Abstract
Am 21. Februar 2019 hat der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Abgeordneten von CDU/CSU und SPD die Ergänzung des § 219a StGB um einen Absatz 4 auf der Grundlage eines Gesetzesentwurfs der Koalition[1] beschlossen. Nicht nur dieser neue Gesetzestext, sondern auch die unverändert fortbestehenden älteren Bestandteile des § 219a StGB sind diskussionsbedürftig, zumal die Forderung nach ersatzloser Streichung des Paragraphen weiterhin im Raum steht. Die Forderung erscheint mir nicht nur aus (kriminal)politischen, sondern auch aus strafrechtsdogmatischen Gründen berechtigt. Letzterer Aspekt wird jedoch in der Debatte vernachlässigt. Das ist hoffentlich kein Symptom für wachsende Geringschätzung der wichtigen Begrenzungsfunktion, die Strafrechtsdogmatik gegenüber der Kriminalpolitik hat. Allerdings weckt der unreflektierte Umgang mit der Figur „abstraktes Gefährdungsdelikt“ kombiniert mit einem offenbar recht elastischen Verständnis vom strafrechtlich zu schützenden „Rechtsgut“ Bedenken. Nicht mehr der Schutz eines Rechtsgutes, sondern die Befriedigung eines (angeblichen) gesellschaftlichen Bedürfnisses nach Organisation des Zusammenlebens zum Zwecke der Vorbeugung gegenüber künftigen Rechtsgutsverletzungen wird zur Legitimationsbasis einer Strafvorschrift erklärt und dem pönalisierten Verhalten zwecks Anschluss an die Dogmatik das offenbar grenzenlos verwendbare Etikett „abstraktes Gefährdungsdelikt“ angeheftet. Mancher zu § 219a StGB veröffentlichte Text klingt wie ein – von der Autorin möglicherweise so gar nicht gemeintes – Plädoyer für eine moralische Ertüchtigung der Gesellschaft mittels Strafrecht. Das wäre eine Zweckentfremdung des Strafrechts, da der Staat nicht das Recht hat, den Bürgern ein bestimmtes moralisches Verhalten vorzuschreiben. Zwang zu ethisch hochwertigem Verhalten mittels Strafrecht ist nur legitim, wenn es in Wirklichkeit um die Verhinderung strafwürdiger Rechtsgutsverletzungen geht.
On February 21, 2019, a parliamentary majority comprised of the CDU/CSU and SPD members of the Bundestag voted in favor of a government bill amending Section 219a of the German Criminal Code (StGB) by adding a 4thparagraph. This new piece of legislation as well as the unamended paragraphs of Section 219a StGB, however, still need to be discussed and require further contemplation. Especially in light of the unwavering demand to repeal the provision outright. This demand seems justified to me not only for (criminal) political reasons but also for reasons of criminal law doctrine. The latter aspect, however, is overlooked in the current debate. One can only hope that this is not further evidence of the growing disregard for the important restrictive function, which the criminal law doctrine has towards criminal politics. What raises concern in that regard is both the unreflecting addition of offenses of abstract endangerment (“abstrakte Gefährdungsdelikte”) as well as an extensive interpretation of the legal asset protected under criminal law. It is no longer the protection of a legal asset that serves to legitimize a criminal provision but rather the satisfaction of an (alleged) social need to organize human coexistence, with view to preventing future infringements. To comply with criminal doctrine, the penalized behavior gets the apparently boundless classification as an offense of abstract endangerment. Some text published to Section 219a StGB sounds like a – quite possibly inadvertently – plea for a moral strengthening of society by means of criminal law. That would be a misappropriation of criminal law since the state does not have the right to prescribe certain moral conduct to its citizens. Forcing people to behave in a highly ethical manner by means of criminal law is only legitimate if it is, in reality, a matter of preventing infringements of legally protected assets.
I. Einleitung
§ 219a StGB stellt die Werbung für Verhaltensweisen unter Strafdrohung, die nach § 218 StGB strafbar sein können. Der Wortlaut des Gesetzes bezieht aber ebenso die Werbung für Taten ein, die gemäß § 218a StGB nicht strafbar – im Fall des § 218a Abs. 2, 3 StGB sogar gerechtfertigt[2]– sind. Anstoß daran wird im Schrifttum kaum genommen.[3] Mit der Einführung des neuen Absatz 4 wurde die Strafbarkeit der Werbung für straflosen Schwangerschaftsabbruch eingeschränkt, aber nicht vollständig beseitigt. Es ist daher immer noch notwendig, über die Berechtigung der Strafdrohung insgesamt zu diskutieren. In der Strafrechtswissenschaft genießt § 219a StGB auch nach der öffentlichen Debatte, die durch das – vom Landgericht Gießen bestätigte[4]– Urteil des Amtsgerichts Gießen[5] ausgelöst wurde, beachtlichen Rückhalt. Das ist erstaunlich, da Gegenstand der Strafvorschrift keine Rechtsgutsverletzung, ihre Legitimation daher zweifelhaft und in erhöhtem Maße begründungsbedürftig ist. Wer für Schwangerschaftsabbruch wirbt, tötet keine schwangere Frau, tötet kein ungeborenes Baby und schädigt auch nicht die Gesundheit einer schwangeren Frau.