Abstract
Die amtierende Bundesregierung versteht ihre Aufgabe, für das Wohl der Bürger zu sorgen, als Aktionsprogramm zur Erweiterung und Verschärfung des Strafrechts. Zur Erfüllung dieses Auftrags kündigen die für innere Sicherheit und Justiz zuständigen Minister des Bundes und der Länder eine Erhöhung des Strafniveaus gegen Wohnungseinbruchdiebstahl an. Da aber zwischen der Höhe der gesetzlichen Strafdrohungen und der Häufigkeit der Übertretung strafbewehrter Normen ein Zusammenhang nicht besteht, wird diese Maßnahme den Schutzeffekt, der den Bürgern im Wahljahr 2017 versprochen wird, nicht erzeugen.
I. Einleitung
Die begründete Kriminalitätsfurcht der Bürger und das dringende Bedürfnis nach wirksamen staatlichen Maßnahmen sollen weder bagatellisiert noch gar lächerlich gemacht werden, wenn hier die jüngsten Ankündigungen deutscher Innen- und Justizminister zur Verschärfung des Strafrechts kritisch kommentiert werden. Dass Hauseigentümer und Bewohner weitgehend schutzlos den Angriffen immer dreister und professioneller vorgehender Einbrecher ausgeliefert sind und von der personell unterbesetzten und daher notorisch überforderten Polizei keine Hilfe erwarten können, ist ein Eindruck, der nicht aus der Luft gegriffen, sondern für viele Betroffene bittere Realität ist.[1] Der Autor wohnt selbst in einem einbruchsgefährdeten Gebiet und kann ermessen, was es bedeutet, Opfer eines Einbruchs geworden zu sein. Nichts wünscht man sich also mehr als wirklich erfolgversprechende Gegenmaßnahmen, zu denen der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols zweifellos verpflichtet ist. Was aber die Politiker den Bürgern zu dem Thema aktuell präsentieren, ist Symbolpolitik und Wahlkampfrhetorik, die in der Sache selbst nichts bewegen wird.[2]
Strafrecht scheint gegenwärtig für die Politik eine Stellschraube zu sein, an der man zur Beschwichtigung der verunsicherten Bürger beliebig drehen kann.[3] Selbst Justizminister Maas räumt ein, dass es Politiker gebe, die „zu oft, zu schnell und zu laut nach dem Strafrecht rufen“.[4] Thomas Fischer weist in seiner Kolumne in ZEIT ONLINE zutreffend darauf hin, dass die Anhebung des Strafniveaus, die das 6. Strafrechtsreformgesetz[5] dem Wohnungseinbruchdiebstahl 1998 verpasst hat,[6] an der Misere nichts ändern konnte. Deshalb wird auch jede weitere Strafrechtsverschärfung nichts bewirken. Sie könnte sogar den kontraproduktiven Effekt haben, dass die Bürger im Vertrauen auf den Stärke und Entschlussfreudigkeit signalisierenden Staat sinnvolle Selbstschutzmaßnahmen unterlassen.[7] An die Verwirklichung des ehrgeizigen und voreilig verkündeten Plans noch vor Weihnachten einen Gesetzesentwurf aus dem BMJV vorzulegen, konnte man nicht ernsthaft glauben.[8] Nun darf man gespannt sein, welcher Grad gesetzgeberischer Sorgfalt diesen im Laufe des Jahres 2017 erscheinenden Entwurf prägen wird. Hoch sind die diesbezüglichen Erwartungen in Fachkreisen sicher nicht. Mit einer kleinen Korrektur des § 244 – Anhebung der Strafrahmenuntergrenze, Streichung der minder schweren Fälle – allein ist es nämlich jedenfalls dann nicht getan, wenn die gesetzliche Mindeststrafdrohung von sechs Monaten auf ein Jahr angehoben würde (dazu unten II).[9] Unklar ist zudem schon, ob die Strafdrohungsverschärfung den kompletten Tatbestand § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB betreffen soll oder nur einen Teil davon. In den öffentlichen Verlautbarungen wird stets vom „Einbruchdiebstahl“ gesprochen und zur Illustration des Phänomens wird üblicherweise der finstere Kapuzenmann gezeigt, der mit der Brechstange Tür oder Fenster aufhebelt.[10] § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB umfasst aber neben der Alternative „einbricht“ auch noch die Varianten „einsteigt“, „mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt“ sowie „sich in der Wohnung verborgen hält“.[11] Vor allem die letzte Alternative korrespondiert einem anderen Typus von Straftäter, dem insbesondere das furchterregende Moment der brachial gewalttätigen Vorgehensweise fehlt. Auch die Tatalternative „Einsteigen“ hat das Potential für eine deutlich mildere Bewertung als das Einbrechen, kommt doch beim Einsteigediebstahl häufig strafmaßrelevantes Mitverschulden des Opfers zum Tragen (z. B. Einstieg durch eine offene Balkontür).
