KriPoZ-RR, Beitrag 91/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 StR 431/20: Corona-Hemmungsgrund des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO

Amtlicher Leitsatz:

Zur Anwendbarkeit des Hemmungsgrundes des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO bei ärztlich angeratener Kontaktvermeidung eines Prozessbeteiligten zum Schutz von dessen Ehegatten vor einer Ansteckung durch das SARS-CoV-2-Virus.

Sachverhalt:

Das LG Bielefeld hat den Angeklagten in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Delikte verurteilt.

Für die der Revision zugrundeliegende Verfahrensrüge war folgendes Geschehen maßgeblich:

Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten war am 13. März 2020 unterbrochen und erst am 30. April 2020 fortgesetzt worden. An diesem Tag war dann ein Beschluss verkündet worden, der mitteilte, dass der Lauf der Unterbrechungsfrist vom 28. März bis zum 29. April nach § 10 EGStPO gehemmt gewesen sei. Zur Begründung war darauf abgestellt worden, dass der Vorsitzende am 28. März von einer unaufschiebbaren Herzoperation des Ehemannes einer Schöffin terminiert auf den 14. April erfahren habe. Um die Gesundheit ihres Ehemannes nicht zu gefährden, habe die Schöffin daher alle Kontakte zur Außenwelt auf ein Minimum herunterfahren müssen.

Der Revisionsführer hat gerügt, dass die Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 StPO nicht eingehalten worden sei sowie die Voraussetzungen des § 10 EGStPO nicht vorgelegen hätten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten.

Das Verstreichenlassen der Dreiwochenfrist stelle keinen Rechtsverstoß dar, da die Hemmungswirkung des § 10 EGStPO kraft Gesetzes eintrete. Der grundsätzlich deklaratorische Beschluss habe also nur in Bezug auf die unanfechtbare Feststellung des Beginns und des Endes der Hemmung konstitutive Bedeutung, so der BGH.

Zu den Voraussetzungen des § 10 EGStPO führte der Senat aus, dass die Feststellung der Hemmung aufgrund des § 336 Satz 2 Alt. 1 StPO lediglich einer Willkürprüfung unterzogen werden könne. Danach sei die Schutzmaßnahme aufgrund der ärztlichen Empfehlung nachvollziehbar gewesen, da sie zum Schutz einer zur Risikogruppe gehörenden Person gedient habe.

Dieses Hindernis zur Durchführung der Hauptverhandlung beruhe zwar nur mittelbar auf den Schutzmaßnahmen, da die Schöffin nicht selbst, sondern lediglich ihr Ehemann betroffen war. Dies sei nach der Gesetzesbegründung jedoch unerheblich.

Dass das LG keine anderen Infektionsschützenden Maßnahmen getroffen habe, sondern die Hauptverhandlung für eine längere Zeitspanne unterbrochen hat, sei jedenfalls nicht willkürlich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, so der Senat.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 10 EGStPO war am 27. März 2020 durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie eingeführt worden, um die Unterbrechung strafrechtlicher Hauptverhandlungen aus Infektionsschutzgesichtspunkten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zu ermöglichen.

 

 

 

 

Obergerichtliche Rechtsprechung betreffend Corona-Verordnungen

Entscheidungen aus dem Jahr 2020 finden Sie hier. Hier finden Sie Rechtsprechung der Verfassungs- und Oberverwaltungsgerichte zu den Corona-Verordnungen der einzelnen Bundesländer:

 

Entscheidungen des BGHs und BVerfGs:

 

BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 3 ZB 4/21: Unterbindungsgewahrsam wegen Verstoßes gegen Coronaschutzverordnung zulässig

Der BGH hat entschieden, dass § 3 Abs. 2 Nr. 8 der Coronaschutzverordnung NRW und die bußgeldbewehrte Anordnung kein Verfassungsrecht verletzen und damit die Rechtsbeschwerde des Betroffenen verworfen. Zur Unterbindung der Ordnungswidrigkeit war die angeordnete Freiheitsentziehung nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW nicht zu beanstanden. ⇒ KriPoZ-RR, Beitrag 08/2022

 

BVerfG, Beschl. v. 31.01.2022 – 1 BvR 208/22: Vorsorgliches Verbot von Corona-Protesten gebilligt

Das BVerfG hat in einem Eilantrag entschieden, dass das vorsorgliche Verbot von nicht angemeldeten Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen („Montagsspaziergängen“) vorerst bestehen bleibt. Der Antrag des Antragstellers wurde damit abgelehnt. 

