Ingke Goeckenjan/Jens Puschke/Tobias Singelnstein (Hrsg.): Für die Sache – Kriminalwissenschaften aus unabhängiger Perspektive. Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 80. Geburtstag

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2019, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-15288-9, S. 783, Euro 199,90.

Nachdem schon die Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag von Mitsch als „Fundgrube interessanter Aufsätze zu Themen, deren Vielfalt ein breites Spektrum von Interessen der Leserschaft zu befriedigen geeignet ist“ gelobt wurde,[1] kann man sich diesem Lob auch für die Festschrift zum 80. Geburtstag nahtlos anschließen. Der Facettenreichtum wird schon durch die unterschiedlichen Kapitel Kriminologie, Jugendstrafrecht, Vollzug, Strafverfahren und Strafrecht, Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung deutlich, die mit Aufsätzen namhafter Kollegen der Kriminalwissenschaften besetzt sind. 51 Beiträge vielfältigster Art sind Inhalt der Festschrift[2] und es würde selbst den Rahmen einer Online-Zeitschrift sprengen, an dieser Stelle auf alle einzelnen Aufsätze einzugehen. Daher werden exemplarisch einige derjenigen Beiträge herausgehoben, die einen kriminalpolitischen Bezug haben oder auf neuere Forschungsarbeiten eingehen.

Kölbel beschäftigt sich im Kapitel Kriminologie unter dem Titel „Sexualstrafgesetzgebung, Kriminalpolitik und Strafrechtsaffinität in der Kriminologie“ mit dem seit dem 4. StrRG aus dem Jahr 1973 kontinuierlichen Ausbau des Sexualstrafrechts (S.61 ff.). Die Entwicklung wird zunächst sehr übersichtlich in Form einer Tabelle dargestellt, um im Anschluss der Kriminologie der Strafgesetzgebung und der Rolle des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen nachzugehen. Deutlich positioniert sich der Autor zum neuen § 177 StGB und bezeichnet den Paragrafen als „Belegstück für die gelegenheitsabhängige politische Interaktion gesellschaftlicher und legislatorischer Akteursgruppen“ (S. 77).

Der Beitrag von Gräfin von Galen und Beth in dem Kapitel zum Jugendstrafrecht übt Kritik an der herrschenden Rechtsprechung zu Diversionsentscheidungen nach §§ 45, 47 JGG (S. 201 ff.) und nennt die durch die Rechtsprechung geprägte Rechtslage bzgl. eines Rechtsbehelfs gegen Verfahrenseinstellungen nach den genannten Paragrafen „höchst unbefriedigend“ (S. 211). Kritisiert wird die Auffassung, dass der Betroffene bei einer Verfahrenseinstellung nicht beschwert sei und ihm keine Rechtsbehelfe zustünden. Als Lösung schlagen die Autoren vor, im Gesetz ein Zustimmungserfordernis bei Einstellungen nach §§ 45, 47 JGG zu verankern. Dadurch würde der Betroffene  in  die  Entscheidung  einbezogen  und  wäre  bei Fehlen der Zustimmung beschwert. Um den unverteidigten Betroffenen in der Hauptverhandlung keinem Druck auszusetzen, solle die Zustimmung zur Einstellung als Teil notwendiger Verteidigung vorgesehen werden (S. 212).

Höynck kritisiert in ihrem Beitrag die vorbehaltlose Anwendung der Neuregelungen der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht als weiteren Schritt der „feindlichen Übernahme“ des Jugendstrafrechts (S. 245 ff.). Während es bereits eine Vielzahl an (kritischen) Aufsätzen zum neuen Vermögensabschöpfungsrecht gibt, ist doch ein Blick auf die Schnittstelle von Vermögensabschöpfung und Jugendstrafrecht eher selten. Schon von daher lohnt die Lektüre. Die Verfasserin kommt zu dem Fazit, dass die vorbehaltlose Übernahme des neuen Vermögensabschöpfungsrechts im Jugendstrafrecht dem Erziehungsgedanken widerspricht. Daher sei de lege lata in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ihre Anwendung im Einklang mit dem Erziehungsgedanken stehe. De lege ferenda bedürfe es zumindest gesetzgeberischer Korrekturen, die jugendadäquate Ermessensspielräume für den gesamten Bereich der Vermögensabschöpfung ausdrücklich eröffnen (S. 257).