II. Anhebung auf die Verbrechensstufe
Nach der jüngsten Konferenz der Innenminister und Innensenatoren in Saarbrücken zeigte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière nur teilweise zufrieden mit den gefassten Beschlüssen. Er – und mit dieser Forderung steht er nicht allein – möchte gern eine Steigerung der Strafrahmenuntergrenze auf ein Jahr, was bei den Ministerkollegen nicht einhellig auf Zustimmung stößt. Vielleicht hat der eine oder andere über die Konsequenzen nachgedacht, die eine solche gravierende Strafmaßanhebung auslösen würde. Mit der Umsetzung dieser radikalen Forderung ist gegenwärtig wohl nicht zu rechnen. Gleichwohl soll hier ein Blick auf die Auswirkungen im Gesamtbereich der Strafandrohungen des StGB geworfen werden, die diese massive Anhebung des Sanktionsniveaus nach sich zöge. Der Einbruchdiebstahl wäre mit einer gesetzlichen Mindeststrafe von einem Jahr ein Verbrechen, § 12 Abs. 1 StGB. Strafbar würden demzufolge z.B. die Verabredung zur Begehung mittäterschaftlichen Einbruchdiebstahls (§ 30 Abs. 2 StGB) und die Geldwäsche nach einem Wohnungseinbruch (§ 261 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Journalisten hätten nur noch ein eingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 2 S. 2 StPO) mit Auswirkungen auch in § 97 Abs. 5 S. 1 StPO und § 160 a Abs. 2 StPO. Das Absehen von Verfolgung und Anklageerhebung gem. §§ 153, 153 a StPO, §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JGG wäre nicht mehr möglich. Das sind alles Konsequenzen, gegen die zwingende Einwände nicht bestehen. Denn der Unterschied zur geltenden Rechtslage ist gering: ein großer Teil der Wohnungseinbrüche wird bandenmäßig ausgeführt und fällt daher in den Anwendungsbereich des Straftatbestands „Schwerer Bandendiebstahl“, § 244 a StGB, hat also schon jetzt Verbrechensqualität. Die Anhebung der Strafrahmenuntergrenze hätte praktische Bedeutung also nur für nicht bandenmäßig organisierte Täter. Ob deren Taten aber den Unrechtsgehalt haben, der dieses höhere Sanktionsniveau rechtfertigt, ist fraglich.
Damit ist das Hauptproblem des de Maizière’schen Vorschlags berührt: mit einer Strafuntergrenze von 1 Jahr stünde der Wohnungseinbruchdiebstahl auf gleicher Stufe wie eine Vielzahl von Straftaten, die nach geltendem Recht mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind.[12] Ein Unterschied zum schweren Bandendiebstahl bestünde nicht mehr, der grundtatbestandliche Raub (§ 249 StGB) höbe sich nur durch die höhere Obergrenze (15 Jahre, § 38 Abs. 2 StGB) ab. Dasselbe träfe auf den räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB) und die räuberische Erpressung (§ 255 StGB) zu. Zugleich würde der Abstand zum Einbruchdiebstahl in nicht zu Wohnzwecken genutzte Räumlichkeiten größer, § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB. Bei gemischt genutzten Tatobjekten käme der diffizilen Feststellung, ob das Einbrechen einer Wohnung oder einem anderen Zwecken dienenden Teil des Gebäudes galt, eine noch größere Erheblichkeit als bisher zu.[13] Bricht der Täter in den gewerblich genutzten Teil des Gebäudes ein, um von dort ohne weitere Einbruchshandlung in den Wohnbereich zu gelangen und dort zu stehlen, erfüllt er nach h.M. nicht den Tatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB.[14] Krass wäre die Distanz zwischen den beiden Entscheidungsalternativen bei geringer Tatbeute, denn dann versperrte auf der einen Seite § 243 Abs. 2 StGB den Weg zum besonders schweren Fall des Diebstahls und auf der anderen Seite stünde die Abschaffung des minder schweren Falls (dazu unten III) einer angemessenen Berücksichtigung der Geringwertigkeit entgegen.[15] Der Unterschied zwischen Wohnung und sonstigem Raum erhielte hier eine Strafmaßrelevanz, die angesichts der Gleichbewertung dieser Tatobjekte in § 123 StGB nicht einleuchtet.
