprochen ‚tierische’ Wesenszüge habe und sich entsprechend benehme“. Darin sah das BVerfG „offenkundig ein(en) Angriff auf die personale Würde des Karikierten“ (BVerfG, a.a.O., 2662). Demgegenüber ist der Darbietung des Beschuldigten bei verständiger Würdigung des Gesamtkontextes nicht zu entnehmen, er unterstelle dem türkischen Ministerpräsidenten ein unanständiges Verhältnis zu den als vermeintliche Sexualpartner Dargestellten oder ein „tierisches Wesen“. Vielmehr ging es dem Beschuldigten nach seiner unwiderlegten Einlassung darum, zu zeigen, dass der türkische Staatspräsident mit dessen Versuch der politischen Einflussnahme auf zulässige satirische Meinungskundgaben in Deutschland eine Grenze überschritten habe. Es ist daher jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Darbietung der Gedanke zugrunde lag, einem Tabubruch müsse mit Tabubruch begegnet werden, um ersteren als solchen herauszustellen und ihm so entgegenzutreten.
4. Die Abwägung erfordert eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände
In die Entscheidung sind namentlich folgende Gesichtspunkte einzubeziehen, die mitunter auch bei der Beurteilung der Sachaussage relevant sind und die teilweise Schnittmengen bilden oder in einander übergehen können:
Grad der Ehrverletzung nebst Folgen:
- Stellung des Betroffenen im politischen Leben (vgl. KG, NStZ 1992, 385, 386)
- Sexualbezug (vgl. KG, NStZ 1992, 385, 386)
- Umfang der Auswirkungen bzw. Folgewirkungen (vgl. BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 68; KG, NStZ 1992, 385, 387)
Grad des „Kunstbezugs“ (vgl. BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 66, 68)
Grad der Verfremdung (vgl. BVerfG, NJW 1971, 1645, 1647; BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 68):
- Art der Verfremdung (vgl. BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 68)
- Offenkundigkeit der Darstellung als satirisch (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3271, 3273; VGH München, NJW 2011, 793, 794 f.)
- Grad des Wirklichkeitsbezuges (vgl. OLG München, Beschl. v. 6.2.2013 – 18 W 206/13 – , BeckRs 2013, 07462)
Ausmaß des Unwahrheitsgehalts (vgl. BVerfG, NJW 1971, 1645, 1648)
Kritik an der Ausübung staatlicher Macht sowie öffentlichem Wirken und dessen Folgen (vgl. BVerfG, NJW 2009, 3016, 3019)
Grad des Sachbezugs (vgl. OLG München, NJW 2016, 2759, 2760),
Sachzusammenhang (vgl. BVerfG, NJW 2009, 3016, 3019),
Anlässe (vgl. BayObLG, NStZ 2005, 215, 216) und Begleitumstände
Wegen der in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung erlangenden Aspekte einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage und des sog. „Rechts zum Gegenschlag“ darf ich auf meine obigen Ausführungen Bezug nehmen.
5. Die Feststellung einer konfliktauslösenden Ehrkränkung setzt die werkgerechte Ermittlung des objektiven Erklärungsgehalts voraus.
Die Prüfung einer Beschränkung der Kunstfreiheit durch das Persönlichkeitsrecht verlangt die Ermittlung des objektiven Sinnes der in Rede stehenden Äußerung oder Darbietung. Insofern bedarf es stets einer Gesamtbetrachtung (BVerfG, NStZ 1985, 211, 213). Hierbei darf Meinungsäußerungen „kein Inhalt untergeschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte; das gilt besonders bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung“ (BVerfG, NJW 1992, 2073; NJW 1998, 1386, 1387; vgl. BVerfG, NJW 1990, 1980, 1981) und entsprechend für der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unterfallende Werke.
