Empirische Untersuchungen als Anstoß zu einer Reform des Strafzumessungsrechts. Eine Antwort auf Jessica Krüger

von Philipp Ehlen, Prof. Dr. Elisa Hoven, Anja Rubitzsch und Prof. Dr. Thomas Weigend 

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I. Zum Anliegen unseres Beitrags

Das deutsche Strafrecht macht den Gerichten für die Strafzumessung bekanntlich nur wenige Vorgaben. Die Strafrahmen sind weit und die in § 46 StGB genannten Faktoren vage. Bestehen für richterliche Entscheidungen erhebliche Spielräume, so bedarf es eines kritischen Blicks auch durch die Wissenschaft.

Das von den Verfassern Hoven und Weigend geleitete Forschungsprojekt „Gerechte Strafzumessung“ hat das Ziel verfolgt, Recht und Praxis der Strafzumessung in Deutschland zu analysieren, bestehende Probleme aufzuzeigen und konstruktive Lösungswege zu entwickeln. Durch eine deliktsspezifische Analyse der gerichtlichen Strafzumessungspraxis sollte das empirische Fundament für mögliche Reformbestrebungen im Bereich der Strafzumessung gelegt werden.[1]

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KriPoZ-RR 10/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 Redaktioneller Leitsatz:

Ist der Täter in einer Lage, die von einem großen inneren Druck geprägt ist, so kann dies dazu führen, dass dieser nicht selbstbestimmt handelt und ein freiwilliger Rücktritt ausgeschlossen ist.

Sachverhalt:

Der sozial weitgehend isoliert lebende und intelligenzgeminderte Angeklagte entwickelte zum Ende des Jahres 2021 eine Neigung zu dem Konsum gewalttätiger Pornographie mit nekrophilen Inhalten. Am Tattag, seinem 28. Geburtstag, ist er mit einem Arbeitskollegen zum Austausch eines Fensters zur Wohnung der 27-jährigen Nebenklägerin gefahren. Nachdem er kurzzeitig mit der Nebenklägerin alleine in der Wohnung war, überkamen ihn sexuelle Gewaltphantasien. Er entschloss sich nun, die Nebenklägerin zu töten und mit ihr sodann den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Nachdem die Nebenklägerin dem Angeklagten das Fenster im Bad zeigte und diese vor dem Angeklagten aus dem Bad tat, schlug der Angeklagte dieser mit der stumpfen Schlagseite des Hammers wuchtig auf den Kopf. Die Nebenklägerin stürzte auf den Boden; beim Versuch, zu entkommen, hielt der Angeklagte diese fest und schlug ihr mittels elf Hammerschläge weiter auf den Kopf. Angesichts des massiven Verletzungsbildes ließ seine sexuelle Erregung jedoch nach und er entschloss sich gegen die Vornahme sexueller Handlungen.

Nun wurde dem Angeklagten die Aussichtslosigkeit seines Verhaltens bewusst. Er ging aus der Wohnung raus und lief ziellos vor dieser entlang; er fürchtete hierbei erheblich um seine Zukunft. Ihm kam spontan die Idee, den Tatverdacht auf einen vermeintlichen Einbrecher zu lenken und dessen Verfolgung vorzutäuschen. Er forderte zwei Zeuginnen auf, für die Nebenklägerin Hilfe zu holen. Zudem sprach er eine weitere Zeugin an, um vor dieser weiter seine Suche nach dem Einbrecher vorzutäuschen. Beim Eintreffen des Notarztes wies er die eintreffenden Polizei- und Rettungskräfte vor Ort ein. Die Nebenklägerin konnte gerettet werden.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Die Strafkammer hat einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB abgelehnt. Für einen beendeten Versuch i.S.d. § 24 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 StGB sei anerkannt, dass ein Rücktritt nur möglich ist, wenn der Täter überzeugt ist, dass der Erfolg noch herbeigeführt werden könne. Jedoch wirke der Rücktritt nicht strafbefreiend, wenn der Täter sich infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sehe, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen. Entscheidend sei hierbei, ob ein Umstand für den Täter ein „zwingendes Hindernis“ sei. Diese Maßstäbe seien grundsätzlich auch bei dem beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB anzuwenden. Entscheidend sei, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bliebe. Daran könne es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war.

So sei es im vorliegenden Fall. Nach der Auffassung des Senats befand sich der Angeklagte zum Zeitpunkt, als der Angeklagte die Zeugen ansprach, in einer Situation geprägt von großem innerem Druck, sodass er hierbei zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage gewesen sei.