Aber das Hauptproblem ist die Einebnung der Bewertungsdifferenzen, die bisher zwischen dem Wohnungseinbruchdiebstahl und den mit höherer Strafdrohung bewehrten Tatbeständen bestehen. Fällt diese Differenz weg, entfällt gegebenenfalls für den Täter in einer sich zuspitzenden Diebstahlssituation ein Grund, das schwerere Delikt Raub nicht zu begehen. Wenn der Täter schon mit dem (versuchten) Wohnungseinbruchdiebstahl mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe verwirkt hat, kann ihn die gesetzliche Mindeststrafe für einfachen Raub nicht davon abhalten, sich durch Anwendung von Gewalt oder Drohung freie Bahn – insbesondere auf dem Fluchtweg (§ 252 StGB) – zu verschaffen. Erweitert man den Blick auf den Besonderen Teil, fällt auf, dass das Stehlen aus einer Wohnung nach dem Plan de Maizières an der Strafrahmenuntergrenze dieselbe Schwerereinschätzung erfahren würde wie das komplette Niederbrennen des Wohngebäudes, § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Man kann darüber streiten, welche Tat bei dem Opfer eine stärkere Traumatisierung hinterlässt. Aber bei der schweren Brandstiftung käme immerhin noch eine Milderung in minder schwerem Fall in Betracht (§ 306a Abs. 3 StGB), sofern diese Regelung nicht auch gleich beseitigt würde.
Zwangsläufig müsste die Hebung des Strafniveaus bei § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB Strafsteigerungen bei anderen Tatbeständen nach sich ziehen. Bei § 244a StGB wäre eine Steigerung des gesetzlichen Strafmaßes unumgänglich. Denn ein „reiner“ Wohnungseinbruchdiebstahl und ein um das Unrechtselement der Bandeninvolvierung erweiterter Wohnungseinbruchdiebstahl können nicht denselben Strafrahmen haben. Das wäre die Gleichsetzung von Ungleichem.[16] Also die Untergrenze des § 244a Abs. 1 StGB auf zwei Jahre anheben oder die Obergrenze auf 15 Jahre oder beides? Dann hätte der bandenmäßige Wohnungseinbruchdiebstahl dasselbe Sanktionsniveau wie die besonders schwere Brandstiftung, § 306b Abs. 1 StGB, und wie die Vergewaltigung, § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB! Welcher Aufwuchs ist bei §§ 249, 252, 255 StGB erforderlich? Anheben lässt sich bei diesen Tatbeständen nur noch die Untergrenze. In Betracht kommen nur zwei Jahre, da bei drei Jahren schon das Gebiet des § 250 Abs. 1 StGB berührt wäre. Muss also auch das Strafniveau der Qualifikationen geliftet werden? Bei § 250 Abs. 2 StGB ist das Maximum schon jetzt erreicht, zehn Jahre Mindeststrafe (vgl. §§ 239a Abs. 3, 251, 316a Abs. 3 StGB) wären definitiv zu viel, sechs oder sieben Jahre wären im Strafrecht ein Novum.[17] Geringer würde der Abstand zum Mord, dessen überfällige Novellierung im Rechtsfolgenbereich dadurch möglicherweise in noch weitere Ferne rücken würde.[18] Insgesamt müsste also die Hochstufung des Wohnungseinbruchdiebstahls auf die Verbrechensebene im Besonderen Teil des StGB umfangreiche Strafgrenzenverschiebungen zur Folge haben, von denen man nur abraten kann. Alles das lässt sich vermeiden, indem beherzigt wird, was schon lange gegenüber dem geltenden Strafrecht moniert wird: dass nämlich die Strafrahmen der §§ 242 ff. StGB viel zu hoch sind.[19]
III. Wegfall der minder schweren Fälle
