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„Hass trifft Helfer“ Bericht über das 19. Kriminologische Forum in Mainz

von Tamara Großmann, M.A., Prof. Dr. Dr. Hauke Brettel und Dr. phil. Matthias Rau

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Am 9. Februar 2017 fand in Mainz zum 19. Mal das „Kriminologische Forum“ statt, für das einmal im Jahr Beschäftigte aus den Bereichen Justiz, Sozialarbeit, Polizei, Ärzteschaft, Psychologie, Kriminologie, Universität u. a. zusammenkommen, um in einem Wissenschafts-Praxis-Austausch kriminologische Themen zu diskutieren. Den Auftakt machen dabei jeweils Impulsreferate, die sich diesmal unter dem Titel „Hass trifft Helfer“ der Gewalt gegen Funktionsträger des Gemeinwesens widmeten. Gehalten wurden sie von der Kriminologin Dr. Janina Lara Dressler, dem Rettungsdienstmitarbeiter Christoph Kröhl, dem Polizeibeamten Markus Moog sowie dem Rechtsanwalt Dr. Christoph Schallert.

I. Einführung

Zuvor ging der Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Universität Mainz, Prof. Dr. Dr. Hauke Brettel, in seiner Einführung auf den Gesetzesentwurf des Bundeskabinetts[1] ein, der unter anderem einen neuen Straftatbestand (§ 114 StGB) zur Ahndung von „tätliche[n] Angriffe[n] auf Vollstreckungsbeamte“ vorsieht. Diese Personengruppe, so Brettel, solle mit den Neuregelungen nicht nur – wie bisher durch die strafrechtliche Erfassung eines Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in § 113 StGB – besonderen strafrechtlichen Schutz im Zusammenhang mit Vollstreckungshandlungen, sondern während ihrer gesamten Dienstzeit genießen. Auch setze eine Bestrafung nach dem neuen § 114 StGB nicht mehr voraus, dass die Tathandlung zu einer konkreten Verletzung des Opfers geführt habe. Und statt einer Geldstrafe (wie bisher) seien drei Monate Haft als Mindeststrafe sowie eine Strafschärfung für das bloße Mitführen eines gefährlichen Werkzeugs vorgesehen. Justizminister Heiko Maas habe dazu (im Einklang mit Forderungen von Polizeigewerkschaften und Landesinnenministern) verlauten lassen, dass es „höchste Zeit“ für einen wirkungsvolleren Schutz sei, denn – so Maas in einer Pressemitteilung:[2] „Alle Einsatzkräfte riskieren Gesundheit und Leben, um unseren Rechtsstaat zu verteidigen und anderen zu helfen. Dafür haben sie unsere Wertschätzung und unsere Unterstützung verdient.“ Vor allem aber steige die Zahl der Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte und Polizisten würden „alltäglich brutal attackiert“.

Die ersten Reaktionen auf diese Gesetzesinitiative, so Brettel, seien unterschiedlich ausgefallen. So habe der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt von „guten Bestimmungen“ gesprochen, bei deren Anwendung es jetzt der Justiz obliege, daraus „harte Urteile zu machen, damit die Wirkung nicht verfehlt wird“. Allerdings werde das zugrunde liegende Problem nach Auffassung von Wendt durch die Neuregelung nicht gelöst, schon weil die Strafverschärfung nicht weit genug gehe und noch erheblich größere Anstrengungen „etwa für bessere Erziehung und Wertevermittlung“ unternommen werden müssten.[3] In der Presseberichterstattung, so Brettel, habe es demgegenüber unter anderem geheißen, der von der Regierung behauptete Regelungsbedarf ließe sich nicht mit Daten in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) belegen. So sei darüber berichtet worden, dass im Jahr 2011 noch 22.839 Fälle von „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ in der PKS erfasst worden seien, während es im Jahr 2015 nur noch 21.945 gewesen seien.[4] Mit Blick darauf sei die Notwendigkeit von Strafverschärfungen in diesem Bereich von Medienvertretern in Frage gestellt und ein „weil alles immer schlimmer wird“ eher als „politische Sichtweise“ eingeordnet worden.[5] Und soweit es tatsächlich vermehrt Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte geben sollte, stünden nach einer in den Medien geäußerten Auffassung mit den Nötigungs-, Beleidigungs- und Körperverletzungstatbeständen bereits ausreichende Bestrafungsmöglichkeiten bereit.[6] Zudem, so ein anderer Kommentar, habe „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte einiges damit zu tun […], mit welcher Massivität Polizisten bei ihren Einsätzen auftreten und vorgehen.“[7] In diesem Betrachtungszusammenhang sei auch der Hinweis ergangen, dass die geltende Strafvorschrift des „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ nach § 113 StGB als Privilegierung gegenüber der Nötigung nach § 240 StGB gedacht sei.[8] Denn die Betroffenen von einer Vollstreckungsmaßnahme befänden sich nach Auffassung des Gesetzgebers in einem „begreiflichen Erregungszustand“[9] und seien wegen dieses erhöhten Konfliktpotenzials milder als bei einer Nötigung nach § 240 StGB zu bestrafen. Schon die Änderungen des § 113 StGB im Jahr 2011 hätten jedoch das Regelungsanliegen stärker in Richtung Individualschutz für Polizisten verschoben, was jetzt nicht noch weiter fortgesetzt werden dürfe.

