KriPoZ-RR, Beitrag 41/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.04.2021 – 3 StR 300/20: Fristsetzung für Beweisanträge auch bei Wiedereintritt in Beweisaufnahme

Amtliche Leitsätze:

  1. Bestimmt der Vorsitzende des Tatgerichts nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen, steht einer Bescheidung von nach deren Ablauf gestellten Beweisanträgen im Urteil nicht grundsätzlich entgegen, dass wieder in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist. Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht für solche Beweisanträge, die sich erst aus der Beweisaufnahme nach Wiedereintritt ergeben.

  2. Hierzu sind regelmäßig Darlegungen im Beweisantrag erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung und Diebstahls verurteilt. Der erhobenen Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Im Hauptverfahren hatte die Vorsitzende der Strafkammer eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge bis zum 21. Mai 2019 gesetzt, nach deren Ablauf die Beweisanträge im Urteil beschieden werden könnten. Am 17. Juni 2019, also nach Fristablauf hatte der Angeklagte weitere Beweisanträge gestellt. Am 15. Juli war die Kammer erneut in die Beweisaufnahme eingetreten, woraufhin der Angeklagte am 19. August und 3. September 2019 weitere Beweisanträge gestellt hatte. Die Beweisaufnahme war endgültig am 24. Oktober 2019 geschlossen worden. Alle nach Fristablauf vom Angeklagten gestellten Beweisanträge sind dann jedoch nicht durch Beschluss in der Hauptverhandlung, sondern im Urteil beschieden worden.

Der Angeklagte hat hierin einen Verstoß gegen § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO gesehen und Verfahrensrüge erhoben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Revision für unbegründet.

Zwar brauche es grundsätzlich nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO einen Ablehnungsbeschluss vor dem Ende der Beweisaufnahme, allerdings sei die Norm durch das Gesetz zu effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens dahingehend geändert worden, dass nach einer angemessenen Frist für weitere Beweisanträge nach der Beweisaufnahme auch die Bescheidung von nicht mehr fristwahrenden Anträgen im Urteil möglich sei.

Auch, wenn nach Fristablauf wieder in die Beweisaufnahme eingetreten werde und weitere Beweise erhoben würden, könne das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so der BGH. Dies ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut des § 244 Abs. 6 Satz 3, bzw. nach den Änderungen des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens, Satz 4 StPO. Dieser erfordere im Tatbestand lediglich Beweisanträge nach Fristablauf und keine Unmöglichkeit der fristgemäßen Stellung. Diese Voraussetzungen seien auch erfüllt, wenn nach Fristablauf noch weitere Beweise erhoben würden.

Dieses Verständnis stimmte auch mit dem Willen des Gesetzgebers überein, der im Gesetzgebungsverfahren für den Fall eines erneuten Eintritts in die Beweisaufnahme ausgedrückt hätte, dass eine erneute Frist nur für solche Beweisanträge gesetzt werden müsse, die sich aus den Informationen der erneuten Beweisaufnahme ergeben hätten.

Für alle anderen Beweisanträge sollte die ursprüngliche Frist ihre Wirkung behalten.

Diese Auslegung stimme auch mit Sinn und Zweck der Gesetzesänderung durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens überein, da so eine Verfahrensverzögerung mit Beweisanträgen verhindert werden könne und gleichzeitig das Beweisantragsrecht für Antrage, die sich aus der weiteren Beweisaufnahme ergeben, nicht beschnitten werde.

Da es durch diese Auslegung zu Unsicherheiten darüber kommen könne, ob ein Beweisantrag, der nach Fristablauf gestellt wurde, nun auf Erkenntnissen der weiteren Beweisaufnahme beruhe oder nicht, müsse ein solcher Zusammenhang im Beweisantrag dargelegt werden.

Dieses Ergebnis laufe auch nicht dem Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren zuwider.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alle Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 finden Sie hier.