Die Innenminister haben sich auf ihrer Konferenz in Saarbrücken darauf geeinigt, die strafmildernde Beachtlichkeit des „minder schweren Falls“ zu beseitigen. Aufgehoben oder eingeschränkt werden soll also Absatz 3 des § 244 StGB, der erst 2011 eingeführt worden war,[20] um vor allem bei § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB der intrikaten Problematik des „Alltagsgegenstands“ als „gefährliches Werkzeug“ gerecht werden zu können.[21] Da daran wohl nichts geändert werden soll, wird die Neufassung wahrscheinlich allein den § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus dem Anwendungsbereich des § 244 Abs. 3 StGB entfernen: „In minder schweren Fällen des Abs. 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren“.[22] Auf Fälle des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist § 244 Abs. 3 StGB dann nicht mehr anwendbar. Damit würde allerdings innerhalb des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht differenziert werden zwischen Einbrechen und den anderen Varianten, wie z.B. dem Sichverborgenhalten. Auf den ersten Blick erscheint der Sanktionsschärfungseffekt der Maßnahme minimal. Denn die meisten – aber nicht alle[23] – minder schweren Fälle eines Einbruchdiebstahls dürften ohnehin einen Schuldgehalt haben, der eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten trägt. Dennoch ist auch in solchen Fällen eine Unterschreitung der 6-Monatsgrenze theoretisch möglich: die Verbindung der Freiheitsstrafe mit einer weiteren ahndenden Sanktion hat auf Grund der Wechselwirkung zwischen diesen Sanktionen eine Reduzierung des Strafmaßes zur Folge.[24] Wird also gem. § 41 StGB neben Freiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt, erkennt das Gericht auf Fahrverbot gem. § 44 StGB[25] oder ordnet es die Einziehung eines dem Täter gehörenden Gegenstands gem. § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB an,[26] muss die Freiheitsstrafe ermäßigt werden, damit die Gesamtsanktionslast schuldproportional bleibt.[27] Daraus kann sich eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten ergeben. Diese Möglichkeiten werden durch die Aufhebung des § 244 Abs. 3 StGB in Bezug auf Wohnungseinbruchdiebstähle beseitigt. Der Bereich zwischen einem Monat und sechs Monaten ist dann nur noch über § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB oder § 49 Abs. 2 StGB zugänglich.
Bezweckt ist damit eine Verschärfung der Sanktionspraxis der Strafgerichte. Diese sollen daran gehindert werden, Wohnungseinbruchdiebstähle mit Bewährungsstrafe oder gar Geldstrafe zu ahnden. Denn mit der Anhebung der Mindeststrafe auf sechs Monate wird die Anwendung sowohl des § 47 StGB als auch des § 56 Abs. 3 StGB erschwert.[28] Es geht also darum, der „Verteidigung der Rechtsordnung“ ihre milderungshemmende Wirkung auch bei minder schweren Fällen von Wohnungseinbruchdiebstählen umfassende Geltung zu verschaffen. Nach geltendem Strafrecht ist eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zwar möglich, § 47 Abs. 1 StGB. Ihre Vollstreckung ist aber unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB zwingend zur Bewährung auszusetzen, selbst wenn die Verteidigung der Rechtsordnung Vollstreckung geböte, § 56 Abs. 3 StGB. Die Strategie der Politik ist leicht zu durchschauen: durch mediengestütztes Schüren von Kriminalitätsfurcht soll der Justiz zu der Einsicht verholfen werden, dass „zur Verteidigung der Rechtsordnung“ gegen Wohnungseinbrecher ein Zeichen gesetzt werden muss. Einbrecher sollen auf jeden Fall in den Knast geschickt werden. Deswegen müssen die lästigen Hindernisse § 47 und § 56 Abs. 3 StGB weggeräumt werden. Warum nur kommt einem dabei § 2 S. 1 StVollzG in den Sinn: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“? Ob das wohl während eines 6-monatigen Strafvollzugs gelingt? Gewiss hält eine pauschale Verdammung der kurzen Freiheitsstrafe als resozialisierungsuntauglich und mehr Schaden als Nutzen stiftend einer differenzierenden Analyse nicht stand.[29] Dennoch ist von einem kurzen Aufenthalt im Strafvollzug ein nachhaltiger Resozialisierungseffekt nicht zu erwarten.
