Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 StR 431/20: Corona-Hemmungsgrund des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO
Amtlicher Leitsatz:
Zur Anwendbarkeit des Hemmungsgrundes des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO bei ärztlich angeratener Kontaktvermeidung eines Prozessbeteiligten zum Schutz von dessen Ehegatten vor einer Ansteckung durch das SARS-CoV-2-Virus.
Sachverhalt:
Das LG Bielefeld hat den Angeklagten in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Delikte verurteilt.
Für die der Revision zugrundeliegende Verfahrensrüge war folgendes Geschehen maßgeblich:
Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten war am 13. März 2020 unterbrochen und erst am 30. April 2020 fortgesetzt worden. An diesem Tag war dann ein Beschluss verkündet worden, der mitteilte, dass der Lauf der Unterbrechungsfrist vom 28. März bis zum 29. April nach § 10 EGStPO gehemmt gewesen sei. Zur Begründung war darauf abgestellt worden, dass der Vorsitzende am 28. März von einer unaufschiebbaren Herzoperation des Ehemannes einer Schöffin terminiert auf den 14. April erfahren habe. Um die Gesundheit ihres Ehemannes nicht zu gefährden, habe die Schöffin daher alle Kontakte zur Außenwelt auf ein Minimum herunterfahren müssen.
Der Revisionsführer hat gerügt, dass die Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 StPO nicht eingehalten worden sei sowie die Voraussetzungen des § 10 EGStPO nicht vorgelegen hätten.
Entscheidung des BGH:
Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten.
Das Verstreichenlassen der Dreiwochenfrist stelle keinen Rechtsverstoß dar, da die Hemmungswirkung des § 10 EGStPO kraft Gesetzes eintrete. Der grundsätzlich deklaratorische Beschluss habe also nur in Bezug auf die unanfechtbare Feststellung des Beginns und des Endes der Hemmung konstitutive Bedeutung, so der BGH.
Zu den Voraussetzungen des § 10 EGStPO führte der Senat aus, dass die Feststellung der Hemmung aufgrund des § 336 Satz 2 Alt. 1 StPO lediglich einer Willkürprüfung unterzogen werden könne. Danach sei die Schutzmaßnahme aufgrund der ärztlichen Empfehlung nachvollziehbar gewesen, da sie zum Schutz einer zur Risikogruppe gehörenden Person gedient habe.
Dieses Hindernis zur Durchführung der Hauptverhandlung beruhe zwar nur mittelbar auf den Schutzmaßnahmen, da die Schöffin nicht selbst, sondern lediglich ihr Ehemann betroffen war. Dies sei nach der Gesetzesbegründung jedoch unerheblich.
Dass das LG keine anderen Infektionsschützenden Maßnahmen getroffen habe, sondern die Hauptverhandlung für eine längere Zeitspanne unterbrochen hat, sei jedenfalls nicht willkürlich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, so der Senat.
Anmerkung der Redaktion:
§ 10 EGStPO war am 27. März 2020 durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie eingeführt worden, um die Unterbrechung strafrechtlicher Hauptverhandlungen aus Infektionsschutzgesichtspunkten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zu ermöglichen.