KriPoZ-RR 15/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. 

Redaktioneller Leitsatz:

Trotz der veränderten Rechtslage durch das KCanG ist der Grenzwert der nicht geringen Menge an Cannabis unverändert bei 7,5kg THC anzusetzen. Die Gesetzesänderung sieht keine ausdrückliche Erhöhung dieses Grenzwertes fest.

Sachverhalt:

Die beiden Angeklagten A. und M. lebten und arbeiteten in einem mehrmonatigen Zeitraum im Sommer 2023 als „Gärtner“ in einer Indoor-Marihuanaplantage, die von einer Bandenorganisation angemietet wurde. Bei einer Durchsuchung des Anwesens wurden dort über 1.763 Cannabispflanzen mit mindestens 160kg Marihuana und mit einer Gesamtmenge von 22.105 g THC gefunden. Die beiden Angeklagten waren dazu beauftragt, die Pflanzen mit Dünger zu versorgen, sowie die Lüftungsanlage und die Wärmelampen zu betreiben.

Das LG hatte die Angeklagten jeweils wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revisionen der Angeklagten haben hinsichtlich des Strafausspruches Erfolg. 

Nach der Ansicht des Senats gebietet das Inkrafttreten des KCanG eine Neufassung des Schuldspruchs. Das vom LG festgestellte Tatgeschehen stelle sich als verbotener Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen (§ 34 Abs.1. Nr. 1c iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG verbotenen Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) dar. Die Tathandlungen des KCanG seien hierbei ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des BtMG orientiert. Demnach seien die entwickelten Grundsätze in Bezug auf die in § 29 ff. BtMG unter Strafe gestellten Handlungsformen zu übertragen.

Der Senat geht davon aus, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge für THC i.S.d. § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG 7,5 g beträgt. Hierbei wurde sich infolge der fehlenden Bestimmbarkeit einer lebensbedrohlichen Einzeldosis auf dessen konkreten Wirkungsweise und der Wirkungsintensität, insbes. der Gefährlichkeit, gestützt. Bei der Bemessung des Grenzwertes wurde unter anderem berücksichtigt, dass THC anders als z.B. Heroin nicht zur physischen Abhängigkeit führt, wenngleich es teilweise zu psychischen Störungen wie Psychosen oder Depressionen führen kann.

Das KCanG definiere den Begriff der nicht geringen Menge nicht ausdrücklich. Mit Blick auf die unveränderte Wirkweise und Gefährlichkeit sei der Grenzwert jedoch nicht anders zu bestimmen, als zuvor. Die Regelung in § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG gebe hierzu keinen Anlass.

Einerseits gebe der Wortlaut dafür keine Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber habe sich bewusst für den unbestimmten Rechtsbegriff entschieden. Andererseits spreche auch der Sinn und Zweck des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG für die Beibehaltung des Grenzwertes. § 34 KCanG soll die Volksgesundheit und die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers schützen. Das Gesetz ziele erkennbar auf einen verbesserten Gesundheitsschutz ab. Der Regelungszweck habe sich gegenüber § 29a BtMG nicht geändert.

Zudem spreche auch die Gesetzessystematik für diese Auslegung. Der Umgang mit Cannabis sei gem. § 2 KCanG trotzdem noch verboten; in § 2 Abs. 4 KCanG werden lediglich spezifizierte, erlaubte Handlungen ausgenommen. Dieser Wertung stünden auch nicht die in § 3 KCanG festgesetzten legalen Besitzmengen entgegen.

Letztlich sei auch aus der Entstehungsgeschichte des KCanG nichts Gegenteiliges zu ziehen. Nach der Gesetzesbegründung des KCanG ist der Grenzwert von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln. Jedoch lässt sich aus der Gesetzesbegründung und auch sonst keine geänderte Risikolage feststellen; insbesondere sei die Wirkungsweise und -intensität von THC unverändert.

Unabhängig des unveränderten Grenzwertes könne der Strafausspruch keinen Bestand haben. Der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 S. 1 KCanG sehe für besonders schwere Fälle eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor, während der vom LG angewandte § 29a Abs. 1 BtMG eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren eröffnet. Die Absenkung des Strafrahmens beruhe auf dem durch den Gesetzgeber vorgesehenen geringen Unwerturteil hinsichtlich dieser Taten.

Anmerkung der Redaktion:

In der Fachöffentlichkeit wurde bereits kurz nach der Veröffentlichung der hiesigen Entscheidung über dessen Verfassungskonformität diskutiert. Hierbei wurde insbesondere bemängelt, dass der 1. Senat sich klar über den Willen des aktuellen Gesetzgebers hinwegsetze und damit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 1 GG verstoße. 

 

KriPoZ-RR 14/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Auch chirurgische Instrumente, die bestimmungsgemäß von ausgebildetem medizinischem Personal verwendet werden, begründen eine besondere Gefährlichkeit und sind demnach als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB zu qualifizieren.

Sachverhalt:

Die Angeklagte litt unter dem selten vorkommenden sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, einer psychischen Störung, die sie dazu veranlasste, bestimmte Krankheitssymptome ihrer Kinder gegenüber Ärzten und ihrem sozialen Umfeld vorzutäuschen oder gar zu fingieren, um hierdurch nicht indizierte medizinische Eingriffe zu veranlassen. Hierdurch wollte sie Wertschätzung von Dritten erfahren.