Informationen zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019, welches die hier in Rede stehende Regelung allerdings inhaltlich nicht verändert hat, finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 92/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.11.2020 – 4 StR 118/20: Mehrmalige Hemmung der Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 1 und Abs. 2 StPO

Amtlicher Leitsatz:

Die Hemmung der Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 1 und Abs. 2 StPO kann bei wiederholter Erkrankung einer oder mehrerer der in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO genannten Personen grundsätzlich mehrmals eintreten. Ausreichend ist, wenn zwischen zwei Unterbrechungen nach § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO mindestens an einem Tag verhandelt worden ist.

Sachverhalt:

Das LG Gera hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in vierzehn Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Sachbeschädigung und in einem weiteren Fall tateinheitlich mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, sowie wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in vierzehn Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, sowie wegen Bandendiebstahls, versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt.

Nach dem für das Revisionsvorbringen maßgeblichen Verfahrensgeschehen war die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten am 13. Februar 2018 begonnen worden. Am 21. Hauptverhandlungstag, dem 18. September 2018, war sie unterbrochen und am 29. Oktober 2018 fortgesetzt worden. Das LG hatte danach gem. § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO festgestellt, dass eine Hemmung der Unterbrechungsfrist wegen Erkrankung einer beisitzenden Richterin eingetreten gewesen war. Dieses Vorgehen hatte sich nach neun tägiger Verhandlung und einer weiteren Unterbrechung zwischen dem 18. Dezember 2018 und dem 6. Februar 2019 wiederholt, da die Vorsitzende Richterin erkrankt gewesen war. Nach Fortsetzung der Verhandlung an sechs Verhandlungstagen, musste sie zwischen dem 12. März 2019 und dem 16. April 2019 erneut wegen Erkrankung der beisitzenden Richterin unterbrochen worden. Zum dritten Mal stellte das LG daraufhin im Beschlusswege die Hemmung der Unterbrechungsfrist gem. § 229 Abs. 3 StPO fest.

Nach Ansicht der Revision sei eine solche wiederholte Hemmung der Unterbrechungsfrist nicht möglich, da dies einen Verstoß gegen die Konzentrationsmaxime darstelle. Dies führe dazu, dass die Unterbrechung vom 18. Dezember 2018 bis zum 6. Februar 2019 und die vom 12. März bis zum 16. April 2019 die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO überschritten hätten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH wies die Verfahrensrüge als unbegründet ab, da eine Hemmung der Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 3 StPO bei wiederholter Erkrankung erneut eintreten könne, wenn dazwischen zumindest an einem Tag in der Sache verhandelt worden sei.

Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 229 Abs. 3 StPO, der weder Einschränkungen für eine wiederholte Hemmung enthalte noch eine bestimmte Anzahl an Fortsetzungsterminen fordere. Dies verdeutliche darüber hinaus ein Vergleich der Absätze 2 und 3 des § 229 StPO, da in Abs. 3 das Wort „jeweils“ fehle und deshalb die Voraussetzung einer zehntägigen Verhandlungsdauer nur einmalig zu Beginn der ersten Unterbrechung vorliegen müssten.

Auch der Sinn und Zweck der Regelung stütze diese Auslegung, denn dieser bestehe darin, es dem Gericht zu ermöglichen, eine Hauptverhandlung bei unbeeinflussbaren Einflüssen fortzusetzen. Dies sei nicht möglich, wenn für eine erneute Hemmung zunächst eine bestimmte Anzahl an Tagen verhandelt werden müsse, so der BGH.

Das Erfordernis von mindestens zehn Verhandlungstagen zu Beginn der Unterbrechung in § 229 Abs. 3 StPO ändere daran nichts, denn dieses solle nur sicherstellen, dass eine Hemmung erst eintreten kann, wenn die Hauptverhandlung so komplex ist, dass der Aufwand der bereits zur Erkenntnisgewinnung betrieben worden sei, nicht umsonst gewesen sein soll.