 

Möglichkeiten der Anstiftung eines strafunmündigen Kindes

BGH, Beschl. v. 13.9.2023 – 5 StR 200/23 (Volltext)

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[…]

Gründe:

1      Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt. Die auf die nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

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Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 13.9.2023 – Az. 5 StR 200/23

von Dr. Lorenz Bode

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Dieser zur Aufnahme in die amtliche Entscheidungssammlung „BGHSt“ vorgesehene Beschluss enthält wichtige Ausführungen zur strafbaren Beteiligung in Fällen, bei denen es um die vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat eines Strafunmündigen geht.

I. Zum Sachverhalt

Dem Sachverhalt[1] nach wirkte der Angeklagte auf einen (wie er wusste) 11-Jährigen ein, damit dieser seine eigene Mutter abends im Bett mit einem Messer töte. Dazu zeigte der Angeklagte dem Minderjährigen auch ein Video, in dem eine entsprechende Tötungsszene zu sehen war. Weitergehende Vorgaben zur Tatbegehung machte er nicht. Der Angeklagte sagte dem Kind jedoch ausdrücklich, dass er die Tat nicht selbst begehen könne, da ihn sonst eine Strafe und das Gefängnis erwarte, während der 11-Jährige, da er noch klein sei, nicht mit einer Strafe rechnen müsse. Zugleich versprach der Angeklagte dem Kind verschiedene Vorteile (etwa Süßigkeiten) als Belohnung für die Tatausführung.

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Dominik Brodowski: Die Evolution des Strafrechts. Strafverfassungsrechtliche, europastrafrechtliche und kriminalpolitische Wirkungen auf Strafgesetzgebung

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2023, Nomos, ISBN: 978-3-8487-8676-3, S. 850, Euro 189,00.

Die monumentale Habilitationsschrift von Brodowski untersucht die strafverfassungsrechtlichen, europarechtlichen und kriminalpolitischen Wirkmechanismen, die die aktuelle „Evolution“, d.h. die Entwicklung des Strafgesetzbuchs in Deutschland, prägen (S. 35).

Begonnen wird mit Vorbemerkungen zu den Säulen des Verfassungsrechts, der Kriminalpolitik und Strafgesetzgebung, bevor im zweiten Teil „Statisches und Dynamisches im Strafrecht“ beschrieben wird (S. 79). § 1 begibt sich auf die „Spurensuche“ danach, welche Wirkmechanismen dafür verantwortlich sind, dass in etlichen Teilen des Strafgesetzbuchs eine große legistische Trägheit herrscht (S. 81). So folge aus der unbefristeten Fortgeltung des Strafgesetzbuches eine reduzierte Möglichkeit, einzelne Strafvorschriften einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zuzuführen (S. 87).

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KONTAKT
schriftleitung@kripoz.de

Herausgeberin
Prof. Dr. Anja Schiemann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR 9/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. 

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Überfall auf einen Kraftfahrer, der anfänglich auf die Verwirklichung einer anderen Straftat abzielte, kann zu einem räuberischen Angriff gem. § 316a StGB werden; jedoch muss hierzu zum Zeitpunkt der Anwendung der Nötigungsmittel der Fahrer noch mit der Beherrschung des Kraftfahrzeuges bzw. der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt sein, um ein taugliches Tatopfer darzustellen.

Sachverhalt:

Unbekannt gebliebene Täter planten, einen LKW-Fahrer durch das Vortäuschen einer Panne zum Anhalten zu zwingen und sodann einen im Beifahrerbereich liegenden, mit Bargeld gefüllten Briefumschlag zu entwenden. Der Angeklagte übernahm für einen Tatlohn i.H.v. 500 EUR die Aufgabe, das Geschehen zusätzlich abzusichern und die Beute in seinem Zimmer zu verstecken.

Am Tag des Tatgeschehens wurde der LKW-Fahrer, wie geplant, zum Anhalten gezwungen. Einer der Täter lief zur Beifahrertür, öffnete sie und griff den Umschlag, woraufhin ihm der Fahrer diesen jedoch wieder aus den Händen riss. Der Angeklagte beschloss nunmehr, sich aktiv am Tatgeschehen zu beteiligen, ging zur Fahrertür und versuchte, dem Fahrer den Briefumschlag wegzunehmen. Jedoch misslang dies dem Angeklagten und der Briefumschlag zerriss. Der Angeklagte und die beiden anderen Beteiligten flüchteten daraufhin.