Widerspruch in der Presse habe auch die Regierungsbegründung für die Neuregelung hervorgerufen, dass eine bürgernahe Polizei besonders schutzbedürftig sei und nicht durch das ständige Tragen von Helm und Schutzkleidung „eine ungewollte Distanz zum Bürger aufbauen“ dürfe.[10] Denn (so Christian Rath in der „taz“): „Wir alle laufen jeden Tag auf der Straße ohne Helm und Protektoren herum!“[11] Tatsächlich seien Polizisten nach seiner Auffassung „eher weniger schutzbedürftig als normale Bürger“. Denn Polizisten seien für den Dienst gerüstet, auf Konfrontationen vorbereitet, körperlich gut trainiert sowie ausgebildet für Prügelei und Deeskalation. Auch hätten sie als berufsmäßig Gefährdete eher etwas mehr hinzunehmen als andere. Dies aber verkehre der jetzige Regierungsentwurf nun ins Gegenteil, indem er aus den Ordnungshütern „Unberührbare“ machen wolle. Damit werde nicht zuletzt das verfassungsrechtliche Prinzip herausgefordert, dass vor dem Gesetz alle gleich seien. Denn Polizeibeamte sollten nunmehr durch unterschiedliche Strafdrohungen gegen tätliche Angriffe besser geschützt werden als normale Bürger. Darin liege zugleich ein strafrechtlicher Paradigmenwechsel, indem erstmals die körperliche Unversehrtheit einer bestimmten Gruppe von Menschen stärker gewichtet werde als die anderer Personen. Weder seien nur Angriffe auf Polizisten – wie von Heiko Maas betont – „völlig inakzeptabel“, noch würden lediglich Polizisten „alltäglich brutal attackiert“. Vielmehr gelte dies für alle Bürger, wobei bestimmte Gruppen wie Flüchtlinge, Lehrer oder Mitarbeiter der Arbeitsämter sogar vermehrt das Ziel von Tätlichkeiten seien.[12]

Auch seien in der Presse, so Brettel, grundsätzliche Zweifel daran geäußert worden, dass der bezweckte Schutz von Vollstreckungsbeamten mit einer Strafrahmenerhöhung erreicht werden könne. Denn Strafrahmen, so die Begründung, böten nur durch eine Abschreckungswirkung Schutz. Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte würden jedoch vor allem von Personen angegriffen, die sich in (z. B. konflikt- oder alkoholbedingten) Erregungszuständen befänden und deshalb für die Abschreckungswirkung gesetzlicher Strafdrohungen nicht mehr zugänglich seien.[13] Deshalb, so eine Schlussfolgerung, sehe Wertschätzung für Polizisten anders aus als eine Strafrahmenerhöhung, die „kein Orden [sei], den man bestimmten Berufsgruppen umhängt.“[14] Klüger sei es, die Polizei „mit reichlich qualifiziertem Personal und zeitgemäßem Material auszustatten, um derlei Gesetze zu erübrigen.“[15]