[6] Er verletzt also kein Leben und keine Gesundheit. Dennoch sei die Werbung für Schwangerschaftsabbruch eine Straftat, nämlich ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Mit diesem Hinweis auf eine Deliktsgattung, deren Charakteristikum das Fehlen einer Erfolgskomponente ist, kann man dem Einwand, der Strafvorschrift liege keine strafwürdige Rechtsgutsbeeinträchtigung zugrunde, einigen Wind aus den Segeln nehmen: Abstrakte Gefährdungsdelikte sind Instrumente der „Strafbarkeitsvorverlagerung“. Dass in der gesetzlichen Beschreibung der Tat keine Schädigung von irgendetwas zu erkennen ist und daher mangels beschädigtem Objekt im Dunkeln bleibt, welches Gut hier eigentlich geschützt wird, liegt an der Strafbarkeitsvorverlagerung. Es liegt nicht daran, dass diesem Delikt kein schutzwürdiges Rechtsgut korrespondiere. Das ist nicht schlimm, denn abstrakte Gefährdungsdelikte sind im Strafrecht etabliert und gelten nicht als grundsätzlich inakzeptabel. Dieser Ansicht bin ich auch. Das Fehlen einer Rechtsgutsverletzung und die Legitimation der Kriminalisierung durch den Schutz des in concreto nicht verletzten Rechtsgutes widersprechen sich nicht. Dafür gibt es im geltenden Strafrecht genügend Beispiele. Aber Voraussetzung der so begründeten legitimierenden Wirkung ist ein richtiger Gebrauch sowohl des Begriffs „Rechtsgut“ als auch des Begriffs „abstraktes Gefährdungsdelikt“. Vor allem müssen „Rechtsgut“ und „abstraktes Gefährdungsdelikt“ richtig zueinander in Beziehung gesetzt werden. An letzterem mangelt es m. E. in Bezug auf § 219a StGB. Ein schutzwürdiges Rechtsgut zu benennen ist nicht schwer, zumal das Bundesverfassungsgericht auch das „ungeborene Leben“ als hohes und strafschutzwürdiges Gut anerkennt. Aber eine den Tatbestand des § 219a StGB erfüllende Tat entfaltet gegenüber diesem geschützten Rechtsgut keine Wirkung, die man als abstrakte Gefährlichkeit bezeichnen könnte. Dennoch wird das Gegenteil in jedem Text zu dem Thema behauptet, obwohl oder weil niemand die Straftatbeschreibung des § 219a StGB auf den Prüfstand einer allgemeingültigen Definition des abstrakten Gefährdungsdelikts stellt.
II. Tatbestandsgattung
1. Die Behauptung vom „abstrakten Gefährdungsdelikt“
Die im Text des § 219a Abs. 1 StGB abgebildete Straftat wird nahezu einhellig als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ bezeichnet,[7] indessen ohne nähere Begründung. Weder wird der Aussage eine explizite Definition von „abstraktes Gefährdungsdelikt“ vorangestellt noch wird dargetan, welche Komponenten der Tat diese Charakterisierung rechtfertigen. Definitionen für Begriffe, die – wie „abstraktes Gefährdungsdelikt“ – einen großen Anwendungsbereich haben, werden üblicherweise durch die Lehre vom Allgemeinen Strafrecht entwickelt und dann mit den Tatbeständen des Besonderen Teils verbunden, zu denen sie passen. Aber der Impuls zur Entfaltung des Bedeutungsgehalts entspringt im Falle des Begriffs „abstraktes Gefährdungsdelikt“ zunächst einmal Betrachtungen einzelner Deliktstypen des Besonderen Teils. Diese verschafften uns eine zutreffende Vorstellung vom Begriff des abstrakten Gefährdungsdelikts, weil sich die Begriffsbildung an den dazu geeigneten Straftatbeständen orientierte. Das belegen die zahlreichen Erläuterungen in Kommentaren zu Straftaten, die – wie z. B. § 316 StGB – wirklich abstrakte Gefährdungsdelikte sind. Auf dieser Basis ist eine Überprüfung der dogmatischen „Natur“ des § 219a StGB möglich. Das Resultat wären erhebliche Zweifel an der Kompatibilität der Werbung für Schwangerschaftsabbruch mit dem Format des abstrakten Gefährdungsdelikts. Aber dieser Überprüfung widmet sich niemand. Die „Subsumtion“ des in § 219a StGB kriminalisierten Werbungsverhaltens unter den zugrunde gelegten Begriff vom abstrakten Gefährdungsdelikt findet nicht statt. Würde man einen Juristen darum bitten das abstrakte Gefährdungsdelikt zu erklären und ein prägnantes Beispiel zu zeigen, würden – davon bin ich überzeugt – die meisten auf § 316 StGB verweisen.[8] § 219a StGB hingegen würde niemand als Musterbeispiel und Anschauungsobjekt eines abstrakten Gefährdungsdelikts wählen.[9] Des Weiteren würde ein didaktisch halbwegs versierter Erklärer Bezug nehmen auf die Figuren des Verletzungsdelikts und des konkreten Gefährdungsdelikts, um durch Gegenüberstellung mit dem abstrakten Gefährdungsdelikt dessen Wesen noch klarer hervortreten lassen. Dabei würde unweigerlich auch der Begriff „Rechtsgut“ Erwähnung finden, denn ohne diesen lässt sich über die genannten Deliktsgattungen, ihre Unterschiede und Relationen nichts Verständliches sagen.
