KriPoZ-RR, Beitrag 27/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 12.11.2020 – 3 StR 31/20: Zur Wesentlichkeit von Gegenständen oder Stoffen für die Herstellung eines Kampfmittels

Amtliche Leitsätze:

a) Wesentlich im Sinne des § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB sind nur solche Gegenstände oder Stoffe, die im Falle ihrer Zusammenfügung oder technischen Manipulation ein taugliches Kampfmittel oder eine taugliche Vorrichtung im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 2 StGB ergeben. Ob die Grenze der Wesentlichkeit überschritten ist, ist stets im Wege einer wertenden Gesamtschau des Einzelfalls zu beurteilen.

Dabei ist einerseits zu vermeiden, dass bereits der Erwerb oder Besitz eines einzelnen Gegenstands mit einem alltäglichen Verwendungszweck vom Tatbestand erfasst wird; andererseits verhindert insbesondere das Fehlen von Kleinteilen von untergeordneter Bedeutung die Verwirklichung des Tatbestands nicht.

b) § 89c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind – insbesondere mit Blick

auf das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – verfassungsgemäß.

c) Bei elektronischen Schriften setzt ein Sichverschaffen im Sinne des § 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein Herunterladen und Speichern der Anleitungsschrift nicht voraus. Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein intellektueller Bezug der Schrift im Sinne eines „Sich-Kenntnis-Verschaffens“.

Sachverhalt:

Das LG München I hat den Angeklagten wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sich, ohne es auf seinem Laptop zu speichern, vertieft mit einem Tutorial zur Herstellung einer Bombe auseinandergesetzt, woraufhin er dann eine Skizze zur Herstellung des Sprengstoffs Triacetontriperoxid angefertigt hatte. Er hatte einige der Teile für die Sprengstoffvorrichtung in seinem Keller verwahrt, war jedoch nicht im Besitz der erforderlichen Grundsubstanzen Aceton und Wasserstoffperoxid gewesen. Ziel des Angeklagten war es gewesen, einen Sprengstoffanschlag auf Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zu begehen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Schuldspruch auf, da das LG seiner Kognitionspflicht nicht abschließend nachgekommen sei.

Rechtsfehlerfrei sei das Absehen von einer Verurteilung wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gewesen, da die vom Angeklagten verwahrten Gegenstände nicht wesentlich für den Bau eines Kampfmittels i.S.d. § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB gewesen seien, so der BGH.

Dafür spräche neben dem Wortlaut auch das systematische Argument, dass die verschiedenen Tatbestandsvarianten mit gleicher Strafandrohung auch einen ähnlichen Unwertgehalt aufweisen müssten. Würde man nun Abs. 2 Nr. 3 StGB extensiv dahingehend auslegen, dass schon unvollständige Vorrichtungsteile als wesentlich anzusehen wären, wäre der Unwertgehalt deutlich geringer.

Dennoch sei die Wesentlichkeit anhand einer wertenden Gesamtschau im Einzelfall zu beurteilen, da nur dies dem Telos der Norm, nämlich in das Vorfeld eines möglichen Terroranschlags hineinzureichen und ein frühzeitiges Eingreifen des Strafrechts zu gewährleisten, gerecht werde.

Dabei sei jedoch einerseits zu vermeiden, dass bereits der Erwerb oder Besitz eines einzelnen Gegenstands mit einem alltäglichen Verwendungszweck, wie ein Wecker oder ein Mobiltelefon, als mögliche Zündvorrichtung vom Tatbestand erfasst werde. Andererseits verhindere insbesondere das Fehlen von Kleinteilen von untergeordneter Bedeutung, wie Schrauben oder Drähte, die Verwirklichung des Tatbestands nicht, so der BGH.

Rechtsfehlerhaft sei jedoch, dass das LG die naheliegende Strafbarkeit wegen Terrorismusfinanzierung (§ 89c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB) nicht in den Blick genommen habe. Der Tatbestand sei verfassungsgemäß, da er dem Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 2 GG) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trage.