Die Angeklagte veranlasste bei ihrer Tochter M. durch bewusst falsche Angaben die Aufnahme in ein Krankenhaus, um tatsächlich nicht bestehende Darmstörungen behandeln zu lassen. Aufgrund der falschen Angaben wurde ihrer Tochter unter Vollnarkose und durch das Aufschneiden der Bauchwand ein künstlicher Darmausgang gelegt. Die Angeklagte wusste, dass diese Operation für ihre Tochter potenziell lebensgefährlich war.

Bezüglich ihrer jüngsten Tochter A. gab die Angeklagte wahrheitswidrig an, dass diese Atmungs- und Trinkprobleme habe. Wie von ihr beabsichtigt, wurde ihr in dem weiteren Verlauf eine PEG-Sonde eingelegt. Dies konnte nur mittels einer Operation durchgeführt werden, in der die Bauchdecke des Säuglings durchgestochen wurde. Auch bei dieser Operation nahm die Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Behandlung in Kauf. In der Folge entschloss sich die Angeklagte, das für die PEG-Sonde vorgesehene Sondennahrung der A. teilweise vorzuenthalten. Hierdurch wollte sie erzwingen, dass ihre Tochter erheblich an Gewicht verliert und dadurch erneut medizinisch behandelt wird; andauernde körperliche Schmerzen nahm sie hierbei in Kauf. Nachdem der Säugling aufgrund einer erheblichen Unterernährung eingeliefert wurde, kam es schließlich durch das misstrauisch gewordene Pflegepersonal zu der Trennung der Angeklagten von A.

Das LG hatte die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat keinen Erfolg und ist offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

Nach Ansicht des Senats könne es dahinstehen, ob das Verhalten der Angeklagten die objektiven Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfülle; jedenfalls könne nicht hinreichend belegt werden, dass die subjektive Komponente vorlag. Jedoch tragen die Urteilgründe eine Strafbarkeit gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB hinsichtlich der erfolgten operativen Eingriffe. Ein gefährliches Werkzeug sei ein Tatmittel, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Die chirurgischen Instrumente, die beim Durchtrennen bzw. Durchstechen der Bauchwand benutzt wurden, erfüllen diese Voraussetzungen.

Die bisherige Rechtsprechung zu § 223a StGB in Bezug auf diese Problematik stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Lege artis genutzte Instrumente wurden demnach unabhängig von ihrer konkreten Verwendungsweise einem Messer oder anderem gefährlichen Werkzeug gem. dem § 223a StGB nicht gleichgestellt. Auf diese bisherige Rechtsprechung kann seit der nun geltenden Gesetzesfassung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vom 1. April 1998 jedenfalls bei der Nutzung von chirurgischen Instrumenten bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen nicht zurückgegriffen werden.

Diese Bewertung unterstütze der Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wonach ein anderes gefährliches Werkzeug kein Beispiel für eine Waffe darstelle, sondern vielmehr eine Waffe als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu betrachten sei. Ein gefährliches Werkzeug setze aber in Abgrenzung zu einer Waffe gerade nicht voraus, dass dieses zum Einsatz als Verteidigungs- oder Angriffsmittel bestimmt sei. Soweit nur auf die potenzielle Gefährlichkeit abgestellt werde, könne ein regelgerecht eingesetztes chirurgisches Instrument nicht aus dem Anwendungsbereich des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB ausgeschlossen werden.

Dafür streite die Gesetzessystematik. Auch in anderen strafrechtlichen Vorschriften sei das Tatbestandsmerkmal des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ zu finden, vgl. § 177 Abs. 7 u. Abs. 8 StGB, § 244 Abs. 1 StGB). Hierbei bestehe Einigkeit, dass ein gefährliches Werkzeug keine Bestimmung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel voraussetze. Es reiche aus, dass der Gegenstand objektiv geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Dieses Ergebnis entspreche auch einer teleologischen Auslegung. Alle Begehungsvarianten des § 224 StGB zeichne eine besonders gefährliche Begehungsweise aus. Dies sei gerade auch bei dem lege artis Einsatz von chirurgischen Instrumenten gegeben.

Einer Vorlage nach § 132 Abs. 2 GVG sei nicht notwendig, da die rechtliche Grundlage der bisherigen Rechtsprechung seit dem Wegfall des § 223a StGB nicht mehr bestehe.

 

 

KriPoZ-RR 13/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtliche Leitsätze:

  1. Geschütztes Rechtsgut des § 239a StGB ist nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders schwerwiegenden und besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch dessen körperliche Integrität.

  2. Der für § 239a Abs. 3 StGB erforderliche qualifikationsspezifische und aus der konkreten Schutzrichtung der Norm zu bestimmende Zusammenhang ist deshalb auch dann gegeben, wenn der Tod des Opfers als Folge der dem Opfer während der Bemächtigungslage widerfahrenen Behandlung eintritt, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt.