Keinen Einfluss hätte die Beseitigung der Milderungsmöglichkeit für minder schwere Fälle auf alle Verfahren, in denen Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Der nicht geringe Anteil an Tatverdächtigen, die als Heranwachsende unter den Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 JGG jugendstrafrechtlich zu sanktionieren sind, bliebe von der Strafrechtsverschärfung unberührt. Zwar enthalten die ministerialen Ankündigungen unterschwellig auch die Botschaft an die Gerichte, hart und konsequent „durchzugreifen“, statt Milde walten zu lassen, also nicht Jugendstrafrecht, sondern Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Das ist aber nicht zu verwechseln mit dem verfassungsrechtlichen Gebot, das Strafrecht einschließlich des Jugendstrafrechts richtig anzuwenden. Nur diese Richtschnur ist für die Gerichte verbindlich, und dass diese sich von deren Beachtung nicht durch politische Forderungen abbringen lassen, darf als selbstverständlich unterstellt werden.[30] Zu hoffen ist dies auch in Bezug auf die möglicherweise den Gerichten angesonnene Verhängung von hohen Freiheitsstrafen mit der Komponente „Verdachtsstrafe“: Gewiss mit gutem Grund kann man bei vielen Einbrechern davon ausgehen, dass es sich um Mehrfachtäter handelt. Oftmals wird der für eine Verurteilung erforderliche Tatnachweis jedoch allein hinsichtlich der Einzeltat möglich sein, anlässlich derer der Beschuldigte von der Polizei ergriffen worden ist. Der Versuchung, bei der Strafzumessung einen Zuschlag für nicht aufgeklärte, aber vermutete weitere Einbruchsdelikte aufzusatteln, sollten die Gerichte widerstehen.
IV. Alternativen
Weniger der materielle Verlust durch Entwendung von Wertgegenständen – für dessen Ausgleich oftmals Versicherungen sorgen – sondern vielmehr das beängstigende Gefühl, in dem Rückzugsraum der „eigenen vier Wände“ nicht mehr vor kriminellen Übergriffen geschützt zu sein,[31] prägt den Wohnungseinbruchdiebstahl als hochgradig individualgutsverletzende Straftat.[32] Damit erweist sich dieses Delikt auch als ein Indikator der relativen Vernachlässigung einer Gruppe immaterieller Rechtsgüter im geltenden Strafrecht, die man als „Privatsphäre“ oder „privater Frieden“ bezeichnen kann.[33] Psyche, Seele, Gefühle sind Begriffe, die mit Blick auf das geltende Strafrecht herangezogen werden, um die Nichtstrafbarkeit oder mangelnde Strafwürdigkeit von Verhalten zu begründen: Weil „nur“ die Psyche betroffen ist, ist eine Tat keine Körperverletzung,[34] weil er „nur“ religiöse Gefühle schütze, gehöre der Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) abgeschafft[35] usw.[36] Auf der anderen Seite belegt die aktuelle Strafbarkeitsausdehnung beim Nachstellungs-Tatbestand, § 238 StGB, dass das Bewusstsein der Strafwürdigkeit angsterzeugender, das individuelle Sicherheitsgefühl erschütternder und damit auch das gesellschaftliche Klima belastender Angriffe durchaus vorhanden ist. Allgemein „lässt es sich ernsthaft nicht bestreiten, dass gerade seelische Wunden den Menschen häufig noch schwerer und nachhaltiger treffen als körperliche“ schrieb 1990 der Würzburger Zivilrechtler Hans Forkel in der Festschrift für den Kriminalwissenschaftler Friedrich-Wilhelm Krause.[37] Die Debatte um den Wohnungseinbruchdiebstahl widmet sich daher einem wichtigen Thema und ist im Grunde sehr zu begrüßen. Allerdings wird das Thema wie so oft zu eng und kleinteilig behandelt und deswegen auch im Tatbestandssystem des StGB an der falschen Stelle platziert. Das Eindringen in die Privatsphäre löst die traumatisierende Wirkung beim Opfer ja nicht nur dann aus, wenn der oder die Täter Sachen stehlen wollen.[38] Wie der berühmte „Spanner-Fall“ zeigte, ist die unbefugte Anwesenheit des Eindringlings als solche bereits geeignet, das Leben der betroffenen Bewohner nachhaltig zu beeinträchtigen.[39] Zu Recht fragt Seier: „Ist es für das Opfer nicht psychisch weitaus belastender, wenn der Täter in die Wohnung eindringt, um dort gemütlich zu übernachten oder um – etwa in der Ferienzeit – für mehrere Tage Unterschlupf zu suchen?“[40]. Neben dem Diebstahl sind z.B. auch mutwillige Zerstörung (Vandalismus), Schaffung von Chaos und Unordnung, Besudelung mit Kot und Urin und dergleichen Beispiele für Störungen, die dem Betroffenen unmissverständlich signalisieren, dass diese Wohnung für ihn kein sicherer Ort mehr ist.[41] Oftmals ist ein Wohnungs- oder gar Wohnortwechsel der einzige Ausweg.