Bei satirisch übersteigerten Äußerungen sind hierauf bezogene „werkgerechte Maßstäbe“ anzulegen (BVerfG, NJW 2002, 3767). Dem Wesen der Satire ist immanent mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten (BVerfG, NJW 1987, 2661; NJW 1992, 2073; NJW 1998, 1386, 1387). Die Satire oder eine ähnliche Übersteigerung darf als Stilmittel nicht schon selbst als Kundgabe der Missachtung gewürdigt werden (BVerfG, NJW 2002, 3767), zumal Übertreibung „naturgemäß immer unwahr“ ist (KG, NStZ 1992, 385, 386). Vielmehr erfordert die rechtliche Beurteilung die Entkleidung des in „Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes“ (BVerfG, NJW 1987, 2661, und VGH München, NJW 2011, 793, 794 zitieren RGSt 62, 183) zur Ermittlung ihres eigentlichen Inhalts (BVerfG, a.a.O.; NJW 1992, 2073, 2074; NJW 1998, 1386, 1387 und NJW 2002, 3767, beide ebenfalls unter Hinweis auf RGSt 62, 183). Es müssen der Aussagekern und seine Einkleidung gesondert auf das Vorhandensein einer Kundgabe der Missachtung geprüft werden (BVerfG, NJW 1987, 2661; NJW 1992, 2073, 2074; NJW 1998, 1386, 1387; NJW 2002, 3767; VGH München, a.a.O.). Mit Blick auf das Wesensmerkmal der Verfremdung sind für die Beurteilung der Einkleidung regelmäßig weniger strenge Maßstäbe als für die Bewertung des Aussagekerns anzulegen (BVerfG, NJW 1987, 2661; NJW 1998, 1386, 1387; VGH München, a.a.O.; OLG München, Beschl. v. 6.2.2013 – 18 W 206/1 –, BeckRs 2013, 07462). Je geringer die Verfremdung ausfällt, desto eher bedarf die Darstellung einer Überprüfung auf Ihre Übereinstimmung mit der Realität (KG, NStZ 1992, 385, 386). Umgekehrt können „die Wortwahl und die extreme Häufung von Anspielungen eine Verfremdung derart offenkundig“ erscheinen lassen, „dass eine eng an die Realität angelehnte Überprüfung von Tatsachenbehauptungen […] ausscheidet“ (KG, a.a.O.).
Für die Ermittlung des objektiven Sinnes einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des Äußernden noch das subjektive Verständnis des hiervon Betroffenen maßgeblich (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305), sondern die Sicht eines „unvoreingenommenen und verständigen Publikums“ (BVerfG, a.a.O.; NJW 2009, 3016, 3018; VGH München, NJW 2011, 793, 794). Dies bedarf wegen der Besonderheiten künstlerischer Darbietungen einer Präzisierung. Es darf weder auf einen „in künstlerischen Erscheinungsformen völlig Unbewanderten“ noch auf den „umfassend künstlerisch Gebildeten“, abgestellt werden (BVerfG, NStZ 1985, 211, 213). Maßgeblich ist die Sicht eines zur Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des künstlerischen Gesamtkonzeptes bereiten Beobachters (BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 66; vgl. BVerfG, NStZ 1985, 211, 213). Insbesondere ist nicht die Sicht eines „flüchtigen, naiven Beobachter(s)“, der bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende Umstände verkennt, maßgeblich (BVerfG, NStZ 1985, 211, 213). Von besonderer Bedeutung ist, ob sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung mehrere Interpretationsmöglichkeiten ergeben (vgl. BVerfG, NStZ 1985, 211, 213).
Im Falle einer mehrdeutigen Äußerung kommt eine Verurteilung nur dann in Betracht, wenn das Gericht andere mögliche bzw. alternative, nicht zur Verurteilung führende Deutungen in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen hat (BVerfG, NJW, 1995, 3303, 3305; NJW 2002, 3767; NJW 2009, 3016, 3018; NJW 2014, 3357, 3358). Es muss für die zur Bestrafung führende Deutung besondere Gründe angeben, die nicht allein dem Wortlaut entnommen werden dürfen, sondern sich auch aus den Umständen ergeben können (BVerfG, NJW 1990, 1980, 1981). Diese müssen zudem dem Äußernden zurechenbar sein bzw. erkennbar zum Inhalt seiner Äußerung werden (BVerfG, NJW 1990, 1980, 1981). Eine Beleidigung kommt schließlich in Betracht, wenn die Äußerung dahin auszulegen ist, dass sie erkennbar unter dem Deckmantel der Kunstform eine eigene Missachtung des Betroffenen ausdrücken sollte (OLG Köln, NJW 1993, 1486, 1487).