Sachverhalt:

Die Angeklagten fassten den gemeinsamen Plan, dass sie den wohlhabenden und alleinlebenden O., der ein Bekannter des Mitangeklagten A. war, in seinem Haus zu überfallen und dessen Wertgegenstände entwenden. Beide wussten, dass O. wegen seines Gesundheitszustandes bei der Tat versterben könnte. Nach dem Tatplan sollte allein der Angeklagte B. durch die stets geöffnete Terrassentür in die Wohnung einsteigen und O. zur Herausgabe der Wertgegenstände nötigen; der Angeklagte A. sollte wegen seiner Bekanntschaft mit O. und der befürchteten Entdeckungsgefahr fern bleiben. Er sollte nur als Fahrer agieren.

Am Tattag schlich sich B. in das Haus des O. und überwältigte diesen nach einem kurzen Kampf, der nun die Herausgabe seines Geldes anbot. B rief zunächst den A. auf dessen Mobiltelefon an; diesen Anruf nahm A. zum Anlass, um nun selbst zum Tatort zu fahren. Dort angekommen, betrat dieser das Haus durch die Terassentür, während sich B. und O. im Schlafzimmer befanden. Als diese zur weiteren Übergabe von Geldmitteln wieder in den Wohnbereich gingen, kam A. plötzlich aus der Küche. Dieser hatte sich dazu entschieden, O. zu töten, da er der Meinung war, von O. gesehen und erkannt worden zu sein.

In der Folge packte A. den O. von hinten, hielt ihm den Mund zu und würgte diesen mit erheblichem Kraftaufwand für zwei Minuten. Dieser verstarb infolge des Sauerstoffmangels. B. rechnete nicht mit dem Angriff des A., erkannte jedoch spätestens nach einer Minute, dass O. dadurch sterben würde. Er blieb untätig, obwohl ihm ein Eingreifen möglich gewesen wäre.

Das LG hatte den Angeklagten B. nach einer Aufhebung des ursprünglichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch den 1. Strafsenat wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklage hat Teilerfolg. Diese beanstandete, dass das LG zu Unrecht eine Verurteilung auch in Bezug auf die eingetretene Todesfolge ablehnte. Dies sei hinsichtlich einer leichtfertigen Begehungsweise nicht haltbar.

Die von der Kammer getroffene rechtliche Würdigung schöpfe die Feststellungen nicht aus. Diese belegten vielmehr, dass durch das vorsätzliche Sich-Bemächtigen durch B. eine Gefahrenlage für das Leben des O. entstand, die sich in der späteren Eskalation verwirklichte. B. könne der Tod des O. zugerechnet werden. Ein Beteiligter hafte grundsätzlich nur für die Folgen eines unmittelbaren Täters, wenn die Begehung des Grunddelikts i.S.d. § 239 Abs. 1 StGB in seine Vorstellung von der Tat einbezogen wurde; hinsichtlich der schweren Folge genüge Leichtfertigkeit.

Nach diesen Maßstäben erfülle bereits das Verhalten des B. selbst den Tatbestand des § 239a Abs. 1 SGB, indem er sich des O. über einen längeren Zeitraum bemächtigte und eine nicht unerhebliche Zwangslage herstellte. Leichtfertig handele eine Person, die bezogen auf den Todeseintritt einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit aufweise, insbesondere die sich aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn außer Acht lasse. Gleichzeitig müsse sich der Todeserfolg im Rahmen eines für § 239a Abs. 3 StGB erforderlichen qualifikationsspezifischen Zusammenhangs ergeben. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat sei danach dann anzunehmen, wenn sich im Tod tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die mit dem Grundtatbestand zusammenhängen.

Der B. schaffe nach der Ansicht des Senats bereits mit der Entführung und Bemächtigung eine erhebliche Gefahrenlage für die körperliche Integrität des Opfers; diese Gefahrenlage nehme mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zu. Die körperliche Integrität sei dahingehend neben der Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Genötigten ein von § 239a StGB geschütztes Rechtsgut. Die typische Gefahr für die körperliche Integrität habe sich im vorliegenden Fall verwirklicht. Die Eskalationsgefahr hätte sich danach vor allem durch das Eintreffen des A. erhöht, was für B. auch erkennbar gewesen sei. Der Exzess des A. lasse den Zurechnungszusammenhang zwischen dem von B. begangenen erpresserischen Menschenraub und dem Tod des O. nicht entfallen.

KriPoZ-RR 12/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Bei mehreren, nebeneinander stehenden Tatmotiven muss zunächst das handlungsleitende identifiziert werden. Nur, soweit dieses Tatmotiv als niedrig anzusehen ist, ist eine Begehung gem. § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB einschlägig. 

Sachverhalt:

Der Angeklagte erschoss das Opfer A. mit vier Schüssen aus einer Pistole. Grund hierfür war eine Konfrontation zu einem früheren Zeitpunkt zwischen dem jüngeren Halbbruder des Angeklagten und A. Der Halbbruder des Angeklagten hatte mit zwei Freunden auf einem Parkdeck Cannabis geraucht, woraufhin der A. mit seinem Hund vorbeilief und diese aufforderte, sich „zu verpissen“. A. schlug den Halbbruder des Angeklagten mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Angeklagte wurde daraufhin von seinem Halbbruder über den Vorfall informiert. Dieser wurde wütend und erklärte, dass der Geschädigte „einen auf die Fresse“ kriege.