Der Schutz von Leben und körperlicher Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) als geschützte Interessen der Allgemeinheit überwiege in einer Folgeabwägung gegenüber den Eingriffen in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) des Beschwerdeführers. Insbesondere die Organisation der Versammlung (Anmeldung als unangemeldeter Spaziergang) verunmögliche die Kooperation mit der Versammlungsbehörde und spreche zu Lasten des Beschwerdeführers. 

Im Hauptsacheverfahren sei die offene Frage zu klären, ob ein präventives Versammlungsverbot mit Art. 8 GG vereinbar sei. 

 

BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20: Der Gesetzgeber muss Menschen mit Behinderung schützen („Triage-Urteil“)

Dem Staat ist es verboten Menschen wegen ihrer Behinderung unmittelbar oder mittelbar zu diskriminieren. Das Verbot sowie der Schutz vor Benachteiligung aufgrund der Behinderung auch durch Dritte ergeben sich aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.

Dieser Schutzauftrag kann zu einer Schutzpflicht ausgedehnt werden, wenn bestimmte Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit vorliegen. Hierzu zählt die gezielte Ausgrenzung von Personen wegen einer Behinderung in Situationen, in denen eine Gefahr für hochrangige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter wie das Leben oder auch Situationen struktureller Ungleichheit vorliegt.

Der Grund für diese Schutzpflicht ergibt sich aus dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen. ⇒ KriPoZ-RR, Beitrag 59/2021

 

BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – 1 BvR 798/21 – 1 BvR 805/21 – 1 BvR 854/21 – 1 BvR 860/21 – 1 BvR 889/21: Corona-„Notbremse“ war verhältnismäßig

Das BVerfG hat entschieden, dass die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, die mit Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 23.04.2021 in das IfSG eingefügt wurden (§ 28 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 10, Abs. 7; § 28 c), mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Verfassungsbeschwerden aller Beschwerdeführer wurden verworfen.

Durch die Neuregelungen liege eine erhebliche Verletzung in die Freiheit der Person, in die allgemeine Handlungsfreiheit sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und in das Ehe- und Familiengrundrecht vor. Die Maßnahmen seien jedoch Bestandteil eines Schutzkonzeptes, welches der Gesetzgeber zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems entwickelt habe. Trotz des Eingriffsgewichtes überwiege die Bedeutung der überragend wichtigen Gemeinwohlbelange. Die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen seien damit verhältnismäßig und würden den verfassungsmäßigen Anforderungen standhalten.

 

BVerfG, Beschl. v. 01.06.2021 / 31.05.2021 – 1 BvR 927/21 / 1 BvR 794/21: Weitere Anträge gegen Viertes Bevölkerungsschutzgesetz (Bundesnotbremse) erfolglos

In weiteren Anträgen haben sich verschiedene Interessensgruppen (Sportler, Einzelhändler, Kosmetiker etc.) gegen die sie jeweils betreffenden Regelungen des IfSG an das BVerfG gewendet.

Wiederum hat das Verfassungsgericht festgestellt, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen anzusehen sind und sich die Begründetheit der Eilanträge daher anhand einer sog. doppelten Folgenabwägung zu beurteilen sind. Diese komme zu dem Ergebnis, dass der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers noch nicht überschritten worden sei und die Einschränkungen der sog. Bundesnotbremse daher in Kraft bleiben.

 

BVerfG, Beschl. v. 20.05.2021 – 1 BvR 968/21; 1 BvQ 64/21; 1 BvR 900/21; 1 BvR 928/21: Viertes Bevölkerungsschutzgesetzt bleibt in Kraft

Das BVerfG hat in mehreren Eilanträgen entschieden, dass die Änderungen des vierten Bevölkerungsschutzgesetzes am IfSG nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt werden. Mehrere Beschwerdeführende hatten die verschärften Regelungen für den Einzelhandel, die Schulschließungen, das Verbot kulutreller Veranstaltungen sowie die sonstigen Kontaktbeschränkungen angegriffen.

Nach Ansicht des BVerfG genügten die Vorwürfe der Unverhältnismäßigkeit nicht den hohen Hürden für eine vorläufige Außervollzugsetzung. Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerden in der Hauptsachen seien offen und die deshalb anzustellende Folgenabwägung gehe jeweils zu Lasten der Beschwerdeführenden aus.