Wenn also die Bürger vor derartigen Beeinträchtigungen ihrer Lebenssituation durch das Strafrecht besser geschützt werden sollen, müsste großflächiger und an anderer Stelle angesetzt und vor allem das immaterielle Rechtsgut in den Mittelpunkt gerückt werden. Dieses Rechtsgut ist im Kontext des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht deutlich genug sichtbar, weil dort der Schutz des Eigentums der dominante Aspekt ist.[42] Der richtige Rahmen ist der Hausfriedensbruchtatbestand § 123 StGB,[43] dessen positivgesetzliches Erscheinungsbild das geschützte Rechtsgut als minder schutzwürdig, die rechtsgutsverletzende Kriminalität dementsprechend als geringfügig aussehen lässt.[44] Schon die undifferenzierte Aufreihung heterogener Tatobjekte mit unterschiedlich ausgeprägtem Privatsphärenbezug ist eine Schwäche des Tatbestandes. Die „Wohnung“ sollte als besonders schutzwürdig nicht allein dadurch hervorgehoben werden, dass sie im Gesetzestext entgegen dem Alphabet als erstes Objekt erwähnt wird. Auch der Strafrahmen könnte eine Staffelung vertragen, indem bestimmte besonders sensible Tatobjekte – in erster Linie die Wohnung – auf ein höheres Strafniveau gestellt werden.[45] Gesetzestechnisch kann dies mittels der Rechtsfigur des Qualifikationstatbestandes oder durch Schaffung eines mit Regelbeispielen angereicherten „besonders schweren Falles“[46] umgesetzt werden. Des Weiteren sollte das Modell des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB in die Struktur des § 123 StGB eingearbeitet werden und zwar in inhaltlich erweiterter und um 180 Grad gedrehter Form: Nicht nur der Diebstahl, sondern jegliche beabsichtigte Straftat, die der Täter mittels Eindringen in die Wohnung zu begehen beabsichtigt, soll die Tat qualifizieren (vgl. §§ 211 Abs. 2, 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. b, 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB). „Um 180 Grad gedreht“ meint, dass Tatelemente, die in § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB den Grundtatbestand bilden, bei § 123 StGB die Funktion der Qualifikation übernehmen.[47] Bei § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist es umgekehrt: Die Verwirklichung des § 123 StGB qualifiziert den Diebstahl. Generell sind Grundtatbestand und Qualifikation austauschbare Elemente der gesetzgeberischen Straftatarchitektur: Auch § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB kann umgeformt werden in ein Waffendelikt (§§ 51 ff. WaffG), das qualifiziert wird, wenn der Täter eine Straftat begeht, bei der er die Waffe bei sich führt der verwendet. § 239a StGB und § 316a StGB könnten als Raubqualifikationen in § 250 StGB, §§ 315b, 315c StGB könnten als Körperverletzungsqualifikationen in § 224 StGB einbezogen werden. Die hier zur Diskussion gestellte Erweiterung des § 123 StGB hätte eine Überschneidung mit § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zur Folge, wenn die Begehung des Diebstahls und der sonstigen Straftat wie z.B. bei § 316a StGB als überschießende Innentendenz in den subjektiven Tatbestand eingebaut würde. Auf diese Weise erlangte die von §§ 242 ff. StGB noch nicht erfasste diebstahlsvorbereitende Anwesenheit des Täters in der Wohnung strafrechtliche Relevanz. Sobald der Diebstahl ins Versuchsstadium eingetreten ist, träte der qualifizierte Hausfriedensbruch hinter dem qualifizierten Diebstahl zurück.