Der Angeklagte, dessen Halbbruder und andere Personen suchten in der Folge stundenlang nach A., den sie jedoch nicht fanden. Nachdem die Gruppe in die Wohnung des Angeklagten zurückkehrte, machten sie sich circa eine Stunde später erneut auf den Weg und trafen das Opfer schließlich in der Nähe seiner Wohnung auf einer Parkbank sitzend an. Der Angeklagte zog eine Pistole aus seiner Bauchtasche und richtete sie auf A. Dieses erklärte, der Angeklagte solle doch schießen, er habe keine Angst. Das Opfer versuchte, nach der Waffe zu greifen, blieb jedoch erfolglos. Der Angeklagte setzte sodann vier Schüsse aus kurzer Distanz auf A. ab, woraufhin dieser rasch verstarb.

Das LG hatte den Angeklagten daraufhin wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. 

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Jedoch führen die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, die eine Verurteilung wegen Mordes anstrebten und die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts rügten, zur Aufhebung des Urteils.

Die Schwurgerichtskammer hat die Annahme von Mordmerkmalen abgelehnt. Eine heimtückische Tötung könne ausgeschlossen werden, weil das Opfer sich einer überlegenen Anzahl von Gegnern gegenübergesehen habe und er mit einem tätlichen Angriff des Angeklagten rechnen müsse. Seine Arglosigkeit sei danach entfallen. Hierfür spreche auch, dass das Opfer noch nach der Waffe greifen konnte. Die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke sei nach dem Senat nicht zu beanstanden gewesen.

Jedoch seien die Ausführungen der Kammer in Bezug auf das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes nicht haltbar. Die Kammer ging davon aus, dass die Motivation des Angeklagten, dessen Kränkung und die Wut aufgrund der Auseinandersetzung zwischen seinem Halbbruder und dem Opfer nicht so wenig nachvollziehbar sei, dass die Tat in besonderem Maße verachtenswert sei.

Ob dies der Fall sei, müsse anhand einer Gesamtwürdigung beurteilt werden. Spielen mehrere Handlungsantriebe bei der Tat eine Rolle, so müsse überprüft werden, inwiefern das handlungsleitende Motiv einen niedrigen Beweggrund darstelle. Diesen Anforderungen wurde die Strafkammer nicht gerecht. Es sei schon unklar, welches Motiv tatleitend war. Die Strafkammer stelle einerseits auf die „Kränkung und Wut“ des Angeklagten über das vorherige Geschehen ab, andererseits legten jedoch die Äußerungen des Angeklagten („einen auf die Fresse kriegen“) nahe, dass dieser auch Rache- und Bestrafungsvorstellungen verfolgte. Die Bestimmung eines handlungsleitenden Motives wäre nur entbehrlich gewesen, wenn alle in Frage kommenden Motive für sich gesehen nicht als niedrig anzusehen seien. Hierbei kommt der Senat jedoch zum Schluss, dass das Motiv der Selbstjustiz als niedriger Beweggrund in Betracht komme; ein Handeln zur Machtdemonstration stehe stets regelmäßig sittlich auf tiefster Stufe.

 

 

 

KriPoZ 11/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Bei der Bewertung des Tötungsvorsatzes muss stets eine Gesamtabwägung vorgenommen werden. Hierbei muss auch die Persönlichkeit des Täters sowie seine psychische Verfasstheit und Motivation während der Tat berücksichtigt werden.

Sachverhalt:

Die Angeklagte erlangte im Jahre 1990 die allgemeine Hochschulreife und begann in der Folgezeit das Studium der Biologie, dass sie auch erfolgreich abschloss. Die Angeklagte war zwischen Mai 1995 bis einschließlich September 1996 im Studiengang Zahnmedizin eingeschrieben, wurde jedoch zum 31. März 2000 exmatrikuliert. Die Angeklagte arbeitete in den Jahren 2007 bis 2010 an verschiedenen Standorten als Heilpraktikerin, nach ihr im April 2000 die Erlaubnis erteilt wurde, Heilkunde (ohne als Arzt aufzutreten) zu praktizieren. Zum 1. November 2015 wurde die Angeklagte als Assistenzärztin unter Vorlage einer gefälschten Approbationsurkunde sowie eines unrichtigen Lebenslaufes in einem Krankenhaus eingestellt und arbeitete fortan in der Abteilung für Inneres, in der Anästhesie sowie im Medizincontrolling bis zu ihrer Kündigung im Dezember 2018. Während ihrer Zeit in der Anästhesie zwischen dem 1. März und dem 1. November 2017 musste die Angeklagte zahlreiche Operationen  als Narkoseärztin – teilweise eigenständig – betreuen. Es kam ihr hierbei neben der damit verbundenen Reputation auch auf die monatlichen Gehaltszahlungen an.

Der Angeklagten unterlief bei allen Behandlungen verschiedene Fehler, unter anderem die inadäquate oder zu langsame Behandlung, das Übersehen oder Verkennen von Krisensituationen oder auch das Unterlassen der Herbeiholung von Hilfe durch einen Facharzt. In zahlreichen Fällen (Fälle II.6-II.18) verstarben die Patienten infolge ihrer Behandlung und dies nahm sie billigend in Kauf.