II. Forschung zur Gewalt gegen Rettungskräfte

Im Anschluss an den – von Brettel bewusst nicht kommentierten – Überblick über die Gesetzesinitiative und die Reaktionen darauf stellte Dressler ihre Studie zu „Gewalt gegen Rettungskräfte – Eine kriminologische Großstadtanalyse“[16] vor, die sich mit körperlichen und verbalen Übergriffen gegen Angehörige von Rettungsdiensten und Feuerwehren im Rahmen einer Opferbefragung befasst. Entsprechenden Forschungsbedarf leitete Dressler daraus ab, dass erst seit 2011 Hellfelddaten zu den untersuchten Gewaltphänomenen vorlägen, während Befunde zum Dunkelfeld gänzlich fehlten. Dressler führte deshalb zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 eine Onlinebefragung bei den Berufsfeuerwehren in Hamburg, Berlin, Köln sowie München durch und ergänzte ihre Erhebungen durch qualitative Interviews auf 25 Feuer- und Rettungswachen (n = 1659). Die Rücklaufquote bei der Onlinebefragung habe (bei einer Varianz von 5 % und 58 %) wohl deshalb großen Schwankungen unterlegen, weil das Thema auf den einzelnen Wachen für unterschiedlich bedeutsam gehalten worden sei. Brennpunktwachen beispielsweise wären vergleichsweise häufig von Zwischenfällen betroffen, weshalb man hier wahrscheinlich auch auf eine große Auskunftsbereitschaft bei der Frage nach Gewalt gegen Rettungskräfte treffe. Auch seien bei den Rücklaufquoten große regionale Unterschiede (etwa zwischen Berlin und München) aufgefallen.

Zu den Studienergebnissen berichtete Dressler, dass 93,4 % der Befragten Opfererfahrungen mit Beleidigungen, Beschimpfungen und Bespucken und 74,8 % mit Bedrohungen bejahten. In Berlin und Hamburg hätten die Betroffenen dabei durchschnittlich 3,3 Mal pro Jahr körperliche Angriffe erlitten, in Köln hingegen 2,7 Mal und in München 1,8 Mal pro Jahr. Insgesamt sei für das Jahr 2014 von 4.383 Übergriffen berichtet worden. TäterInnen seien nach den vorliegenden Daten häufig die Patienten selbst sowie deren Angehörige und Freunde gewesen, während sich Schaulustige oder Unbeteiligte dagegen (außer in Berlin) seltener an Übergriffen beteiligt hätten. Die Studie ließe zwar keinen Rückschluss auf einen prozentualen Anteil zu, doch habe sich ergeben, dass Übergriffe unter Alkoholeinfluss ein weit verbreitetes Problem zu sein scheinen. Insbesondere eine Kombination aus starker Alkoholisierung und weiterem Rauschmitteleinfluss habe nach den vorliegenden Ergebnissen gravierende Auswirkungen auf die (auch verbale) Gewaltbereitschaft und würde die Unberechenbarkeit steigern, die mit derartigen Vorkommnissen einhergehe. Zum Alter der TäterInnen gaben die Befragten an, nach eigener Einschätzung vor allem von Personen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren angegriffen worden zu sein. Danach wäre die Tätergruppe hier im Durchschnitt älter als beim Gesamtaufkommen der Kriminalität, wo der Höhepunkt der Kriminalitätsbelastungskurve bei unter 21-Jährigen liege. Darüber hinaus schienen nach den Befragungsergebnissen soziales Milieu und kultureller Hintergrund Einfluss auf das Risiko zu haben, in Übergriffe auf Rettungskräfte involviert zu sein.

Zu Präventionsmöglichkeiten führte Dressler aus, dass ein Großteil der gravierendsten Angriffe, die die Beteiligten jeweils erlebt hätten, überraschend erfolgt sei und deshalb von den Rettungskräften nicht mehr durch deeskalierende Intervention habe abgewendet werden können. In lediglich 10 % der Fälle hätten die Opfer mit einem Angriff gerechnet. Nur ein geringer Teil der Straftaten habe eine Strafanzeige zur Folge gehabt, die ihrerseits meist (nur) zu einer Verfahrenseinstellung mit der Begründung mangelnden öffentlichen Interesses geführt habe. Die Anzeigebereitschaft der betroffenen Rettungskräfte dürfte dies weiter herabsetzen und dazu beitragen, dass die Aktualität und Brisanz des Themas Öffentlichkeit und Politik nicht in der gebotenen Weise erreiche.