Was bislang fehlt, soll im Folgenden nachgeholt werden: der Entwurf einer für alle abstrakten Gefährdungsdelikte passförmigen Skizze desselben und ihre Konfrontation mit dem Tatbestand des § 219a StGB. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: eine Tat, die den Tatbestand des § 219a Abs. 1 StGB erfüllt, ist kein abstraktes Gefährdungsdelikt. Denn die Tat und ihre Wirkung ist von dem geschützten Rechtsgut und dessen Verletzung zu weit entfernt. Deswegen kann eine solche Tat niemals die Bedingungen eines abstrakten Gefährdungsdelikts erfüllen. Weil § 219a StGB weder ein Verletzungsdelikt noch ein konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt normiert, sollte die Tat überhaupt nicht als Delikt im Sinne des Strafrechts anerkannt werden. Allenfalls für das Ordnungswidrigkeitenrecht könnte die materielle deliktische Substanz der Tat ausreichen. Mit der Negierung des Charakters als abstraktes Gefährdungsdelikt verliert die komplette Strafnorm ihre Legitimation. Der Begriff „abstraktes Gefährdungsdelikt“ sollte aus der Kommunikation über das Thema herausgehalten werden, weil er in diesem Zusammenhang irreführend ist. Denn indem die Verteidiger der Strafvorschrift den Begriff „abstraktes Gefährdungsdelikt“ verwenden, täuschen sie – sicher ohne unredliche Absicht – Legitimation vor und verleiten insbesondere diejenigen zur Zustimmung, die – wie der Verfasser – generell gegen abstrakte Gefährdungsdelikte nichts einzuwenden haben.
2. Verletzungs-, konkretes Gefährdungs- und abstraktes Gefährdungsdelikt
Die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist kein abstraktes Gefährdungsdelikt. Zur Begründung dieser Behauptung ist eine Definition des Begriffs „abstraktes Gefährdungsdelikt“ notwendig. Diese lässt sich nur mittels einer eng an den Begriffen Rechtsgut, Verletzungsdelikt und konkretes Gefährdungsdelikt orientierten Wesensbestimmung gewinnen. Über die Begriffe Verletzungsdelikt und konkretes Gefährdungsdelikt besteht einhelliger Konsens. Ein Verletzungsdelikt ist eine Tat, durch die das geschützte Rechtsgut verletzt wird. Präziser ausgedrückt ist es nicht das Rechtsgut, das verletzt wird, sondern ein reales Objekt, das zu der Klasse der geschützten Gegenstände gehört.[10] Das Rechtsgut als normative Kategorie kann nicht verletzt werden, sofern man unter „Verletzung“ die zustandsverschlechternde Folge einer physischen Einwirkung versteht. Der Verletzung des Rechtsguts Leben korreliert in der Welt der realen Dinge der Tod eines soeben noch lebendig gewesenen Menschen. Ein konkretes Gefährdungsdelikt ist demgemäß eine Tat, durch die ein solches Objekt zumindest in konkrete Verletzungsgefahr gebracht wird. Ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist eine Tat, die ein geschütztes Objekt konkret gefährden und sogar verletzen könnte, einen derartigen Erfolg aber im konkreten Fall nicht verursacht, z. B. weil kein taugliches Objekt in den Wirkungsbereich des von der Tat freigesetzten Verletzungspotentials geraten ist. Wird ein Wohnhaus in Brand gesetzt, während sich darin ein Mensch befindet, ist die Brandstiftung ein konkretes Lebensgefährdungsdelikt, vgl. § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB. Hält sich in dem Haus und dessen Nähe während der Inbrandsetzung kein Mensch auf, ist die Brandstiftung nicht konkret lebensgefährdend, gleichwohl ein abstraktes Lebensgefährdungsdelikt, § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Diese Erklärung rekurriert auf ein System, dessen Nukleus das identische Rechtsgut ist: handelt es sich bei diesem z.B. um das „Leben“, wird durch das Verletzungsdelikt das Leben verletzt (ein Mensch getötet ), durch das konkrete Gefährdungsdelikt das Leben konkret gefährdet (ein Mensch in konkrete Todesgefahr gebracht) und durch das abstrakte Gefährdungsdelikt eine potentielle Todesursache erzeugt, die das Leben konkret gefährden oder gar verletzen würde, wenn ein Mensch mit ihr in Berührung käme. Wenn man also von einem abstrakten Gefährdungsdelikt spricht, stellt man gedanklich stets eine Beziehung zum konkreten Gefährdungsdelikt und zum Verletzungsdelikt her und geht dabei davon aus, dass es dasselbe Rechtsgut ist, das verletzt, konkret gefährdet oder abstrakt gefährdet werden kann.