Das LG hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in drei Fällen, versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in zehn Fällen, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in drei Fällen, Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen in vier Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Das LG habe den bedingen Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht tragfähig begründet. Nach ständiger Rechtsprechung sei ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkenne und dies billige oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfinde, selbst wenn ihm dieser unerwünscht sei. Bei Tötungsdelikten sei eine Gesamtschau aller objektiver und subjektiver Umstände vorzunehmen, wobei auch die Persönlichkeit des Täters und dessen psychische Verfassung während der Tatbegehung, seine Motivation und die konkrete Angriffsweise vom Tatrichter zu berücksichtigen sei.

Das LG hätte insoweit nur hinsichtlich einer Tötungshandlung den Vorsatz umfassend begründet und hinsichtlich der anderen Tötungsdelikte darauf verwiesen. Jedoch unterscheide sich die Befundlage der verschiedenen Fälle und erlaube keine Übertragung der Ausführungen. Zudem sei die Begründung des Vorsatzes selbst fehlerhaft. Zwar sei das Verhalten der Angeklagten als sehr gefährlich einzustufen, jedoch habe die Kammer vorsatzkritische Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere, ob durch den Umstand, dass die Angeklagte zunächst von einem Chefarzt begleitet wurde und dann alleine tätig werden durfte, das eigene Vertrauen der Angeklagten in ihre Fähigkeiten maßgeblich beeinflusst habe, wurde nicht bewertet. Zudem sei das LG nicht hinreichend darauf eingegangen, inwiefern die festgestellte Persönlichkeitsstruktur auf das Vorhandensein eines bedingten Tötungsvorsatzes hindeuten. Der Senat weist darauf hin, dass der neue Tatrichter sowohl die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten als auch die Verhaltensauffälligkeiten im Allgemeinen in den Blick zu nehmen habe.

 

KriPoZ-RR 10/2024

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 Redaktioneller Leitsatz:

Ist der Täter in einer Lage, die von einem großen inneren Druck geprägt ist, so kann dies dazu führen, dass dieser nicht selbstbestimmt handelt und ein freiwilliger Rücktritt ausgeschlossen ist.

Sachverhalt:

Der sozial weitgehend isoliert lebende und intelligenzgeminderte Angeklagte entwickelte zum Ende des Jahres 2021 eine Neigung zu dem Konsum gewalttätiger Pornographie mit nekrophilen Inhalten. Am Tattag, seinem 28. Geburtstag, ist er mit einem Arbeitskollegen zum Austausch eines Fensters zur Wohnung der 27-jährigen Nebenklägerin gefahren. Nachdem er kurzzeitig mit der Nebenklägerin alleine in der Wohnung war, überkamen ihn sexuelle Gewaltphantasien. Er entschloss sich nun, die Nebenklägerin zu töten und mit ihr sodann den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Nachdem die Nebenklägerin dem Angeklagten das Fenster im Bad zeigte und diese vor dem Angeklagten aus dem Bad tat, schlug der Angeklagte dieser mit der stumpfen Schlagseite des Hammers wuchtig auf den Kopf. Die Nebenklägerin stürzte auf den Boden; beim Versuch, zu entkommen, hielt der Angeklagte diese fest und schlug ihr mittels elf Hammerschläge weiter auf den Kopf. Angesichts des massiven Verletzungsbildes ließ seine sexuelle Erregung jedoch nach und er entschloss sich gegen die Vornahme sexueller Handlungen.

Nun wurde dem Angeklagten die Aussichtslosigkeit seines Verhaltens bewusst. Er ging aus der Wohnung raus und lief ziellos vor dieser entlang; er fürchtete hierbei erheblich um seine Zukunft. Ihm kam spontan die Idee, den Tatverdacht auf einen vermeintlichen Einbrecher zu lenken und dessen Verfolgung vorzutäuschen. Er forderte zwei Zeuginnen auf, für die Nebenklägerin Hilfe zu holen. Zudem sprach er eine weitere Zeugin an, um vor dieser weiter seine Suche nach dem Einbrecher vorzutäuschen. Beim Eintreffen des Notarztes wies er die eintreffenden Polizei- und Rettungskräfte vor Ort ein. Die Nebenklägerin konnte gerettet werden.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Die Strafkammer hat einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB abgelehnt. Für einen beendeten Versuch i.S.d. § 24 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 StGB sei anerkannt, dass ein Rücktritt nur möglich ist, wenn der Täter überzeugt ist, dass der Erfolg noch herbeigeführt werden könne. Jedoch wirke der Rücktritt nicht strafbefreiend, wenn der Täter sich infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sehe, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen. Entscheidend sei hierbei, ob ein Umstand für den Täter ein „zwingendes Hindernis“ sei. Diese Maßstäbe seien grundsätzlich auch bei dem beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB anzuwenden. Entscheidend sei, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bliebe. Daran könne es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war.

So sei es im vorliegenden Fall. Nach der Auffassung des Senats befand sich der Angeklagte zum Zeitpunkt, als der Angeklagte die Zeugen ansprach, in einer Situation geprägt von großem innerem Druck, sodass er hierbei zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage gewesen sei.

 

KriPoZ-RR 9/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. 

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Überfall auf einen Kraftfahrer, der anfänglich auf die Verwirklichung einer anderen Straftat abzielte, kann zu einem räuberischen Angriff gem. § 316a StGB werden; jedoch muss hierzu zum Zeitpunkt der Anwendung der Nötigungsmittel der Fahrer noch mit der Beherrschung des Kraftfahrzeuges bzw. der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt sein, um ein taugliches Tatopfer darzustellen.