Eine weitere Differenzierung ist erforderlich, sofern sich der Äußernde der Mehrdeutigkeit seiner Äußerung bewusst ist: Hat eine „Kundgebung objektiv keinen herabsetzenden Charakter, ist es unerheblich, wenn sie von einem Teil der Personen, die von ihr Kenntnis genommen haben, als beleidigend verstanden worden ist“, und zwar auch dann nicht, „wenn der Äußernde mit der Möglichkeit einer Missdeutung gerechnet und sie billigend in Kauf genommen hat“ (BayObLG, NJW 1957, 1607, 1609). Ist eine Äußerung schon objektiv mehrdeutig, so dass weder der eine noch der andere, sprich auch nicht der eine Herabsetzung bedeutende Sinn, auszuschließen ist, ist zu prüfen, ob die eine Herabsetzung ergebende Auslegung durch die angesprochenen Personen oder einen Teil von ihnen wenigstens als möglich bedacht und der Äußernde sie für diesen Fall gebilligt hat (BayObLG, a.a.O., unter Bezugnahme auf RGSt 65, 21 und RGSt 63, 112). Schon das RG hatte in Bezug auf einen Aufsatz in der Tagespresse dargelegt, dass „Kundgebungen der Tagespresse von dem größten Teil der Leser nur flüchtig gelesen werden“, womit der Verfasser zu rechnen habe, und dass „in der Presse des politischen […] Kampfes eine allgemeine Neigung zur Schärfe besteht, so dass tadelnde Kundgebungen von den einseitig eingestellten Lesern der Schrift leicht schärfer und einseitiger aufgefasst werden, als sie gemeint sein mögen, und als sich ihr Inhalt und Sinn dem ruhig und sorgsam die Kundgebung in ihrer Gesamtheit würdigenden unbeteiligten Beurteilten darstellt“ (RGSt 63, 112, 115). Derjenige aber, der „solchen Äußerungen eine Form gibt, die eine mehrfache Deutung zulässt, und sich dabei bewusst ist, dass seine Leser die Ausführungen in einem strafrechtlich zu wertenden Sinne verstehen würden, der überschreitet damit die Grenze der zulässigen Äußerung und wird in der Regel das sagen wollen, wovon er weiß, dass der Leser es aus der Kundgebung entnehmen werde“ (RGSt 63, 112, 115). Gebraucht jemand eine Äußerung „zwar in einem eigenartigen, von der allgemeinen Auffassung abweichenden, nicht geringschätzenden Sinne“, „ist der Vorwurf vorsätzlicher Ehrverletzung“ begründet, wenn er sich „dessen, dass die Äußerung von den Empfängern in ihrer regelmäßigen ehrenrührigen Bedeutung verstanden werde, bewusst ist und diesen Erfolg innerlich gutheißt“ (RGSt 65, 21, 22). Es „kann demjenigen, der öffentlich Texte vortragen will, die schwerwiegende negative Aussagen über dritte Personen enthalten, zugemutet werden, ein Mindestmaß an Sorgfalt bei der Formulierung anzuwenden, wenn er diese Personen tatsächlich nicht verunglimpfen will, sondern andere Ziele im Auge hat“ (BayObLG, NVwZ-RR 1994, 65, 68).
6. Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall
Aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen und zur Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des künstlerischen Gesamtkonzeptes bereiten Beobachters liegt der Aussagekern der Darbietung des Beschuldigten in der Kritik an dem Umgang des türkischen Staatspräsidenten mit den Grundfreiheiten aus Art. 5 GG. Es ist nicht zu widerlegen, dass die Darbietung aufzeigen sollte, wie weit aus Sicht des Beschuldigten die Vorstellungen des türkischen Staatspräsidenten von den Grenzen der Kunst- und Meinungsfreiheit von denen des deutschen Rechtsverständnisses entfernt sind und dass er seinerseits in Bezug auf den „extra 3“-Beitrag „mit Kanonen auf Spatzen“ geschossen habe. Aus den einleitenden Bemerkungen folgt zwar, dass auch eine strafrechtlich relevante Interpretation der Darbietung möglich ist. Um eine Verurteilung des Beschuldigten herbeizuführen, müsste die anderweitige Deutung aber ausgeschlossen werden können: Eine Ehrverletzung in diesem Sinne könnte in Betracht kommen, wenn der türkische Staatspräsident durch die Gesamtheit der Darstellung (oberlehrerhafte und nur vermeintliche Aufklärung anhand einer Vielzahl drastischer Beispiele für offenkundig verbotene Verunglimpfungen unter Verwendung präsidialer bzw. staatlicher Attribute) in seinem Streben nach Ehrenschutz ins Lächerliche gezogen werden sollte (Letzteres war Aussagegehalt der wiederholten Darstellung des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten als kopulierendes Schwein, vgl. BVerfG, NJW 1987, 2661, 2662). Es erscheint auch keineswegs ausgeschlossen, dass der Beschuldigte – ggf. unterstützt durch Mimik oder Gestik – den Eindruck vermittelte und auch vermitteln wollte, er werde nun eben dasjenige tun, vor dem er vermeintlich warne, um hierdurch Gelächter hervorzurufen, aber auch zu provozieren. Hierbei handelte es sich aber um eine für Satire gerade typische Effekthascherei, aus der nicht zwingend darauf zu schließen ist, dass der Beschuldigte die Gesamtinszenierung allein zum Schein aufgebaut hatte und den türkischen Staatspräsidenten in seinem personalen Wert verunglimpfen wollte. Letztlich ist die diese Deutung bestreitende Einlassung des Beschuldigten zu seiner Motivation in Bezug auf die Darstellung nicht zu widerlegen.