Der Aufsatz von Bung widmet sich im Kapitel „Vollzug“ dem „Geheimnis des Gefängnisses“ (S. 288 ff.). Es sei ein Rätsel, dass sich diese Institution so hartnäckig am Leben halte, obwohl ihre schädlichen Auswirkungen, ihre Dysfunktionalität und ihre desozialisierende Wirkung kein Geheimnis seien (S. 288). Geheimnis des Erfolgs des Gefängnisses sei das Desinteresse an Fragen des Strafvollzugs (S. 296). Dabei ist über Sinn und Wirksamkeit von Gefängnissen eine wiederaufkeimende Diskussion festzustellen. 2015 ist das Buch von Maelicke „Das Knastdilemma“ erschienen, 2020 widmet Galli sich in seinem Buch „Weggesperrt“ der Frage, warum Gefängnisse niemanden nützen – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Gleichwohl, und da ist Bung sicher Recht zu geben, fehlt es trotz dieser gewichtigen Stimmen an einer politischen Auseinandersetzung. Insofern ist es notwendig, immer wieder den Diskurs anzustoßen, um so auch die kriminalpolitische Diskussion in die politischen Reihen zu tragen.

Burghardt mahnt in seinem Beitrag die kostenrechtliche Ungleichbehandlung von Sicherungsverwahrung und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (S. 297 ff.). Während mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt alle Bundesländer in den neu geschaffenen Gesetzen über den Vollzug der Sicherungsverwahrung klargestellt haben, dass ein Kostenbeitrag von den in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen zu ihrer Unterbringung und Verpflegung nicht zu erheben ist, wird in der großen Mehrzahl der Bundesländer weiterhin grundsätzlich ein Kostenbeitrag zur Unterbringung und Verpflegung im psychiatrischen Krankenhaus erhoben. Die dadurch bedingte kostenrechtliche Ungleichbehandlung, so Burghardt, sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Daher schlägt er vor, dass die Landesgesetzgeber de lege ferenda dem derzeit bereits in Berlin, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Bayern gewählten Modell folgen und auf die Erhebung eines Kostenbeitrags zur Unterbringung und Verpflegung in einem psychiatrischen Krankenhaus verzichten.

Im Kapitel „Strafverfahren“ stellen die Autoren Duttge und Klaffus die Frage „Quo vadis, deutsches Strafprozessrecht?“ (S. 393 ff.). Hier gelingt es den Verfassern, auf engstem Raum nicht nur die Reformziele und -wege der Expertenkommission nachzuzeichnen, sondern auch Grundfragen einer „echten“ StPO-Reform nachzugehen. Sie kritisieren, dass es im Ansatz verfehlt war, eine Kommission in einem so engen Zeitrahmen von zwei Jahren mit der Unterbreitung von ad-hoc-Gesetzesvorschlägen zu beauftragen. Es sei daher Aufgabe einer gesamten Strafrechtswissenschaft, die Kriminalpolitik über gewisse Grunderfordernisse einer zielführenden Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Wohle der Gesellschaft aufzuklären (S. 407). In diesem Sinne wäre es sicher auch zielführend, wenn sich die Kriminalpolitik mit den facettenreichen Beiträgen der hiesigen Festschrift von Eisenberg dezidiert auseinandersetzen würde.

Momsen und Washington widmen sich in ihrem Aufsatz den Wahrnehmungsverzerrungen im Strafprozess und vergleichen dazu die Beweisprüfung im Zwischenverfahren der StPO mit US-amerikanischen Alternativen (S. 453 ff.). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Struktur des Zwischenverfahrens im deutschen Strafprozess eine hohe Anfälligkeit für Wahrnehmungs- und daraus folgende Bewertungsfehler zeigt. Allerdings sei trotz der günstigeren Strukturen auch das amerikanische Verfahren erheblichen Verzerrungsfaktoren ausgesetzt. Strukturelle Schwächen des deutschen Strafprozesses könnten durch eine personelle Trennung von Eröffnungs- und Hauptverhandlungsgericht verringert werden. Als weniger ressourcenintensive Maßnahme könne man eine schriftliche Prognose im Hinblick auf die Verwertbarkeit der von der Anklage in Bezug genommenen Beweise im Eröffnungsbeschluss etablieren. Aufgrund der eigenständigen Verzerrungseffekte im Ermittlungsverfahren wäre zudem eine generelle Begründung von Einstellungsentscheidungen nach §§ 153 ff. StPO wünschenswert, um die bis dahin weitgehend informelle Beweiswürdigung überprüfen zu können. Eine eigenständige, unabhängige Überprüfung der Ermittlungen durch die Verteidigung müsse darüber hinaus ermöglicht werden, so dass eine frühe Verteidigung gewährleistet sei.