Sachverhalt:

Unbekannt gebliebene Täter planten, einen LKW-Fahrer durch das Vortäuschen einer Panne zum Anhalten zu zwingen und sodann einen im Beifahrerbereich liegenden, mit Bargeld gefüllten Briefumschlag zu entwenden. Der Angeklagte übernahm für einen Tatlohn i.H.v. 500 EUR die Aufgabe, das Geschehen zusätzlich abzusichern und die Beute in seinem Zimmer zu verstecken.

Am Tag des Tatgeschehens wurde der LKW-Fahrer, wie geplant, zum Anhalten gezwungen. Einer der Täter lief zur Beifahrertür, öffnete sie und griff den Umschlag, woraufhin ihm der Fahrer diesen jedoch wieder aus den Händen riss. Der Angeklagte beschloss nunmehr, sich aktiv am Tatgeschehen zu beteiligen, ging zur Fahrertür und versuchte, dem Fahrer den Briefumschlag wegzunehmen. Jedoch misslang dies dem Angeklagten und der Briefumschlag zerriss. Der Angeklagte und die beiden anderen Beteiligten flüchteten daraufhin.

Das LG hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Die Feststellungen des LG begründen keine Verwirklichung des Tatbestandes des § 316a Abs. 1 StGB. Demnach mache sich nur strafbar, wer eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder eines räuberischen Erpressung einen Angriff auf das Leib, das Leben oder die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeuges oder eines Mitfahrers verübe und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutze. Zwar ergebe sich aus den Feststellungen, dass ein Angriff auf die Entschlussfreiheit des Fahrers geplant war, jedoch sei nicht erkennbar, dass die Beteiligten hierbei in der Absicht handelten, eine Tat i.S.d. § 249 Abs. 1, § 252 oder § 255 StGB zu begehen. Der Briefumschlag sollte nur aus der Fahrerkabine entwendet werden; inwiefern dies durch die Anwendung von Nötigungsmitteln geschehen sollte, kann nicht belegt werden. Hierbei stelle auch die mittels des Fahrzeugs der Beteiligten errichtete Straßenblockade zwar eine nötigende Gewalt dar, jedoch sei nicht festgestellt, dass hierdurch auch eine wenigstens mittelbare Zwangswirkung auf den Körper des Geschädigten entfalten sollte.

Zudem sei auch nicht erkennbar, dass sich der Überfall auf den Kraftfahrer zu einem räuberischen Angriff i.S.d. § 316a StGB wandelte. Für einen räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer gem. § 316a StGB müsse das Opfer im Zeitpunkt des (fortgesetzten) Angriffs noch Fahrzeugführer sein und der Täter die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzen. Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Fahrer vom Betriebsgelände abfuhr und dem Zeitpunkt, wo der Angeklagte den Umschlag gewaltsam an sich reißen wollte, wurde der Kraftfahrer von den Beteiligten ausgebremst und zum Anhalten gezwungen. Nach der Ansicht des Senats war der Fahrer demnach zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten nicht mehr mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt und damit kein taugliches Tatopfer mehr.

 

 

KriPoZ-RR 8/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Motiven des Täters kann bei der Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und einem bedingten Tötungsvorsatz nur dann Gewicht zukommen, wenn alle besonderen Umstände des Tatgeschehens berücksichtigt werden. Ein solcher besonderer Umstand kann eine Interessenwidrigkeit der tödlichen Folge für den Täter sein.

Sachverhalt:

Der 69 Jahre alte Angeklagte bewohnte zum Tatzeitpunkt mit seiner Lebensgefährtin und deren 47 Jahre alten Sohn am Ortsrand eines keinen Dorfes. Der Sohn war aufgrund eines schweren Unfalls erwerbsunfähig und befand sich ab dem Jahr 2018 in einem multimorbiden Zustand. Er bewohnte ein schmales Zimmer im Dachgeschoss, zu dem die Zimmertür ausgehängt war. Dieser Bereich des Hauses war durch eine hölzerne Dachkonstruktion mit der angrenzenden Scheune verbunden.

Der Angeklagte war zunehmend genervt von der Wohnsituation; ihn überforderten nicht nur die Renovierungsarbeiten am Haus, sondern auch die Versorgung des körperlich gebrechlichen Sohnes seiner Lebensgefährtin. Er wusste, dass der Sohn nicht freiwillig auf sein eingeräumtes Wohnrecht verzichten würde und seine Lebensgefährtin diesen nicht unversorgt zurücklassen würde. Also entschloss sich der Angeklagte, das Wohnhaus in Brand zu setzen. Hierzu entzündete er zunächst zahlreiche brennbare Gegenstände in der angrenzenden Scheune, bevor er in das Haus lief und seiner Lebensgefährtin zurief: „Es brennt, wir müssen raus“. Die Scheune brannte vollständig. Der Sohn der Lebensgefährtin wurde aufgrund der giftigen Rauchgase schnell bewusstlos und verstarb in seinem Bett liegend an einer Kohlenmonoxidvergiftung mit hochgradigen Verbrennungen.

Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Es werde zu Recht die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes beanstandet. Hierzu führt der Senat aus:

Vorsätzliches Handeln setze voraus, dass der Täter den Eintritt des Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkenne und ihn zudem billige oder sich zumindest damit abfinde. Bei gefährlichen (Gewalt-)Handlungen liege es besonders nahe, dass der Täter von der Möglichkeit eines Todeseintritts ausgehe. Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährlichen Tuns darf nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern müsse auf Tatsachen gestützt werden. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit eng beieinander liegen, müssen alle für und gegen den Angeklagten sprechenden objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles im Rahmen einer individuellen Gesamtschau berücksichtigt werden.

Die rechtliche Nachprüfung der Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes halte im konkreten Fall nicht stand. Das LG habe sich zwar davon überzeugt, dass dem Angeklagten die objektive Gefährlichkeit des Verhaltens bewusst war, jedoch hatte es einen Tötungsvorsatz verneint, weil der Angeklagte auf das Ausbleiben des Todes ernsthaft vertraut habe. Die Erwägungen, dass der Angeklagte darauf vertraute, dass die Lebensgefährtin ihren Sohn über den Brand informieren würde, können nicht belegt werden.

Zudem habe die Kammer bei der Ablehnung des Willenselements maßgeblich auf ein fehlendes Motiv für eine Tötung abgestellt, obwohl dies nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich sei. Ein besonderer Umstand i.S.e. Interessenwidrigkeit der tödlichen Folge für den Angeklagten sei jedoch vom LG nicht festgestellt worden. Dass der Angeklagte die Wohnungssituation auflösen wollte, bedurfte nicht zwangsweise die Tötung des Sohnes. Dies belege eine Interessenwidrigkeit gerade nicht, sondern lediglich das Fehlen einer Tötungsabsicht. Jedoch genüge für einen Eventualvorsatz bereits die Gleichgültigkeit gegenüber dem hingenommenen Tod des Opfers.

Auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte keinen Brandbeschleuniger im Dachgeschoss ausgebracht hat, könne nicht geschlossen werden, dass ein Tötungsvorsatz fehle. Insbesondere die Überlegung des LG, der Angeklagte habe nicht ausschließbar ernsthaft darauf vertraut, dass der Sohn sich selbst rette, erweise sich als lückenhaft: Es bliebe offen, welche konkreten Umstände für diese Feststellung sprechen. Soweit die Strafkammer darauf abstellte, dass der Angeklagte das Feuer zur Mittagszeit legte, zu der der Geschädigte wach war, so werden hierbei alleine Mutmaßungen benannt.

 

 

KriPoZ-RR 7/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Auch bei einer vorherigen verbalen oder körperlichen Konfrontation kann ein Opfer bei einem darauffolgenden Angriff noch arg- und wehrlos sein. Entscheidend ist hierbei, ob die verbleibende Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff so kurz ist, dass das Opfer sich nicht mehr angemessen verteidigen kann.

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde von dem später Geschädigten K. auf dem Parkplatz eines Supermarktes darauf angesprochen, ob dieser ihm ein Gramm Cannabis liefern könne. In der Folge kam es zu einer verbal geführten Auseinandersetzung, bei der K. dem Angeklagten mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und diesen in der Folge beleidigte. K. wandte sich danach ab und entfernte sich.

Diese Demütigung wollte der Angeklagte nicht auf sich beruhen lassen und beschloss, mittels seines Fahrzeugs den Geschädigten anzufahren. Er fuhr rückwärts aus dem Parkplatz und folgte dem Geschädigten; dabei missachtete er die Vorfahrt eines anderen Verkehrsteilnehmers und bremste scharf. Der Angeklagte nahm die Bremsgeräusche war und sah, dass der Angeklagte in seine Richtung abgebogen war. Jedoch wollte er keine Blöße zeigen, drehte sich um und lief weiter. Der Angeklagte gab nunmehr Vollgas und fuhr den Geschädigten mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h von hinten um. Der Geschädigte wandte sich kurz um, ihm verbliebt jedoch keine Zeit, der bevorstehenden Kollision auszuweichen. Der Aufprall schleuderte den Geschädigten auf den Bürgersteig, wo dieser reglos liegen blieb. Der Geschädigte erlitt durch den Aufprall unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades sowie eine Rippenknorpelfraktur. Erheblichere Verletzungen blieben jedoch aus.

Das LG hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, den Anrechnungsmaßstab für die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft bestimmt, eine isolierte Fahrerlaubnissperre verhängt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Urteil weist keine Rechtsfehler auf. Hierzu erörtert der Senat:

Heimtückisch handele, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutze. Arglos sei ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriffs rechne. Dabei könne die Arg- und Wehrlosigkeit auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgehe, dass Opfer trotzdem in der Tatsituation nicht (mehr) mit einem Angriff rechne. Entscheidend sei, dass der Täter das arglose Opfer überrascht und dadurch verhindert, dass der Anschlag auf das Leben des Opfers erschwert wird. Dies könne auch vorliegen, wenn der Täter dem Opfer feindselig gegenübertrete, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff jedoch so kurz sei, dass keine Möglichkeit zur Verteidigung verbleibe.