Bei der Frage nach den gegenwärtigen Ausbildungsstandards bejahten weniger als 4 % der StudienteilnehmerInnen eine gute Vorbereitung auf verbale und physische Übergriffe. Die Zusammenarbeit mit der Polizei hingegen werde überwiegend positiv eingeschätzt; vor allem eine örtliche Nähe zwischen Polizei und Rettungskräften habe hier günstigen Einfluss. 36,7 % der Berliner Befragten hätten auf die Frage „Es gibt in unserer Stadt Einsatzorte, an denen ich nur mit Polizeischutz eingesetzt werden möchte“ mit „trifft voll zu“ und 29 % mit „trifft eher zu“ geantwortet, was demnach insgesamt einer Zustimmung von 65,7 % entspräche. In Hamburg und in Köln hätten jeweils über 50 % diesen Aussagen voll oder eher zugestimmt, in München hingegen nicht einmal 20 %. Zu den Gründen befragt verwiesen in Hamburg und Berlin 50 % sowie in München 22,8 % der befragten Rettungskräfte auf einen Respektverlust. Diese Angaben würden sich ausschließlich auf die Antwortmöglichkeit „trifft voll zu“ beziehen.

Abschließend formulierte Dressler Präventionsüberlegungen auf Grundlage von Verbesserungswünschen der Befragten. Diese hätten vor allem Vertrauen und Rückhalt sowie eine Stärkung der Gemeinschaft als zentral bewertet. Zudem entspreche es dem Wunsch der Rettungskräfte, Gewalterfahrungen im Einsatz aufzuarbeiten. Diese Aspekte sollten nach Auffassung von Dressler in der Aus- und Weiterbildung von Rettungskräften berücksichtigt und präventiv nutzbar gemacht werden, wobei vor allem die Auseinandersetzung mit Einsatzbedingungen und Schutzmaßnahmen von besonderer Bedeutung sei. Darüber hinaus müsse Gewalt gegen Rettungskräfte stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden und im Rahmen der Strafverfolgung anders behandelt werden.

III. Erfahrungen mit Gewalt gegen Rettungskräfte

Die Studie von Dressler wurde anschließend durch zwei Berichte über eigene Gewalterfahrungen im Dienst ergänzt. Während Kröhl dazu Eindrücke aus seinem Alltag als Rettungsdienstmitarbeiter schilderte, berichtete der Polizeibedienstete Moog vor allem über einen gravierenden Übergriff im Zusammenhang mit einem Fußballspiel.

Verbale Gewalt, so Kröhl, sei regelmäßiger Bestandteil seiner Tätigkeit gewesen. Personen unter Alkohol- und Drogeneinfluss seien dabei besonders durch Aggressivität aufgefallen, weshalb er entsprechende Zustände im Laufe der Zeit als Warnsignal für einen wahrscheinlichen Übergriff gewertet habe. Neben Substanzmittelmissbrauch sei ein typischer Auslöser für Spannungen vor allem, dass ein Einsatzablauf nicht den Vorstellungen des Patienten entsprechen würde (etwa in Bezug auf die gewünschte Anzahl von möglichen Begleitpersonen oder hinsichtlich einer Kostenübernahme bestimmter Leistungen). Daneben seien sowohl Demenzkranke als auch Personen über 50 Jahre überdurchschnittlich häufig in Gewalthandlungen involviert gewesen. Aggressionen hätten sich nicht ausschließlich gegen Personen gerichtet, sondern auch gegen Sachmittel wie Rettungsfahrzeuge. Kröhl formulierte dazu die These, dass der Anblick von Uniformen an sich schon eine gewisse Bereitschaft zu Übergriffen provoziere. Verstärkte Vorsicht bis zu Vermeidungsverhalten seien Konsequenzen aus den Gewalterfahrungen.

