Zwölf Thesen zur geplanten Neuaufstellung der Verbandssanktionierung

von Dr. Alexander Baur, M.A. und Dr. Philipp Maximilian Holle

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Abstract 
Seit April ist das Gesetzgebungsverfahren zu einer im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarten Reform der Verbandssanktionierung mit der Vorlage des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft offiziell angestoßen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der mittlerweile vorliegende Regierungsentwurf das nun anstehende parlamentarische Verfahren weitgehend unbeirrt passieren wird. Der nachfolgende Beitrag versucht, den vorliegenden Zwischenstand in mehreren Thesen einzuordnen und zu bewerten.

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Limited Protection and No Reward: An Overview of Whistleblowing in Germany

von Prof. Dr. Carsten Momsen and Paula Benedict 

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Abstract
The protection of Whistleblowers is a challenging issue in Germany. Unlike the United States, Germany does not have a tradition of cooperation between law enforcement agencies and private whistleblowers, at least it isn’t positively connoted. On the contrary, memories of the „Gestapo“ and „Stasi“ seem to lead to a reluctance to use the relevant information. Even after the introduction of the „Law for the Protection of Trade Secrets“ and the government’s draft of corporate criminal sanctions, no radical change can be foreseen. In particular, no structured regulation on how Whistleblowers could be protected and what incentives could be given to them is to be expected. The first law already pursues a different aim in its name and only provides a very limited safe harbor rule, the new draft even leads to a restriction of the seizure protection regarding Whistleblower hotlines. Targeted incentives or even financial participation of Whistleblowers in the success of the investigations seem to remain alien concepts to the German legislator. At the same time, this means that European regulations are merely being implemented inadequately.

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Zur Bedeutung der Eigengefährdung für das Vorliegen von bedingtem Tötungsvorsatz bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr – Zweites Verfahren

BGH, Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 – LG Berlin (Fortführung von BGH, Urt. v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17)

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1. Die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter kann abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein; so kann er bei Fassen des Tatentschlusses einen bestimmten gefahrbegründenden Sachverhalt hinnehmen, während er auf das Ausbleiben eines anderen, für ihn mit einem höheren Risiko verbundenen Geschehensablaufs vertraut.

2. Für die Prüfung, ob ein Unfallgeschehen mit tödlichen Folgen vom bedingten Vorsatz des Täters umfasst war, kommt es daher darauf an, ob er den konkreten Geschehensablauf als möglich erkannt und die damit einhergehende Eigengefahr hingenommen hat. Ist dies der Fall und verwirklicht sich dieses Geschehen, ist es für die Prüfung der Vorsatzfrage unerheblich, ob er weitere Geschehensabläufe, die aus seiner Sicht mit einer höheren und deshalb von ihm nicht gebilligten Eigengefahr verbunden waren, ebenfalls für möglich erachtet hat.
 (Amtl. Ls.)

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Carolin Arnemann: Defizite der Wiederaufnahme in Strafsachen. Bestandsaufnahme und Reformvorschläge auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2019, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-15647-4, S. 508, Euro 109,90.

Die Dissertation von Arnemann konzentriert sich auf den in der Praxis relevantesten Wiederaufnahmegrund der neuen Tatsachen oder Beweismittel gem. § 359 Nr. 5 StPO. Allerdings werden zunächst die rechtlichen Voraussetzungen der Wiederaufnahmeverfahren umfassend vorgestellt und in einen historischen und verfassungsrechtlichen Kontext gestellt. Danach folgt eine empirische Erhebung einmal quantitativ nach Fallzahlen und einmal qualitativ durch Experteninterviews. Schließlich werden Anwendungsdefizite rund um den Novitätsbegriff des § 359 Nr. 5 StGB herausgearbeitet und de lege ferenda Vorschläge formuliert. Im Einzelnen:

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Toni Böhme: Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht? Eine Untersuchung zu den Ursachen von Fehlurteilen im Strafprozess und den Möglichkeiten ihrer Vermeidung

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2018, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-5285-0, S. 379, Euro 99,00.