Demnach habe die Kammer das heimtückische Handeln des Angeklagten tragfähig belegt. Zwar ging dem Geschehen eine verbale Auseinandersetzung voraus; jedoch verhielt sich der Angeklagte hierbei zurückhaltend und passiv. Der Geschädigte rechnete nicht mit einem tätlichen Angriff, sondern vielmehr nur damit, dass der Angeklagte diesem „Angst einjagen“ wollte. Dass sich K. vor der Kollision umwandte und den Angriff in letzter Sekunde wahrnahm, ändere nichts daran, dass die verbleibende Zeitpanne zu kurz gewesen sei, um der Gefahr angemessen zu begegnen.

 

KriPoZ-RR 6/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. 

Redaktioneller Leitsatz:

Eine Zueignung setzt voraus, dass der Täter sich eine Sache oder den in ihr verkörperten Wert wenigstens vorübergehend tatsächlich in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer von der Nutzung dauerhaft ausschließt. Es genügt nicht bereits jede Manifestation eines Zueignungswillens; vielmehr muss ein Zueignungserfolg auch eintreten.

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat im Rahmen eines Miet- oder Leasingverhältnisses Besitz eines Tiefladers, der Eigentum der T. AG war, erlangt. In der Folge wurde jedoch gegen das Vermögen der T. AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Angeklagte hat es unterlassen, den Insolvenzverwalter über die Existenz und den Standort des Tiefladers zu informieren. Er hat der T. AG auch die Herausgabe des Tiefladers nicht angeboten. Vielmehr war der Tieflader weiterhin seinem Besitz. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Tieflader durch eine von der T. AG beauftragte Person sichergestellt.

Das LG hatte den Angeklagten wegen veruntreuender Unterschlagung in fünf Fällen, wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in fünf Fällen und wegen Insolvenzverschleppung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hat Teilerfolg. Die Verurteilung wegen veruntreuender Unterschlagung im vorgestellten Fall leide darunter, dass der Angeklagte sich den Tieflader nicht zugeeignet habe.

Nach der Auffassung des Senats setze eine Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB, entgegen der bisherigen Rechtsprechung, voraus, dass der Täter sich die Sache oder den in ihr verkörperten wirtschaftlichen Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt. Eine Manifestation des Zueignungswillens (sog. „Manifestationslehre“) genüge nicht, könne aber ein gewichtiges Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand sein.

Diese Auffassung werde durch den Wortlaut des § 246 StGB unterstützt, der darauf hindeutet, dass ein tatsächlicher Zueignungserfolg eintreten müsse. Die Vorschrift sei als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Zudem ergebe sich auch bei Betrachtung der Gesetzgebungsgeschichte, dass ein Zueignungserfolg vorausgesetzt werden müsse. Mit dem Wegfall des Gewahrsamserfordernisses durch das Gesetz zur Reform des Strafrechts (26. Januar 1998, BGBl. 1998 I 164) sei der Anwendungsbereich erheblich ausgeweitet worden. Um die Tathandlung und den Vollendungszeitpunkt zur Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) zu konkretisieren, müsse § 246 StGB auf tatsächliche Eigentumsbeeinträchtigungen beschränkt werden.

Für dieses Verständnis des Zueignungsbegriffs in § 246 StGB spreche auch die Gesetzessystematik. Die Zueignungsabsicht beim Diebstahl setze voraus, dass sich der Täter unter dauerhaftem Ausschluss der Nutzungsmöglichkeit des Berechtigten die Sache oder den in ihr verkörperten Wert seinem Vermögen zumindest vorübergehend einverleiben wolle. Der Zueignungsbegriff des § 246 Abs. 1 StGB ist mit dem des § 242 Abs. 1 StGB identisch; der einzige Unterschied bestehe darin, dass für einen Diebstahl alleine die Absicht hierzu genüge.

Letztlich werde die Auffassung des Senats auch durch eine teleologische Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zueignet“ gestützt. Hierbei müsse die Begrenzung des Strafrechts als „ultima ratio“ berücksichtigt werden. Eine Zueignung setze demnach voraus, dass die Befugnisse des jeweiligen Eigentümers (z.B. Nutzungs- oder Ausschlussrecht, 903 BGB), beeinträchtigt werden.

Die bisherige Auffassung der Rechtsprechung (sog. „weite Manifestationslehre“), überzeuge insoweit nicht. Zwar gehe mit einem Manifestationsakt häufig eine Eigentumsbeeinträchtigung einher; jedoch seien auch Fälle denkbar, in denen eine Verkürzung der Eigentumsposition des Berechtigten nicht droht. Eine Bestrafung wegen vollendeter Unterschlagung führe zu einem Wertungswiderspruch zu den allgemeinen Grundsätzen der Versuchsstrafbarkeit, die regelmäßig voraussetzt, dass das geschützte Rechtsgut durch den Tatplan unmittelbar gefährdet werde.

Ein Anfrageverfahren gemäß § 132 Abs. 3 S. 1 GVG ist trotz Divergenz nicht veranlasst. Nach beiden Auffassungen sei nämlich der Tatbestand des § 246 Abs. 1 StGB mangels Zueignung nicht erfüllt; das bloße Unterlassen der Rückgabe sei keine vollendete Zueignung. Durch das Unterlassen werden die Eigentümerverhältnisse nicht erheblicher beeinträchtigt, als dies bereits durch die im Rahmen des Miet- oder Leasingverhältnisses erfolgte Gebrauchsüberlassung geschah.

 

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