Das bedeutet im Kontext des § 219a StGB: wenn die Werbung ein abstraktes Gefährdungsdelikt wäre, schützte § 219a StGB ein Rechtsgut, dessen konkrete Gefährdung und Verletzung denkbar und – auf der Grundlage einer anderen Strafvorschrift – möglicherweise auch strafbar ist. Es ist offensichtlich, dass dieses Rechtsgut nur die Menschwerdung der Leibesfrucht sein kann.[11] Die Leibesfrucht ist noch kein Mensch und hat deshalb im juristischen Sinn noch kein „Leben“. Sie hat aber das Recht, ein Mensch zu werden und als solcher leben zu können. Dieses Rechtsgut wird durch § 218 StGB gegen Verletzung geschützt. Mit der Vernichtung des nasciturus wird die Geburt verhindert und das Recht auf Menschwerdung verletzt. Die Ähnlichkeit mit dem Rechtsgutsverletzungserfolg „Tod“ in §§ 211, 212, 216, 222 StGB ist unverkennbar. Konkrete Gefährdung dieses Rechtsguts wäre somit eine Tat, mit der die Gefahr des Absterbens des nasciturus vor Beginn der Geburt verursacht wird. Im typischen Fall der „bloß“ konkreten Gefährdung kommt das Kind lebend auf die Welt, wäre aber beinahe noch vor Einsetzen der Eröffnungswehen „gestorben“. Das StGB enthält keinen Tatbestand, der eine derartige konkrete Gefährdung pönalisiert.[12] Vorstellen kann man ihn sich, z. B. als Inhalt einer Strafvorschrift, die den Konsum fruchtschädigender Lebens-, Genuss- oder Betäubungsmittel, die Einnahme von Medikamenten mit fruchtschädigenden Wirkstoffen oder die Ausübung riskanter Sportarten oder sonstiger Tätigkeiten durch die schwangere Frau pönalisiert. Auch die Körperverletzung zum Nachteil einer schwangeren Frau könnte als konkrete Gefährdung einer Schwangerschaft – z. B. als zusätzliche Variante des § 224 Abs. 1 StGB – ausgestaltet werden.[13] Aber solche Straftatbestände gibt es im geltenden Recht nicht. Schon diese Lücke im strafrechtlichen Rechtsgüterschutz weckt Zweifel an der Existenz eines abstrakten Gefährdungsdelikts. Wieso sollte das Rechtsgut gegen Verletzung und abstrakte Gefährdung, nicht aber gegen konkrete Gefährdung geschützt sein? Ist nicht der Strafwürdigkeitsgehalt eines konkreten Gefährdungsdelikts (z. B. § 315 c Abs. 1 Nr. 1 StGB) höher als der eines abstrakten Gefährdungsdelikts (z. B. § 316 StGB)? Warum ist dann das Delikt mit der geringeren Strafwürdigkeit unter Strafdrohung gestellt, das Delikt mit der höheren Strafwürdigkeit dagegen nicht?
Der scheinbare Systembruch liegt aber tatsächlich nicht vor, weil – wie gesagt – § 219a StGB kein abstraktes Gefährdungsdelikt normiert. Im geltenden Strafrecht ist der nasciturus nicht nur gegen konkrete Gefährdung nicht strafrechtlich geschützt, sondern auch nicht gegen abstrakt gefährliche Handlungen. Wäre die in § 219a StGB beschriebene Tat ein abstraktes Gefährdungsdelikt, dann müsste sie das Potential zur konkreten Gefährdung und somit letztlich auch zur Verletzung des nasciturus haben. Sie müsste also zur Beinahe-Abtötung der Leibesfrucht im Mutterleib geeignet sein und diesen Erfolg im konkreten Fall nur deswegen nicht verursachen, weil bestimmte Umstände nicht vorliegen, die aber durchaus auch vorliegen könnten. Genannt seien die oben skizzierten Beispiele etwa der gefährlichen Sportart: von einer Schwangeren ausgeübt ist eine solche Unternehmung für die Leibesfrucht gefährlich und häufig tatsächlich konkret gefährdend. Im Einzelfall kann aber auf Grund glücklicher Umstände die Gefährdung ausblieben, was an der abstrakten Gefährlichkeit nichts ändern würde. Die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche kann aber unter keinen Umständen dazu führen, dass ein nasciturus unmittelbar in die Gefahr gebracht wird, vor Beginn der Geburt abzusterben. Um dieses Stadium zu erreichen, müssten weitere Handlungen vollzogen werden, die vom Tatbestand des § 219a StGB nicht mehr erfasst wären.
3. Objektive Zurechnung und abstraktes Gefährdungsdelikt
Die Vertreter der Auffassung, dass Werbung für Schwangerschaftsabbruch ein abstraktes Gefährdungsdelikt sei, würden wahrscheinlich an den letzten Satz anknüpfend Folgendes vortragen: Werbung für Schwangerschaftsabbruch erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass schwangere Frauen sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden und daraufhin von einem Arzt ein Eingriff ausgeführt wird. Die Geburt wird also verhindert, ein ungeborener Mensch wird letztlich getötet und die Werbung dafür ist eine der Ursachen dieses Erfolges. Zudem ist die Tötung der Leibesfrucht keine atypische und zufällige, sondern die adäquate und vom Werbenden intendierte Folge. Die Werbung hat also sehr wohl das Potential der Gefährdung und Verletzung des geschützten Rechtsgutes. Dem ist zuzustimmen und dennoch macht dieses Potential die Werbung nicht zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt. Denn wenn die konkret folgenlose Werbung als abstraktes Gefährdungsdelikt strafbar wäre, dann müsste der Werbende in allen Fällen einer Werbung mitanschließendem Schwangerschaftsabbruch wegen Verletzung des Rechtsgutes, also aus § 218 StGB, strafbar sein. Das ist er bei gem. § 218a StGB straflosen Schwangerschaftsabbrüchen zweifellos nicht und er ist es auch nicht bei Schwangerschaftsabbrüchen, die wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 218a StGB strafbar sind. Denn der Abbruchserfolg kann ihm objektiv nicht zugerechnet werden. Zwischen der Werbung und dem „Tod“ der Leibesfrucht stehen immer die Entscheidung der Schwangeren, die Entscheidung des den Abbruch durchführenden Arztes sowie die Ausführung des Schwangerschaftsabbruchs durch den Arzt unter Mitwirkung der Schwangeren.[14] Dieses eigenverantwortliche „Dazwischentreten“ ist nach h.M. ein unüberwindliches Zurechnungshindernis.[15] Relevant ist dieses Zurechnungshindernis nicht nur bei den Erfolgsdelikten. Es sollte auch bei jedem abstrakten Gefährdungsdeliktstatbestand, der von einem Erfolgsdelikt (Verletzungsdelikt, konkretes Gefährdungsdelikt) abgeleitet ist, relevant sein. Nur eine gefährliche Handlung, der im Erfolgseintrittsfalle die konkrete Gefährdung oder Verletzung des Rechtsgutes objektiv zugerechnet werden könnte, kann eine tatbestandsmäßige abstrakte Gefährdung sein. Diese Bedingung ist jedenfalls dann unverzichtbar, wenn man die Begriffe Verletzungsdelikt, konkretes Gefährdungsdelikt und abstraktes Gefährdungsdelikt als Teile eines konsistenten Systems versteht, bei dem die einzelnen Elemente so zueinander in Beziehung stehen, dass sie ein System bilden, das diesen Namen wirklich verdient und nicht eine bloße inkohärente Ansammlung von Einzelteilen ist.[16]