Die Dissertation von Böhme geht der Frage nach, ob es sich bei Fehlurteilen in deutschen Strafverfahren um eine unvermeidbare Systemimmanenz oder um vermeidbare Irrtümer handelt. Außerdem werden Überlegungen angestellt, wie diese Fehler verringert oder gar verhindert werden können (S. 22).

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Barbara Dunkel: Fehlentscheidungen in der Justiz. Systematische Analyse von Wiederaufnahmeverfahren in Strafverfahren im Hinblick auf Häufigkeit und Risikofaktoren

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2018, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-5272-0, S. 284, Euro 74,00.

Die Dissertation von Dunkel stößt in eine der Forschungslücken, die Böhme in der zuvor rezensierten Dissertation aufgezeigt hat, nämlich Wiederaufnahmeverfahren in Strafverfahren systematisch zu analysieren. Zuvor definiert sie den Begriff der Fehlentscheidungen und beleuchtet das Wiederaufnahmeverfahren als Untersuchungsgegenstand. Anschließend benennt sie die Risikofaktoren für Fehlurteile und gibt den Forschungsstand hinsichtlich der Häufigkeit von Fehlurteilen wieder. Bevor sie die Aktenanalyse vornimmt, werden bisherige Erkenntnisse zum Ausmaß in einer Art Meta-Analyse ausgewertet und die vom Statistischen Bundesamt erhobenen Daten zu strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren der letzten 15 Jahre untersucht. Danach folgt eine Aktenanalyse von Wiederaufnahmeverfahren in Hamburg im Zeitraum von 2003 bis 2015. Insofern wird eine systematische Analyse punktuell nur für Hamburg vorgenommen, so dass hier weiterer Forschungsbedarf über die Grenzen Hamburgs hinaus bestehen bleibt. Dunkel ist hinsichtlich der Limitierung aber kein Vorwurf zu machen, weist sie doch auf unüberwindbare bürokratische Hürden hin, die eine größer angelegte, repräsentative Analyse unmöglich machten (S. 25). Insofern wird eine Herausforderung künftiger Studien sein, diese bürokratische Hürden zu überwinden und so umfangreich zu forschen, wie das Karl Peters in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht hat.

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KriPoZ-RR, Beitrag 48/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 07.07.2020 – 1 BvR 479/20: Bezeichnung als „frecher Juden-Funktionär“ ist volksverhetzend

Leitsatz der Redaktion:

In Bezug auf Äußerungen über den Nationalsozialismus gelten die normalen Anforderungen an einschränkende Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG. Die in der Wunsiedel-Entscheidung eingeführte Ausnahme vom Allgemeinheitserfordernis betrifft nur die formelle Ebene eines Straftatbestands, der eine bestimmte Meinung unter Strafe stellt. Eine konkrete Meinungsäußerung adressiert die Ausnahme nicht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist vom AG Bielefeld und bestätigend vom LG Bielefeld und OLG Hamm wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 StGB verurteilt worden.

Er hatte als Vorsitzender der Partei DIE RECHTE im Gebiet O. einen Artikel im Internet veröffentlicht, in dem er den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde als „freche[n] Juden-Funktionär“ bezeichnet hatte, weil dieser sich gegen einen Verleger ausgesprochen hatte, der in seinem Verlag auch rechtsradikales Gedankengut veröffentlicht haben soll.

In dem Artikel wird der Verleger positiv adressiert und zu einem Boykott der jüdischen Gemeinde aufgerufen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Eingriffe in die Meinungsfreiheit benötigten nach Art. 5 Abs. 2 GG ein allgemeines Gesetz. Dieses Gesetz dürfe sich grundsätzlich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten und müsse materiell verhältnismäßig sein. Eine Ausnahme gelte für Straftatbestände, die sich (wie § 130 Abs. 4 StGB) gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus als Einzelmeinung richteten.

Diese Ausnahme könne allerdings nicht auf eine konkrete Meinungsäußerung angewendet werden, so das BVerfG. Das Grundgesetz kenne kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, weshalb eine konkrete Meinungsäußerung in Bezug auf den Nationalsozialismus an den allgemeinen Anforderungen für Eingriffe in die Meinungsfreiheit gemessen werden müsse.

