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KriPoZ-RR, Beitrag 13/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier abrufbar.

BVerfG, Beschl. v. 19.1.2023 – 2 BvR 1719/21: BVerfG befindet mehrtägige Fesselung eines Sicherungsverwahrten als Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Leitsätze der Redaktion:

1. In das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird durch eine Fesselungsanordnung eingegriffen. 

2. Bei der Eingriffsintensität ist neben stigmatisierenden Auswirkungen auch das Alter und die gesundheitliche Verfassung sowie das Verhalten des Sicherungsverwahrten mit zu berücksichtigen. 

3. Fesselungen sind an Art. 3 EMRK zu messen, wonach individuell zu prüfen ist, ob eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr besteht.

Sachverhalt:

Der in der Sicherungsverwahrung untergebrachte Beschwerdeführer wurde aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Bei den Fahrten zwischen Justizvollzuganstalt und Krankenhaus war der Beschwerdeführer dauerhaft gefesselt. Weiterhin hatte man ihn seinen gesamten Aufenthalt im Krankenhaus über, entweder an Händen oder Füßen gefesselt. Während der Nachsorge blieb der Beschwerdeführer für drei Tage durchgängig an sein Bett gefesselt. Daraufhin hatte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Eilrechtsschutz beim LG Arnsberg hinsichtlich der Umstände seines Aufenthalts im Krankenhaus gestellt. Das LG Arnsberg hatte die Anträge des Beschwerdeführers jedoch abgewiesen und die Fesselung durch die Justizvollzugsanstalt als begründet angesehen.  Auch das OLG Hamm hatte die gegen den Beschluss des LG Arnsberg erhobene Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob Verfassungsbeschwerde und rügte, dass die mehrtägige Fesselung ihn in seinen Grundrechten verletze.

Entscheidung des BVerfG:

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschlüsse des LG Arnsberg und des OLG Hamm verletzen den Beschwerdeführer in seinem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das LG Arnsberg habe bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit die Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verkannt, indem es die 96-stündige Fesselung des Beschwerdeführers als verhältnismäßig bestimmt habe. Das Landgericht hätte mildere Mittel einsetzen müssen, wie ein phasenweises Aussetzen der Fesselung durch Erhöhung der bewaffneten Justizbediensteten. Des Weiteren hätte das Landgericht die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers intensiver berücksichtigen und die Wahrscheinlichkeit seiner Fluchtmöglichkeiten ausgiebiger überprüfen müssen. Beim Transport des Beschwerdeführers hat das Landgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 69 Abs. 9 StVollzG NRW missachtet, wonach eine Fesselung des Gefangenen nur erforderlich ist, wenn eine Beaufsichtigung nicht ausreicht. Zudem wurden die Vorgaben zur Dokumentation der Maßnahmen durch die anordnende Vollzugsbehörde in § 70 Abs. 4 S. 4 StVollzG NRW durch die Justizvollzugsanstalt weder eingehalten noch ging das Landgericht auf diesen Umstand ein. Das OLG Hamm habe durch seinen Beschluss den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Indem sich das OLG den Ausführungen des Landgerichts anschloss, hat es ebenfalls die Bedeutung und Tragweite des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht verkannt.

Das BVerfG hat die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen aufgehoben und die Sache zurück an das Landgericht verwiesen.

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