Da nach der neuen Gesetzesfassung als Vermögenswerte auch geringwertige bewegliche und unbewegliche Sachen mit wirtschaftlichem Wert vom Tatbestand umfasst seien, liege eine Strafbarkeit des Angeklagten, der sich eine Metallschachtel mit 26 Metallkugeln, Streichhölzer, zwei Portionierungsspritzen, eine Leuchtdiode mit angelöteten Kabeln sowie Schwefelsäure verschafft hatte, nahe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zum reformierten Terrorismusstrafrecht finden Sie einen Aufsatz von Prof. Dr. Jens Puschke in der KriPoZ 2018, 101 ff.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 89/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 10.11.2020 – 1 BvR 3214/15: Sog. Data-Mining nach dem Antiterrordateigesetz teilweise verfassungswidrig

Amtliche Leitsätze:

1. Regelungen, die den Datenaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten ermöglichen, müssen den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen der hypothetischen Datenneuerhebung genügen („informationelles Trennungsprinzip“).

2. Das Eingriffsgewicht der gemeinsamen Nutzung einer Verbunddatei der Polizeibehörden und Nachrichtendienste ist bei der „erweiterten Nutzung“ (Data-mining) weiter erhöht.

3. Die erweiterte Nutzung einer Verbunddatei der Polizeibehörden und Nachrichtendienste muss dem Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern dienen und auf der Grundlage präzise bestimmter und normenklarer Regelungen an hinreichende Eingriffsschwellen gebunden sein.

a) Für die erweiterte Nutzung zur Informationsauswertung muss diese zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall geboten sein; damit wird ein wenigstens der Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen vorausgesetzt.

b) Für die erweiterte Nutzung zur Gefahrenabwehr muss eine wenigstens hinreichend konkretisierte Gefahr gegeben sein.

c) Für die erweiterte Nutzung zur Verfolgung einer Straftat muss ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht vorliegen, für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat mit seiner Verfassungsbeschwerde § 6a Abs. 1 bis 3 ATDG angegriffen, da diese ungerechtfertigt in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingriffen.

In der Antiterrordatei als sog. Verbunddatei werden, zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus von den Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder, Daten über bestimmte Personen gespeichert.

Bei einer Auskunftsanforderung werden dabei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 a ATDG lediglich die Grunddaten (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a ATDG) zu einer Person, wie Name, Geschlecht sowie Geburtsdatum, übermittelt. Erweiterte Grunddaten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 b ATDG), also Bankverbindungen, Familienstand und Volkszugehörigkeit, werden nur in Eilfällen und unter besonders strengen Voraussetzungen mitgeteilt.

Nach § 6a ATDG ist es mittlerweile erlaubt, alle in § 3 ATDG gespeicherten Daten einer sog. erweiterten Nutzung (§ 6a Abs. 5 ATDG) zuzuführen. Dabei werden Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Objekten und Sachen hergestellt und alle Informationen statistisch ausgewertet. Damit werde es möglich, die Antiterrordatei auch zur Schaffung neuer Erkenntnisse aus den Querverbindungen der gespeicherten Daten zu nutzen (sog. Data-mining).

Da er möglicherweise und typischerweise unbemerkt von der Regelung betroffen und eine regelmäßige Abfrage der über ihn gespeicherten Daten nicht möglich sei, stelle der am 1. Januar 2015 in Kraft getretene § 6a ATDG einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, so der Beschwerdeführer.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab der Beschwerde statt und erklärte § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG für verfassungswidrig im Übrigen wies es sie als unbegründet zurück.

Der Beschwerdeführer sei klagebefugt, da möglicherweise Daten von ihm in der Datei gespeichert und erweitert ausgewertet würden. Da die Nutzung der Daten typischerweise heimlich erfolge, könne dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, einen belastenden Vollzugsakt abzuwarten und gegen diesen den Rechtsweg zu beschreiten. Da er auch durch seine Auskunftsverlangen keine zuverlässige Kenntnis von etwaigen Maßnahmen erlangen würde und jederzeit ein neuer Datensatz angelegt und ein Projekt zur erweiterten Auswertung der Daten initiiert werden könne, sei er unmittelbar, selbst und auch gegenwärtig betroffen.

