KriPoZ-RR, Beitrag 85/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 19.08.2020 – 1 StR 474/19Vorsatzanforderungen bei Verdeckungsmorden durch Unterlassen

Amtlicher Leitsatz:

Zum versuchten Verdeckungsmord durch Unterlassen nach Medikamentenverwechslung bei einem Palliativpatienten durch Pflegekräfte.

Sachverhalt:

Das LG Landshut hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte die Angeklagte, die als Pflegekraft und Schichtleitung auf einer Palliativstation eines Pflegeheims arbeitet, mit einer mitangeklagten Kollegin die Medikamente zweier Patienten verwechselt.

Dadurch hatte sich der Gesundheitszustand des schwer kranken Opfers verschlechtert. Ob das Medikament letztlich todesursächlich oder -beschleunigend war, hatte nicht mehr festgestellt werden können.

Aus Angst vor Konsequenzen hatte die Angeklagte weder einen Arzt verständigt noch die Falschmedikation dokumentiert.

Nach der Wertung des LG habe sie den Tod des Angeklagten bewusst in Kauf genommen, um ihren Fehler zu vertuschen.

Ein letztlich von einem weiteren Mitangeklagten nach 4 Tagen hinzugerufener Arzt hatte entschieden, den Patienten aufgrund seines schlechten Zustands nur noch palliativmedizinisch zu versorgen. Er war drei Tage später verstorben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da der Senat bereits Zweifel am Tötungsvorsatz hatte.

Für bedingten Tötungsvorsatz sei es erforderlich, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkenne (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfinde, möge ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).

Beide Elemente seien unabhängig voneinander zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Es müsse eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände stattfinden, bei der insbesondere die Persönlichkeit des Täters und dessen psychische Verfassung bei Tatbegehung, seine Motivation und die Art der Angriffsweise beleuchtet werden müssten.

Diese Grundsätze gölten auch für Unterlassungsdelikte, wobei diese zusätzlich Vorsatz bezüglich der Umstände der Untätigkeit, der physisch-realen Handlungsmöglichkeit, des Erfolgseintritts, der Quasi-Kausalität und der objektiven Zurechnung forderten.

Dabei sei es explizit nicht erforderlich, dass dem Unterlassungstäter bewusst sei, dass der Rettungserfolg mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde. Dies fordere zwar der 5. Strafsenat, stelle damit jedoch zu enge Voraussetzungen auf, so der 1. Senat.

Nach diesen Grundsätzen stelle sich die Beweiswürdigung des Tatgerichts als lückenhaft bezüglich des voluntativen Elements dar.

Das LG habe nicht in den Blick genommen, dass die Angeklagte freiwillig einen anderen Kollegen eingeweiht hatte und diesen gebeten hatte, öfter nach dem Patienten zu sehen. Dies spreche gegen einen bedingten Tötungsvorsatz. Zudem sei es für das Vertuschen des Behandlungsfehlers für die Angeklagte sogar vorteilhaft gewesen, wenn der Patient nicht gestorben wäre.

Daneben sei auch die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht nicht genügend begründet. Zwar seien die rechtlichen Maßstäbe zutreffend vom LG bestimmt worden, da es richtigerweise angenommen habe, dass die Verdeckungshandlung nach Tätervorstellung Mittel der Verdeckung sein soll auch, wenn der Tod des Opfers vom Täter nicht direkt angestrebt sondern nur in Kauf genommen werde.

Hier habe das LG nicht berücksichtigt, dass die Angeklagte möglicherweise auch aus Mitleid den Tod des Opfers begrüßte, um sein Leiden beendet zu wissen. Dieses weitere Motive habe das Tatgericht dann jedoch nicht in die nötige Gesamtbetrachtung eingestellt.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 5. Strafsenats zu den höheren Anforderungen an den Vorsatz bezüglich der Rettungsmöglichkeit finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 83/2020

Die Pressemitteilung im Original finden Sie hier.

OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020 – III-3 RVs 47/20: Keine Garantenpflicht für Vereinsvorstand zur Entfernung des Kennzeichens eines verbotenen Vereins von der Vereinsimmobilie

Leitsatz der Redaktion:

Unternimmt ein Vereinsvorstand nichts zur Entfernung eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins von der eigenen Vereinsimmobilie, begründet dies keine strafrechtliche Garantenstellung, wenn der Vorstand das Kennzeichen weder selbst angefertigt, noch bei Anfertigung bereits in einer leitenden Position war.

Sachverhalt:

Das AG Bielefeld hatte den Angeklagten wegen Verwendens eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte seit 2013 Vorsitzender eines Vereins in Bielefeld gewesen, der sich für ein unabhängiges Jugendzentrum in der Stadt eingesetzt hatte.

Auf einer Jalousie des Vereinsgebäudes war höchstwahrscheinlich im Jahr 1994 ein Bild aufgemalt worden, dass neben einer Person die Flagge der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) zeigt, welche eine verbotene Unterorganisation der PKK darstellt. Diese Flagge war auch von der öffentlichen Straße zu sehen gewesen.

Der Angeklagte hatte sich nach Ansprache durch die Behörden geweigert, das Bild zu entfernen und war daraufhin vom AG Bielefeld verurteilt worden. Ihn treffe als Vereinsvorstand eine Garantenpflicht zur Entfernung des Bildes, so die Ansicht des AG.

Das LG Bielefeld gab dem Angeklagten im Berufungsverfahren Recht und sprach in frei.

Entscheidung des OLG:

Diese Entscheidung bestätigte das OLG Hamm. Da der Angeklagte erst viele Jahre nach Anbringen des Bildes Vereinsvorstand geworden sei, das Bild zudem nicht selbst angebracht habe und auch bei Anbringung in keiner sonstigen leitenden Funktion gewesen sei, könne ihn keine strafrechtliche Garantenpflicht zur Entfernung des Bildes treffen.

Auch komme es für eine Strafbarkeit nicht auf die Beweggründe des Vorsitzenden bzw. des Vereins an, das Bild weiterhin zu dulden. Demnach habe das LG auch keine tatsächlichen Feststellungen zur politischen Einstellung des Angeklagten treffen müssen, so der Senat. Dies würde nämlich im Ergebnis dazu führen, dass eine politische Gesinnung unter Strafe gestellt würde, was gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstieße.

Eine ordnungsrechtliche Verpflichtung zur Entfernung des Bildes, welche möglicherweise auch mit Zwang durchgesetzt werden könne, bleibe von dem Urteil natürlich unberührt.

Anmerkung der Redaktion:

Bisher finden sich keine Verurteilungen nach §§ 86a, 13 StGB.

 

 

 

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