Referentenentwurf zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts

Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts vom 30. Juli 2024, BGBl I Nr. 255

Gesetzentwürfe: 

 

Auf Grundlage der Eckpunkte zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts hat das BMJ am 17. Juli 2023 einen Referentenentwurf zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts auf den Weg gebracht. Ziel ist es, Strafbarkeitslücken zu schließen und einen weitgehenden Gleichlauf zwischen dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs und dem VStGB herzustellen, Opferrechte zu stärken und die Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Urteile zu verbessern. Der Entwurf wurde am gleichen Tag an die Länder und Verbände verschickt. Sie haben nun bis zum 25. August 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme.

Folgende Änderungen des VStGB sind vorgesehen:

  • Aufnahme der Tatbestandsalternative der Verwendung von Waffen, deren Splitter mit Röntgenstrahlen nicht erkennbar sind, und der Verwendung von dauerhaft blindmachenden Laserwaffen in § 12 VStGB. Die Tat kann damit künftig als Kriegsverbrechen geahndet werden.
  • Aufnahme der Tatbestandsalternativen des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Sklaverei sowie des erzwungenen Schwangerschaftsabbruchs in die §§ 7 und 8 VStGB.
  • Hinsichtlich der Tatbestandsvariante des Gefangenhaltens einer unter Anwendung von Zwang geschwängerten Frau wird in § 8 VStGB eine Absichtsalternative eingefügt.
  • Im Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) soll das Nachfrageerfordernis gestrichen werden.
  • Straftaten nach den §§ 6 bis 8 und 10 bis 12 VStGB werden zur Stärkung der Opfer in den Straftatenkatalog des § 395 Abs. 1 StPO (Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger) aufgenommen.
  • Ebenso werden die Straftaten nach den §§ 6 bis 8 und 10 bis 12 VStGB in den Katalog des § 397a Abs. 1 StPO überführt. Opfer dieser Straftaten werden damit berechtigt, einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin unabhängig von den Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen.
  • § 406g StPO wird dahingehend geändert, dass die zur Nebenklage berechtigten Verletzten von Straftaten nach den §§ 6 bis 8 und 10 bis 12 VStGB auf Antrag eine psychosoziale Prozessbegleitung erhalten.
  • § 397b Abs. 1 StPO (Gemeinschaftliche Nebenklagevertretung) wird um ein zusätzliches Regelbeispiel erweitert.
  • Abschließend wird in § 169 Abs. 2 GVG die Möglichkeit von Ton- und Filmaufnahmen zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken eingefügt, sofern das Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung ist und § 185 GVG um die Zuziehung von Dolmetschern ergänzt. Damit soll klargestellt werden, dass Medienvertreter in Gerichtsverfahren Verdolmetschungen nutzen können, wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind und aus erster Hand berichten wollen.

Dr. Marco Buschmann zum Referentenentwurf:
„Das zentrale Versprechen des Völkerstrafrechts ist von dramatischer Aktualität: Völkerrechtsverbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben! Deutschland hat eine besondere Verantwortung, dieses große Versprechen des Völkerrechts mit Leben zu füllen: aufgrund unserer Geschichte und aufgrund der Stärke unseres Rechtsstaats. Ich setze mich daher für eine Fortentwicklung des deutschen Völkerstrafrechts ein. Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf werden wir im deutschen Recht Strafbarkeitslücken schließen und Opferrechte von Betroffenen von Völkerstraftaten stärken.“

Am 1. November 2023 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf beschlossen. Er wurde bereits am 30. November 2023 erstmals im Bundestag beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. 

Neu im Regierungsentwurf ist der Tatbestand des Verschwindenlassens von Personen, der als § 234b in das StGB eingeführt werden soll: 

„§ 234b – Verschwindenlassen von Personen

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer als Amtsträger oder im Auftrag oder
mit Billigung eines Staates

  1. eine Person entführt oder sonst ihrer körperlichen Freiheit beraubt, wobei im Weiteren die Auskunft
    über ihr Schicksal oder ihren Verbleib verweigert wird, oder
  2. das Schicksal oder den Verbleib einer Person verschleiert, die von einem Amtsträger oder im Auftrag
    oder mit Billigung eines Staates entführt oder sonst ihrer körperlichen Freiheit beraubt worden ist,

und sie dadurch dem Schutz des Gesetzes entzieht.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.“

Flankierend soll § 243b StGB in den Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (“ 126 StGB) und in den Tatbestand der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB) aufgenommen werden und zudem den Katalog des § 100a StPO erweitern. 