 

BVerfG, Beschl. v. 05.05.2021 – 1 BvR 781/21: Bundesnotbremse wird nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt

Das BVerfG hat entschieden, dass die mit dem vierten Bevölkerungsschutzgesetz eingeführte bundesweite Notbremse mit nächtlicher Ausgangssperre nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt wird. Die Regelgungen seien nicht offensichtlich verfassungswidrig, da sie einem legitimen Zweck dienten und die Angemessenheit nicht klar negativ ausfalle und letztlich im umfassenden Hauptsacheverfahren beurteilt werden müsse. Die deshalb anzustellende Folgenabwägung gehe zulasten der Antragsteller aus, da die möglichen Folgen, wenn das Gesetz außer Vollzug gesetzt würde, es jedoch verfassungsgemäß wäre, deutlich gravierender seien, als in der entgegengesetzten Konstellation.

 

Entscheidungen anderer VGs und OVGs:

 

OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 1 S 16/22: OVG erklärt präventives Verbot unangemeldeter Corona-Demonstratitionen für zulässig

Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass präventive Verbote für unangemeldete Demonstrationen zulässig sind. Damit wurde die Entscheidung des VG Cottbus aufgehoben. 

Es seien durch die Polizei ausreichend Gründe aufgeführt worden, dass es zu massiven Verstößen gegen die Coronaverordnung kommen könne. Insbesondere spreche die bewusst unterlassene Anmeldung der Versammlung für diese Annahme. Hinzu komme, dass eine hohe Infektionsgefahr bestehe.

 

BayVGH, Beschl. v. 19.01.2022 – 20 NE 21.3119: 2G-Regel im Einzelhandel wird vorläufig außer Vollzug gesetzt

Auch der BayVGH hat entschieden, dass die bislang geltende 2G-Regel im Einzelhandel vorläufig außer Vollzug gesetzt wird. Dem Eilantrag der Antragstellerin hat das Gericht stattgegeben. 

Die Regelung greife in die Berufsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz der Antragstellerin ein. Bei der vorliegend strittigen Ausnahmeregelung „Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarf“ ergebe sich nicht mit hinreichender Klarheit aus der Verordnung selbst welche Ladengeschäfte hiervon betroffen seien. Dies müsse sich aber – insbesondere für „Mischsortimente“ – aus der Verordnung selbst ergeben und nicht auf gerichtlicher Ebene entschieden werden. 

 

OVG NRW, Beschl. v. 22.12.2021 – 13 B 1858/21.NE: 2G-Regel im Einzelhandel ist nicht offensichtlich unverhältnismäßig

Das OVG NRW hat entschieden, dass die 2G-Regel im Einzelhandel in Kraft bleibt, da die Regelungen nicht offensichtlich unverhältnismäßig seien. Der Antrag der Antragstellerin wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Zwar greife die Maßnahme als Berufsausübungsregelung in Art. 12 Abs. 1 GG der betroffenen Betreiber sowie in Art. 2 Abs. 1 GG der potentiellen Kunden ein, gegenüber dem bezweckten Gesundheitsschutz der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als Rechtsgut von überragender Bedeutung sei dieser Eingriff allerdings gerechtfertigt.

Auch das OVG Saarland, VG Berlin und OVG Schleswig-Holstein beschlossen, dass die 2G-Regel im Einzelhandel in Kraft bleibt. Anders hingegen entschied das OVG Niedersachsen und setzte die 2G-Regel vorläufig außer Vollzug.

 

OVG Bremen, Beschl. v. 12.04.2021 – 1 B 123/21: Gastro-Schließung bleibt bestehen

Das OVG Bremen hat entschieden, dass die Beschränkungen für die Gastronomie aufgrund der Bremischen Coronaverordnung (§ 4 Abs. 2 Nr. 8) offensichtlich rechtmäßig sind und daher nicht einstweilig aufgehoben werden. Damit hat das Gericht den Eilanträgen dreier Gastronomiebetreibern nicht abgeholfen.

Das OVG hält eine Inanspruchnahme der Gastronomen als sog. Nichtstörer für möglich, da auch Dritte nach dem IfSG Adressat infektionsschützender Maßnahmen sein könnten. Darüber hinaus sei die Maßnahme auch verhältnismäßig, da zwar die Ansteckungsgefahr im Freien nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wesentlich geringer sei, aber eine Schließung der Außengastronomie solle laut der Begründung des Gesetzgebers die Mobilität der Bevölkerung im Gesamten senken, was eine zulässige Erwägung innerhalb des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums darstelle.

