Der Ton in öffentlichen Debatten hat sich spürbar verschärft, die verbalen Schläge zielen immer häufiger unter die Gürtellinie. Ein Grund für diese Entwicklung liegt sicher in der zunehmenden Nutzung sozialer Medien: Während öffentliche Meinungsäußerungen früher die redaktionelle Schranke eines etablierten Print- oder Rundfunkmediums überwinden mussten, kann heute jeder seine persönliche Meinung ebenso wie Behauptungen über angebliche Tatsachen in beliebiger Formulierung in Sekundenschnelle unkontrolliert weltweit verbreiten. Dieser Entwicklung steht ein strafrechtliches Konzept des „Ehren“- und Menschenrechtsschutzes, das im Kern aus vergangenen Jahrhunderten stammt, häufig hilflos gegenüber. Verunglimpfungen, falsche Behauptungen über sozial relevante Tatsachen und hetzerische Aufrufe im Internet bleiben jedoch nicht im virtuellen Raum, sondern können schwerwiegende Folgen für reale Menschen in der „analogen“ Wirklichkeit haben, und sie können insbesondere das politische Leben beeinträchtigen. Es darf daher nicht verwundern, dass zunehmend der Ruf nach der Einführung von Straftatbeständen laut wird, die die neuen Gefahren (oder die alten Gefahren im neuen Gewand) für wichtige Rechtsgüter bekämpfen sollen. Auf der anderen Seite steht allerdings das hohe Gut der Meinungsäußerungsfreiheit, das unverändert eine wichtige Grundlage des Lebens in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat bildet und auch einen Aspekt des Persönlichkeitsrechts jedes einzelnen darstellt.
Mit dem brisanten Konflikt zwischen Meinungsfreiheit einerseits und Staats- und Persönlichkeitsschutz andererseits hat sich der Kriminalpolitische Kreis aus etwa 40 deutschen Strafrechtsprofessor:innen bei seiner Tagung „Strafrecht und Meinungsfreiheit“ im Oktober 2024 an der LMU München in zwei Tagen intensiver Diskussion beschäftigt. Im vorliegenden Heft der KriPoZ sind die meisten der dort gehaltenen Referate mit Quellennachweisen publiziert. Die Mitglieder des Kreises hoffen, dass damit die zunächst interne Diskussion in einen größeren Kreis von Interessierten getragen wird und einen Anstoß zu weiteren fruchtbaren Debatten und möglicherweise auch zu Gesetzesreformen geben kann.
Die Akzente in dem Spektrum zwischen großzügiger Meinungsfreiheit und dem Schutz der Interessen betroffener Personen und Gruppen wurden von den Referent:innen und auch in der Diskussion durchaus unterschiedlich gesetzt. Der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart (Leipzig) betonte in seinem einleitenden Referat die Unverzichtbarkeit einer weit verstandenen Meinungsfreiheit gerade auch in der politikbezogenen Diskussion und beklagte die von ihm wahrgenommene zunehmende Empfindlichkeit bestimmter Politiker, die das Strafrecht gegenüber unwillkommener Kritik aus der Bevölkerung zu instrumentalisieren versuchten. Er kritisierte auch den übermäßigen Gebrauch, den manche von dem Begriff einer verbalen „Delegitimierung des Staates“ machten, um kritische Äußerungen zu unterbinden. In der Diskussion wurde insbesondere auf den Einschüchterungseffekt strafprozessualer Maßnahmen (wie etwa Durchsuchungen) gegenüber Kritiker:innen hingewiesen; dieser Effekt trete unabhängig davon ein, ob die Verfahren letztlich zu einer Verurteilung führen.
