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KriPoZ-RR, Beitrag 52/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.06.2020 – 1 StR 95/20: Rechtsbehelf gegen Beschluss im selbstständigen Einziehungsverfahren nach Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch Beschwerdegericht

Leitsatz der Redaktion:

Als statthafte Rechtsbehelfe gegen einen amtsgerichtlichen Beschluss im selbstständigen Einziehungsverfahren nach erfolgter Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht kommen die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde in Betracht.

Sachverhalt:

Das OLG Karlsruhe hat dem BGH die Frage vorgelegt, ob gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nach Einspruch des Einziehungsbetroffenen gegen einen selbstständigen Einziehungsbescheid gemäß § 29a Abs. 5 OWiG ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel sei.

Der zu dieser Frage führende Sachverhalt hatte sich wie folgt dargestellt:

Der Einziehungsbetroffene hatte 2016 sechs Geldspielgeräte trotz abgelaufener Zulassung weiter betrieben und so Einnahmen in Höhe von über 20.000€ erzielt.

Das daraufhin gegen ihn eröffnete Bußgeldverfahren war von der Stadt nach § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt und die selbstständige Einziehung der Taterträge gem. § 29a Abs. 5 OWiG angeordnet worden. Gegen diesen Bescheid hatte der Automatenbetreiber Einspruch eingelegt, was zu einem Urteil des AG Konstanz geführt hatte, welches die Einziehung bestätigt hatte. Gegen dieses Urteil hatte der Betroffene Rechtsbeschwerde zum OLG Karlsruhe hin erhoben, welches die getroffenen Feststellungen aufrecht erhalten das restliche Urteil jedoch aufgehoben und zur neuen Entscheidung an das AG zurückverwiesen hatte.

Das AG hatte daraufhin über die Einziehung ohne erneute Hauptverhandlung durch Beschluss erneut entschieden (§ 72 OWiG). Gegen diesen Beschluss hatte der Betroffene erneut Rechtsbeschwerde zum OLG Karlsruhe erhoben, welches sich an einer Entscheidung aufgrund entgegenstehender Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte gehindert gesehen hatte (§ 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). So hätten die OLGe Köln, Zweibrücken und Düsseldorf die sofortige Beschwerde als statthaften Rechtsbehelf angesehen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das OLG Karlsruhe nicht an einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde gehindert sei, wenn es diese als statthaften Rechtsbehelf ansehe.

Zwar sei nach der Rechtsprechung des BGH die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Beschlüsse im selbstständigen Einziehungsverfahren, jedoch beträfe diese Rechtsprechungspraxis bisher nur Fälle im ersten Rechtsgang.

Die hier zu entscheidende Frage, ob nach einer teilweisen Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde gegen Beschlüsse im selbstständigen Einziehungsverfahren statthaft ist, sei bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.

Eine Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde sei möglich, da bei einer Urteilsaufhebung mit beibehaltenen tatsächlichen Feststellungen fraglich sei, ob es dem Tatgericht noch im zweiten Rechtsgang möglich sei, im Rahmen von § 434 StPO die Verfahrensart zu wechseln und den Rechtsmittelzug zu ändern. Verneine man dies, bliebe es im Urteilsverfahren bei dem Verweis von § 434 Abs. 3 Satz 1 2. HS StPO auf §§ 71 ff. OWiG. Für diesen Fall hätte das Amtsgericht gleichermaßen einen urteilsersetzenden Beschluss nach § 72 OWiG erlassen, gegen den in Übereinstimmung mit der vom OLG Karlsruhe vertretenen Auffassung die Rechtsbeschwerde statthaft wäre, so der BGH.

Daher verwies der Senat die Sache zur Entscheidung an das OLG Karlsruhe zurück.