Am 31. Januar 2024 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Expert:innen beurteilten den Gesetzentwurf teilweise sehr konträr. Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund und Prof. Dr. Julia Geneuss von der Universität Bremen begrüßten den Entwurf. Geneuss sprach sich insbesondere für den neuen Tatbestand des Verschwindenlassens von Personen aus, mit dem eine formale Strafbarkeitslücke geschlossen werde. Allerdings fokussiere sich der Entwurf zu sehr auf die Tathandlung des Verschleierns, weshalb eine Umsetzungslücke entstanden sei. Außerdem betonte sie, dass zwar die geplante Ton- und Videoaufzeichnung von Verhandlungen wichtig sei, dabei jedoch die Bedenken bzgl. des Aussageverhaltens von Opferzeugen ernst genommen werden müssten. Diese könnten jedoch durch weitere Schutzmechanismen minimiert werden. Dies sah Jasper Klinge vom Deutschen Richterbund e.V. anders. Durch die Neuregelung werde dem Zeugen- und Opferschutz nicht ausreichend Rechnung getragen. Zudem sei die Verwendung für wissenschaftliche und historische Zwecke unklar. Sei eine Weitergabe von Aufnahmen einmal erfolgt, sei dies nicht mehr zu kontrollieren. Dies werde „viele Zeugen von einer umfassenden und wahrheitsgemäßen Aussage spätestens in der Hauptverhandlung abhalten“, so Klinge. Richter am OLG Düsseldorf Andreas Schmidtke kritisierte ebenfalls den fehlenden Opferschutz. Außerdem sprach er sich für eine Einschränkung der Nebenklagebefugnis aus. Patrick Kroker vom European Centre for Constitutional and Human Rights hingegen forderte, dass auch für Opfer von Kriegsverbrechen gegen Eigentum eine Nebenklage möglich sein sollte. So wie Prof. Dr. Kai Ambos von der Georg-August-Universität Göttingen, wünschten sich mehrere Sachverständige eine Auseinandersetzung mit dem Thema der „funktionellen Immunität“. Dies sei im Entwurf nicht aufgegriffen worden, aber ein wichtiger Aspekt bei der Verfolgung von Verbrechen nach dem VStGB. Daher sollte im Gesetz eine Klarstellung erfolgen, dass in diesen Fällen eine funktionelle Immunität ausgeschlossen sei.

Am 5. Juni 2024 wurde der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf vom Rechtsausschuss des Bundestages verabschiedet. Teilweise wurden die in der öffentlichen Anhörung angeklungenen Bedenken bezüglich des ersten Gesetzesentwurfs im Rahmen eines Änderungsantrages umgesetzt. Hierzu gehört unter anderem, dass der Ausschluss der „funktionellen Immunität“ bei der Verfolgung von Völkerstraftaten im Gerichtsverfassungsgesetz gesetzlich normiert werden soll.

Am 6. Juni 2024 äußerte sich auch der Bundesrat in einer Stellungnahme zu den geplanten Änderungen und dem Entwurf generaliter. In der Unterrichtung schlägt der Bundesrat vor, den Ermittlungsbehörden zur Verfolgung insbesondere der neu geplanten Strafvorschriften (z.B. § 234b StGB-E) weitere Verfolgungsinstrumente an die Hand zu geben. Die Ermittler sollen nicht nur die Telekommunikationsüberwachung nutzen dürfen, sondern auch die retrograde Verkehrsdatenerhebung und die Onlinedurchsuchung. Am selben Tag wurde der Entwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts im Bundestag in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (20/11661) bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen. Dieser Entwurf passierte schließlich am 5. Juli 2024 den Bundesrat. 

Das Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafgesetzbuches wurde am 2. August 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat bereits einen Tag später in Kraft (BGBl I 2024, Nr. 255).

 

 

Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches

Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches vom 22. Dezember 2016: BGBl I 2016, Nr. 65, S. 3150

Gesetzentwürfe:

Beschlussempfehlung und Bericht des 6. Ausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BT Drs. 18/10509

Nachdem sich die Vertragsstaaten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs auf der Konferenz in Kampala endlich auf die Definition eines Straftatbestands der Aggression einigen konnten, ist der deutsche Gesetzgeber nach dem Grundsatz der Komplementarität in der Pflicht, einen ebensolchen Verbrechenstatbestand einzuführen.

Die Gerichtsbarkeit des IStGH wird für den Tatbestand der Aggression nach der Ratifizierung durch mindestens 30 Vertragsstaaten, frühestens jedoch nach dem 1. Januar 2017 aktiviert. Der deutsche Gesetzgeber hat sein Völkerstrafgesetzbuch nun zum 1. Januar 2017 aktualisiert und mit § 13 VStGB das Verbrechen der Aggression unter Strafe gestellt. Dadurch wurde der bisherige § 80 StGB („Vorbereitung eines Angriffskriegs“) durch § 13 VStGB ersetzt und die Strafbarkeit erweitert: es ist nun erstmals auch die tatsächliche Durchführung eines Angriffskrieges strafbar, während bislang lediglich die Vorbereitung eines Angriffskriegs strafrechtlich erfasst war.

 

 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen