Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Urt. v. 23.11.2022 – 5 StR 347/22: BGH zur Aufhebung von angefochtenen Urteilen nach § 353 Abs. 1 StPO und Einhaltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens
Amtlicher Leitsatz:
Hat eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft allein zum Strafausspruch Erfolg, gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens, abweichend von § 353 Abs. 1 StPO auch den Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, wenn dieser auf einem im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgelegten Geständnis des Angeklagten beruht.
Sachverhalt:
Der Angeklagte wurde vom LG Berlin wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt und eine Einziehung wurde angeordnet. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte, der zuvor verschiedene Rauschmittel konsumiert hatte, zusammen mit weiteren Mittätern, dem Tatopfer schwere Gesichtsverletzungen hinzugefügt und ihm diverse Wertgegenstände entwendet. Die Strafkammer war von einer verminderten, aber nicht aufgehobenen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Strafrahmen des Angeklagten gemildert werden müsste. Die Staatsanwaltschaft erhob, zuungunsten des Angeklagten, Revision gegen die Entscheidung des Landgerichts Berlin.
Entscheidung des BGH:
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der 5. Strafsenat des BGH hob das Urteil auf. Die Strafzumessung durch das LG Berlin sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Die Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten haben nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht, so der BGH. Eine mehrstufige Prüfung über einen möglichen Ausschluss der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) oder Vorliegen des § 21 StGB sei von dem LG nicht vorgenommen worden. Hierzugehörige Feststellungen zu Ausmaß und Auswirkungen der Intoxikation auf die konkrete Tatsituation seien nicht getroffen worden. Dies habe zu einer rechtsfehlerhaften Strafbemessung durch die Strafkammer geführt.
Dieser Rechtsfehler führt nach Auffassung des 5. Strafsenats des BGH ausnahmsweise nicht nur zu einer Aufhebung des Straf-, sondern auch des Schuldausspruchs. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete es im Falle einer vorherigen Verständigung, die ein Geständnis des Angeklagten zum Gegenstand hatte, von § 353 Abs. 1 StPO abzuweichen. Weiterhin hat der Senat das vom Angeklagten in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis für die neue Verhandlung als verwertbar eingestuft. Voraussetzung sei die Nichtüberschreitung der in erster Instanz festgelegten Strafobergrenze durch die neue Strafkammer des LG Berlin. Zudem müsse in der neuen Verhandlung der Strafrahmen nach den Vorgaben des materiellen Rechts korrigiert werden.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer verwiesen.