 

Anmerkung der Redaktion:

Diese Entscheidungen sehen die sofortige Beschwerde als statthaftes Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Beschlüsse im selbstständigen Einziehungsverfahren:

BGH, Beschl. v. 29.04.1983 – 2 ARs 118/83

OLG Köln, Beschl. v. 10.12.1991 – Ss 543/90

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.11.1993 – 1 Ss 204/93

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 51/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.03.2020 – 4 StR 624/19: Vergewaltigung per Chat

Leitsatz der Redaktion:

Für die Annahme einer Vergewaltigung ist es ausreichend, dass das Opfer die sexuellen Handlungen an sich selbst vornimmt; eine gleichzeitige Anwesenheit des Täters ist nicht erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Siegen hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, in drei davon in Tateinheit mit Sich-Verschaffen jugendpornografischer Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sein 14-jähriges Opfer in einem Chatroom kennen gelernt und sich als 18-jähriger Musiker ausgegeben. Es war ihm gelungen, dass das Mädchen sich in ihn verliebt hatte. Mit einem Zweitaccount, den der Täter unter einer Legende geführt hatte, hatte er das Opfer glauben gemacht, er sei ein Bandkollege ihres Chatpartners und dieser wünsche sich Nacktbilder von ihr. Diesem Wunsch war die Geschädigte nachgekommen. Daraufhin hatte sich der Angeklagte einen dritten Account zugelegt, mit dem er das Opfer genötigt hatte, sich in mehreren Videotelefonaten selbst mit verschiedenen Gegenständen zu penetrieren, damit ihre Mutter nichts von den verschickten Nacktbildern erfahre.

Im Anschluss hatte er dem Opfer mit diesem Account vorgespiegelt, dass er selbst von einer kriminellen japanischen Organisation erpresst werde und diese weitere Bilder und Videos von ihr gefordert hatte. Gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen hatte der Angeklagte das Opfer dann dazu gebracht weitere Bilder und Videos anzufertigen, in denen sie verschiedene sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hatte, die teilweise auch Schmerzen verursacht hatten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung.

Der besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB erfasse mit seinem Wortlaut auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst, was sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe.

Ebenso sei es nicht erforderlich, dass der Täter räumlich anwesend sei.

Zwar stelle die Warnung vor Bestrafungen durch die „Japaner“ keine Drohung mit einem empfindlichen Übel nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB dar, da das Opfer geglaubt hatte, der Täter habe auf den Eintritt dieses Übels keinen Einfluss. Jedoch habe der Täter dadurch den Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht. Eine letztlich freiwillige Anfertigung der Bilder und Videos durch das Opfer komme ebenfalls nicht in Betracht, da sie ausschließlich von der durch den Angeklagten erzeugten Angst motiviert worden sei und ihr Entschluss damit vollständig fremdbestimmt gewesen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Sexualstrafrecht in §§ 177 ff. StGB war 2016 reformiert worden. Informationen zur Reform erhalten Sie hier.

 

 

 

Neuregelung der Sterbehilfe – Gesetzgeber muss Konsequenzen aus der Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 217 Strafgesetzbuch ziehen

von Prof. em. Dr. Arthur Kreuzer

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Abstract
Das BVerfG hat § 217 StGB mit der Strafbarkeit geschäftsmäßiger Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber sollte angesichts nun bestehender rechtlicher Unsicherheiten und der Gefahr des Entstehens einer „Suizid-Kultur“ rasch eine Neuregelung von Sterbe- und Suizidhilfe schaffen. Die jetzt bestehende Rechtslage wird skizziert. Fünf bislang geltende Grundsätze werden auf mögliche Modifikationen durch das Verfassungsgerichtsurteil geprüft: Straflosigkeit des Suizids; Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid; Strafbarkeit aktiver Sterbehilfe; Straflosigkeit passiver Sterbehilfe; Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe. Durchaus dürfen Risiken für das Entstehen einer „Suizid-Kultur“ berücksichtigt, beispielsweise auch Sterbehilfevereine unterbunden werden. Das setzt aber voraus, dass Suizidwilligen Wege zu ärztlich assistierter Hilfe offen bleiben. Elemente eines denkbaren Modells werden hier vorgestellt: Ärztliche Berufsordnungen beseitigen strikte Verbote ärztlicher Suizidassistenz. Nach Vorbild der Schwangerschaftsberatungsstellen werden von Sozialverbänden Sterbeberatungsdienste eingerichtet, die allen Betroffenen zur Verfügung stehen. Ihnen obläge zuvörderst  Beratung zur Lebenserhaltung; erst nach ärztlicher Prüfung fehlender zumutbarer Alternativen, der freien und ohne sozialen Druck getroffenen Willensentschließung zum Suizid, der Ernsthaftigkeit und Beständigkeit dieser Entscheidung darf ärztliche Suizidhilfe zugelassen und zu ihr vermittelt werden. Darüber hinaus könnte anstößige Werbung für Suizidhilfen strafbar sein.

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Wer sucht der findet… Fehlende OK-Ermittlungen

von Prof. Dr. Britta Bannenberg

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Abstract
Die Aufmerksamkeit für Clans ist zu begrüßen. Wir benötigen in Deutschland aber eine deutlich verbesserte gesellschaftliche Sensibilität für Organisierte Kriminalität (OK) und die vielfältigen kriminellen Gruppierungen und Parallelgesellschaften. Zu fordern sind Strukturermittlungen, Vermögensabschöpfungen und abgestimmte vernetzte Maßnahmen im Rahmen von internationalen Strategien der vier „P“:
prevent, pursue, protect and prepare. Eine Einbindung in kriminelle Gruppen und deren Anwachsen muss verhindert werden (Prävention), die Strafverfolgung sowie der Schutz potentieller und tatsächlicher Opfer und Geschädigter muss sichergestellt und letztlich müssen die Entwicklungen der OK verfolgt und ihre Schäden abgemildert werden.

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Die Bekämpfung von Clankriminalität in Deutschland: Verbundkontrollen im kriminalpolitischen und gesellschaftlichen Diskurs

von Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

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Abstract 
Clankriminalität ist eines der aktuell kriminalpolitisch brisantesten Themen. Die Aufmerksamkeit, die das Phänomen durch einzelne spektakuläre Kriminalfälle, aber auch durch Gewalt im öffentlichen Raum seit einigen Jahren erfährt, formulierte einen Auftrag an die Kriminalpolitik. Eine ebenso sichtbare Reaktion des Staates zeigen sich in Verbundkontrollen in Stadtgebieten, die als besonders belastet gelten. Als behördenübergreifende Gesamtstrategie sind die kooperativen Maßnahmen ein Instrument zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität. Wie wirkungsvoll diese sind, hängt von mehreren Faktoren ab. Dabei fordert Clankriminalität nicht nur die Behörden, sondern auch Politik und Gesellschaft heraus. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den begleitenden Diskussionen um die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der staatlichen Kontrollen.

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KriPoZ-RR, Beitrag 50/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 27.05.2020 – 1 BvR 1873/13: Regelungen zur Bestandsdatenauskunft verfassungswidrig

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Gesetzgeber muss bei der Einrichtung eines Auskunftsverfahrens auf Grundlage jeweils eigener Kompetenzen für sich genommen verhältnismäßige Rechtsgrundlagen sowohl für die Übermittlung als auch für den Abruf der Daten schaffen. Übermittlungs- und Abrufregelungen für Bestandsdaten von Telekommunikationsdiensteanbietern müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, mithin die Datenverwendung an bestimmte Zwecke, tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichenden gewichtigen Rechtsgüterschutz binden.

  2. Schon dem Gesetzgeber der Übermittlungsregelung obliegt die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung. Eine Begrenzung der Verwendungszwecke erst zusammen mit der Abrufregelung kommt nur in Betracht, wenn die Übermittlungsregelung Materien betrifft, die allein im Kompetenzbereich des Bundes liegen und die Regelungen eine in ihrem Zusammenwirken normenklare und abschließende Zweckbestimmung der Datenverwendung enthalten.

  3. Die Befugnis zum Datenabruf muss nicht nur für sich genommen verhältnismäßig sein, sondern ist – auch aus Gründen der Normenklarheit – zudem an die in der Übermittlungsregelung begrenzten Verwendungszwecke gebunden. Dabei steht es dem Gesetzgeber der Abrufregelung frei, den Abruf der Daten an weitergehende Anforderungen zu binden.

  4. Trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts bedürfen die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts. Die Zuordnung dynamischer IP-Adressen muss im Hinblick auf ihr erhöhtes Eingriffsgewicht darüber hinaus auch den Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht dienen. Es bedarf ferner einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen. Als Eingriffsschwelle kann im Bereich der Gefahrenabwehr und der nachrichtendienstlichen Tätigkeit das Vorliegen einer konkretisierten Gefahr ausreichen, soweit es um den Schutz von Rechtsgütern oder die Verhütung von Straftaten von zumindest erheblichem Gewicht (allgemeine Bestandsdatenauskunft) oder besonderem Gewicht (Zuordnung dynamischer IP-Adressen) geht.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer haben sich gegen die Bestandsdatenauskunft nach § 113 TKG und die korrespondierenden fachgesetzlichen Abrufregelungen (z.B. § 22a BPolG, § 8d BVerfSchG, § 4b MAD-Gesetz, § 2b BND-Gesetz, §§ 10, 40 BKAG) gewendet.

Alle Beschwerdeführer nutzen Telekommunikationsdienste und könnten von einer sog. manuellen Bestandsdatenauskunft nach den oben genannten Vorschriften betroffen gewesen sein. In den Regelungen sehen sie einen Verstoß gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG).

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG erklärte die angegriffenen Normen für verfassungswidrig und gab dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 2021. Bis zu diesem Datum bleiben die Vorschriften weiter anwendbar.

Zwar dienten die Übermittlungsbefugnisse in § 113 TKG legitimen Zwecken, indem sie wirksame Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrmaßnahmen sowie nachrichtendienstliche Tätigkeiten ermöglichten, jedoch seien sie mangels begrenzter Verwendungszwecke des Datenabrufs nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar.

Die große Reichweite des § 113 TKG für die allgemeine Bestandsdatenauskunft sorgt trotz ihres geringen Eingriffsgewichts in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für eine Unverhältnismäßigkeit der Norm. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze vor anlasslosen Auskünften, die allein der allgemeinen Wahrnehmung behördlicher Aufgaben dienten. Daher sei es erforderlich, dass eine Übermittlungsregelung wie der § 113 TKG begrenzende Eingriffsschwellen vorsehe, welche klare Voraussetzungen für eine Datenübermittlung normierten.

Eine ausreichende Eingriffsschwelle sei im Bereich der Gefahrenabwehr und der nachrichtendienstlichen Tätigkeit das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Einzelfall und auf dem Gebiet der Strafverfolgung das Bestehen eines Anfangsverdachts.

Wolle der Gesetzgeber diese Eingriffsschwellen unterschreiten, was grundsätzlich denkbar sei, so das BVerfG, müsse dafür zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit die Anforderung an den Grad der gefährdeten Rechtsgüter angehoben werden. Der Gesetzgeber könne beispielsweise die Zulässigkeit einer allgemeinen Bestandsdatenauskunft als nicht übermäßig gewichtigen Grundrechtseingriff an das Bestehen einer konkretisierten Gefahr für ein Rechtsgut von zumindest erheblichem Gewicht knüpfen.

Anderes gelte im Strafverfahrensrecht, da auf diesem Gebiet keine Befugnis zur Vornahme grundrechtsrelevanter Eingriffe unterhalb der Schwelle des Anfangsverdachts erteilt werden dürfe.

Indem der § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG als sehr weite Übermittlungsregelung eine Datenübermittlung schon allgemein zum Zweck der Gefahrenabwehr, zur Strafverfolgung oder für nachrichtendienstliche Tätigkeiten erlaube ohne einschränkende Eingriffsschwellen oder konkrete Verwendungszwecke zu enthalten, sei die Norm mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar.

Gleiches gelte für die Zuordnung dynamischer IP-Adressen gem. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG, die sogar einen Eingriff von größerem Gewicht (auch in Art. 10 GG) darstelle und somit nur zum Schutz von Rechtsgütern mit hervorgehobenem Gewicht zulässig sei. Wolle der Gesetzgeber auch hier die Anforderungen an den Grad der Gefahr absenken, müsse sogar eine Beschränkung auf den Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern erfolgen, so das BVerfG.

Da schließlich auch die vielen fachgesetzlichen Abrufregelungen, die mit § 113 TKG korrespondierten, als eigenständige Eingriffe in Grundrechte zu werten seien und dennoch ebenfalls keine begrenzenden Eingriffsschwellen enthielten, seien auch sie nicht verhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Für den Abruf von Zuordnungen dynamischer IP-Adressen gelte darüber hinaus ein Erfordernis zur Begrenzung der Verwendungszwecke und zum Führen einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation.

