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KriPoZ-RR, Beitrag 07/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17: Verletzung der Meinungsfreiheit durch fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik und der daraus folgende Verzicht auf die Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit des Äußernden und der persönlichen Ehre des Betroffenen verletzen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
  2. Von der Meinungsfreiheit sind auch polemische Zuspitzungen zur Verdeutlichung der eigenen Rechtsansicht erfasst, sodass eine Pflicht zur Beschränkung auf das zur Verdeutlichung der Kritik erforderliche Maß nicht besteht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer bezeichnete im Rahmen der Begründung eines Ablehnungsgesuches der Amtsrichterin wegen Befangenheit ihre Verhandlungsführung als „mittelalterlichen Hexenprozess“. Zudem erinnere ihn die Art der Zeugenbeeinflussung stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten. Aufgrund dieser Aussagen ist der Beschwerdeführer vom AG Bremen und bestätigend vom LG und OLG Bremen zu einer Geldstrafe gemäß § 185 StGB verurteilt worden.

Entscheidung des BVerfG:

Die Urteile des LG und des OLG wurden vom BVerfG aufgehoben.

Das LG argumentierte, die Äußerungen des Beschwerdeführers seien überwiegend als Wertäußerung bezogen auf die Persönlichkeit der Richterin zu verstehen und ihr diffamierender Gehalt so erheblich gewesen, dass er unabhängig vom Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung im Vordergrund gestanden habe. Dem hielt das BVerfG entgegen, dass die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung erfordere. Dieser Kontext sei hier die Verhandlungsführung der Richterin im zivilgerichtlichen Verfahren gewesen. Somit wiesen die Äußerungen einen sachlichen Bezug auf, der sich zwar als polemisch überspitzte Kritik darstelle, aber eben nicht auf die bloße Herabsetzung der Betroffenen abziele.

Zu einer solchen überspitzen Aussage habe der Beschwerdeführer grundsätzlich das Recht. Er sei unter Berücksichtigung seiner Meinungsfreiheit nicht verpflichtet gewesen, seine Kritik auf das zur Verdeutlichung erforderliche Maß zu beschränken, so das BVerfG. Somit sei die Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft worden, was die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkenne.

Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen sei.

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt wurde die Abgrenzung der Schmähkritik am Satire-Gedicht von Jan Böhmermann diskutiert. In diesem Gedicht übte der Satiriker harsche Kritik am türkischen Staatspräsidenten, was zu einem später eingestellten Strafverfahren gegen Böhmermann führte. Zivilrechtlich wurde ihm die Verbreitung einzelner Passagen vom OLG Hamburg untersagt. Zudem löste der Fall eine Diskussion über die Zeitgemäßheit des § 103 StGB a.F. aus, der im Zuge dieser Auseinandersetzung vom Gesetzgeber gestrichen worden ist.

Am 30. Juli 2019 hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde Böhmermanns zurückgewiesen und damit das Urteil des OLG Hamburg bestätigt (BGH, Beschl. v. 30.07.2019 – VI ZR 231/18).

Weiter Informationen zur Causa Böhmermann finden Sie hier. Das Urteil des OLG Hamburg finden Sie hier und hier erhalten Sie Informationen zur Streichung der sog. Majestätsbeleidigung.

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