Relevant sei die konkrete Wirkung der Äußerung im jeweiligen Kontext.

Da die Fachgerichte die Meinungsäußerung nicht aufgrund der allgemeinen politischen Ausrichtung des Täters oder seiner Parteimitgliedschaft, sondern unabhängig davon bewertet hätten, sei die konkrete Anwendung des § 130 Abs. 1 StGB nicht zu beanstanden.

Das Verwenden des Terminus „Jude“ könne vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte durchaus eine herabwürdigende Aussage darstellen. Hier sollte die Bezeichnung gerade zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufstacheln, was aus der Verwendung des propagandistischen Terminus „frecher Jude“ geschlossen werden könne. Zudem ergebe sich dies auch im Zusammenhang mit dem Boykottaufruf und dem positiven Hervorheben, des rechtspopulistischen Verlagsprogramms.

Genau vor solchen Aufstachelungen solle § 130 Abs. 1 StGB schützen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zur subjektiven Seite der Volksverhetzung und zur konkurrenzrechtlichen Bewertung hatte zuletzt der BGH entschieden: KriPoZ-RR, Beitrag 47/2019

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 47/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.06.2020 – 1 BvR 1716/17: Verletzung der Pressefreiheit durch strafrechtliche Verurteilung

Leitsatz der Redaktion:

Bei der unverpixelten Weitergabe eines Fotos an eine Presseredaktion mit dem Ziel einer späteren Veröffentlichung trifft den Fotografen keine strafrechtliche Verantwortung für etwaige Persönlichkeitsrechtsverletzungen, wenn er der Redaktion alle für eine Unkenntlichmachung relevanten Umstände mitgeteilt hat.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben, mit der er sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung in dritter Instanz durch das OLG Köln (vorausgehend LG Aachen und AG Aachen) wegen eines Verstoßes gegen §§ 22 f., 33 KunstUrhG wendet.

Die Fachgerichte hatten ihn wegen der Weitergabe einer unverpixelten Bildaufnahme einer Person an eine Presseredaktion einer überregionalen Zeitung zum Zwecke der Veröffentlichung verurteilt. Auf dem Bild war ein Mann im Wartebereich einer Klinik abgebildet gewesen, bei dem ein Ebola-Infektionsverdacht bestanden hatte. Die Aufnahme war im Kontext der internationalen Ebola-Pandemie im Jahr 2015 entstanden, die mit einer erheblichen öffentlichen Beachtung einhergegangen war. Nach Ansicht des Fotografen hatte das Bild die mangelnden Hygienemaßnahmen des Krankenhauses im Umgang mit möglichen Ebola-Patienten dokumentieren sollen. Die unverpixelte Aufnahme war mit der Überschrift „Ebola Panne in NRW? – Virus-Verdächtiger musste auf Klinik-Flur warten“ in der Online-Präsenz der Zeitung veröffentlicht worden.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt.

Die Verurteilungen der Fachgerichte wegen unbefugten Verbreitens eines Bildnisses verstießen gegen die Pressefreiheit des Fotografen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Das Grundrecht schütze die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten von der Sammlung von Informationen über die Vorbereitung bis hin zur Veröffentlichung, was die Anfertigung von Fotografien zur Bebilderung von Artikeln einschließe, so der Senat.

Dabei fände das Grundrecht der Pressefreiheit seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, welche die §§ 22 f., 33 KunstUrhG darstellten.

Bestimmtheitsbedenken im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG am Tatbestand des § 33 KunstUrhG seien nicht in substantiierter Weise vorgetragen worden und daher nicht zu prüfen gewesen, auch wenn es verfassungsrechtlich nicht unproblematisch erscheine, dass die Strafbarkeit von einer im Ausgang ungewissen Abwägungsentscheidung nach §§ 22 f. KunstUrhG abhängig gemacht werde.

Diese Abwägungsentscheidung müsse von den Fachgerichten unter Berücksichtigung der besonderen grundrechtlich geschützten Interessen vorgenommen werden und unter anderem eine Auseinandersetzung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der einen und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der anderen Seite erkennen lassen.