Lediglich die Befugnisse zum Abruf von Zugangsdaten durch die Behörden seien ausreichend begrenzt und stellten demnach einen verhältnismäßigen Abruf sicher.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Normen waren bereits aufgrund einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012 geändert worden. Die Entscheidung finden Sie hier. Ein weiteres Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung ist momentan bei EuGH anhängig.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 49/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 3 StR 52/20: Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Vereinsverbot setzt Kenntnis des Verbots voraus

Amtlicher Leitsatz:

Der für eine Strafbarkeit wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot erforderliche mindestens bedingte Vorsatz muss sich auf die Existenz des gegen den ausländischen Verein verfügten vollziehbaren Verbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter – zumindest in laienhafter Parallelwertung – eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum, nicht Verbotsirrtum.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten vom Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG freigesprochen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte einem spontanen Aufzug gegen die Bombardierung kurdischer Städte durch das türkische Militär angeschlossen. Mehrere Teilnehmer der Demonstration, unter ihnen auch der Angeklagte, hatten daraufhin mehrmals „PKK“ skandiert. Die als „PKK“ bezeichnete „Arbeiterpartei Kurdistans“ war am 22. November 1993 vom Bundesinnenministerium verboten worden. Das LG konnte beim Angeklagten keine Kenntnis darüber nachweisen, „dass die PKK in Deutschland verboten und das Rufen von ‚PKK‘ nicht erlaubt ist“. Daher sprach es ihn mangels Vorsatzes (§ 16 Abs. 1 StGB) vom Tatvorwurf frei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG.

Zwar könne eine Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 18 Satz 2 VereinsG schon in einem propagandistischen Tätigwerden für den Verein gesehen werden. Allerdings sei dafür ein vorsätzliches Verhalten und somit zumindest dolus eventualis bezüglich aller Tatbestandsmerkmale erforderlich, so der BGH.

Bei § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handele es sich um ein Blankettstrafgesetz. Bei solchen sei allgemein anerkannt, dass die Unkenntnis der tatsächlichen Umstände, die den zusammenzulesenden Tatbestand aus Blankett und blankettausfüllender Norm ausfüllten, einen Tatbestandirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB begründe. Irre der Täter jedoch über Bestehen, Gültigkeit, Anwendbarkeit, Inhalt oder Reichweite der blankettausfüllenden Norm, so handele er in einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB. In Fällen bei denen sich das Blankett jedoch nicht auf eine andere gesetzliche oder untergesetzliche Norm sondern ein durch Verwaltungsakt behördlich verfügtes Verbot beziehe, müsse die Existenz dieser Verbotsverfügung vom Vorsatz des Täters, zumindest in laienhafter Parallelwertung, umfasst sein. Dies gelte auch in vergleichbaren Konstellationen, wie beispielsweise für das Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG bei gerichtlichem oder behördlichem Fahrverbot oder dem Verstoß gegen ein strafrechtliches Berufsverbot (§ 145c StGB).

Eine positive Kenntnis des Täters vom Vereinsverbot sei jedoch nicht erforderlich, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Erst am 13. Juni 2019 hatte der BGH entschieden, dass es für einen Verstoß gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot ausreiche, wenn das Täterhandeln konkret geeignet sei, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen; auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens komme es nicht an. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

 

 

Das Geschäft mit Cannabidiol – lukrativ und selten legal

von StAin Dr. Raphaela Etzold 

Beitrag als PDF Version 

Abstract 
Der Vertrieb sogenannter „CBD-Produkte“, die Cannabidiol und damit einen Wirkstoff der Cannabispflanze enthalten, boomt. Anders als das vielfältige Angebot auf Internetseiten und in Headshops suggeriert, können sich jedoch sowohl Verkäufer als auch Erwerber durch den Umgang mit CBD-Produkten strafbar machen. Im Raum steht insbesondere die Strafbarkeit nach betäubungsmittel-, arzneimittel- und lebensmittelrechtlichen Vorschriften. Diese greift der vorliegende Beitrag auf und strukturiert bisherige Erkenntnisse.

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