4. Wenn kein abstraktes Gefährdungsdelikt, was sonst?
Der hier vertretene Standpunkt ist nicht nur eine Abweichung von der herrschenden Auffassung zur Deliktsnatur des § 219a StGB. Er impliziert auch eine grundlegende Kritik an der mangelnden Kongruenz der allgemeinen Tatbestandslehre, die in Lehrbüchern zum Allgemeinen Strafrecht entfaltet wird, mit der Masse der Straftatbestände im Besonderen Teil des Strafrechts einschließlich des Nebenstrafrechts. Der Besondere Teil wird in der Darstellung des Allgemeinen Teils nicht vollständig abgebildet. Nahezu jedes Lehrbuch zum Allgemeinen Teil enthält einen Abschnitt über „Arten der Tatbestände“[17] mit einem Unterabschnitt, in dem die Tatbestände nach dem Grad der jeweiligen Rechtsgutsbeeinträchtigung erläutert werden, wodurch der Eindruck eines geschlossenen Systems entsteht. Dieser Unterabschnitt enthält Verletzungsdelikte, konkrete Gefährdungsdelikte und abstrakte Gefährdungsdelikte.[18] Eine weitere Kategorie unterhalb der Stufe „abstraktes Gefährdungsdelikt“ findet sich jedoch nirgends. Folglich muss der gesamte Besondere Teil des Strafrechts in dieses dreigliedrige[19] Schema (Trias) eingeordnet werden können. Jede vollendete Straftat des geltenden Rechts muss entweder Verletzungsdelikt, konkretes Gefährdungsdelikt oder abstraktes Gefährdungsdelikt sein. Wenn das aber doch nicht so ist, dann ist das dreigliedrige Schema unvollständig. Es muss dann noch mindestens eine weitere Tatbestandsform geben, die nicht einmal das Element der abstrakten Gefährlichkeit aufweist, also einen noch geringeren Beeinträchtigungsgrad hat. Was für ein Tatbestand soll das sein? Gibt es eine noch schwächere Beeinträchtigungsintensität unterhalb des abstrakten Gefährdungsdelikts? Gibt es Straftaten ohne jedes Beeinträchtigungspotential? Wenn ja, warum schweigen die Lehrbücher des Allgemeinen Strafrechts dazu?
Die Recherche in StGB-Kommentaren deckt zahlreiche Tatbestände auf, deren Kommentierung entweder keine klare Zuordnung zu der Trias erkennen lässt oder sich eines extrem weiten Begriffs des abstrakten Gefährdungsdelikts kombiniert mit einer fragwürdigen Schutzgutsbestimmung bedient. Die Belohnung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) wird im Münchener Kommentar als abstraktes Gefährdungsdelikt charakterisiert, das sich gegen den „Geltungsanspruch der Rechtsordnung“ richte.[20] Der Schönke/Schröder sieht hingegen als geschützte Rechtsgüter den „öffentlichen Frieden“ sowie – mittelbar – „die in den von § 140 StGB in Bezug genommenen Tatbeständen geschützten Rechtsgüter“.[21] Ob der Grad der Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter durch eine vollendete Tat Verletzung, konkrete Gefährdung oder abstrakte Gefährlichkeit ist, wird in der Kommentierung aber nicht thematisiert.[22] Ist die Belohnung eines begangenen (versuchten) Mordes (§ 140 Nr. 1 StGB i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB) ein abstraktes Lebensgefährdungsdelikt oder ein den öffentlichen Frieden abstrakt gefährdendes Delikt? Ein anderer Problemfall ist die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, § 189 StGB. Weil bei diesem Tatbestand schon keine Einigkeit über das geschützte Rechtsgut zu erzielen ist,[23] äußert sich verständlicherweise auch niemand dazu, ob hier ein Rechtsgut verletzt, konkret gefährdet oder lediglich eine abstrakt rechtsgutsgefährdende Handlung vollzogen wird. Dieses Beispiel zeigt im Übrigen auch den Zusammenhang zwischen der Bestimmung der Beeinträchtigungsintensität und der Bestimmung des vom Straftatbestand geschützten Rechtsgutes.[24] Wo es nicht einmal gelingt, überhaupt ein Rechtsgut zu identifizieren, da wird auch kein Wort zur Trias Verletzungsdelikt, konkretes Gefährdungsdelikt oder abstraktes Gefährdungsdelikt verloren. Die Pönalisierung der Verbreitung tierpornographischer Schriften (§ 184a StGB) sei „Sanktionierung eines Tabubruchs und damit eines nur unmoralischen Verhaltens“.[25] Wie soll man nach dieser Festlegung noch sinnvoll etwas zu Verletzung oder Gefährdung sagen?[26]
Die Untersuchung könnte fortgesetzt und auf andere Straftatbestände im Besonderen Teil des StGB und im Nebenstrafrecht erstreckt werden. Der bis jetzt schon ernüchternde Befund erführe dadurch keine Besserung, im Gegenteil. Weitere Fundstücke würden bestätigen, dass das Etikett „abstraktes Gefährdungsdelikt“ freigiebig verteilt wird, gefördert durch das Fehlen einer klaren und restriktiven Definition sowie durch die Erfindung von überindividuellen Zwischenrechtsgütern[27], mit denen die große Kluft zwischen formell vollendeter Tat und Beeinträchtigung eines Individualrechtsgutes notdürftig kaschiert wird.[28] Wo selbst das nichts mehr hilft, wird das Gütesiegel „abstraktes Gefährdungsdelikt“ eben nicht verliehen.[29] Welche Art von Tatbestand dann vorliegt, bleibt offen, was anscheinend niemanden wirklich stört. Es stört niemanden, weil die Dogmatik des allgemeinen Strafrechts nicht als Instrument einer Strafrechtsbegrenzungswissenschaft, sondern als Instrument einer Strafrechtserklärungswissenschaft ohne kritischen Impetus verstanden wird. Selbst diese bescheidene Aufgabe bewältigt sie aber unzureichend, wie die allgemeine Tatbestandslehre in der Literatur zum Allgemeinen Teil gezeigt hat. Noch einmal: Wenn es im geltenden Strafrecht Delikte gibt, die nicht einmal Prokrustes dem Modell des abstrakten Gefährdungsdelikts zuordnen würde, dann müssen diese Delikte in einem Lehrbuch, das ein systematisches und lückenloses Spektrum der Tatbestände nach relevanten Kriterien abbilden soll, thematisiert werden und sie müssen irgendwie zu Verletzung, konkreter Gefährdung und abstrakter Gefährlichkeit in Beziehung gesetzt werden. Diese Thematisierung findet nicht statt, auch nicht – mea culpa – im Baumann/Weber/Mitsch/Eisele.[30]