Moog schilderte daran anschließend, wie er 2009 im Zusammenhang mit dem Aufstiegsspiel von Mainz 05 gegen Rot-Weiß-Oberhausen Opfer eines gewaltsamen Angriffes geworden sei. Er und weitere Polizeibeamte seien unerwartet aus einer Gruppe von Fußballanhängern heraus mit teilweise brennenden Gegenständen und klebenden Chemikalien aggressiv und anhaltend attackiert worden. Als Folge habe Moog Verletzungen am Auge erlitten, die zum Glück mittlerweile restlos ausgeheilt seien. Doch habe sich im Nachgang sein Problembewusstsein in Bezug auf Gewalt gegen die Polizei deutlich verändert. Während die lokale Presse von dem Vorfall unmittelbar berichtet habe, sei eine offizielle Stellungnahme durch die Polizei zunächst ausgeblieben. Er habe Strafanzeige erstattet, von der Justiz aber keine Rückmeldung über den Ausgang des Verfahrens erhalten. Er persönlich halte eine konsequente und zeitnahe Umsetzung des geltenden (Straf-)Rechts für die effektivste Reaktion auf derartige Übergriffe.

IV. Zwischenruf zu Gewalt gegen Rettungskräfte

Den Abschluss der Impulsbeiträge bildete ein Zwischenruf von Schallert unter dem Titel: „Wer sich verhält wie ein Cop, darf sich nicht wundern, wenn er behandelt wird wie ein Cop“. Schallert vertrat die Ansicht, dass ein respektvoller Umgang stets auf Gegenseitigkeit beruhe. Zur Wahrheit gehöre eben auch, dass sich Polizeibeamte nicht selten selbst respektlos gegenüber Bürgern verhalten und damit zur Eskalation von sowieso schon angespannten Situationen beitragen. Er untermauerte seine Aussage mit Berichten aus der Presse, etwa einem Fall, in dem ein SEK irrtümlich eine falsche Wohnung gestürmt und nach Erkennen des Fehlers wortlos die Fesseln der Bewohner gelöst und sie ohne Entschuldigung einfach liegengelassen habe. Oder der Aussage eines Polizei-Ausbilders: was für den Friseur der Kamm sei, sei für den Polizisten die Waffe. Auch er selbst habe schon Beamte bei Polizeikontrollen und -einsätzen erlebt, die sich ohne Anlass respektlos und provozierend verhalten hätten. Schallert stellte die weitere These in den Raum, dass auch das (neue) äußere Erscheinungsbild der Polizei ein neues Selbstverständnis ausdrücke und die Chance erhöhe, als „Cop“ wahrgenommen und behandelt zu werden, und belegte dies mit einem Vergleich offizieller Polizeibilder: Während auf früheren Bildern Beamte in grün-beige-braunen Uniformen Funkgeräte in der Hand hielten und als „Schutzmann“ erschienen, würden sie auf den neuen Bildern in ihren (an die amerikanische Polizei erinnernden) blauen Uniformen oft mit ihrer Hand an der Waffe und deutlich distanzierterer Körperhaltung gezeigt. Schon solche Äußerlichkeiten könnten beim Gegenüber negative Emotionen auslösen und zum Eskalieren von Situationen beitragen. Insgesamt sei es die Aufgabe einer professionell ausgebildeten Polizei, ggf. trotz Provokationen deeskalierend auf das Gegenüber einzuwirken und Widerstände für einen kommunikativen Prozess zu nutzen, etwa in Form des „Verbalen Judos“, das auch amerikanische Polizeibeamte mittlerweile lernen und mit großem Erfolg anwenden würden.

