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BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 5 StR 197/20: Aufgabe der Senatsrechtsprechung zum Beruhen eines Urteils auf einem Verstoß gegen die Bescheidungspflicht des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO
Amtlicher Leitsatz:
Auf dem Unterlassen der Bescheidung eines Widerspruchs gegen das Selbstleseverfahren kann ein Urteil regelmäßig nicht beruhen, weil dieses Verfahren eine gleichwertige Alternative zum Verlesen einer Urkunde ist.
Sachverhalt:
Das LG Hamburg hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Nach dem für das Revisionsvorbringen maßgeblichen Verfahrensgeschehen hatte der Vorsitzende am 13. Hauptverhandlungstag eine Anordnung zur Durchführung des Selbstleseverfahrens getroffen und entsprechende Unterlagen verteilt. Am darauffolgenden Verhandlungstag hatte der Verteidiger des Angeklagten einen Widerspruch gegen die Einführung der Vermerke erhoben. Über diesen erging bis zum Urteil keine Entscheidung.
Die Revision sieht in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Entscheidung des BGH:
Der BGH verwarf die Revision, da das für einen reversiblen Verfahrensverstoß des tatgerichtlichen Urteils erforderliche Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler (vgl. § 337 Abs. 1 StPO) bei einem Verstoß gegen die Bescheidungspflicht des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO regelmäßig ausgeschlossen sei.
Dies begründete der Senat damit, dass es für ein Beruhen des Urteils auf dem Fehler nicht ausschließbar sein dürfe, dass sich der Verfahrensfehler auf die Entscheidung des Gerichts ausgewirkt habe. Im Falle des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO bedeute dies, dass bei einer alternativen Verlesung der Urkunden nach § 249 Abs. 1 StPO ein anderes Ergebnis des Gerichts denkbar sein müsse.
Da allerding nach der gesetzlichen Wertung das Verlesen von Urkunden nach § 249 Abs. 1 StPO und das Selbstlesen nach § 249 Abs. 2 StPO gleichwertige Möglichkeiten zur Einführung des Urkundsbeweises in die Hauptverhandlung darstellten, sei ein Rechtsfehler bei der Frage, welches Verfahren vom Vorsitzenden gewählt werde, regelmäßig nicht zu erwarten.
Beide Verfahren gewährleisteten die Einführung desselben Beweisinhalts in die Hauptverhandlung und beide Verfahren böten in gleichem Maße die Möglichkeit der Mitwirkung für die Verfahrensbeteiligten.
Lediglich in Ausnahmefällen sei ein Verfahrensverstoß bei Vorziehung der einen Variante gegenüber der anderen denkbar, beispielsweise bei Unfähigkeit des Angeklagten zu lesen, sodass ein Urteil regelmäßig nicht auf einem Verstoß gegen die Bescheidungspflicht des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO beruhe.
Anmerkung der Redaktion:
Damit rückt der Senat von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, die einen Verstoß gegen die Bescheidungspflicht aus § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO als reversibel ansah und ein Beruhen des Urteils auf diesem Fehler nicht von vornherein ausschloss (Beschl. v. 28.08.2012 – 5 StR 251/12).