V. Schluss
Strafrecht soll straftatverhindernd wirken und man darf annehmen, dass es das bis zu einem gewissen Grade auch tatsächlich leistet. Wie viele potentielle Straftaten gerade deswegen nicht begangen worden sind, weil der potentielle Täter sich durch die gesetzliche Strafdrohung oder das Erleben tatsächlicher Strafverfolgung hat abschrecken lassen, ist nicht bekannt.[48] Sicher ist, dass ein auf Strafrechtsverschärfung beruhender Rückgang von Kriminalität das Resultat eines komplexen und langwierigen kommunikativen Prozesses „strafrechtlicher Sozialkontrolle“ ist.[49] Wenn also Politikerankündigungen suggerieren, auf eine Anhebung des Strafniveaus bei Wohnungseinbruchdiebstählen werde rasch ein spürbares Sinken der Kriminalitätsbelastung folgen, ist das eine falsche Botschaft. Es mag sein, dass das Versprechen „es wird etwas getan“ zu ein wenig Beruhigung der Bevölkerung beiträgt, was zweifellos ein begrüßenswerter Effekt politischer Aktivität wäre. Gleichwohl wird durch Gesetzgebung allein die Kriminalität nicht unmittelbar und sofort „bekämpft“[50] werden. Dazu bedarf es echter physischer Straftatvorbeugung, wie z.B. verstärkter Polizeipräsenz, erhöhter Wachsamkeit im nachbarschaftlichen Bereich und sicherheitstechnischen Selbstschutzes potentieller Tatopfer.[51] Alles das kann und muss durch nichtstrafrechtliche staatliche Maßnahmen gefördert werden. Strafrecht ist subsidiär, ultima ratio.[52] Was die Strafgerichte an Stärkung des Sicherheits- und Gerechtigkeitsgefühls beitragen können, ist auf der Basis des geltenden § 244 StGB ohne weiteres möglich.[53] Verschärfungen des Strafrechts sind dafür nicht notwendig.
[1] Schwind, Kriminologie und Kriminalpolitik, 23. Aufl. (2016), § 19 Rn. 23a; Seier, FS Kohlmann, 2003, S. 295.
[2] Stam, Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) v. 14.1.2 2016, S. 21.
[3] Das Bild ist etwas schief, weil man Schrauben in zwei entgegengesetzte Richtungen („Uhrzeigersinn“, „Gegenuhrzeigersinn“) drehen kann, wovon die Kriminalpolitik aber gegenwärtig nur einseitig Gebrauch macht; zutr. Hillenkamp, KriPoZ 2016, 3 Fn. 7.
[4] Maas, NStZ 2015, 305 (309).
[5] Umfassende Kritik an der durch das 6. Strafrechtsreformgesetz geschaffenen Strafrahmengesamtsituation im BT des StGB bei Hettinger, FS Küper, 2007, S. 95 ff., insb. S. 108: „Desaster“.
[6] Dazu Dencker, in: Dencker/Struensee/Nelles/Stein, Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz, 1998, S. 6 ff.; Mitsch, ZStW 111 (1999), 65 (83). Von „drakonischer“ Sanktionsverschärfung spricht Seier, FS Kohlmann, S. 295.
[7] Stam, PNN v. 14.12. 2016, S. 21.
[8] Bei Abschluss des Manuskripts am 30.12. 2016 lag noch kein Gesetzentwurf vor.
[9] Lediglich die Streichung der minder schweren Fälle sah der vom Freistaat Bayern im Januar 2015 in den Bundesrat eingebrachte Gesetzesentwurf vor, der sich deshalb mit der entsprechenden Änderung der Gesetzestexte in § 244 Abs. 3 StGB und in § 244a Abs. 2 StGB begnügen konnte.
[10] So z. B. das Foto in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. 12. 2016 („Höhere Strafen schrecken Serieneinbrecher nicht“).
[11] Seier, FS Kohlmann, S. 295 (306).
[12] Hettinger, FS Küper, S. 95 (103).
[13] Seier, FS Kohlmann, S. 295 (304).
[14] BGH, NStZ 2008, 514 (515); a.A. Ladiges, JR 2008, 493 (495), nach dem ein Einbruch in den Geschäftsraum zugleich ein „mittelbarer“ Einbruch in die Wohnung sein kann.
[15] Vgl. das „Wimpel-Beispiel“ bei Seier, FS Kohlmann, S. 295 f.
[16] Hettinger, FS Maiwald, 2010, S. 293 (300).
[17] Hettinger, FS Küper, S. 95 (102).
[18] Zu der Gefahr eines zu dichten Heranrückens an das Strafniveau von Mord und Totschlag Hettinger, FS Küper, S. 95 (112).
[19] Hettinger, FS Küper, S. 95 (112).
[20] Krit. zum Fehlen der Milderungsvorschrift nach dem 6. StrRG Seier, FS Kohlmann, S. 295 (296).