V. Diskussion

In der anschließenden Plenumsdiskussion wurde immer wieder auf den – als unklar eingestuften – Begriff der Respektlosigkeit und auf mögliche Zusammenhänge mit emotionalen Ausnahmezuständen Bezug genommen. Moog gab zu bedenken, dass eine gewisse Verantwortungs- und Respektlosigkeit gegenüber der Gesellschaft bereits dadurch zum Ausdruck käme, dass jemand sich selbst in einen Zustand des Kontrollverlustes bringe. Mehrere TeilnehmerInnen der Diskussion vertraten die Ansicht, dass Angriffe auf Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehrangehörige und zivile Personen auf ganz unterschiedliche Gründe zurückzuführen wären. Neben Respektlosigkeit sollten auch politische Hintergründe, psychische Notlagen oder eine allgemeine Unzufriedenheit als mögliche Motivlagen thematisiert werden. Differenziert werden müsse darüber hinaus zwischen verschiedenen Gruppen von Funktionsträgern (wie z. B. Polizei einerseits und Feuerwehrleuten andererseits). Auch käme es entscheidend auf die Situation an, in der die Übergriffe entstünden. Unterstrichen wurde überdies von Angehörigen der Polizei bzw. der Rettungsdienste aus dem Publikum der hohe präventive Stellenwert, der einer Verantwortungswahrnehmung durch den Dienstherrn und kontinuierlichen Schulungen zuteil werde. Auch diskutierte die Zuhörerschaft über unterschiedliche Risikoprofile innerhalb einzelner Berufsgruppen. So gebe es Einzelne, die überdurchschnittlich häufig Opfer von gewaltsamen Übergriffen würden, was die Frage nach deren Verantwortungsbeitrag zu einer Eskalation aufwerfe. In der Diskussion kristallisierte sich zudem heraus, dass Handlungsbedarf vor allem im Hinblick auf die Behandlung von Gewalttaten gegen Rettungskräfte durch Staatsanwaltschaften und Gerichten bestehe. Eine bessere personelle Ausstattung der Justiz könnte beispielsweise zu kürzeren Strafverfahren beitragen. Abschließend wurde von einem Veranstaltungsteilnehmer auf die – von Vertretern der Polizei, der Rettungsdienste und der Feuerwehr getragenen – Kampagne „Helfer sind tabu“ aufmerksam gemacht, die von der Kreisverwaltung Mainz-Bingen koordiniert werde. Sie wolle die Öffentlichkeit für Gewalt gegen Rettungskräfte sensibilisieren, Betroffene (symbolisch) unterstützen und Schulungen zur Gewaltprävention etablieren.[17]

 

[1]      Http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Schutz_Vollstreckungsbeamte.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[2]      Http://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/02082017_Kabinett_Schutz_Polizei.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[3]      Http://www.derwesten.de/politik/polizeigewerkschaft-will-noch-haertere-strafen-fuer-angreifer-id209538947.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[4]      Http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzesverschaerfung-haertere-strafen-fuer-angriffe-auf-polizisten-1.3369557 (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[5]      Http://www.tagesspiegel.de/politik/gewalt-gegen-ordnungshueter-polizisten-sind-zu-schuetzen-aber-auch-nicht-mehr-als- andere-buerger/19366314.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[6]      Vgl. dazu http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/widerstand-gegen-vollstreckungsbeamte-stgb-verschaerfung-polizisten-angriffe/ (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[7]      Http://www.tagesspiegel.de/politik/gewalt-gegen-ordnungshueter-polizisten-sind-zu-schuetzen-aber-auch-nicht-mehr-als-andere-buerger/19366314.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[8]      Dazu http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/widerstand-gegen-vollstreckungsbeamte-laengere-strafen-nur-gesetzgeberischer-aktionismus/ (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[9]      Vgl. BT-Drs. VI/502, S. 3 f.
[10]    S. dazu „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“, S. 9, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Schutz_Vollstreckungsbeamte.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[11]    Http://www.taz.de/!5379862/ (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[12]    Dazu http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/polizei-und-buerger-die-pruegelknaben-14868245.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[13]    Dazu http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/widerstand-gegen-vollstreckungsbeamte-stgb-verschaerfung-polizisten-angriffe/  unter Hinweise auf http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/widerstand-gegen-vollstreckungsbeamte-laengere-strafen-nur-gesetzgeberischer-aktionismus/ (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[14]    S. dazu http://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-09-02-2017-polizisten-koerperverletzung-parteispenden-filesharing/?r=rss (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[15]    Http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/polizei-und-buerger-die-pruegelknaben-14868245.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).
[16]    Dressler, Gewalt gegen Rettungskräfte. Eine kriminologische Großstadtanalyse, 2017.
[17]    Siehe http://www.asb-mainz.de/news-lesen/helfer-sind-tabu-gemeinsame-kampagne-von-rettungsdiensten-polizei-und- feuerwehr.html (zuletzt abgerufen am 17.3.2017).

 

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