Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 1 StR 463/20: Rechtfertigende Einwilligung in Körperverletzung in einer Haftanstalt
Leitsatz der Redaktion:
Verabreden sich zwei Insassen einer Haftanstalt (auch konkludent) zu einer körperlichen Auseinandersetzung, die grundsätzlich nicht lebensgefährlich werden soll, sind die gegenseitigen Körperverletzungen aufgrund einer Einwilligung gerechtfertigt.
Sachverhalt:
Das LG Traunstein hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren der Angeklagte und das Opfer Insassen in verschiedenen Häusern derselben Justizvollzugsanstalt gewesen. Sie hatten sich in der Vergangenheit vermehrt gestritten und es war allen Beteiligten klar gewesen, dass es bald zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen würde. Bei dem nächsten Aufeinandertreffen der beiden Insassen hatten sie sodann mit Fäusten aufeinander eingeschlagen, wobei das Opfer nach einem wuchtigen Schlag gegen den Kopf aufgrund dessen Beschleunigung einen Gefäßabriss im Bereich der Hirnbasis erlitten hatte, was zu starken Blutungen und wenig später zu seinem Tod geführt hatte. Das LG hat weder feststellen können, wer die tätliche Auseinandersetzung letztendlich begonnen, noch welcher Schlag des Angeklagten zum Tode geführt hatte. Zugunsten des Angeklagten ist es davon ausgegangen, dass der zu Boden gestürzte Angeklagte noch für einen Moment eingeschränkt handlungsfähig war und versucht hatte, sich am Shirt des Angeklagten hochzuziehen, weshalb dieser ihm nochmals in das Gesicht geschlagen hatte. Schließlich hatte der Angeklagte dem Opfer noch einen Tritt auf die Stirn versetzt.
Entscheidung des BGH:
Der BGH hob das Urteil auf, da die Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge rechtsfehlerhaft erfolgt sei.
Da der Grundtatbestand der Körperverletzung aufgrund einer Einwilligung des Geschädigten gerechtfertigt gewesen sei, könne der Angeklagte sich nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht haben, wenn man zu seinen Gunsten annehme, dass der erste Schlag gegen den Kopf bereits tödlich gewesen sei.
Beide Beteiligten hätten sich durch ihr Verhalten vor der Auseinandersetzung konkludent zu dieser verabredet, wobei sie davon ausgegangen seien, dass es zu gegenseitigen Körperverletzungen in Form von Schlägen gegen den Körper und ins Gesicht kommen werde. Dadurch hätten beide wirksam über ihre körperliche Unversehrtheit disponiert und in das Tatgeschehen rechtfertigend eingewilligt (§ 228 StGB).
Eine Unwirksamkeit der Einwilligung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten sei abzulehnen, so der BGH.
Zwar sei eine Körperverletzung als sittenwidrig und damit einwilligungsunfähig zu bewerten, wenn bei objektiver Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. Dabei seien auch Eskalationsgefahren von gruppendynamischen Prozessen zu berücksichtigen. Sorge das konkret vereinbarte Geschehen jedoch für eine ausreichende Sicherheit der Verhinderung solch gravierender Folgen und begrenze die Gefahr für die Beteiligten, sei dies als freie Disposition des Rechtsgutträgers hinzunehmen.
Nach diesen Maßstäben sei die Körperverletzungshandlung nicht als sittenwidrig einzustufen, da beide Kontrahenten abwehrbereit und abwehrfähig gewesen waren und mit einer konkreten Todesgefahr nicht hätte gerechnet werden müssen. Ebenfalls war ein Eingreifen anderer Gefangener nicht verabredet, sodass zwar im Grundsatz eine Eskalationsgefahr bestanden habe, diese jedoch aufgrund anderer Argumente, wie beispielsweise des präsenten Wachpersonals und ihrer Doppelrelevanz als deeskalierendes Eingreifen der anderen Gefangenen, nicht zu einer Sittenwidrigkeit führe.
Dass eine körperliche Auseinandersetzung in einer Haftanstalt unerwünscht sei und disziplinarisch geahndet werde, mache diese noch nicht sittenwidrig, so der BGH, da dieses ordnungsrechtliche Verbot nur den äußeren Rahmen der einverständlichen Körperverletzungshandlungen berühre.
Etwas Anderes gelte für den Sturz des Opfers auf den Boden bzw. den darauffolgenden Stampftritt des Angeklagten, da dieser Geschehensablauf nicht mehr von der Vereinbarung gedeckt gewesen und darüber hinaus aufgrund der konkreten Todesgefahr eines Tritts gegen den Kopf auch sittenwidrig gewesen sei. Allerdings müsse in dubio pro reo davon ausgegangen werden, dass dieses Verhalten des Angeklagten nicht todesursächlich gewesen sei.
Anmerkung der Redaktion:
Bereits 2013 hatte der BGH entschieden, dass die Eskalationsgefahr gruppendynamischer Prozesse zu einer Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlung führen kann (BGH, Beschl. v. 20.02.2013 – 1 StR 585/12).