Was folgt daraus für § 219a StGB? Die Vorschrift hat momentan Angriffe auf ihre Existenz seitens der Strafrechtswissenschaft nicht zu befürchten. Denn diese verfügt über keinen strafrechtsbegrenzenden Begriff des abstrakten Gefährdungsdelikts. Das abstrakte Gefährdungsdelikt dient ihr als Rumpelkammer für alles, was der Gesetzgeber kriminalisiert hat, obwohl es kein Verletzungs- oder konkretes Gefährdungsdelikt ist. Aber selbst mit Strafvorschriften, denen der Kommentator das Etikett „abstraktes Gefährdungsdelikt“ nicht zu verleihen wagt, wird offenbar keine rote Linie überschritten. Dass es neben Verletzungs- konkreten Gefährdungs- und abstrakten Gefährdungsdelikten keine weiteren Straftaten geben kann, deren Beeinträchtigungsintensität noch schwächer ist als die des abstrakten Gefährdungsdelikts, ist eine vernünftige Aussage. Schade nur, dass sich die Strafrechtslehre zu ihr gegenwärtig nicht bekennt.
III. Dogmatische Begründung der Straflosigkeit nach Absatz 4
Mit der Regelung des Absatzes 4 sollen bestimmte Formen der Kommunikation über Schwangerschaftsabbruch straflos gestellt werden. Die Worte „gilt nicht“ haben zwar keine dogmatische Aussagekraft[31], sind aber auch kein Novum im Strafrecht, wie §§ 86 Abs. 3 oder § 131 Abs. 2 StGB zeigen. Dass eine Norm nicht „gilt“, klingt – ähnlich wie „ist nicht anzuwenden“, §§ 131 Abs. 3, 184 Abs. 2 StGB – nach Geltungsbereichsrelevanz, vgl. §§ 2 bis 7 StGB. Gemeint ist aber wohl etwas anderes.[32] Zur Bestimmung der Rechtsnatur kommen Tatbestandsausschluss, Rechtfertigung oder besonderer Strafbarkeitsausschluss in Betracht. Viele halten vermutlich die Beschäftigung mit solchen Fragen für dogmatische Glasperlenspielerei ohne praktische Erheblichkeit. Praktisch interessant mag die dogmatische Qualifikation in der Tat nicht sein, wenn das Ergebnis der konkreten Fallbehandlung so oder so „straflos“ lautet. Aber jedenfalls in der Sphäre der Lehrbuchkriminalität lassen sich Ergebnisdivergenzen aufzeigen. Bekanntlich ist ein „Test“ der richtigen Platzierung im Straftataufbau die Überprüfung der Konsequenzen für Irrtum und Beteiligung.[33] Stellt sich ein Täter irrig vor, seine Tat erfülle die Voraussetzungen des § 219a Abs. 4 StGB, entfiele gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB sein Vorsatz, wenn diese Voraussetzungen zum objektiven Tatbestand gehörten. Dasselbe Ergebnis verbindet die herrschende eingeschränkte Schuldtheorie mit der Einordnung in die Klasse der Rechtfertigungsgründe. Etwas schwieriger ist die Beurteilung unter der Prämisse, § 219a Abs. 4 StGB normiere einen besonderen Strafausschließungsgrund. Es gibt persönliche und sachliche Strafausschließungsgründe, wobei letztere recht seltene Exemplare mit geringem Aufmerksamkeitsfaktor sind.[34] § 326 Abs. 6 StGB ist ein Beispiel[35] und diesbezüglich ist es einhellige Auffassung, dass die subjektive Einstellung des Täters unerheblich ist. Die irrtümliche Annahme der Voraussetzungen hat also keine vorsatzausschließende Wirkung.[36] Bei besonderen persönlichen Strafausschließungsgründen wie dem Angehörigenprivileg des § 258 Abs. 6 StGB ist das Meinungsbild hinsichtlich der Berücksichtigung von Fehlvorstellungen diffus.[37] Vor allem die Qualifikation als sachlicher Strafausschließungsgrund würde sowohl die objektive Tatbestandsmäßigkeit als auch die Vorsätzlichkeit des Täterhandelns unberührt lassen. Das hätte die Konsequenz, dass im Falle der irrtümlichen Vorstellung von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 219a Abs. 4 StGB zur Tatbegehung verwendete oder bestimmte Schriften gem. §§ 74, 74d StGB eingezogen werden könnten. Wenn dagegen bereits die objektive Tatbestandsmäßigkeit ausgeschlossen ist, entfällt schon aus diesem Grund die Einziehbarkeit bzw. im Falle irriger Annahme der Voraussetzungen des Tatbestandsausschlusses die Vorsätzlichkeit. Dann ist nicht nur die Tat straflos, sondern auch das zur Tatbegehung verwendete Werbematerial nicht einziehbar. Aber auch ungeachtet dieser Konsequenz ist der Vorsatzausschluss und somit – ihm vorgelagert – Verortung des § 219a Abs. 4 StGB im objektiven Tatbestand die richtige dogmatische Behandlung. Denn wer korrekte Informationen über nicht strafbare Schwangerschaftsabbrüche gibt, handelt nicht unrechtmäßig. Irrtümliche Annahme der Voraussetzungen des § 219a Abs. 4 StGB ist folglich gleichbedeutend mit dem Fehlen von Vorsatzunrecht.
