Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
OLG Hamm, Beschl. v. 01.08.2019 – 2 Ws 96/19: Nach Urteil des EuGH ergibt sich eine gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls
Amtlicher Leitsatz:
Aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO ergibt sich eine inländische gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für die unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 27. Mai 2019 – C-505/18 und C-82/19 zu treffende gerichtliche Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls.
Sachverhalt:
Die Staatsanwaltschaft Bochum hatte am 27. Juni 2017 gegen einen flüchtigen Verurteilten einen Europäischen Haftbefehl erlassen und aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 27. Mai 2019 bei dem LG Bochum die richterliche Ausfertigung des Europäischen Haftbefehls gem. § 457 Abs. 3 S. 3 StPO beantragt.
Das LG hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht zuständig sei. Weder ergebe sich eine Zuständigkeit aus § 457 Abs. 3 S. 3 StPO noch aus § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28.4.2004 i.V.m. dem gemeinsamen Runderlass des Justizministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums über die Ausübung der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, Berichtspflichten und die Zusammenarbeit im Europäischen Justiziellen Netz sowie mit transnationalen Verbindungsstellen vom 16.12.2016.
Entscheidung des OLG Hamm:
Das OLG hob den Beschluss des LG auf und stellte den Europäischen Haftbefehl gegen den Verurteilten aus.
Zwar ergebe sich die gerichtliche Zuständigkeit der Strafkammer nicht unmittelbar aus dem IRG, denn sowohl die aus § 74 IRG abgeleitete rechtshilferechtliche Befugnis zur Prüfung und Bewilligung von Auslieferungsersuchen als auch die aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO folgende innerstaatliche Befugnis zur Anordnung grenzüberschreitender Fahndungsmaßnahmen lägen in der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften.
Allerdings lasse sich diese Praxis nach dem Urteil des EuGH vom 27. Mai 2019, in dem dieser entschieden hatte, dass die ausstellende Justizbehörde im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEUHb) nur eine solche sein kann, die unabhängig von Weisungen der Exekutive handelt, nicht länger aufrechterhalten.
Nach den Maßstäben der EuGH-Entscheidung seien Europäische Haftbefehle nunmehr von Gerichten als ausstellender Justizbehörde zu erlassen.
Auch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften für den Erlass eines innerstaatlichen Vorführungs- oder Vollstreckungshaftbefehls spreche nicht gegen dieses Vorgehen, da sich ein innerstaatlicher Vollstreckungshaftbefehl nach der Rechtsnatur und dem Wirkungskreis erheblich von einem Europäischen Haftbefehl unterscheide und somit strikt von diesem zu trennen sei.
Somit sei eine einschränkende rahmenbeschlusskonforme Auslegung der §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO nötig, die dazu führe, dass der nach §§ 131, 162 StPO zuständige Richter im Bereich der Strafverfolgung und das Gericht des ersten Rechtszuges im Bereich der Strafvollstreckung (§§ 131, 457 Abs. 3 StPO) für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls ausschließlich zuständig seien.
Anmerkung der Redaktion:
Der Europäische Haftbefehl wurde 2002 eingeführt und sorgte für die gegenseitige Anerkennung nationaler Haftbefehle. Am 27. Mai 2019 urteilte der EuGH, dass die weisungsgebundenen deutschen Staatsanwaltschaften solche EU-weiten Haftbefehle nicht mehr als ausstellende Justizbehörde erlassen dürfen (Link zum Urteil). Dem Urteil folgte eine Debatte zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in Deutschland, aufgrund derer die FDP-Fraktion einen Gesetzesentwurf „zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft“ in den Bundestag einbrachte. Weitere Informationen erhalten Sie hier.