Abweichendes folgt auch nicht aus dem von der Beschwerde aufgegriffenen Umstand, dass nicht die gesamte Darbietung, sondern lediglich das „Gedicht“ mit Untertiteln in türkischer Sprache versehen war. Es ist nicht erweislich, dass der Beschuldigte hierdurch bezweckte oder billigend in Kauf nahm, dass Zuschauer, die nur der türkischen Sprache mächtig sind, den angegebenen Gesamtkontext nicht würden erfassen können. Denn es ist fernliegend, dass eine Sendung des in Rede stehenden Formats von Personen (zumal u.U. sogar bis zu dem Beitrag) verfolgt wird, die der deutschen Sprache nicht oder nicht wenigstens insoweit mächtig sind, dass sie deren satirischen Charakter und die Einbettung in eine Inszenierung nicht hinreichend erfassen können. Soweit in Betracht kommt, dass der Beitrag etwa im Zuge eines „Zappens“ durch verschiedene Programme gesehen worden sein könnte, ist zu berücksichtigen, dass es – wie oben dargelegt – nicht auf die Sicht eines „flüchtigen“, sondern eines zur Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des künstlerischen Gesamtkonzeptes bereiten Beobachters ankommt. Umgekehrt ist jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass der Beschuldigte die Untertitelung als Teil der Gesamtperformance betrachtete, die – in Einklang mit seiner Einlassung – der weiteren Unterstreichung des Charakters einer vermeintlich besonders bedeutsamen Verlautbarung diente. Selbst wenn man von einer objektiven Mehrdeutigkeit ausginge, dürfte dem Beschuldigten angesichts seiner Einlassung nicht mit der erforderlichen Gewissheit abzusprechen sein, ein Mindestmaß an Sorgfalt in dem dargelegten Sinne an den Tag gelegt zu haben. Insofern ist zu bedenken, dass der Beschuldigte wiederholt auf das Verbot entsprechender Äußerungen hingewiesen hat. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Beitrag in einer als Satire-Format bekannten Sendung ausgestrahlt wurde, die von dem Beschuldigten vor dem Beitrag als „Satire- und Quatsch-Sendung“ angekündigt wurde. Er durfte zudem davon ausgehen, dass die Zuschauer dieses Formats auf satiretypische Verzerrungen geradezu warten und diese auch erkennen. Insbesondere hat der Beschuldigte geltend gemacht, besonderen Wert darauf gelegt zu haben, die Absurdität der dem türkischen Staatspräsidenten zugeschriebenen Verhaltensweisen derart offensichtlich werden zu lassen, dass sie schlechterdings nicht ernst genommen werden könnten. Tatsächlich ist der Text des „Gedichts“ von einer Reihe offensichtlicher Unsinnigkeiten und völlig übersteigerter Absurditäten gekennzeichnet.
Ein außerordentlicher Grad an Verzerrung kann aber gerade gegen eine Beleidigung bzw. eine Beleidigungsabsicht sprechen. So hat der VGH München (NJW 2011, 793) eine Beleidigung des Papstes in einem Fall verneint, in welchem bei einem Aufzug am „Christopher Street Day“ Plakate mit Abbildungen des Papstes Benedikt XVI. angebracht waren, auf denen er eine „Aids-Schleife“ an der Soutane, Kondome an einem Finger trug bzw. an Mund und Augen geschminkt sowie mit teilweise gefärbten Haaren abgebildet war. Entsprechendes hat das Gericht in Bezug auf eine Puppe befunden, die den Papst darstellen sollte und u.a. „das doppelte Zeichen für ‚männlich‘“ trug. Die Darstellung des Papstes mit homosexuellen Attributen taste – so das Gericht weiter – weder seine Menschenwürde an, weil sie über sexuelle Praktiken der Person keine Aussage treffe, noch enthalte die Darstellung eine Formalbeleidigung oder Schmähung des Papstes (VGH München, a.a.O., 794). Der in der Kritik an der Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität gesehene Aussagekern sei von einem unbefangenen Beobachter zu ermitteln gewesen; niemand komme auf die Idee, der Papst trete mit gefärbten Haaren, einer Aids-Schleife oder Kondomen in der Hand für eine homosexuelle Lebensweise ein (VGH München, a.a.O., 794, 795).