 

OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09.04.2021 – 13 MN 170/21: Quarantänepflicht bei Rückreise bleibt in Kraft

Das OVG Niedersachsen hat entschieden, dass die Pflicht für Reiserückkehrer, sich in Quarantäne zu begeben, nicht offensichtlich rechtswidrig sei und daher nicht außer Vollzug gesetzt werde.

Es sei offen, ob die Regelung eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, jedoch genügten offene Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht, um das Aussetzungsinteresse überwiegen zu lassen, da die anzustellende Folgenabwägung zugunsten des weiteren Vollzugs der Regelung ausgehe.

 

OVG NRW, Beschl. v. 19.03.2021 – 13 B 252/21.NE: Beschränkungen des Einzelhandels in NRW aufgehoben

Das OVG NRW in Münster hat die Beschränkungen für den Einzelhandel in der CoronaSchVO NRW vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das Gericht hatte in der Differenzierung zwischen einzelnen Handelszweigen eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen. Wenn kein sachlicher Differenzierungsgrund mehr ersichtlich sei, überschreite der Verordnungsgeber seinen ohnehin schon großen Gestaltungsspielraum, so die Richter.

 

OLG Hamm, Beschl. v. 08.02.2021 – 1 RBs 2, 4-5/21: Ansammlungsverbot der CoronaSchVO NRW voraussichtlich rechtmäßig

Das OLG Hamm hat in mehreren Beschlüssen entschieden, dass das Ansammlungsverbot im öffentlichen Raum (§ 12 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 3 Nr. 2 CoronaSchVO) rechtmäßig ist. Das Verbot sei von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Begriffliche Unbestimmtheiten bestünden bei den Begriffen „Zusammenkunft“ und „Ansammlung“ nicht.  Auch bestünden keine Bedenken gegen die materielle rechtmäßigkeit der Regelung, da sie insbesondere verhältnismäßig sei.

Eine ähnliche Entscheidung erging am 28.01.2021 vom 4. Senat für Bußgeldsachen: 4 RBs 446/20.

 

SächsOVG, Beschl. v. 07.02.2021 – 3 B 424/20: § 5 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 SächsCoronaSchVO sind voraussichtlich rechtmäßig

Das Sächsische OVG hat entschieden, dass die Zutrittsbeschränkung für Groß- und Einzelhandelsmärkte, die eine Verkaufsfläche von über 800 qm aufweisen, voraussichtlich rechtmäßig ist und somit nicht einstweilen außer Vollzug zu setzten ist.

Die Verordnung der Sächsischen Staatsregierung stütze sich auf eine ausreichende Verordnungsermächtigung, die Voraussetzungen dieser lägen zudem auch vor, die Norm sei ausreichend bestimmt und greife zudem nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte der Antragstellerin ein.

 

BayVGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 20 NE 21.162: 15 KM-Regelung außer Kraft gesetzt

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die 15 KM-Regelung aus § 25 Abs. 1 Satz 1-3 BayIfSMV vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Norm verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG), da für den Bürger nicht erkennbar sei, welchen räumlichen Geltungsbereich die ihn hieraus treffende Pflicht, keine touristische Tagesausflüge über einen Umkreis von 15 km um die Wohnortgemeinde zu unternehmen, hat. Sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht sei aus der Regelung nicht unmittelbar ersichtlich, ab welchem Zeitpunkt das Verbot gelte und wie sich der erlaubte Aufenthaltsbereich für den Normunterworfenen konkret darstelle.

 

OVG Thüringen, Beschl. v. 07.01.2021 – 3 EN 851/20: Schließung des Einzelhandels gerechtfertigt

Das OVG Thüringen hat den Antrag auf Außervollzugsetzung der Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung einer Möbelhausbetreiberin abgelehnt.

Es müsse offenbleiben, ob die Differenzierung in § 8 Abs. 2 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO, wonach Geschäfte des Einzelhandels für den Publikumsverkehr grundsätzlich zu schließen seien, jedoch der Kfz-Handel weiterhin geöffnet sei, nach Art. 3 GG sachlich zu rechtfertigen sei. Eine solche Rechtfertigung sei ausgehend von der besonderen Infektionslage und dem dadurch bedingten Handlungsdruck des Verordnungsgebers nicht ausgeschlossen, so das OVG.