Für die Strafbarkeit von Teilnehmern ist die Einordnung des § 219a Abs. 4 StGB im Straftataufbau insofern gleichgültig, als auf jeder der genannten Stufen die Straflosigkeit auch dem Teilnehmer zugute kommt. Das trifft – anders als bei besonderen persönlichen Strafausschließungsgründen[38]– auch auf die Kategorie des sachlichen Strafausschließungsgrundes zu.[39] Unabhängig vom Standort im Deliktsaufbau könnte jedoch § 28 Abs. 2 StGB zu beachten sein. Wenn z. B. das Wort „Ärzte“ als besonderes strafausschließendes Merkmal zu verstehen sein sollte, würde die Strafbarkeit von teilnehmenden Nichtärzten unberührt bleiben. In den Dokumenten des Gesetzgebungsverfahrens finden sich ebenso wie in der bislang zu § 219a Abs. 4 StGB publizierten Literatur[40] dazu keine Angaben. Neuauflagen der StGB-Kommentare werden sich des Themas hoffentlich annehmen. Schon um der Straflosigkeit möglichst breiten Raum zu verschaffen, also die verfehlte Strafnorm bestmöglich zu restringieren, ist die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 StGB abzulehnen. Das ist zudem sachlich begründet. Der materielle Grund der Straflosigkeit liegt nicht in Besonderheiten der Person des Hinweisenden, sondern beruht auf dem Inhalt des Hinweises: Informiert wird über Schwangerschaftsabbrüche, die nicht strafbar sind. Ob diese Information von einem Arzt oder einem Nichtarzt gegeben wird, macht keinen Unterschied. Richtigerweise müsste die Straflosigkeit also auch auf Hinweisgeber erstreckt werden, die nicht Ärzte oder Angehörige von Krankenhäusern oder Einrichtungen sind. Dies lässt der Wortlaut nicht zu, wenn der Nichtarzt (Allein-)Täter ist. Als Teilnehmer an der von einem Arzt begangenen Tat kann er aber durch § 219a Abs. 4 StGB straffrei gestellt werden. Anderenfalls könnte z. B. die absurde Situation entstehen, dass jeder Rechtsanwalt, der einem Arzt dabei hilft, eine juristisch „wasserdichte“ Textformulierung zu entwerfen, wegen Beihilfe zu § 219a Abs. 1 StGB zu bestrafen wäre.
IV. Schluss
Monika Frommel hat § 219a Abs. 4 StGB eine „rätselhafte Neuregelung“ genannt.[41] Inspiriert wurde diese zutreffende Bewertung zwar durch ganz andere Probleme als die, denen der vorliegende Text gewidmet ist. Aber dennoch passt dasselbe Urteil auch als Fazit zu den hier unternommenen Versuchen, § 219a StGB mit meiner Vorstellung von vernünftigem Strafrecht in Einklang zu bringen.
[1] BT-Drs. 19/7693.
[2] Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 218a Rn. 20.
[3] Siehe aber Gärditz, ZfL 2018, 18 (20); Merkel, ZfL 2018, 114 (116); Satzger, ZfL 2018, 22 (23); Walter, ZfL 2018, 26 (28); sowie Mitsch, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 2. Aufl. (2015), § 219a Rn. 1, ausführlicher demnächst in der 3. Aufl. (2019).
[4] LG Gießen, medstra 2019, 119.
[5] AG Gießen, NStZ 2018, 416.
[6] Zu den Schutzgütern des § 218 Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, vor § 218 Rn. 9 ff.
[7] Eschelbach, in: Beck-OK, 3. Aufl. (2018), § 219a Rn.1; Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, vor § 218 Rn. 23; § 219a Rn. 1; Rogall, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2017), § 219a Rn. 1.
