Steffen Rittig: Der medienrechtliche Auskunftsanspruch gegen Strafverfolgungsbehörden. Voraussetzungen und Grenzen des medienrechtlichen Auskunftsanspruchs der Presse, des Rundfunks, der elektronischen Presse und des Films gegen die Staatsanwaltschaft, die Polizei und andere strafverfolgend tätige Behörden unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher, strafprozessualer und datenschutzrechtlicher Fragestellungen

von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel

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2019, Cuvillier Verlag, Göttingen, ISBN: 978-3-7369-7033-5, S. 450, Euro 99,95.

Informationsbegehren gegenüber Behörden können auf der Grundlage unterschiedlicher normativer Regelungen erhoben werden. Neben die Rechte, die etwa durch die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder gewährt werden, treten presse- bzw. medienrechtliche Ansprüche. Mit diesen beschäftigt sich die rechtswissenschaftliche Dissertation von Steffen Rittig, die unter Betreuung von Dieter Dörr entstanden und im Wintersemester 2018/2019 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angenommen worden ist. Angesichts der Fülle der in diesem thematischen Kontext zu behandelnden Aspekte hat sich der Verfasser auf solche Ansprüche beschränkt, die sich gegen Strafverfolgungsbehörden richten, also namentlich die Staatsanwaltschaften und die Polizeibehörden. Diese thematische Fokussierung ist geschickt, gibt sie doch Gelegenheit, den Besonderheiten der sicherheitsbehördlichen Tätigkeit – namentlich der häufigen „Drittbetroffenheit“ Privater bei der Informationsweitergabe an die Medien – Rechnung zu tragen und anhand dieses Referenzgebiets ein eigenes Lösungsmodell für solche „Dreieckskonstellationen“ zu entwickeln.

Der Gegenstand der Arbeit wird in einem den eigentlichen Ausführungen vorangestellten Abschnitt grob konturiert (S. 1 f.). Im 1. Kapitel erörtert der Verfasser die „Grundlagen“ für seine weiteren Überlegungen – nach einer bündigen Begriffsbestimmung der „Medien“, die – vor allem was die einbezogenen „Internetdienste“ angeht – noch differenzierter hätte ausfallen können, werden die Gewährleistungsinhalte der „Kommunikationsfreiheiten“ referiert (S. 4 ff.), wobei der Verfasser in gelungener Weise umstrittene Einzelfragen diskutiert, ohne sich zu sehr in für den weiteren Verlauf der Arbeit (zunächst) unergiebigen grundrechtsdogmatischen Feinheiten zu verirren.

Überzeugend sind die Erwägungen zum Verhältnis der Freiheiten untereinander, namentlich der Presse- und Informationsfreiheit auf der einen, der Medienfreiheit auf der anderen Seite. Der Verfasser folgt dem institutionellen Konzept des BVerfG, das der Medienfreiheit eine eigenständige, über die „Zusammenschau“ der übrigen Kommunikationsgrundrechte hinausreichende Bedeutung zuerkennt. Sodann werden die Relevanz der Medien für den freiheitlichen demokratischen Staat umrissen (S. 23 ff.) sowie der Begriff der „Strafverfolgungsbehörden“ definiert (S. 36 ff.), und es wird anschaulich beschrieben, weshalb die Presse gerade an deren Tätigkeit ein gesteigertes Informationsinteresse besitzt (S. 39 ff.).

