Entscheidungen aus dem Jahr 2020 finden Sie hier. Hier finden Sie Rechtsprechung der Verfassungs- und Oberverwaltungsgerichte zu den Corona-Verordnungen der einzelnen Bundesländer:
Entscheidungen des BGHs und BVerfGs:
BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 3 ZB 4/21: Unterbindungsgewahrsam wegen Verstoßes gegen Coronaschutzverordnung zulässig
Der BGH hat entschieden, dass § 3 Abs. 2 Nr. 8 der Coronaschutzverordnung NRW und die bußgeldbewehrte Anordnung kein Verfassungsrecht verletzen und damit die Rechtsbeschwerde des Betroffenen verworfen. Zur Unterbindung der Ordnungswidrigkeit war die angeordnete Freiheitsentziehung nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW nicht zu beanstanden. ⇒ KriPoZ-RR, Beitrag 08/2022
BVerfG, Beschl. v. 31.01.2022 – 1 BvR 208/22: Vorsorgliches Verbot von Corona-Protesten gebilligt
Das BVerfG hat in einem Eilantrag entschieden, dass das vorsorgliche Verbot von nicht angemeldeten Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen („Montagsspaziergängen“) vorerst bestehen bleibt. Der Antrag des Antragstellers wurde damit abgelehnt.
Der Schutz von Leben und körperlicher Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) als geschützte Interessen der Allgemeinheit überwiege in einer Folgeabwägung gegenüber den Eingriffen in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) des Beschwerdeführers. Insbesondere die Organisation der Versammlung (Anmeldung als unangemeldeter Spaziergang) verunmögliche die Kooperation mit der Versammlungsbehörde und spreche zu Lasten des Beschwerdeführers.
Im Hauptsacheverfahren sei die offene Frage zu klären, ob ein präventives Versammlungsverbot mit Art. 8 GG vereinbar sei.
BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20: Der Gesetzgeber muss Menschen mit Behinderung schützen („Triage-Urteil“)
Dem Staat ist es verboten Menschen wegen ihrer Behinderung unmittelbar oder mittelbar zu diskriminieren. Das Verbot sowie der Schutz vor Benachteiligung aufgrund der Behinderung auch durch Dritte ergeben sich aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
Dieser Schutzauftrag kann zu einer Schutzpflicht ausgedehnt werden, wenn bestimmte Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit vorliegen. Hierzu zählt die gezielte Ausgrenzung von Personen wegen einer Behinderung in Situationen, in denen eine Gefahr für hochrangige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter wie das Leben oder auch Situationen struktureller Ungleichheit vorliegt.
Der Grund für diese Schutzpflicht ergibt sich aus dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen. ⇒ KriPoZ-RR, Beitrag 59/2021
BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – 1 BvR 798/21 – 1 BvR 805/21 – 1 BvR 854/21 – 1 BvR 860/21 – 1 BvR 889/21: Corona-„Notbremse“ war verhältnismäßig
Das BVerfG hat entschieden, dass die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, die mit Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 23.04.2021 in das IfSG eingefügt wurden (§ 28 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 10, Abs. 7; § 28 c), mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Verfassungsbeschwerden aller Beschwerdeführer wurden verworfen.
Durch die Neuregelungen liege eine erhebliche Verletzung in die Freiheit der Person, in die allgemeine Handlungsfreiheit sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und in das Ehe- und Familiengrundrecht vor. Die Maßnahmen seien jedoch Bestandteil eines Schutzkonzeptes, welches der Gesetzgeber zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems entwickelt habe. Trotz des Eingriffsgewichtes überwiege die Bedeutung der überragend wichtigen Gemeinwohlbelange. Die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen seien damit verhältnismäßig und würden den verfassungsmäßigen Anforderungen standhalten.
BVerfG, Beschl. v. 01.06.2021 / 31.05.2021 – 1 BvR 927/21 / 1 BvR 794/21: Weitere Anträge gegen Viertes Bevölkerungsschutzgesetz (Bundesnotbremse) erfolglos
In weiteren Anträgen haben sich verschiedene Interessensgruppen (Sportler, Einzelhändler, Kosmetiker etc.) gegen die sie jeweils betreffenden Regelungen des IfSG an das BVerfG gewendet.
Wiederum hat das Verfassungsgericht festgestellt, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen anzusehen sind und sich die Begründetheit der Eilanträge daher anhand einer sog. doppelten Folgenabwägung zu beurteilen sind. Diese komme zu dem Ergebnis, dass der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers noch nicht überschritten worden sei und die Einschränkungen der sog. Bundesnotbremse daher in Kraft bleiben.
BVerfG, Beschl. v. 20.05.2021 – 1 BvR 968/21; 1 BvQ 64/21; 1 BvR 900/21; 1 BvR 928/21: Viertes Bevölkerungsschutzgesetzt bleibt in Kraft
Das BVerfG hat in mehreren Eilanträgen entschieden, dass die Änderungen des vierten Bevölkerungsschutzgesetzes am IfSG nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt werden. Mehrere Beschwerdeführende hatten die verschärften Regelungen für den Einzelhandel, die Schulschließungen, das Verbot kulutreller Veranstaltungen sowie die sonstigen Kontaktbeschränkungen angegriffen.