[8] Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2016), § 6 Rn. 52; Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, 3. Aufl. (2018), Rn. 235; Ebert, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2001), S. 41; Eisele/Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2017, Rn. 111; Eser/Burkhardt, Strafrecht I, 4. Aufl. (1992), Fall 4 A Rn. 9; Gropp, Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (2015), § 2 Rn. 20; Haft, Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2004), S. 299; Hardtung/Putzke, Examinatorium Strafrecht AT, 2016, Rn. 71; B. Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2016), Rn. 164; Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (2015); § 1 Rn. 58; Hoffmann-Holland, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2015), Rn. 52; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1993), 6. Abschn. Rn. 86; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), 26 II 2; Kindhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017), § 8 Rn. 22; Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1997,S. 31; Krey/Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2016), Rn. 224; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 4. Aufl. (2017), § 14 Rn. 24; Otto, Grundkurs Strafrecht Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. (2004), § 4 Rn. 14; Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Aufl. (2018), § 10 Rn. 12; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. (2006), § 10 Rn. 124; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 48. Aufl. (2018), Rn. 44; Zieschang, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2017), Rn. 32. Ausnahme Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2018), 3. Kap. Rn. 26: Hier wird § 316 StGB nicht erwähnt, stattdessen § 306a Abs. 1 StGB. Unklar Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil 1, 8. Aufl. (1992), § 20 Rn. 32, wo § 316 in dem Satz „Beispiele konkreter Gefährdungsdelikte sind …“ steht.
[9] Keines der unter Fn. 8 aufgeführten Lehrbücher nennt § 219a StGB im Kontext der Erläuterung des abstrakten Gefährdungsdelikts. Bezeichnend ist des Weiteren, dass § 219a StGB in den einschlägigen Monographien Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, 2000; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, nicht erwähnt wird.
[10] Walter, in: LK-StGB, Bd. 21, 12. Aufl. (2007), vor §13 Rn. 14.
[11] Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, vor § 218 Rn. 9.
[12] § 326 Abs. 1 Nr. 2 StGB, die einzige Vorschrift, die Fortpflanzungsgefährdung berücksichtigt, ist kein konkretes Gefährdungsdelikt, Heine/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 326 Rn. 1a.
[13] Führt die Verletzung einer Schwangeren zum Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit, ist § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB einschlägig.
[14] Allgemein zur Problematik von Taten, die erst wegen anschließenden deliktischen Verhaltens zum Teil eines rechtsgutsgefährdenden Geschehens werdenJakobs, ZStW 97 (1985), 751 (769 ff).
[15] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 100 ff.
[16] Nach Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (769) handelt es sich jedenfalls um eine „problematische Deliktsart“. Auch in diesem Text findet übrigens § 219a StGB keine Erwähnung.
[17] Roxin, AT I, § 10 H.
[18] Jescheck/Weigend, § 26 II 2; Roxin, AT I, § 10 Rn. 123.
[19] Die Zwischenform des sog. abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts kann hier unberücksichtigt bleiben, weil sie das System nicht in den Bereich unterhalb des abstrakten Gefährdungsdelikts ausdehnt.
[20] Hohmann, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 3. Aufl. (2017), § 140 Rn. 2, 3.
[21] Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 140 Rn. 1.
[22] Ebenso Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. (2018), § 140 Rn. 1.
[23] Vgl. die Aufzählung bei Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 189 Rn. 1: Ehre des Verstorbenen, Ehre von Angehörigen, Pietätsempfinden der Angehörigen, Pietätsgefühl der Allgemeinheit, öffentliches Interesse an für die gesellschaftliche Kommunikation notwendigen zutreffende Informationen über den Toten, postmortales Persönlichkeitsrecht eigener Art.
[24] Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (774).
[25] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184a Rn. 1a.
[26] Anders Lackner/Kühl, StGB, § 184a Rn. 1, wo auf den Schutz Jugendlicher vor der Beeinträchtigung ihrer psychischen Entwicklung abgestellt, aber gleichwohl der Gefährdungs- oder Verletzungsgrad offengelassen wird.
[27] Beispielsweise „Funktionieren des Kapitalmarktes“ statt „Vermögen“, vgl. Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264 a Rn. 1.
[28] Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (775).
[29] So z.B. zu §§ 183, 183a StGB bei Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 183 Rn. 1; § 183a Rn. 1; Wolters, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl. (2016), § 183 Rn. 1; § 183a Rn. 1.
[30] Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 6 Rn. 49-53.
[31] Zur lediglich indiziellen Bedeutung des Gesetzeswortlauts für die Einordnung im Deliktsaufbau Walter, in: LK-StGB, vor § 13 Rn. 189.
[32] Bei §§ 86 Abs. 3, 131 Abs. 2 StGB bedeutet „gilt nicht“ Ausschluss der objektiven Tatbestandsmäßigkeit Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB,§ 86 Rn. 17; Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 131 Rn. 15.
[33] Walter, in: LK-StGB, vor § 13 Rn. 48.
[34] Nur dürre Bemerkungen in dem umfangreichen Lehrbuch zum Allgemeinen Teil von Kühl, 8. Aufl. (2017), § 12 Rn. 8; überhaupt keine Erwähnung z.B. bei Wessels/Beulke/Satzger, § 15: nur persönliche Strafausschließungsgründe.
[35] Nach verbreiteter Meinung auch § 37 StGB, vgl. Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 37 Rn. 1.
[36] Heine/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 326 Rn. 19.
[37] Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 16 Rn. 34.
[38] Walter, in: LK-StGB, vor § 13 Rn. 186.
[39] Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 19 Rn. 11; Perron, in: Schönke/ Schröder, StGB, § 37 Rn. 1.
[40] Berghäuser, KriPoZ 2019, 82 ff.; Dorneck, medstra 2019, 137 ff.
[41] Frommel, JM 2019, 165.