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KriPoZ-RR, Beitrag 61/2019

Die Entscheidungen im Original finden Sie hier: Frankreich, Schweden und Belgien.

EuGH, Urt. v. 12.12.2019 – C-566/19 PPU, C-626/19 PPU, C-625/19 PPU, C-627/19 PPU: Französische, Schwedische und Belgische Staatsanwaltschaften dürfen Europäische Haftbefehle ausstellen

Amtliche Leitsätze:

C-566/19 PPU & C-626/19 PPU:

Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne dieser Bestimmung die Beamten der Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats fallen, die mit der Strafverfolgung betraut sind und der Leitung und Kontrolle ihrer Vorgesetzten unterliegen, sofern ihnen ihr Status eine Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive im Rahmen der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls verschafft.

Der Rahmenbeschluss 2002/584 ist dahin auszulegen, dass die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen, in deren Genuss eine Person kommen muss, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zur Strafverfolgung erlassen wird, erfüllt sind, wenn nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats die Voraussetzungen für den Erlass dieses Haftbefehls und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle in diesem Mitgliedstaat sind.

C-625/19 PPU:

Der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen, in deren Genuss eine Person kommen muss, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zur Strafverfolgung erlassen wurde, erfüllt sind, wenn nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats die Voraussetzungen für die Ausstellung dieses Haftbefehls und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit in diesem Mitgliedstaat gerichtlich überprüft werden.

C-627/19 PPU:

Der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die die Zuständigkeit für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls zur Vollstreckung einer Strafe einer Behörde übertragen, die zwar an der Rechtspflege in diesem Mitgliedstaat mitwirkt, aber selbst kein Gericht ist, jedoch keinen gesonderten Rechtsbehelf gegen die Entscheidung dieser Behörde, einen solchen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, vorsehen.

Sachverhalt:

In den nationalen Ausgangsverfahren hatten niederländische Gerichte über die Auslieferung zur Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung aufgrund Europäischer Haftbefehle aus Frankreich, Schweden und Belgien zu entscheiden.

Aufgrund dieser Verfahren hatten die Niederländer dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die betreffenden Staatsanwaltschaften als „ausstellende Justizbehörde“ anzusehen seien.

Entscheidung des EuGH:

Nach Ansicht des EuGH genügen die betreffenden Staatsanwaltschaften den Anforderungen der EU-Richtlinie und dürfen daher Europäische Haftbefehle ausstellen.

Zur Begründung führte der EuGH aus, dass die französische Staatsanwaltschaft zwar keine richterliche oder gerichtliche Organisation sei, aber die französischen Rechts- und Organisationsvorschriften dennoch eine genügende Unabhängigkeit von Weisungen der Exekutive sicherstellten. Weder die Möglichkeit des Justizministers allgemeine Weisungen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege zu erteilen, noch der hierarchische Aufbau der Behörde sei unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet, die Unabhängigkeit der Staatsanwälte in den konkreten Verfahren zu gefährden. Daher fielen die französischen Staatsanwaltschaften unter den Begriff der „ausstellenden Justizbehörde“.

Zudem stellte der Gerichtshof klar, dass das Erfordernis einer Möglichkeit zur gerichtlichen Kontrolle des Haftbefehls im Ausstellungsstaat bei Ausstellung durch eine Behörde, die kein Gericht sei, keine Voraussetzung für die Einordnung als ausstellende Justizbehörde darstelle. Die Schaffung eines solchen Rechtsbehelfs sei nur eine Möglichkeit, das von der Richtlinie geforderte Rechtsschutzniveau sicherzustellen.

Da das französische und schwedische Recht eine solche Rechtsschutzmöglichkeit vorsehe, bestünden an der unabhängigen Prüfung der Voraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit des Haftbefehls keine Bedenken.

Bezüglich der belgischen Staatsanwaltschaft führte der EuGH aus, dass die Vorschriften über den Europäischen Haftbefehl keine besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten forderten, wenn der Haftbefehl – wie in diesem Verfahren – nicht der Strafverfolgung, sondern der Strafvollstreckung diene. In einem solchen Fall genüge es, dass dem Verfolgten ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz im Strafverfahren zuteil werde. Stütze sich der Haftbefehl dann auf das rechtskräftige Urteil, bestünden keine Zweifel an der Berücksichtigung eines effektiven Grundrechtsschutzes.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Urteile stellen eine Fortentwicklung und Präzisierung der Rechtsprechung des EuGH zu den Anforderungen an die den Europäischen Haftbefehl ausstellende Behörde dar. Erst im Mai 2019 hatte der EuGH entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls seien. Das Urteil finden Sie hier.

Eine korrespondierende Entscheidung des OLG Hamm finden Sie hier.

Dem Urteil folgte eine Debatte zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in Deutschland, aufgrund derer die FDP-Fraktion einen Gesetzesentwurf „zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft“ in den Bundestag einbrachte. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

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