Allein eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes eröffne dem Verordnungsgeber, soweit nicht andere rechtserhebliche Gesichtspunkte Anderes geböten erneut einen Entscheidungsspielraum, diesen Gleichheitsverstoß zu beseitigen. Dies schließe vorliegend nicht aus, im Interesse des Infektionsschutzes und der Vermeidung weiterer Infektionen, Kontaktbeschränkungen gegebenenfalls auch für weitere, bislang geöffnete Bereiche des Wirtschaftslebens einzuführen.

Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Maßnahmen des Bundes und der Länder im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie

Aktuelle Rechtsprechung der Obergerichte im Zusammenhang mit dem Corona-Virus finden Sie hier.

Bund
Baden-Württemberg Bayern
Berlin Brandenburg
Bremen Hamburg
Hessen Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz Saarland
Sachsen Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein Thüringen

Im Folgenden soll kurz der Zusammenhang zwischen den Maßnahmen der Bundesregierung und den Landesregierungen sowie das Zusammenspiel vom Infektionsschutzgesetz (IfSG) mit den Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen der Landesregierungen und örtlichen Ordnungsbehörden beleuchtet werden.

§§ 28 bis 32 IfSG als Ausgangsnormen

Ausgangspunkt aller Maßnahmen sind die §§ 28-32 IfSG als bundesrechtliche Normen. § 28 Abs. 1 Satz 1 gibt der zuständigen Behörde das Recht, verschiedene Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Krankheit zu treffen. Nach Satz 2 kommen dafür auch explizit die momentan spürbaren Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in Betracht. § 32 IfSG stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Landesregierungen die konkreten Maßnahmen in Form einer Rechtsverordnung selbst erlassen oder die Kompetenz dazu per Rechtsverordnung delegieren können. Genau diese Rechtsverordnungen sind von allen Landesregierungen erlassen worden und sorgen für die leicht unterschiedliche Regelungsintensität in den verschiedenen Bundesländern. Der von der Bundesregierung, in Gesprächen mit den Ministerpräsidenten der Länder, erarbeitete Maßnahmenkatalog stellt daher nur eine Umsetzungsempfehlung dar, die eine möglichst große Einheitlichkeit der Maßnahmen in den Bundesländern herstellen soll.

Umsetzung durch die Länder

In vielen Bundesländern ist die Kompetenz zum Erlass dieser Maßnahmen per Rechtsverordnung auf die Gesundheitsministerien übertragen worden. Die Kreise und kreisfreien Städte haben ebenfalls die Möglichkeit gem. §§ 16 Abs. 1 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG Anordnungen im Wege einer Allgemeinverfügung zu erlassen. Um diese Regelungen im Bundesland einheitlich auszurichten, besteht für die Landesregierung als Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, eine fachaufsichtsrechtliche Weisung zu erlassen, die vorgibt, welche Leitlinien die örtlichen Ordnungsbehörden bei dem Erlass einer Allgemeinverfügung zu beachten haben. Somit gelten für den Bürger die Rechtsverordnungen seiner jeweiligen Landesregierung unmittelbar und auch die örtlich zuständige Ordnungsbehörde (Gemeinde oder Landkreis) kann eine im Einzelfall sogar weitergehende Allgemeinverfügung für ihren Zuständigkeitsbereich erlassen.

Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen

Verstöße gegen Ge- oder Verbote aus solchen Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen können straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen haben. Gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG stellen Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen der Behörden nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG Ordnungswidrigkeiten dar, die nach § 73 Abs. 2 IfSG mit Geldbußen in Höhe von bis zu 25.000€ geahndet werden können. Auch der unmittelbare Verstoß gegen eine Rechtsverordnung, die auf Grundlage des § 32 IfSG erlassen worden ist, ist ohne vollziehbare Anordnung gem. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG als Ordnungswidrigkeit ahndbar. Verstöße gegen Anordnungen nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, also beispielsweise Versammlungsbeschränkungen, Betretungsverbote oder Veranstaltungsverbote, stellen gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG sogar Straftaten dar, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden können. Eine noch höhere Strafe droht demjenigen, der eine Anordnung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 IfSG verletzt und dadurch eine in § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG genannte Krankheit oder einen in § 7 IfSG genannten Krankheitserreger verbreitet. In solchen Fällen ist eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren möglich (§ 75 Abs. 3 IfSG). Welche Bußgelder im einzelnen tatsächlich bei Verstößen verhängt werden, liegt im Ermessen der handelnden Ordnungsbehörde.

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