KriPoZ-RR, Beitrag 04/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 08.12.2020 – 1 BvR 842/19: FCK BFE ≠ FCK CPS?

Leitsatz der Redaktion:

Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung einer kleineren und explizit benannten Einheit der Polizei durch einen Pulloveraufdruck ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Verurteilung durch das AG Göttingen wegen Beleidigung gewandt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war er als Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechtsextremismus mit einem „FCK BFE“-Aufdruck auf seinem Pullover aufgefallen. Diese Abkürzung für „Fuck Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ hatte der Beschwerdeführer bewusst zur Verächtlichmachung der bei der Demo anwesenden Polizeieinheit auf seinem Kleidungsstück anbringen lassen und dort öffentlich getragen, so das AG. Gerade mit der anwesenden BFE aus Göttingen hatte der Verurteilte in der Vergangenheit verschiedene Auseinandersetzungen gehabt. Ihm war auch bekannt gewesen, dass diese Einheit bei der Demo eingesetzt würde. Nachdem er der Aufforderung, den Pullover auszuziehen, zögerlich nachgekommen war, hatte sich gezeigt, dass er darunter ein T-Shirt mit demselben Aufdruck getragen hatte.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG sah in der strafgerichtlichen Verurteilung einen gerechtfertigten Eingriff in die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) des Beschwerdeführers und sah die Verfassungsbeschwerde daher als jedenfalls unbegründet an.

Das AG habe bei seiner Verurteilung nach § 185 StGB das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Blick gehabt und die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Herstellung praktischer Konkordanz berücksichtigt.

Insbesondere genügten die Feststellungen des Tatgerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Feststellungen zur Individualisierung potentiell beleidigender Schriftzüge auf konkrete Personen oder Personengruppen.

Daher sei das Argument des Beschwerdeführers, er beziehe sich auf keine konkrete BFE sondern allgemein auf diese Einheiten, durch die unwidersprochenen Feststellungen des AG zur konkreten Tatsituation und zur persönlichen Vorgeschichte des Beschwerdeführers zur BFE der Polizei Göttingen, als nicht tragend anzusehen.

Dies sei gerade der Unterschied zu den Entscheidungen des BVerfG zu den Schriftzügen „FCK CPS“ oder „ACAB“, da in diesen Fällen kein individueller Bezug zu einzelnen überschaubaren Einheiten habe belegt werden können und die Ausdrücke daher auch als Kritik am Kollektiv Polizei verstanden werden könnten, so das BVerfG.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den Beschluss des BVerfG zum Ausdruck FCK CPS finden Sie hier.

Den Beschluss zum Ausdruck ACAB finden Sie hier und hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 41/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19: Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen bei einer Verurteilung wegen Beleidigung

Leitsatz der Redaktion:

Bei einer Verurteilung wegen Beleidigung sind die Meinungsfreiheit des Angeklagten und das Persönlichkeitsrecht des Opfers gegeneinander abzuwägen, wenn keine der eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vorliegt.

Sachverhalt:

Das BVerfG hatte über vier Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, bei denen die Angeklagten jeweils wegen Beleidigung verurteilt worden waren. In zwei Verfahren bestätigte es die Verurteilung durch das Tatgericht und in den anderen hob es die Urteile wegen Verletzung der Meinungsfreiheit auf.

Die Verfassungsbeschwerden nahm das BVerfG zum Anlass, seine Vorgaben bei strafrechtlichen Verurteilungen wegen Beleidigung erklärend zusammenzufassen.

Entscheidung des BVerfG:

Der Senat führte erneut aus, dass jede strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstelle.

Daher müsse grundsätzlich bei jeder solchen Verurteilung eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erfolgen. Dafür seien die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich und eine Verurteilung sei nur möglich, wenn der persönlichen Ehre des Betroffenen gegenüber der Meinungsfreiheit ein höheres Gewicht eingeräumt würde, so das BVerfG.

Als Beispiele für relevante Umstände des Einzelfalls führte der Senat zunächst den ehrschmälernden Gehalt der konkreten Äußerung an, für den es bedeutend sei, inwieweit die Äußerung grundlegende, allen Menschen gleichermaßen zukommende Achtungsansprüche betreffe oder ob sie eher das jeweils unterschiedliche soziale Ansehen des Betroffenen schmälere.

Dann könne relevant sein, ob die Aussage zur öffentlichen Meinungsbildung gedacht gewesen sei und auch, ob der Betroffene in seiner Privatsphäre oder seinem öffentlichen Wirken angesprochen worden sei. Ebenfalls in die Abwägung eingestellt werden müssten die konkreten situativen Umstände der Äußerung und die Größe des Kreises der Empfänger sowie die Flüchtigkeit der Äußerung.

