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BGH, Beschl. v. 17.1.2023 – 2 StR 459/21: Unterlassen durch zwei Garanten stellt keine gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar
Amtlicher Leitsatz:
§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich die Körperverletzung begeht. Das ist bei einem Unterlassen durch zwei Garanten nicht der Fall.
Sachverhalt:
Die Angeklagten wurden vom LG Darmstadt wegen schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen durch Unterlassen in Tateinheit mit einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, ihre gemeinsame Tochter so sehr vernachlässigt zu haben, dass diese infolge einer längeren Mangelernährung in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt wurde.
Entscheidung des BGH:
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH kommt eine gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht in Betracht, wenn sich neben einem aktiv handelnden Täter eine andere Person passiv verhält. Der 2. Strafsenat zieht in dem oben beschriebenen Fall einen Erst-Recht-Schluss und argumentiert, dass auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung das Unterlassen von zwei Personen erst recht nicht die Anforderungen an eine gemeinschaftliche Begehung erfüllen kann.
Der Wortlaut der Norm („mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“) gebe keinen Aufschluss hinsichtlich der Voraussetzungen, die an eine gemeinschaftliche Begehungsweise zu stellen sind. So könne der Ausdruck „gemeinschaftlich“ dahingehend gedeutet werden, dass eine Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB vorliegen müsse, während der Begriff „Beteiligter“ dahingehend aufgefasst werden könne, dass ebenfalls eine Teilnahme (§ 28 Abs. 2 StGB) und zwar auch in der Konstellation eines Unterlassens in Betracht kommt.
Das o.g. Verständnis ergebe sich daher lediglich aus einer teleologischen Auslegung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, so der 2. Strafsenat. Ratio legis des Tatbestandsmerkmals der gemeinschaftlichen Begehungsweise sei die besondere Gefahr, welche aus einem Handeln mehrerer Personen hervorgeht, nämlich eine Einschränkung von Abwehr- und Fluchtoptionen sowie das Hervorrufen erheblicher Verletzungen. Diese spezifische Gefahr liege jedoch bei einem Unterlassen nicht vor.