Etwas unvermittelt setzt das 2. Kapitel zu den Rechtsgrundlagen „des“ Auskunftsanspruchs ein (S. 55 ff.). In gelungener Weise arbeitet der Verfasser einen solchen Anspruch der Presse unmittelbar aus den verfassungsrechtlichen Bestimmungen heraus. Nach eingehender Diskussion der widerstreitenden Auffassungen und der einschlägigen Rechtsprechung leitet er in einer detaillierten, gut nachvollziehbaren und argumentationsstarken Stellungnahme einen solchen Informationsanspruch unmittelbar aus der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG her. Etwas unterbelichtet bleiben hinsichtlich der Anspruchsbegründung von dieser Ansicht divergierende Varianten; so wäre es durchaus von Interesse, Näheres zu der verfassungsrechtsdogmatischen Frage zu lesen, ob die Pressefreiheit allein Grundlage des subjektiven Rechts ist, oder ob das Demokratie- bzw. das Rechtsstaatsprinzip ergänzend herangezogen werden müssen (S. 93). Etwas bündig erscheinen auch die Darlegungen zu der Annahme, das Grundgesetz wolle keine Einzelfälle regeln, weshalb eine einfachgesetzliche Ausgestaltung der Anspruchsvor-aussetzungen erforderlich sei. Das Verhältnis zwischen dem unmittelbar aus Verfassungsrecht erwachsenden Anspruch (dessen Voraussetzungen, Umfang und Reichweite dann auch aus dem Verfassungsrecht heraus zu konturieren wären) und der unterverfassungsrechtlichen Normierung bleibt im Detail ungeklärt, der aufwändig begründete Anspruch damit trotz seines Verfassungsrangs etwas konturlos. Es schließen sich entsprechende Abschnitte über den Rundfunk, die elektronische Presse und den Film an. Für nicht einfachgesetzlich geregelte Konstellationen nimmt der Verfasser im Sinne einer „Untermaßgrenze“ zumindest einen auf das Mindestmaß notwendiger Informationen beschränkten verfassungsunmittelbaren Anspruch an (S. 106). Den Bestand an einfachgesetzlichen Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften referiert er sodann ebenso wie „presse“- bzw. „rundfunkinterne“ Vorgaben (S. 107 ff.).

Im 3. Kapitel befasst sich der Verfasser mit der Ausübung des Auskunftsanspruchs (S. 131 ff.) und erörtert zunächst, wer bei den jeweiligen medialen Ausdrucksformen der Auskunftsberechtigte ist – auch hier unter Einbeziehung streitiger Einzelfragen, z.B. zum Begriff der „journalistischen Gestaltung“ (S. 141 ff.). Darüber hinaus finden sich anschauliche Erörterungen zur Frage, inwieweit Qualität, Seriosität oder politische Richtung des sich Äußernden Relevanz für die Anspruchsberechtigung haben können. Praktische Aspekte betreffen die Darlegungen zur Glaubhaftmachung der Anspruchsberechtigung, etwa durch die Vorlage eines Presseausweises. Als Anspruchsvoraussetzung erörtert der Verfasser im Anschluss das „Publikationsinteresse“ (S. 184 ff.). Unter der Überschrift „Adressatenauswahl“ werden die möglichen Anspruchsgegner dargestellt (S. 189 ff.); nach knappen Überlegungen zum Behördenbegriff werden erneut verschiedene rechtlich relevante Aspekte diskutiert – das Spektrum reicht dabei von der Rechtsgrundlage des Auskunftsanspruchs gegen Bundesbehörden bis zur Auswahl bei mehreren potenziellen „Adressaten“. Der Verfasser trennt dabei etwa gegen die Staatsanwaltschaft und gegen die Polizei gerichtete Ansprüche strikt, verlangt eine jeweils eigenständige Behandlung und hält die teilweise anderslautenden Verwaltungsvorschriften für gesetzeswidrig (S. 288). Überzeugend sind ferner die Ausführungen zur außergerichtlichen und zur gerichtlichen Geltendmachung des Auskunftsanspruchs (S. 204 ff.).

Das 4. Kapitel behandelt die Erfüllung des Auskunftsanspruchs (S. 237 ff.), namentlich – wiederum unter Aufgreifen einer Fülle an Gesichtspunkten – den eigentlichen Auskunftsgegenstand, die Form, die Frist und die Kosten der Auskunftserteilung (S. 257 ff., 298 f.), die (vom Anspruchsadressaten ggf. zu unterscheidende) Auskunftsstelle (S. 270 ff.) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Neutralitätspflicht als materielle Leitlinien der Anspruchserfüllung (S. 292 ff.).