Das LG hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Die Feststellungen des LG begründen keine Verwirklichung des Tatbestandes des § 316a Abs. 1 StGB. Demnach mache sich nur strafbar, wer eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder eines räuberischen Erpressung einen Angriff auf das Leib, das Leben oder die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeuges oder eines Mitfahrers verübe und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutze. Zwar ergebe sich aus den Feststellungen, dass ein Angriff auf die Entschlussfreiheit des Fahrers geplant war, jedoch sei nicht erkennbar, dass die Beteiligten hierbei in der Absicht handelten, eine Tat i.S.d. § 249 Abs. 1, § 252 oder § 255 StGB zu begehen. Der Briefumschlag sollte nur aus der Fahrerkabine entwendet werden; inwiefern dies durch die Anwendung von Nötigungsmitteln geschehen sollte, kann nicht belegt werden. Hierbei stelle auch die mittels des Fahrzeugs der Beteiligten errichtete Straßenblockade zwar eine nötigende Gewalt dar, jedoch sei nicht festgestellt, dass hierdurch auch eine wenigstens mittelbare Zwangswirkung auf den Körper des Geschädigten entfalten sollte.

Zudem sei auch nicht erkennbar, dass sich der Überfall auf den Kraftfahrer zu einem räuberischen Angriff i.S.d. § 316a StGB wandelte. Für einen räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer gem. § 316a StGB müsse das Opfer im Zeitpunkt des (fortgesetzten) Angriffs noch Fahrzeugführer sein und der Täter die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzen. Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Fahrer vom Betriebsgelände abfuhr und dem Zeitpunkt, wo der Angeklagte den Umschlag gewaltsam an sich reißen wollte, wurde der Kraftfahrer von den Beteiligten ausgebremst und zum Anhalten gezwungen. Nach der Ansicht des Senats war der Fahrer demnach zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten nicht mehr mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt und damit kein taugliches Tatopfer mehr.

 

 

KriPoZ-RR 8/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Motiven des Täters kann bei der Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und einem bedingten Tötungsvorsatz nur dann Gewicht zukommen, wenn alle besonderen Umstände des Tatgeschehens berücksichtigt werden. Ein solcher besonderer Umstand kann eine Interessenwidrigkeit der tödlichen Folge für den Täter sein.

Sachverhalt:

Der 69 Jahre alte Angeklagte bewohnte zum Tatzeitpunkt mit seiner Lebensgefährtin und deren 47 Jahre alten Sohn am Ortsrand eines keinen Dorfes. Der Sohn war aufgrund eines schweren Unfalls erwerbsunfähig und befand sich ab dem Jahr 2018 in einem multimorbiden Zustand. Er bewohnte ein schmales Zimmer im Dachgeschoss, zu dem die Zimmertür ausgehängt war. Dieser Bereich des Hauses war durch eine hölzerne Dachkonstruktion mit der angrenzenden Scheune verbunden.

Der Angeklagte war zunehmend genervt von der Wohnsituation; ihn überforderten nicht nur die Renovierungsarbeiten am Haus, sondern auch die Versorgung des körperlich gebrechlichen Sohnes seiner Lebensgefährtin. Er wusste, dass der Sohn nicht freiwillig auf sein eingeräumtes Wohnrecht verzichten würde und seine Lebensgefährtin diesen nicht unversorgt zurücklassen würde. Also entschloss sich der Angeklagte, das Wohnhaus in Brand zu setzen. Hierzu entzündete er zunächst zahlreiche brennbare Gegenstände in der angrenzenden Scheune, bevor er in das Haus lief und seiner Lebensgefährtin zurief: „Es brennt, wir müssen raus“. Die Scheune brannte vollständig. Der Sohn der Lebensgefährtin wurde aufgrund der giftigen Rauchgase schnell bewusstlos und verstarb in seinem Bett liegend an einer Kohlenmonoxidvergiftung mit hochgradigen Verbrennungen.

Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Es werde zu Recht die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes beanstandet. Hierzu führt der Senat aus:

Vorsätzliches Handeln setze voraus, dass der Täter den Eintritt des Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkenne und ihn zudem billige oder sich zumindest damit abfinde. Bei gefährlichen (Gewalt-)Handlungen liege es besonders nahe, dass der Täter von der Möglichkeit eines Todeseintritts ausgehe. Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährlichen Tuns darf nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern müsse auf Tatsachen gestützt werden. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit eng beieinander liegen, müssen alle für und gegen den Angeklagten sprechenden objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles im Rahmen einer individuellen Gesamtschau berücksichtigt werden.

Die rechtliche Nachprüfung der Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes halte im konkreten Fall nicht stand. Das LG habe sich zwar davon überzeugt, dass dem Angeklagten die objektive Gefährlichkeit des Verhaltens bewusst war, jedoch hatte es einen Tötungsvorsatz verneint, weil der Angeklagte auf das Ausbleiben des Todes ernsthaft vertraut habe. Die Erwägungen, dass der Angeklagte darauf vertraute, dass die Lebensgefährtin ihren Sohn über den Brand informieren würde, können nicht belegt werden.