Die Befugnisse, die § 6a Abs. 1 bis 3 ATDG den Behörden verleihe, griffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Im Falle des § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG sei dieser Eingriff unverhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt, so das BVerfG.

Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze die freie Entfaltung der Persönlichkeit gerade dort, wo personenbezogene Informationen von staatlichen Behörden in einer Art und Weise genutzt und verknüpft würden, die Betroffene weder überschauen noch beherrschen könnten.

Daher müssten Befugnisse zum Datenaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten nach dem informationellen Trennungsprinzip den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen der hypothetischen Datenneuerhebung genügen. Dabei sei es abhängig von der konkreten Eingriffsintensität der Maßnahme, wie streng die Voraussetzungen für den Datenaustausch ausgestaltet werden müssten.

§ 6a ATDG verfolge zwar ein legitimes Ziel, sei geeignet und auch erforderlich, allerdings genüge § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nicht.

Nach der vorzunehmenden Abwägung, die sich auch an Art, Umfang und denkbarer Verwendung der Daten sowie der Gefahr ihres Missbrauchs bestimme, komme der Norm eine gesteigerte Belastungswirkung zu. Die heimliche erweiterte Datennutzung aus § 6a Abs. 5 ATDG ermögliche nicht nur eine Informationsanbahnung nach Maßgabe des Fachrechts, sondern als Ergebnis einer automatisierten Verknüpfung und Analyse der eingespeisten Daten auch die Erzeugung neuer Erkenntnisse und Zusammenhänge. Diese Erkenntnisse könnten unmittelbar zu operativen Zwecken verwendet werden, was die Eingriffsintensität zusätzlich erhöhe. Dies gelte allerdings nur eingeschränkt für die Nutzung durch Nachrichtendienste, da hier die Erkenntnisse lediglich wiederum in die weitere Vorfeldaufklärung einflössen. Zu bedenken sei jedoch auch hier, dass dadurch ein Gefühl des unkontrollierbaren Beobachtetwerdens erzeugt werden könne, was zu einer Einschüchterung der Bevölkerung führen könne, so der Senat.

Aufgrund der so ermittelten Belastungsintensität sei es erforderlich, dass die Erzeugung neuer Erkenntnisse und Zusammenhänge durch Verknüpfung der Daten aus verschiedenen Quellen einem herausragenden öffentlichen Interesse dienten und sie sei daher nur zum Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern wie Leib, Leben und Freiheit der Person sowie Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes zulässig.

Diesen Anforderungen werde § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG nicht gerecht. Zwar lasse die Vorschrift die erweiterte Nutzung nur zum Schutz von Rechtsgütern zu, die besonders gewichtig seien. Der Befugnis nach § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG fehle jedoch eine hinreichend qualifizierte Eingriffsschwelle.

Indem die Norm lediglich die Erforderlichkeit im Einzelfall zur Aufklärung weiterer Zusammenhänge des Einzelfalls ausreichen lasse, stelle sie nicht klar genug heraus, dass für eine Datennutzung zum Zwecke der Strafverfolgung ein über den strafprozessualen Anfangsverdacht hinausgehender verdichteter Tatverdacht erforderlich sei.

Die Absätze 1 und 3 des ATDG seien hingegen verfassungsgemäß, wenn man auch bei § 6a Abs. 3 Satz 1 ATDG eine zumindest konkretisierte Gefahr für die Vor- oder Umfeldermittlung fordere. Bei einer anderen Lesart wäre auch diese Vorschrift verfassungswidrig.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Anforderungen an den Datenschutz bei staatlichen Übermittlungs- und Abrufregelungen personenbezogener Daten hatte das BVerfG erst im Mai 2020 in seiner zweiten Entscheidung zur Bestandsdatenauskunft präzisiert. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

 

 

 

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