Grenzen des Auskunftsanspruchs können sich aus gesetzlichen Auskunftsverweigerungs- und -„verkürzungs“-Gründen ergeben (5. Kapitel, S. 301 ff.), deren Grundlagen, Voraussetzungen und Verhältnis zueinander der Verfasser nunmehr klärt. Sodann werden in anschaulicher Weise die einzelnen Gründe (bzw. „Typen“ von Gründen) dargelegt. Dabei handelt es sich um eines der „Kernstücke“ der Doktorschrift, in dem der Verfasser mit beachtlicher analytischer Akribie zu Werke geht. Die Ausführungen entfalten dabei erheblichen Nutzen über die eigentliche Thematik des medienrechtlichen Auskunftsanspruchs hinaus, da sich vergleichbare Beschränkungen etwa auch bei Ansprüchen nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder finden lassen. Sie werden detailreich, differenziert, mit Heranziehung geeigneter Beispiele und unter Berücksichtigung  landesspezifischer Sonderregelungen untersucht. Dabei finden entsprechend der   thematischen  Ausrichtung  auf  Auskunftsansprüche gegen Strafverfolgungsbehörden in besonderer Weise Anwendungsexempel aus der staatsanwaltschaftlichen bzw. polizeilichen Praxis Beachtung – beispielhaft genannt werden können hier die Ausführungen zu Fragen zu Todesursachen, zum Fundort bei Leichen und zur Motivlage in Suizidfällen (S. 418 ff.). Angesichts aktueller Entwicklungen sind auch die Darlegungen zur Mitteilung des Namens von Behördenmitarbeitern interessant (S. 422 f.).

Namentlich für die in der Praxis mitunter schwierigen Abwägungsprozesse liefert der Verfasser im 5. Kapitel der Dissertation gut nachvollziehbare, sorgsam konstruierte Leitlinien. Er verdeutlicht, dass bei einer Betroffenheit Privater eine „einfache“ Abwägung des öffentlichen Informationsinteresses und des privaten Interesses an einer Auskunftsverweigerung nach dem Vorbild des privaten Presserechts aufgrund der Grundrechtsgebundenheit staatlicher Stellen unter Einschluss der grundrechtlichen Schutzpflichten nicht erfolgen dürfe (S. 371 ff., S. 408). Der Verfasser möchte diese Abwägung durch den Grundsatz ersetzt sehen, dass eine Behörde nur diejenigen Informationen an die Medien weitergeben dürfe, die diese auch selbst von den privaten Betroffenen verlangen könnten. Dieses Konstrukt ähnelt der Rechtsfigur der „hypothetischen Datenneuerhebung“, die dem sicherheitsbehördlichen Datenschutzrecht nicht erst seit der Novelle der europäischen Direktiven geläufig ist. Eine solche Sichtweise verkürzt den gegen die Sicherheitsbehörden gerichteten Auskunftsanspruch im Interesse eines weitreichenden Grundrechtsschutzes bei den „Informationsbetroffenen“ in durchaus beachtlicher Weise; so sollen z.B. identifizierende Auskünfte zur Intim- und Privatsphäre generell ausgeschlossen sein (S. 409 f.). Das entwickelte Modell ist jedenfalls gut durchdacht, verfassungsrechtlich fundiert begründet und in seinen anwendungspraktischen Folgerungen sachgerecht.

Die Doktorschrift schließt mit einer Zusammenfassung und einer Schlussbetrachtung (6. Kapitel, S. 437 ff.); sie wird durch ein umfangreiches Stichwortverzeichnis komplettiert.

Die von Steffen Rittig vorgelegte Dissertation ist gut nachvollziehbar geschrieben, klar strukturiert und inhaltlich weitestgehend überzeugend. Besonders stringent ist die Abfolge der Kapitel zu den Rechtsgrundlagen und den Voraussetzungen, zur (außer-)gerichtlichen Geltendmachung und zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs einschließlich möglicher Auskunftsverweigerungs- und            -„verkürzungs“-Gründe – man folgt gewissermaßen bei der Lektüre dem „Lebenszyklus“ eines subjektiven Rechts. Das vom Verfasser entwickelte, (zu Recht) „grundrechtszentrierte“ Alternativmodell zu presseprivatrechtlichen Abwägungsvorgängen wird dabei sicherlich Gegenstand weiterer wissenschaftlicher (und wohl auch gerichtlicher) Auseinandersetzungen sein.

 

 

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