Die Referate im weiteren Verlauf der Tagung waren in thematischen Panels miteinander verbunden. Ein Panel beschäftigte sich mit strafrechtlichen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Jochen Bung (Hamburg) hob hier die fundamentale Bedeutung der Freiheitsrechte hervor und setzte sich von diesem Ausgangspunkt her kritisch mit dem Tatbestand des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) und mit einem Entwurf zu dessen Erweiterung auseinander. Bung betonte den chilling effect, der von einer übermäßigen Regulierung und gleichzeitigen Überwachung von Demonstrationen auf die Versammlungsfreiheit ausgehe. Dies gelte insbesondere dann, wenn – wie es ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vorsah – schon das Verbleiben in einer für den Betroffenen erkennbar unfriedlich gewordenen Menge unter Strafe gestellt werden sollte.
Eine etwas andere Perspektive nahm Till Zimmermann (Düsseldorf) ein. Er arbeitete heraus, dass der Topos des „zivilen Ungehorsams“ zwar in der Moralphilosophie als Legitimation bestimmter Verhaltensweisen anerkannt werde, im Strafrecht jedoch keine rechtfertigende Wirkung entfalte. Während der BGH daher die billigenswerten Fernziele von Demonstranten, die Gewalt anwenden, nur auf der Ebene der Strafzumessung berücksichtigen möchte, gewichte das BVerfG die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit tendenziell stärker und gelange zu der Möglichkeit eines Ausschlusses der Strafbarkeit, allerdings unter engen Voraussetzungen.
Im Mittelpunkt der anschließenden Diskussion standen erwartungsgemäß die Stichworte „Ziviler Ungehorsam“ und „Klimakleber“ sowie die Reichweite von § 240 StGB bei der Anwendung auf Demonstrationen und ähnliche Aktionen. Gegen die Berücksichtigung von „Fernzielen“ der Demonstranten bei der Beurteilung der Verwerflichkeit im Rahmen von § 240 StGB wurde vor allem eingewandt, dass die Gerichte dann zwischen wertvollen und anderen Anliegen unterscheiden müssten, was nicht ihre Aufgabe sei. Auch wurde der Topos des Zivilen Ungehorsams nicht als strafrechtsbegrenzend anerkannt, da ihm ja gerade das Risiko, bestraft zu werden, immanent sei.
An ihre Grenzen stößt die Meinungsfreiheit anerkanntermaßen dort, wo zu Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen aufgerufen wird. Ein besonders sensibler und in der jüngeren Vergangenheit im Hinblick auf den Nahost-Konflikt heftig diskutierter Bereich sind Äußerungen, die als antisemitisch empfunden werden. Hierzu stellten Elisa Hoven (Leipzig) und Cornelius Prittwitz (Frankfurt a.M.) Positionen mit unterschiedlicher Akzentuierung vor.
Hoven bezeichnete den Impuls, antisemitische Straftaten konsequent zu verfolgen, als richtig. Sie erinnerte jedoch an die Rechtsprechung des BVerfG insbesondere in der Wunsiedel-Entscheidung von 2009,[1] derzufolge selbst verfassungsfeindliche Meinungsäußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 5 GG fallen. Eine Inkriminierung der „Leugnung des Existenzrechts des Staates Israel“, wie sie teilweise vorgeschlagen werde, wäre damit nicht vereinbar, vor allem da eine solche Vorschrift kein „allgemeines Gesetz“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG wäre. Überlegt werden könne jedoch eine – gegebenenfalls im sachlichen Zusammenhang der §§ 102 ff. StGB zu platzierende – umfassendere Verbotsnorm gegen das Auffordern zur gewaltsamen Beseitigung eines von der Bundesrepublik Deutschland diplomatisch anerkannten Staates.
Prittwitz bezeichnete jeglichen Antisemitismus „als unerwünscht, als widerlich, als menschenfeindlich und menschenverachtend“. Er betonte auch, dass es in Deutschland – anders als in den USA – keine nahezu schrankenlose Meinungsfreiheit gebe. Aus feindseligen Worten könnten leicht feindliche Taten werden; das gelte insbesondere in der heutigen „Social Media-Gesellschaft“. Allerdings sei es schwierig, strafbewehrte Verbote gegenüber oft anonym und massenhaft begangenen Straftaten tatsächlich durchzusetzen. Prittwitz sprach sich daher im Ergebnis dagegen aus, antisemitische Äußerungen über die bereits bestehenden Vorschriften (insbesondere § 130 StGB) hinaus unter Strafe zu stellen.