Nach Ansicht des BVerfG genügten die Vorwürfe der Unverhältnismäßigkeit nicht den hohen Hürden für eine vorläufige Außervollzugsetzung. Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerden in der Hauptsachen seien offen und die deshalb anzustellende Folgenabwägung gehe jeweils zu Lasten der Beschwerdeführenden aus.
BVerfG, Beschl. v. 05.05.2021 – 1 BvR 781/21: Bundesnotbremse wird nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt
Das BVerfG hat entschieden, dass die mit dem vierten Bevölkerungsschutzgesetz eingeführte bundesweite Notbremse mit nächtlicher Ausgangssperre nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt wird. Die Regelgungen seien nicht offensichtlich verfassungswidrig, da sie einem legitimen Zweck dienten und die Angemessenheit nicht klar negativ ausfalle und letztlich im umfassenden Hauptsacheverfahren beurteilt werden müsse. Die deshalb anzustellende Folgenabwägung gehe zulasten der Antragsteller aus, da die möglichen Folgen, wenn das Gesetz außer Vollzug gesetzt würde, es jedoch verfassungsgemäß wäre, deutlich gravierender seien, als in der entgegengesetzten Konstellation.
Entscheidungen anderer VGs und OVGs:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 1 S 16/22: OVG erklärt präventives Verbot unangemeldeter Corona-Demonstratitionen für zulässig
Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass präventive Verbote für unangemeldete Demonstrationen zulässig sind. Damit wurde die Entscheidung des VG Cottbus aufgehoben.
Es seien durch die Polizei ausreichend Gründe aufgeführt worden, dass es zu massiven Verstößen gegen die Coronaverordnung kommen könne. Insbesondere spreche die bewusst unterlassene Anmeldung der Versammlung für diese Annahme. Hinzu komme, dass eine hohe Infektionsgefahr bestehe.
BayVGH, Beschl. v. 19.01.2022 – 20 NE 21.3119: 2G-Regel im Einzelhandel wird vorläufig außer Vollzug gesetzt
Auch der BayVGH hat entschieden, dass die bislang geltende 2G-Regel im Einzelhandel vorläufig außer Vollzug gesetzt wird. Dem Eilantrag der Antragstellerin hat das Gericht stattgegeben.
Die Regelung greife in die Berufsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz der Antragstellerin ein. Bei der vorliegend strittigen Ausnahmeregelung „Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarf“ ergebe sich nicht mit hinreichender Klarheit aus der Verordnung selbst welche Ladengeschäfte hiervon betroffen seien. Dies müsse sich aber – insbesondere für „Mischsortimente“ – aus der Verordnung selbst ergeben und nicht auf gerichtlicher Ebene entschieden werden.
OVG NRW, Beschl. v. 22.12.2021 – 13 B 1858/21.NE: 2G-Regel im Einzelhandel ist nicht offensichtlich unverhältnismäßig
Das OVG NRW hat entschieden, dass die 2G-Regel im Einzelhandel in Kraft bleibt, da die Regelungen nicht offensichtlich unverhältnismäßig seien. Der Antrag der Antragstellerin wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Zwar greife die Maßnahme als Berufsausübungsregelung in Art. 12 Abs. 1 GG der betroffenen Betreiber sowie in Art. 2 Abs. 1 GG der potentiellen Kunden ein, gegenüber dem bezweckten Gesundheitsschutz der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als Rechtsgut von überragender Bedeutung sei dieser Eingriff allerdings gerechtfertigt.
Auch das OVG Saarland, VG Berlin und OVG Schleswig-Holstein beschlossen, dass die 2G-Regel im Einzelhandel in Kraft bleibt. Anders hingegen entschied das OVG Niedersachsen und setzte die 2G-Regel vorläufig außer Vollzug.
OVG Bremen, Beschl. v. 12.04.2021 – 1 B 123/21: Gastro-Schließung bleibt bestehen
Das OVG Bremen hat entschieden, dass die Beschränkungen für die Gastronomie aufgrund der Bremischen Coronaverordnung (§ 4 Abs. 2 Nr. 8) offensichtlich rechtmäßig sind und daher nicht einstweilig aufgehoben werden. Damit hat das Gericht den Eilanträgen dreier Gastronomiebetreibern nicht abgeholfen.
Das OVG hält eine Inanspruchnahme der Gastronomen als sog. Nichtstörer für möglich, da auch Dritte nach dem IfSG Adressat infektionsschützender Maßnahmen sein könnten. Darüber hinaus sei die Maßnahme auch verhältnismäßig, da zwar die Ansteckungsgefahr im Freien nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wesentlich geringer sei, aber eine Schließung der Außengastronomie solle laut der Begründung des Gesetzgebers die Mobilität der Bevölkerung im Gesamten senken, was eine zulässige Erwägung innerhalb des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums darstelle.
OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09.04.2021 – 13 MN 170/21: Quarantänepflicht bei Rückreise bleibt in Kraft
Das OVG Niedersachsen hat entschieden, dass die Pflicht für Reiserückkehrer, sich in Quarantäne zu begeben, nicht offensichtlich rechtswidrig sei und daher nicht außer Vollzug gesetzt werde.
Es sei offen, ob die Regelung eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, jedoch genügten offene Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht, um das Aussetzungsinteresse überwiegen zu lassen, da die anzustellende Folgenabwägung zugunsten des weiteren Vollzugs der Regelung ausgehe.
OVG NRW, Beschl. v. 19.03.2021 – 13 B 252/21.NE: Beschränkungen des Einzelhandels in NRW aufgehoben
Das OVG NRW in Münster hat die Beschränkungen für den Einzelhandel in der CoronaSchVO NRW vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das Gericht hatte in der Differenzierung zwischen einzelnen Handelszweigen eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen. Wenn kein sachlicher Differenzierungsgrund mehr ersichtlich sei, überschreite der Verordnungsgeber seinen ohnehin schon großen Gestaltungsspielraum, so die Richter.
OLG Hamm, Beschl. v. 08.02.2021 – 1 RBs 2, 4-5/21: Ansammlungsverbot der CoronaSchVO NRW voraussichtlich rechtmäßig
Das OLG Hamm hat in mehreren Beschlüssen entschieden, dass das Ansammlungsverbot im öffentlichen Raum (§ 12 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 3 Nr. 2 CoronaSchVO) rechtmäßig ist. Das Verbot sei von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Begriffliche Unbestimmtheiten bestünden bei den Begriffen „Zusammenkunft“ und „Ansammlung“ nicht. Auch bestünden keine Bedenken gegen die materielle rechtmäßigkeit der Regelung, da sie insbesondere verhältnismäßig sei.
Eine ähnliche Entscheidung erging am 28.01.2021 vom 4. Senat für Bußgeldsachen: 4 RBs 446/20.
SächsOVG, Beschl. v. 07.02.2021 – 3 B 424/20: § 5 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 SächsCoronaSchVO sind voraussichtlich rechtmäßig
Das Sächsische OVG hat entschieden, dass die Zutrittsbeschränkung für Groß- und Einzelhandelsmärkte, die eine Verkaufsfläche von über 800 qm aufweisen, voraussichtlich rechtmäßig ist und somit nicht einstweilen außer Vollzug zu setzten ist.
Die Verordnung der Sächsischen Staatsregierung stütze sich auf eine ausreichende Verordnungsermächtigung, die Voraussetzungen dieser lägen zudem auch vor, die Norm sei ausreichend bestimmt und greife zudem nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte der Antragstellerin ein.
BayVGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 20 NE 21.162: 15 KM-Regelung außer Kraft gesetzt
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die 15 KM-Regelung aus § 25 Abs. 1 Satz 1-3 BayIfSMV vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Norm verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG), da für den Bürger nicht erkennbar sei, welchen räumlichen Geltungsbereich die ihn hieraus treffende Pflicht, keine touristische Tagesausflüge über einen Umkreis von 15 km um die Wohnortgemeinde zu unternehmen, hat. Sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht sei aus der Regelung nicht unmittelbar ersichtlich, ab welchem Zeitpunkt das Verbot gelte und wie sich der erlaubte Aufenthaltsbereich für den Normunterworfenen konkret darstelle.
OVG Thüringen, Beschl. v. 07.01.2021 – 3 EN 851/20: Schließung des Einzelhandels gerechtfertigt
Das OVG Thüringen hat den Antrag auf Außervollzugsetzung der Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung einer Möbelhausbetreiberin abgelehnt.
Es müsse offenbleiben, ob die Differenzierung in § 8 Abs. 2 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO, wonach Geschäfte des Einzelhandels für den Publikumsverkehr grundsätzlich zu schließen seien, jedoch der Kfz-Handel weiterhin geöffnet sei, nach Art. 3 GG sachlich zu rechtfertigen sei. Eine solche Rechtfertigung sei ausgehend von der besonderen Infektionslage und dem dadurch bedingten Handlungsdruck des Verordnungsgebers nicht ausgeschlossen, so das OVG.
Allein eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes eröffne dem Verordnungsgeber, soweit nicht andere rechtserhebliche Gesichtspunkte Anderes geböten erneut einen Entscheidungsspielraum, diesen Gleichheitsverstoß zu beseitigen. Dies schließe vorliegend nicht aus, im Interesse des Infektionsschutzes und der Vermeidung weiterer Infektionen, Kontaktbeschränkungen gegebenenfalls auch für weitere, bislang geöffnete Bereiche des Wirtschaftslebens einzuführen.