Das fünfte und letzte Kapitel widmet sich der Rubrik „Strafrecht, Strafrechtswissenschaft und Strafgesetzgebung“. Basdorf beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Sicherungsverwahrung neben der lebenslangen Freiheitsstrafe (S. 607 ff.). Er spricht sich für eine Klarstellung bzw. Modifizierung des rechtlichen Instrumentariums der Sicherungsverwahrung aus. So sei in § 66 StGB zu verdeutlichen, dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung nur neben der Verhängung zeitiger Freiheits- inklusive Gesamtfreiheitsstrafe zulässig ist. In § 68f Abs. 1 S. 1 StGB solle der Fall der Aussetzung des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe für Führungsaufsicht kraft Gesetzes aufgenommen und § 358 Abs. 2 S. 3 und § 373 Abs. 2 S. 2 StPO dahin ergänzt werden, dass das Verschlechterungsverbot „im Falle der Aufhebung einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung“ nicht entgegenstehe. Trotz dieser Forderungen ist der Autor pessimistisch, was deren Umsetzung betrifft: dies sei „wahrscheinlich illusorisch“. Daher müsse man das Nebeneinander von Lebenslang und Sicherungsverwahrung wohl weiter „ertragen“ (S. 615).

Fünfsinn und Krause gehen de lege lata und de lege ferenda der Frage nach, inwieweit Plattformen zur Ermöglichung krimineller Handlungen im Internet strafrechtlich erfasst werden (S. 641 ff.). De lege lata machen sie deutlich, dass auch das neue Kriminalitätsphänomen des Betreibens krimineller Plattformen im Internet grundsätzlich mit den traditionellen Kategorien von Täterschaft und Teilnahme erfasst werden kann. Ansatzpunkt für eine Strafbarkeit sei aber im Wesentlichen das konkrete Verkaufsgeschäft zwischen Dritten und nicht etwa das ab-strakte Betreiben einer Plattform im Internet. Konkrete Verkaufsgeschäfte könnten aber in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden nur selten festgestellt werden (S. 650). Spektakuläre Ermittlungserfolge und Verurteilungen von Betreibern illegaler Handelsplattformen lassen jedoch bezweifeln, dass diese praktischen Schwierigkeiten tatsächlich bestehen. Die de legal ferenda Ausführungen der Autoren sind recht knapp und beschränken sich letztlich auf die Feststellung, dass die Ergänzung bestehender Rechtsvorschriften weder dem seitens der Praxis erforderlichen Reformbedarf des Strafrechts im Hinblick auf die vielfältigsten Herausforderungen der digitalen Gesellschaft noch den dogmatischen Anforderungen gerecht werden (S. 651). Zuzustimmen ist den Autoren sicherlich darin, dass es aufgrund der schnellen technischen Entwicklung der Internetkriminalität dringend einer umfassenden Reform des Internetstrafrechts bedarf (S. 652 f.).

Dem Einzelfall als Gesetzgebungsmotiv spürt Hillenkamp in seinem Beitrag nach (S. 655 ff.). Es geht darin um ad-hoc-Reaktionen des Gesetzgebers auf die „schnelllebige Medialisierung von relevanten Ereignissen“, die zu neuen Strafvorschriften oder der Abschaffung bestehender Normen aufgrund von Einzelfällen führt (S. 656). Wohl rechtshistorisch bekanntestes Beispiel ist der aufgrund des Duchesne-Falls konzipierte heutige § 30 Abs. 2 StGB. Duchesne hatte sich gegenüber dem Erzbischof von Paris angeboten, ein Attentat auf Bismarck zu verüben – strafbar war eine solche Ankündigung seinerzeit nicht. Hillenkamp zeigt im historischen Abriss weitere Beispiele auf, um sich dann mit „einem Sprung in die Gegenwart“ dem 2015 geschaffenen Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gem. § 217 StGB zu widmen (S. 663 f.). Das BVerfG gab im Februar 2020 dem schon zuvor kritischen Blick des Verfassers auf die Strafnorm Recht und erklärte diese für verfassungswidrig (KriPoZ 2020, 116 ff.). Daneben wird noch das ad-hoc-Gesetzgebungsverfahren zur Aufhebung des § 103 StGB sowie die „reflexhafte Einzelfallreaktion“ zur Modifizierung des § 219a StGB in den Bick genommen (S. 668). Die unkoordinierte und wenig konzeptionsgetragene Einzelfallgesetzgebung wird insgesamt kritisiert und zu reflektierter, von Sachverstand und kriminologisch fundiertem Hintergrund geprägter Gesetzgebung geraten (S. 669). Dem kann sich nur angeschlossen und dem Gesetzgeber mit auf den Weg gegeben werden, die kriminalpolitische Diskussion in den Kriminalwissenschaften insgesamt in den Blick zu nehmen, bevor vorschnell mit Einzelfallgesetzgebung auf medienwirksame Ereignisse reagiert wird.

Puschke widmet sich in seinem Beitrag „Sicherheitsgesetzgebung ohne Zweck“ der Vorratsdatenspeicherung als „Prototyp einer verfehlten neuartigen Sicherheitsarchitektur“ (S. 695 ff.). Nachdem er im Überblick den Wandel der Sicherheitsarchitektur in Deutschland aufgezeigt hat, nimmt er dezidiert die Vorratsdatenspeicherung in den Blick und beleuchtet die hierzu ergangene Rechtsprechung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Vorratsdatenspeicherung entgegen den Bekundungen der Ermittlungsbehörden nur begrenzte Aufklärungspotentiale liefert. Allerdings dürfe nicht bei einer Überprüfung zur Effektivität und Effizienz von Maßnahmen stehengeblieben werden. Vielmehr seien sozialwissenschaftliche und kriminologische Zusammenhänge von Herrschaftsstrukturen, Diskriminierung und Labeling in die Überlegungen miteinzubeziehen. Dadurch werde deutlich, dass bspw. Konstrukte wie der des sog. „Gefährders“ außerhalb der Aufgabe des Sicherheitsrechts lägen und zudem ein kaum vertretbares Fehler- und Missbrauchspotential aufwiesen. Sie dürften nicht zur Grundlage eines eingriffsintensiven Sicherheitsrechts gemacht werden.

Neben dieser Auswahl kriminalpolitscher Aufsätze gibt es auch eine Reihe von Beiträgen zur empirischen Forschung – ganz im Sinne eines Plädoyers für eine evidenzbasierte Kriminalpolitik. So stellt Goeckenjan eine geplante empirische Untersuchung zu Straftaten gegen Geflüchtete vor (S. 31 ff.). Sie stellt hier erheblichen Forschungsbedarf fest und benennt als methodische Wege neben der Auswertung von Statistiken und Daten über die Hellfeldkriminalität auch die Dunkelfelduntersuchungen. Die bisherigen Untersuchungen deuteten darauf hin, dass jedenfalls die Organisation und Gestaltung der Unterbringungssituation von Geflüchteten erheblichen Einfluss auf deren Viktimisierungsrisiko im Aufnahmeland Deutschland haben dürfte (S. 47).

Lindemann stellt seine laufende Studie ViReO – Viktimisierung, Recht und Opferschutz vor, in der es um die Viktimisierung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen geht (S. 79 ff.). In diesem Bereich existierten – ganz im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum – in Deutschland nur sehr wenige einschlägige Forschungsarbeiten. Allerdings sei aufgrund dieser Studien anzunehmen, dass die Viktimisierungserfahrungen von psychisch Kranken häufiger und schwerer sind als die Erfahrungen in der gesunden Kontrollgruppe (S. 92). Da der Rechtsanspruch auf Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ein junges Institut sei, existierten noch keine systematischen Erkenntnisse hierüber. Daher sei die Erarbeitung empirischer Aussagen zu den Erfahrungen, die schutzbedürftige Zeugen, Verfahrensbeteiligte und Gerichte mit psychosozialer Prozessbegleitung gemacht hätten, ein bislang uneingelöstes Forschungsdesiderat. Gleiches gelte für die Umsetzung des Anspruchs von Straftatopfern mit psychischer Behinderung auf gleichberechtigten und wirksamen Zugang zur Justiz aus Art. 13 UN-BRK. Das Projekt ViReO soll zur Schließung dieser Forschungslücken beitragen und konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln.

Strafeinstellungen in der Bevölkerung und Möglichkeiten ihrer Messung betrachten Singelnstein und Habermann in ihrem Aufsatz, dessen Grundlage Daten aus dem von DFG und ANR geförderten Forschungsprojekt „Strafkulturen auf dem Kontinent“ sind (S. 125 ff.). Die Stichprobe in Deutschland umfasste ca. 3000 Befragte (S. 134), die sich zu ihren punitiven Einstellungen anhand von konzipierten Fallvignetten äußern sollten (S. 135). Es stellte sich beispielsweise heraus, dass die punitive Einstellung stark vom Bildungsniveau aber auch Alter abhängig ist (S. 146). Zudem sind die Punitivitätswerte umso höher, je     eher die Befragten an eine kriminalitätssenkende Wirkung harter Strafen glauben. Es zeigten sich aber – abweichend zu anderen Studien – weder Geschlechtsunterschiede noch einkommensabhängige Divergenzen in den Einstellungen. Es wird konstatiert, dass die Frage der Punitivität weiterer Forschung bedarf, die auch methodisch weiterentwickelt werden muss.

Das von Willems und Meier vorgestellte Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Jugenddelinquenz und Desistance – also mehrfach straffälligen Jugendlichen zwischen Jugendhilfe und Justiz (S. 177 ff.). Die Studie verfolgte einen multiperspektivischen Ansatz, an dessen Ausgangspunkt 30 qualitative biografisch orientierte Interviews mit Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren standen, die sich gerade im Jugendarrest oder Jugendstrafvollzug befanden. 10 Fälle waren dann Bestandteil einer tiefergehenden Analyse mit zusätzlichen Interviews mit den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe sowie aus anderen beteiligten Institutionen. Zudem fand eine Aktenanalyse statt und es wurden in Fokusgruppen Experten der Fachpraxis in die Diskussion und Analyse mit einbezogen (S. 178). Die Jugendlichen nannten als Faktoren eines erfolgreichen Abbruchs delinquenten Verhaltens die individuelle altersbedingte Entwicklung, eine feste Partnerschaft oder berufliche Stabilität (S. 183). Es wurde deutlich, dass bei den interviewten Jugendlichen und analysierten Fällen eine Bearbeitung des Hauptproblems des Jugendlichen teilweise nicht erfolgte, was insbesondere daran lag, dass dieses nicht sorgfältig identifiziert worden sei. Um eine Pro-   blemeskalation frühzeitig zu erkennen, sei eine frühe Zusammenarbeit mit den Schulen erforderlich, die allerdings häufig ausblieb. Nur wenn Angebote und Hilfen passend zu den Bedarfen ausgerichtet seien, könne verhindert werden, dass Jugendliche Maßnahmen der Jugendhilfe abbrächen (S. 184).

Der Beitrag von Höffler widmet sich den Jugendlichen im Maßregelvollzug (S. 225 ff.) und weist auf eine unübersichtliche und eher schwache Datenlage auf diesem Gebiet hin (S. 230). Daher führte sie eine eigene Abfrage in den für den Maßregelvollzug zuständigen Ministerien durch, wobei Ministerien aus dreizehn Bundesländern geantwortet haben (S. 234). Diese Abfrage hat „deutliche Lücken in der Versorgungslandschaft“ aufgezeigt (S. 240). Kernproblem seien die relativ niedrigen Fallzahlen.

Nachgedacht werden sollte über eine geeignete Entwicklungsumgebung für die Jugendlichen, in die Lockerungsmaßnahmen gut und sinnvoll eingebettet werden können. Erforderlich sei darüber hinaus ein Forschungsprojekt, um auch die Behandlungskonzepte zu erfassen und zu evaluieren.

Neben den Beiträgen mit kriminalpolitischen Einschlag und Beiträgen zu Forschungsprojekten und Forschungsbedarfen finden sich noch vielfältigste Beiträge zu klassischen Themen, jeder die Lektüre wert, so dass diese Festschrift nicht nur eine Sammlung hochkarätiger rechtswissenschaftlicher Aufsätze bietet, sondern auch vielfältigste Anregungen, in die kriminalwissenschaftliche Auseinandersetzung einzutauchen. Insofern kann eine klare Kaufempfehlung der Festschrift ausgesprochen werden.

 

[1]      Mitsch, NJW 2009, 2266.
[2]      Inhaltsverzeichnis abrufbar unter: https://www.duncker-humblot.de/_files_media/leseproben/9783428552887.pdf (zuletzt abgerufen am 2.10.2020).

 

 

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