In der lebhaften Diskussion wurde insbesondere die Frage debattiert, ob sich die Parole „From the river to the Sea, Palestine shall be free“ gegen das physische Existenzrecht der jüdischen Bevölkerung in dem so umrissenen Gebiet oder nur gegen die derzeitige politische Situation richtet und inwiefern dadurch auch die jüdische Bevölkerung in Deutschland angegriffen ist. Teilweise wurde die Forderung unterstützt, den mit dem Begriff der Störung des öffentlichen Friedens verbundenen Inlandsbezug der Tat aus dem Tatbestand von § 130 StGB herauszunehmen. Als unvermeidlich wurde ein Einfluss politischer Auffassungen auf die Anwendung von § 130 StGB angesehen.
Ein weiteres Panel beschäftigte sich mit der Frage nach der Strafbedürftigkeit und Strafwürdigkeit des Verbreitens von fake news. Zunächst legte Armin Engländer (München) dar, dass die Antwort auf die Frage nach einer Inkriminierung des Verbreitens von Fake News im politischen Bereich davon abhänge, welche Konzeption der Demokratie man zugrunde legt und welche Bedeutung der Wahrheit hier zukommt. Folge man einer deliberativen Demokratiekonzeption, die gemeinsames Nachdenken und Argumentieren über das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt und bei der sich die Bürger wechselseitig eine Teilnahme an kooperativer Wahrheitssuche schulden, seien recht weitreichende strafrechtliche Regelungen zumindest denkbar. Wer dagegen ein elektoral-interessenbasiertes Demokratieverständnis favorisiere, nach dem die Bürger ihre je eigenen Interessen zur Geltung bringen dürfen und keine Rechenschaft über ihre Wissensgrundlage ablegen müssen, werde eine Pönalisierung eher kritisch sehen.
Susanne Beck (Hannover) erörterte die Strafbarkeit einer Verbreitung von Lügen nach dem gegenwärtigen Strafrecht. Sie diskutierte insbesondere die von manchen geforderte erweiterte Auslegung von §§ 186, 187 StGB sowie die mögliche Erstreckung des Begriffs des „Aufstachelns“ zum Hass in § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 lit. a StGB auf scheinbar sachliche Äußerungen, die jedoch einen friedensstörenden Effekt haben könnten. Beck riet insgesamt zur Vorsicht gegenüber einer Überdehnung der Tatbestände und wollte einen negativen Effekt gegenüber einer bestimmten Personengruppe nur in Ausnahmesituationen zur Strafbarkeit ausreichen lassen.
In eine ähnliche Richtung ging das Referat von Frank Zimmermann (Freiburg i.Br.). Er warf zunächst die Frage auf, inwiefern die KI-Verordnung der EU den Mitgliedstaaten überhaupt Freiraum für eine weitergehende strafrechtliche Regelung lässt. Wollte man diese Frage bejahen, so sollte sich eine Neu-Inkriminierung jedenfalls auf eine eng zugeschnittene Norm beschränken, die speziell an technische Modalitäten der Erstellung oder Verbreitung von fake news anknüpft, namentlich durch die Verwendung von deepfakes oder den Einsatz von social bots.
Ein bestimmendes Thema der anschließenden Diskussion war die Frage, ob, wie und durch wen sich die „Wahrheit“ einer Tatsachenbehauptung bestimmen lässt. Um die Gefahr zu vermeiden, dass ein Strafgericht oder eine andere staatliche Stelle verbindlich über die „Wahrheit“ verschiedenster Aussagen entscheidet (und damit möglicherweise zutreffende Aussagen Oppositioneller unterdrückt), plädierten verschiedene Diskussionsteilnehmer dafür, die Bestrafung der Verbreitung von fake news auf bestimmte besonders sensible Bereiche zu beschränken, etwa die Warnung vor (angeblich) unmittelbar drohenden Gefahren, die Aussagen von Regierungsmitgliedern oder die Beeinflussung von bevorstehenden Wahlen (wie nach österreichischem Recht).
