KriPoZ-RR, Beitrag 02/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 06.06.2019 – StB 14/19: Beweisverwertungsverbote sind im Ermittlungsverfahren auch ohne Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu berücksichtigen

Amtliche Leitsätze:

  1. Im Ermittlungsverfahren sind Beweisverwertungsverbote unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten, auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft.
  2. Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Stärke des Tatverdachts (Fortführung von BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, BGHSt 51, 367).
  3. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 VStGB liegt grundsätzlich eine tatbestandliche Bewertungseinheit vor, soweit die in den dortigen Nummern 1 bis 10 normierten Ausführungshandlungen (Einzeltaten) miteinander sachlich, zeitlich und räumlich zusammenhängen und in denselben ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung (Gesamttat) eingebunden sind.
  4. Mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB tateinheitlich begangene Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) werden von dem nach § 1 Satz 1 VStGB geltenden Weltrechtsprinzip erfasst, sodass auch insoweit deutsches Strafrecht anwendbar ist (Annexkompetenz).
  5. Zur psychischen Beihilfe durch Dienstausübung im Fall organisierter Massenverbrechen (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252).

Sachverhalt:

Dem Beschuldigten B wird vorgeworfen, Beihilfe zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer Delikte geleistet zu haben.

Konkret wird B vorgeworfen in der Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 15. Januar 2012 als Mitarbeiter des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes Kollegen geholfen zu haben, in einem Gefängnis der Abteilung 251 des Geheimdienstes mindestens 2000 Menschen zu foltern und mindestens zwei zu töten. Der Beschuldigte sei Mitglied der Abteilung 251 gewesen und habe in dieser Eigenschaft Demonstranten und Oppositionelle festgenommen und in das Gefängnis verbracht.

Der Ermittlungsrichter des BGH hob einen Haftbefehl gegen B auf. Gegen diesen Beschluss (4 BGs 128/19) wendet sich der GBA mit der Beschwerde zum BGH.

Nach Ansicht des Ermittlungsrichters, sei der Haftbefehl aufzuheben gewesen, da ein dringender Tatverdacht nicht bestand. Ein Nachweis diesbezüglich sei nur mit den Angaben bei der polizeilichen Vernehmung als Zeuge zu führen, der weit überwiegende Teil dieser Aussage dürfe aber nicht mehr zur Verdachtsprüfung verwertet werden. Denn jedenfalls kurz nach Beginn der Zeugenvernehmung habe aufgrund seiner Äußerungen ein Tatverdacht gegen den Beschuldigten auf der Hand gelegen, der eine Belehrung als Beschuldigter gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO erfordert hätte. Da diese unterblieb bzw. erst später erfolgte und der Verteidiger des B den Verwertungswiderspruch erklärt habe, sei die belastende Aussage nicht zur Verdachtsprüfung verwertbar.

Diese Entscheidung wurde vom BGH aufgehoben.

Entscheidungsgründe:

Die Beschuldigteneigenschaft könne – abhängig von der objektiven Stärke des Tatverdachts – auch ohne einen Willensakt der Strafverfolgungsbehörde begründet werden, wenn ansonsten Beschuldigtenrechte wie die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO umgangen würden, so der BGH.

Ob ein die Beschuldigteneigenschaft begründender Verdachtsgrad vorliege, unterliege der pflichtgemäßen und alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Beurteilung der Strafverfolgungsbehörde. Falls jedoch ein derart starker Tatverdacht gegeben sei, dass ein willkürlicher Verzicht auf den Übergang zur Beschuldigtenvernehmung die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreiten würde, stelle dies einen Verfahrensfehler dar.

Der dafür nötige Verdachtsgrad müsse nicht unbedingt an einen dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO heranreichen, allerdings sei auch nicht jeder Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO genügend, denn Beschuldigter sei grundsätzlich nur der Tatverdächtige, gegen den das Ermittlungsverfahren auch geführt werde.

Diese rechtliche Wertung führe dazu, dass die Erkenntnisse aus der Zeugenvernehmung zumindest teilweise verwertbar seien und somit, trotz eines für den Rest der Vernehmung entgegenstehenden Verwertungsverbots, ein dringender Tatverdacht gem. § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO bestehe.

Weiterhin führt der BGH aus, dass ein solches Beweisverwertungsverbot im Ermittlungsverfahren von Amts wegen zu beachten und somit ein Widerspruch des Verteidigers nicht erforderlich sei. Die sog. Widerspruchslösung finde im Ermittlungsverfahren keine Anwendung, da der Verwertung eines Beweises vor der Hauptverhandlung sowieso nicht wirksam widersprochen werden könne. Alles andere würde zu unangemessenen Ergebnissen führen, da beispielsweise ein Ermittlungsrichter, der um ein bestehendes Beweisverwertungsverbot wisse, sehenden Auges einen Haftbefehl erlassen müsse, welchen er nach einem etwaigen Widerspruch sofort wieder aufheben müsse.

Aus der Deliktsstruktur des Menschlichkeitsverbrechens folge zudem, dass alle Einzeltaten, die im Rahmen einer Gesamttat begangen würden und jeweils für sich eine Modalität des § 7 Abs. 1 VStGB erfüllten, eine tatbestandliche Bewertungseinheit bildeten. Eine solche tatbestandliche Verklammerung erfordere jedoch, dass die Einzeltaten miteinander sachlich, räumlich und zeitlich verbunden seien und Bestandteile des Angriffs auf die Zivilbevölkerung darstellten.

Körperverletzungsdelikte nach den §§ 223 ff. StGB, die tateinheitlich mit dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB) verwirklicht worden seien, unterfielen nach dem Weltrechtsprinzip (§ 1 Satz 1 VStGB) deutschem Strafrecht, da eine Annexkompetenz bestünde, so der BGH weiter. Diese ergebe sich daraus, dass die weitgehende Identität der Tatbestandsmerkmale dazu führe, dass der festgestellte Sachverhalt zur Aburteilung des Menschlichkeitsverbrechens auch eine Verurteilung wegen Körperverletzung trage.

Abschließend stellt der BGH klar, dass sich die Grundsätze zur psychischen Beihilfe durch Dienstausübung (BGHSt 61, 252) nicht ausnahmslos auf jeden Fall organisierter Massenverbrechen anwenden ließen. Als Begründung kam zum Tragen, dass der Beschuldigte im Zeitpunkt der Anordnung durch das syrische Regime der zuständigen Abteilung des Geheimdienstes noch nicht angehörte. Außerdem habe es sich bei den Aktionen des Geheimdienstes gerade nicht um einen klar umgrenzten Handlungskomplex gehandelt, der geeignet gewesen wäre, einer uferlosen Zurechnung von deliktischen Handlungen Grenzen zu setzen. Somit scheide eine psychische Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) zu den beiden Tötungen und tausendfachen Folterungen, zu denen B keine individuell unterstützenden Handlungen vorgenommen habe, aus.

Anmerkung der Redaktion:

Einen Beitrag zum Bedarf einer Kodifikation der Beweiserhebungs- und -verwertungsverbote finden Sie hier.

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