Im zu entscheidenden Fall habe das AG Aachen schon den Grad des Informationsinteresses der Öffentlichkeit verkannt, indem es das Bild nicht in den Bereich der Zeitgeschichte eingeordnet habe. Gerade im Kontext einer Pandemielage müsse es für die Presse zulässig sein über, ihrer Meinung nach, mangelhafte hygienische Zustände in öffentlichen Krankenhäusern zu berichten. Das Verkennen dieses Umstandes durch das AG schließe schon jede Abwägungsentscheidung von vornherein aus und habe daher die Pressefreiheit verletzt.

Das LG Aachen habe diesen Aspekt zwar zutreffend bejaht, sei aber bei der dann getroffenen Abwägungsentscheidung von einem falschen Bezugspunkt ausgegangen, indem es auf die unverpixelte Veröffentlichung des Fotos abgestellt habe, so das BVerfG. Diese sei dem Fotografen aber nicht strafrechtlich vorzuwerfen, da sich seine Handlung in der Weitergabe des Fotos an die Redaktion erschöpft habe.

Das OLG habe in seiner Abwägungsentscheidung zwar an die Weitergabe des Fotos angeknüpft, dabei jedoch die Arbeits- und Verantwortungsstrukturen in der Pressearbeit nicht genügend berücksichtigt. Aus dem Verhalten des Fotografen könne nicht auf einen Verstoß gegen journalistische Sorgfaltspflichten geschlossen werden. Eine Verpixelung von Bildmaterial vor der Weitergabe an eine Redaktion könne nicht verlangt werden, da es gerade Aufgabe einer Redaktion sei, das eingereichte Material umfassend zu prüfen und selbstverantwortlich über eine (verpixelte) Veröffentlichung zu entscheiden.

Etwas Anderes könne nur angenommen werden, wenn der Fotograf der Redaktion maßgebliche Umstände nicht mitteile, die für eine korrekte Bewertung des Materials unverzichtbar gewesen wären. Andernfalls liege es in der Verantwortung der jeweiligen Redaktion die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten zu wahren.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den Beschluss des OLG Köln finden Sie hier.

Das Urteil des AG Aachen finden Sie hier.

 

 

 

Gesetzesantrag zur Stärkung der Führungsaufsicht

Gesetzentwürfe: 

Das Land Baden-Württemberg hat erneut einen Gesetzesantrag zur Stärkung der Führungsaufsicht in den Bundesrat eingebracht. Der wortgleiche Entwurf (BT Drs. 19/23570) unterfiel mit Ablauf der 19. Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskontinuität. Am 11. März 2022 erhielt die Initiative bei der Abstimmung im Plenum jedoch keine absolute Mehrheit und ist damit abgelehnt. 

 


19. Legislaturperiode: 

 

Das Land Baden-Württemberg hat einen Gesetzesantrag zur Stärkung der Führungsaufsicht in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 362/20). Da die Führungsaufsicht eine erhebliche kriminalpolitische und praktische Bedeutung habe, bedürfe sie in zweifacher Hinsicht einer Weiterentwicklung. Zum einen soll bei beharrlichen Weisungsverstößen das in § 145a StGB bisherige Höchstmaß der Freiheitsstrafe von 3 Jahren auf ein Höchstmaß von 5 Jahren angehoben werden, zum anderen soll die Umsetzung der Regelungen zur Weisung einer elektronischen Fußfessel verbessert werden. 

Der „Staufener Missbrauchsfall“ zeige beispielhaft, dass die bestehende Strafdrohung des § 145a StGB nicht ausreiche, damit Probanden die Weisungen, die zum Schutz der Allgemeinheit und vielfach von Kindern, erteilt worden sind, einzuhalten. Weisungsverstöße seien der erste Schritt auf dem Weg zum (erneuten) Missbrauch. Auch die „Kommission Kinderschutz“ habe sich bereits in ihrem Abschlussbericht aus Februar 2020 für eine Verschärfung der Strafandrohung des § 145a StGB ausgesprochen. Die Anhebung des Strafrahmens solle deutlich machen, dass es sich bei den Verstößen gegen Weisungen der Führungsaufsicht nicht um Taten im unteren Kriminalitätsbereich handle. Außerdem werde ein Höchstmaß von 5 Jahren Freiheitsstrafe dem Charakter des Delikts als konkretes Gefährdungsgdelikt besser gerecht. 

Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes erfolgt derzeit in Deutschland mit der Elektronischen Fußfessel, einem Sender, der am Unterschenkel des Verurteilten mit einem stabilen aber flexiblen Band angebracht wird. Rechtlich besteht keine Möglichkeit, die EAÜ gegen den Willen der Person anzulegen. Im Falle eines unkooperativen Verhaltens kommt strafprozessual nach der Entlassung aus der JVA nur eine Beantragung eines Untersuchungshaftbefehls gegen die verurteilte Person wegen eines Weisungsverstoßes (§ 145a StGB) in Betracht, sofern Haftgründe – denkbar wäre eine Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) – vorliegen. Daher sieht das Land Baden-Württemberg gesetzgeberischen Handlungsbedarf und spricht sich, wie die „Kommission Kinderschutz“, dafür aus, eine zwangsweise Durchsetzbarkeit der angeordneten EAÜ einzuführen. Dazu soll die nach § 68a Abs. 3 StGB zuständige Aufsichtsstelle die Befugnis erhalten, unmittelbaren Zwang gegen die verurteilte Person anwenden zu dürfen, falls sie beim Anlegen der Fußfessel nicht freiwillig mitwirkt. § 68a StGB soll in Abs. 3 folgender Satz 2 angefügt werden:

„Zur Durchsetzung einer Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 12 kann die Aufsichtsstelle unmittelbarem Zwang anordnen, wenn die verurteilte Person bei der Anlegung des für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittels nicht freiwillig mitwirkt.“

Der Gesetzentwurf wurde am 3. Juli 2020 im Bundesrat vorgestellt und zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 im Plenum gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23570). 

 

 

Gesetzesantrag zur Anpassung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Absatz 3 Satz 2 StPO an die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Niedersachsen hat einen Gesetzesantrag zur Änderung der StPO in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 354/20). Der Entwurf sieht vor, die Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO an die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO anzupassen. 

Das Land sieht ein Problem darin, dass die Hauptverhandlung bis zu drei Wochen (§ 229 Abs. 1 StPO), bzw. bis zu einem Monat (§ 229 Abs. 2 StPO) unterbrochen werden kann, ein Urteil jedoch spätestens am elften Tag nach Schluss der Verhandlung verkündet werden muss (§ 268 Abs. 3 S. 2 StPO). Insoweit sei die reguläre Unterbrechungsfrist verkürzt. Den Grund für den Ungleichlauf der Fristen sieht Niedersachsen in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung des § 229 Abs. 1 StPO, der eine Unterbrechung der Hauptverhandlung lediglich für bis zu zehn Tage vorsah. Der nunmehr verkürzte Zeitraum führe zu terminlichen Problemen. Es sei nicht nur notwendig, dass alle Mitglieder des erkennenden Gerichts innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO zusammenfinden, sondern es sei überdies erforderlich, dass sich das Gericht in diesem kurzen Zeitfenster umfangreich beraten kann. Dies sei aber insbesondere bei der Beteiligung von Schöffen ein Problem, da diese im Regelfall neben der ehrenamtlichen Schöffentätigkeit einem Beruf nachgehen und auch dort zeitlich eingebunden sind. 

Ebenso erschließe sich nicht, warum zwar § 229 Abs. 3 StPO entsprechend auf die Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO anwendbar ist, die Frist im Übrigen aber kürzer als diejenigen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO sein soll. Daher seien die Fristen einander anzupassen, so dass zwischen dem Schluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung bis zu drei Wochen liegen dürfen. Hat die Hauptverhandlung bereits zuvor an mindestens zehn Tagen stattgefunden, soll zwischen dem Schluss der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung eine Unterbrechung bis zu einem Monat möglich werden.

Der Entwurf wurde am 3. Juli 2020 im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss zwecks weiterer Beratung an die Fachausschüsse überweisen. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 354/1/20). Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23547)

 

 

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