Zudem habe die Kammer bei der Ablehnung des Willenselements maßgeblich auf ein fehlendes Motiv für eine Tötung abgestellt, obwohl dies nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich sei. Ein besonderer Umstand i.S.e. Interessenwidrigkeit der tödlichen Folge für den Angeklagten sei jedoch vom LG nicht festgestellt worden. Dass der Angeklagte die Wohnungssituation auflösen wollte, bedurfte nicht zwangsweise die Tötung des Sohnes. Dies belege eine Interessenwidrigkeit gerade nicht, sondern lediglich das Fehlen einer Tötungsabsicht. Jedoch genüge für einen Eventualvorsatz bereits die Gleichgültigkeit gegenüber dem hingenommenen Tod des Opfers.

Auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte keinen Brandbeschleuniger im Dachgeschoss ausgebracht hat, könne nicht geschlossen werden, dass ein Tötungsvorsatz fehle. Insbesondere die Überlegung des LG, der Angeklagte habe nicht ausschließbar ernsthaft darauf vertraut, dass der Sohn sich selbst rette, erweise sich als lückenhaft: Es bliebe offen, welche konkreten Umstände für diese Feststellung sprechen. Soweit die Strafkammer darauf abstellte, dass der Angeklagte das Feuer zur Mittagszeit legte, zu der der Geschädigte wach war, so werden hierbei alleine Mutmaßungen benannt.

 

 

KriPoZ-RR 7/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Auch bei einer vorherigen verbalen oder körperlichen Konfrontation kann ein Opfer bei einem darauffolgenden Angriff noch arg- und wehrlos sein. Entscheidend ist hierbei, ob die verbleibende Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff so kurz ist, dass das Opfer sich nicht mehr angemessen verteidigen kann.

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde von dem später Geschädigten K. auf dem Parkplatz eines Supermarktes darauf angesprochen, ob dieser ihm ein Gramm Cannabis liefern könne. In der Folge kam es zu einer verbal geführten Auseinandersetzung, bei der K. dem Angeklagten mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und diesen in der Folge beleidigte. K. wandte sich danach ab und entfernte sich.

Diese Demütigung wollte der Angeklagte nicht auf sich beruhen lassen und beschloss, mittels seines Fahrzeugs den Geschädigten anzufahren. Er fuhr rückwärts aus dem Parkplatz und folgte dem Geschädigten; dabei missachtete er die Vorfahrt eines anderen Verkehrsteilnehmers und bremste scharf. Der Angeklagte nahm die Bremsgeräusche war und sah, dass der Angeklagte in seine Richtung abgebogen war. Jedoch wollte er keine Blöße zeigen, drehte sich um und lief weiter. Der Angeklagte gab nunmehr Vollgas und fuhr den Geschädigten mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h von hinten um. Der Geschädigte wandte sich kurz um, ihm verbliebt jedoch keine Zeit, der bevorstehenden Kollision auszuweichen. Der Aufprall schleuderte den Geschädigten auf den Bürgersteig, wo dieser reglos liegen blieb. Der Geschädigte erlitt durch den Aufprall unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades sowie eine Rippenknorpelfraktur. Erheblichere Verletzungen blieben jedoch aus.

Das LG hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, den Anrechnungsmaßstab für die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft bestimmt, eine isolierte Fahrerlaubnissperre verhängt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Urteil weist keine Rechtsfehler auf. Hierzu erörtert der Senat:

Heimtückisch handele, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutze. Arglos sei ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriffs rechne. Dabei könne die Arg- und Wehrlosigkeit auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgehe, dass Opfer trotzdem in der Tatsituation nicht (mehr) mit einem Angriff rechne. Entscheidend sei, dass der Täter das arglose Opfer überrascht und dadurch verhindert, dass der Anschlag auf das Leben des Opfers erschwert wird. Dies könne auch vorliegen, wenn der Täter dem Opfer feindselig gegenübertrete, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff jedoch so kurz sei, dass keine Möglichkeit zur Verteidigung verbleibe.

Demnach habe die Kammer das heimtückische Handeln des Angeklagten tragfähig belegt. Zwar ging dem Geschehen eine verbale Auseinandersetzung voraus; jedoch verhielt sich der Angeklagte hierbei zurückhaltend und passiv. Der Geschädigte rechnete nicht mit einem tätlichen Angriff, sondern vielmehr nur damit, dass der Angeklagte diesem „Angst einjagen“ wollte. Dass sich K. vor der Kollision umwandte und den Angriff in letzter Sekunde wahrnahm, ändere nichts daran, dass die verbleibende Zeitpanne zu kurz gewesen sei, um der Gefahr angemessen zu begegnen.

 

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