Vor diesem Hintergrund ist die Einlassung des Beschuldigten, er habe durch die Hervorhebung der Absurdität der in dem Gedicht enthaltenen Äußerungen eine Abstraktion von der real existierenden Person des türkischen Staatspräsidenten erreichen und eben nicht dessen persönliche Verunglimpfung bezwecken wollen, nicht zu widerlegen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem von der Beschwerde in Bezug genommen Interview des Beschuldigten gegenüber „Zeit online“, in dem er von seiner Einlassung abweichende Angaben hinsichtlich der Erstellung bzw. Urheberschaft des „Gedichtes“ gemacht habe. Tatsächlich hat der Beschuldigte in dem Interview zwar an einer Stelle erklärt, das „Gedicht“ stamme aus dem Internet. Allerdings ist ungeachtet des Umstandes, dass auch in dem Interview nicht wenige Aussagen des Beschuldigten ersichtlich nicht ernst gemeint oder ernst zu nehmen waren, darauf zu verweisen, dass er sich in demselben Interview als den „Lizenzgeber“ bezeichnete, ohne dessen „vorherige schriftliche Genehmigung“ eine (auch auszugsweise) Veröffentlichung des Gedichts nicht erfolgen dürfe. Außerdem antwortete er auf die Frage, ob „Sie Ihr Gedicht extra so stereotyp und, ja, fast ein wenig schlampig gehalten“ haben, „um klarzumachen, dass es Ihnen nicht um die Beleidigung Erdogans, sondern um eine juristische Grenzauslotung ging“ ohne jegliche Einschränkung mit „Vollkommen korrekt“. Auch auf die folgende mit „Ihr Gedicht“ eingeleitete Frage negierte er seine Verantwortlichkeit für das „Gedicht“ nicht. Ferner erklärte er in dem Interview, „Ich habe einen rumpeligen, aber komplexen Witz gemacht“ und hat von „mein kleiner Pupswitz“ gesprochen. Schließlich verwies er in dem Interview darauf, dass das Gedicht „nur ein Teil der Nummer“ sei und nicht außerhalb des Kontextes betrachtet werden dürfe.
7. Es besteht auch kein hinreichender Tatverdacht wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung gem. § 130 StGB.
Zunächst beanspruchen die oben dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Ermittlung des Inhalts einer Äußerung, zur Beurteilung mehrdeutiger Äußerungen und zur Frage der Abwägung der betroffenen Belange grundsätzlich auch im Spannungsfeld zwischen dieser Strafnorm und der Meinungsfreiheit Geltung (vgl. näher Schäfer, in: MüKo-StG, 2. Aufl. 2012, Rn. 110 f. zu § 130).
Im Übrigen richtete sich die Darbietung des Beschuldigten weder gegen das türkische Volk, die Türken in Deutschland oder Muslime, noch gegen den Antragsteller wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der in § 130 StGB genannten Gruppen. Das Gegenteil ist jedenfalls nicht erweislich. Denn während der Darbietung wandte der Beschuldigte sich mehrfach ausdrücklich an den Antragsteller, und zwar in Bezug auf seine Reaktion auf den „extra 3“-Beitrag und die Grenzziehung zur „Schmähkritik“. Hieraus folgt, dass er den türkischen Staatspräsidenten nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Nation oder religiösen Gruppe, sondern allein wegen seiner Haltung zu den Grundfreiheiten aus Art. 5 GG bzw. seinem Vorgehen nach dem „extra 3“-Beitrag kritisierte. Das ergibt sich nicht nur aus dem ausdrücklich an die Reaktion auf den „extra 3“-Beitrag anknüpfenden Gesamtkontext, sondern auch aus ausdrücklichen Erklärungen:
… „Was die Kollegen […] da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan, das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit
[…]
Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung. Das darf man hier. Da […] können Sie nicht einfach sagen, die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen […]“.
Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Beschuldigte den Vorsatz hatte, im Sinne des § 130 StGB gegen eine dort bezeichnete Person oder Personenmehrheit zum Hass aufzustacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufzufordern oder die Menschenwürde anderer durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumdung einer der in § 130 StGB genannten Personen oder Personenmehrheiten anzugreifen.