[21] BT-Drs. 17/4143, S. 7; krit. Fischer, StGB, 63. Aufl. (2016), § 244 Rn. 52a.
[22] So der Gesetzentwurf des Freistaats Bayern vom Januar 2015.
[23] Dencker (Fn. 6), S. 6.
[24] BGHSt 32, 60 (66); 41, 20 (27).
[25] BGHSt 24, 11 (12); 29, 58 (61); Geppert, in: LK-StGB, Bd. 2, 12. Aufl. (2006), § 44 Rn. 22; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 44 Rn. 14.
[26] Eser, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, 1969, S. 357; Eser, in: Schönke/Schröder (Fn. 25), § 74 Rn. 40.
[27] Kinzig/Stree, in: Schönke/Schröder (Fn. 25), § 46 Rn. 70.
[28] Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 3. Aufl. (2015), § 14 Rn. 12.
[29] Eindrucksvoll Weigend, JZ 1986, 260 ff.
[30] Stam, PNN v. 14.12. 2016, S. 21.
[31] Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf (Fn. 28), § 14 Rn. 7 Fn. 11.
[32] Bloy, FS Eser, S. 233 (245); Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder (Fn. 25), § 244 Rn. 30; Schwind (Fn. 1), § 19 Rn. 23b; Stam, PNN v. 14.12.2016, S. 21.
[33] Bloy leitet seinen Beitrag zur Festschrift für Albin Eser (2005), S. 233 mit der Bemerkung ein, die Frage nach einem strafrechtlichen Schutzgut „psychische Integrität“ erscheine ‘eher ungewöhnlich’.
[34] Bloy, FS Eser, S. 233 (234); Knauer, Der Schutz der Psyche im Strafrecht, 2013, S. 199 ff.; Ruppert, JR 2016, 686 ff; Eser, in: Schönke/Schröder (Fn. 25), § 223 Rn. 4.
[35] Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 354.
[36] Dagegen entschieden für zumindest die Beibehaltung des bestehenden strafrechtlichen Schutzes emotionaler, seelischer Bereiche Forkel, FS Krause, 1990, S. 297 (309).
[37] Forkel, FS Krause, S. 297 (298).
[38] Bloy, FS Eser, S. 233 (255); Dencker (Fn. 6), S. 6; Seier, FS Kohlmann, S. 295 (299).
[39] BGH, NJW 1979, 2053.
[40] Seier, FS Kohlmann, S. 295 (299).
[41] Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht Besonderer Teil 1, 10. Aufl. (2009), § 33 Rn. 124: „… das Gravamen des Wohnungseinbruchdiebstahls liegt in dem Durchsuchen und Durchwühlen der Wohnung …“.
[42] Bloy, FS Eser, S. 233 (250).
[43] Seier, FS Kohlmann, S. 295 (299); zutreffend kritisierte schon Dencker (Fn. 6), S. 6 die Inkonsequenz, dass nach der Sanktionsverschärfung gegen Wohnungseinbruchdiebstahl in § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Hausfriedensbruch weiterhin mit einer Strafe von 5 Tagessätzen bis zu einem Jahr bedroht ist.
[44] Ostendorf, in: NK-StGB, 4. Aufl. (2013), § 123 Rn. 16; Steinberg, Die Bestrafung wegen des Versetzens in Todesangst, 2014, S. 73.
[45] Zur Differenzierung nach dem Grad der Schutzwürdigkeit bei der Strafzumessung nach geltendem Recht Ostendorf, in: NK-StGB (Fn. 44), § 123 Rn. 53; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder (Fn. 25), § 123 Rn. 37.
[46] Zu deren Problematik Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf-Heinrich (Fn. 28), § 14 Rn. 14 ff.
[47] Seier, FS Kohlmann, S. 295 (300).
[48] Meier, Kriminologie, 5. Aufl. (2016), § 9 Rn. 82 ff.
[49] Meier (Fn. 48), § 9 Rn. 5.
[50] Zutr. ablehnend gegen diese militaristische Ausdrucksweise in der Kriminalpolitik Hettinger, NJW 1996, 2263 (2264); ders., FS Küper, S. 95 (101) Fn. 42.
[51] Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf-Heinrich (Fn. 28), § 14 Rn. 8; Stam, PNN v. 14.12. 2016, S. 21.
[52] Maas, NStZ 2015, 305 (307).
[53] Hettinger, FS Küper, S. 95 (115); ders., FS Maiwald, S. 293 (317).