Ein weiteres Panel beschäftigte sich mit dem Phänomen der „Neuen Sensibilität“ im Lichte der Meinungsfreiheit. In ihrem (hier nicht abgedruckten) Referat diagnostizierte Frauke Rostalski (Köln) die Entwicklung zu einer „vulnerablen Gesellschaft“. Da es dem vulnerablen Menschen an Resilienz fehle, um die an ihn gestellten Herausforderungen erfolgreich zu meistern, ertöne immer häufiger der Ruf nach dem Schutz durch staatliches Strafrecht. Dies wirke sich auch auf die Freiheit der Meinungsäußerung aus, wie sich insbesondere an Forderungen nach einem strafbewehrten Verbot der Verbreitung von fake news zeige. Demgegenüber plädierte Rostalski für mehr Resilienz, da der freie Diskurs in der Demokratie eine wichtige Integrativfunktion habe.
Tatjana Hörnle (MPI Freiburg) hob die tiefe Verankerung der Meinungs- wie der Versammlungsfreiheit im „liberalen Skript“ hervor. Dem stehe das Verlangen nach Gerechtigkeit und Respekt bei Angehörigen historisch benachteiligter Gruppen als „neue Sensibilität“ gegenüber. Die teilweise geforderte Neu-Inkriminierung verletzender Reden ist nach Hörnles Auffassung nur insoweit zu befürworten, als Individuen drastisch verbal angegriffen werden oder realitätsnah begründete Gefährdungen bestehen. Im Übrigen könnten bestehende Konflikte durch eine Rückbesinnung auf ethische Maßstäbe (insbesondere professionelle Ethik in der Wissenschaft) zumindest abgemildert werden.
In einer Podiumsdiskussion mit Elisa Hoven (Leipzig), Johannes Kaspar (Augsburg), Michael Kubiciel (Augsburg), Cornelius Prittwitz (Frankfurt a.M.) und Frauke Rostalski (Köln) ging es selbstreflexiv um die Frage „Wieviel Meinung verträgt die Wissenschaft?“. Thematisiert wurden unter anderem die (bei den Teilnehmer:innen nicht ganz einheitlichen) Vorverständnisse, mit denen sie an kriminalpolitische Fragestellungen herangehen. Hier kamen sowohl unterschiedliche Gender-Perspektiven als auch verschiedene Grundeinstellungen zur sozialen Funktion staatlicher Strafe zur Sprache. Einig war man sich darin, dass es schon aus wissenschaftsethischen Gründen zu empfehlen ist, bei kontroversen Themen das jeweilige Vorverständnis offenzulegen. Bei der Frage, ob jüngere Wissenschaftler:innen mit Blick auf ihre Karrierechancen ohne weiteres ihre wahre Meinung zu bestimmten kriminalpolitisch relevanten Fragen publizieren könnten oder sollten, war eine gewisse Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Ethos und karrieretaktischen Erwägungen zu konstatieren. Insbesondere in der Kriminologie sei, so manche Teilnehmer:innen, eine generell strafrechtskritische Auffassung vorherrschend, der man nur auf eigene Gefahr grundsätzlich widersprechen könne.
Die höchst anregende Tagung mit ihrer vielfältigen Thematik hat einmal mehr gezeigt, dass Worte (zumal im Zeitalter der massenweisen digitalen Verbreitung) viel Schaden anrichten können – und dass es dennoch problematisch ist, vermeintlich schädliche Äußerungen mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen. Grundsätzlich sollte man auf die selbstregulierende Kraft eines freien Diskurses insbesondere in politischen Fragen vertrauen können. Es bleiben dennoch Bereiche, in denen Worte verboten werden müssen und dieses Verbot auch durch das Strafrecht durchgesetzt werden sollte. Welche Bereiche dies sind und ob das Strafrecht dort „funktioniert“ – das konnte freilich auch die spannende Debatte unter den engagierten Strafrechtler:innen nicht abschließend klären.
[1] BVerfGE 124, 300.