Schließlich geht das BVerfG darauf ein, unter welchen Umständen eine solche Abwägung entbehrlich sein könne, da die Meinungsfreiheit komplett hinter dem Ehrschutz zurücktrete.

Namentlich sind dies die Fälle der Schmähkritik, Formalbeleidigung und eine Verletzung der Menschenwürde.

Eine Schmähkritik sei dann gegeben, wenn der Äußerung kein sachlich nachvollziehbarer Beweggrund mehr zugrunde liege und lediglich die Verächtlichmachung der Person gewollt sei.

Eine Formalbeleidung könne bei besonders herabwürdigender Sprache, beispielsweise Fäkalsprache, angenommen werden, wenn diese nicht nur in der Hitze des Gefechts, sondern mit Vorbedacht genutzt würde.

Spreche eine Äußerung der betroffenen Person den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit ab, handele es sich um eine Verletzung der Menschenwürde, die ebenfalls eine Abwägung entbehrlich mache.

Abschließend stellte das BVerfG klar, dass das Fehlen einer solchen Ausnahmesituation nicht generell einen Vorrang der Meinungsfreiheit zur Folge habe, sondern zu einer ergebnisoffenen Abwägung durch das Tatgericht führen müsse.

 

Anmerkung der Redaktion:

Diese Grundsätze hatte das BVerfG schon zuvor entwickelt. Es nutzte diesen Beschluss, um alle Voraussetzungen nochmal klarstellend zusammenzufassen.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 07/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17: Verletzung der Meinungsfreiheit durch fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik und der daraus folgende Verzicht auf die Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit des Äußernden und der persönlichen Ehre des Betroffenen verletzen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
  2. Von der Meinungsfreiheit sind auch polemische Zuspitzungen zur Verdeutlichung der eigenen Rechtsansicht erfasst, sodass eine Pflicht zur Beschränkung auf das zur Verdeutlichung der Kritik erforderliche Maß nicht besteht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer bezeichnete im Rahmen der Begründung eines Ablehnungsgesuches der Amtsrichterin wegen Befangenheit ihre Verhandlungsführung als „mittelalterlichen Hexenprozess“. Zudem erinnere ihn die Art der Zeugenbeeinflussung stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten. Aufgrund dieser Aussagen ist der Beschwerdeführer vom AG Bremen und bestätigend vom LG und OLG Bremen zu einer Geldstrafe gemäß § 185 StGB verurteilt worden.

Entscheidung des BVerfG:

Die Urteile des LG und des OLG wurden vom BVerfG aufgehoben.

Das LG argumentierte, die Äußerungen des Beschwerdeführers seien überwiegend als Wertäußerung bezogen auf die Persönlichkeit der Richterin zu verstehen und ihr diffamierender Gehalt so erheblich gewesen, dass er unabhängig vom Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung im Vordergrund gestanden habe. Dem hielt das BVerfG entgegen, dass die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung erfordere. Dieser Kontext sei hier die Verhandlungsführung der Richterin im zivilgerichtlichen Verfahren gewesen. Somit wiesen die Äußerungen einen sachlichen Bezug auf, der sich zwar als polemisch überspitzte Kritik darstelle, aber eben nicht auf die bloße Herabsetzung der Betroffenen abziele.

Zu einer solchen überspitzen Aussage habe der Beschwerdeführer grundsätzlich das Recht. Er sei unter Berücksichtigung seiner Meinungsfreiheit nicht verpflichtet gewesen, seine Kritik auf das zur Verdeutlichung erforderliche Maß zu beschränken, so das BVerfG. Somit sei die Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft worden, was die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkenne.

Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen sei.

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt wurde die Abgrenzung der Schmähkritik am Satire-Gedicht von Jan Böhmermann diskutiert. In diesem Gedicht übte der Satiriker harsche Kritik am türkischen Staatspräsidenten, was zu einem später eingestellten Strafverfahren gegen Böhmermann führte. Zivilrechtlich wurde ihm die Verbreitung einzelner Passagen vom OLG Hamburg untersagt. Zudem löste der Fall eine Diskussion über die Zeitgemäßheit des § 103 StGB a.F. aus, der im Zuge dieser Auseinandersetzung vom Gesetzgeber gestrichen worden ist.

Am 30. Juli 2019 hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde Böhmermanns zurückgewiesen und damit das Urteil des OLG Hamburg bestätigt (BGH, Beschl. v. 30.07.2019 – VI ZR 231/18).

Weiter Informationen zur Causa Böhmermann finden Sie hier. Das Urteil des OLG Hamburg finden Sie hier und hier erhalten Sie Informationen zur Streichung der sog. Majestätsbeleidigung.

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