Schließlich greife auch das systematische Gegenargument, wonach eine wiederholte Anwendung des Abs. 3 der Detailregelung in Abs. 2 widerspreche, nicht durch, da jeder einzelne Absatz des § 229 StPO eine Ausgestaltung des strafprozessualen Konzentrationsgrundsatzes sei, die sich jeweils auf spezifische Verfahrenslagen bezögen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Frage nach einer Hemmung der Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO aufgrund unvorhergesehener Ereignisse, wie beispielsweise einer Erkrankung, hat vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie an Relevanz gewonnen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht einen speziellen und befristeten Hemmungsgrund in § 10 EGStPO eingeführt. Dieser darf nicht mit § 229 Abs. 3 StPO verwechselt werden.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 91/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 StR 431/20: Corona-Hemmungsgrund des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO

Amtlicher Leitsatz:

Zur Anwendbarkeit des Hemmungsgrundes des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO bei ärztlich angeratener Kontaktvermeidung eines Prozessbeteiligten zum Schutz von dessen Ehegatten vor einer Ansteckung durch das SARS-CoV-2-Virus.

Sachverhalt:

Das LG Bielefeld hat den Angeklagten in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Delikte verurteilt.

Für die der Revision zugrundeliegende Verfahrensrüge war folgendes Geschehen maßgeblich:

Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten war am 13. März 2020 unterbrochen und erst am 30. April 2020 fortgesetzt worden. An diesem Tag war dann ein Beschluss verkündet worden, der mitteilte, dass der Lauf der Unterbrechungsfrist vom 28. März bis zum 29. April nach § 10 EGStPO gehemmt gewesen sei. Zur Begründung war darauf abgestellt worden, dass der Vorsitzende am 28. März von einer unaufschiebbaren Herzoperation des Ehemannes einer Schöffin terminiert auf den 14. April erfahren habe. Um die Gesundheit ihres Ehemannes nicht zu gefährden, habe die Schöffin daher alle Kontakte zur Außenwelt auf ein Minimum herunterfahren müssen.

Der Revisionsführer hat gerügt, dass die Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 StPO nicht eingehalten worden sei sowie die Voraussetzungen des § 10 EGStPO nicht vorgelegen hätten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten.

Das Verstreichenlassen der Dreiwochenfrist stelle keinen Rechtsverstoß dar, da die Hemmungswirkung des § 10 EGStPO kraft Gesetzes eintrete. Der grundsätzlich deklaratorische Beschluss habe also nur in Bezug auf die unanfechtbare Feststellung des Beginns und des Endes der Hemmung konstitutive Bedeutung, so der BGH.

Zu den Voraussetzungen des § 10 EGStPO führte der Senat aus, dass die Feststellung der Hemmung aufgrund des § 336 Satz 2 Alt. 1 StPO lediglich einer Willkürprüfung unterzogen werden könne. Danach sei die Schutzmaßnahme aufgrund der ärztlichen Empfehlung nachvollziehbar gewesen, da sie zum Schutz einer zur Risikogruppe gehörenden Person gedient habe.

Dieses Hindernis zur Durchführung der Hauptverhandlung beruhe zwar nur mittelbar auf den Schutzmaßnahmen, da die Schöffin nicht selbst, sondern lediglich ihr Ehemann betroffen war. Dies sei nach der Gesetzesbegründung jedoch unerheblich.

Dass das LG keine anderen Infektionsschützenden Maßnahmen getroffen habe, sondern die Hauptverhandlung für eine längere Zeitspanne unterbrochen hat, sei jedenfalls nicht willkürlich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, so der Senat.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 10 EGStPO war am 27. März 2020 durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie eingeführt worden, um die Unterbrechung strafrechtlicher Hauptverhandlungen aus Infektionsschutzgesichtspunkten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zu ermöglichen.

 

 

 

 

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