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Perspektiven der Suizidbeihilfe in Deutschland – Eine Anmerkung zum interfraktionellen Abgeordnetenentwurf eines Suizidhilfegesetzes und zum Diskussionsentwurf des BMG zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung

von Dipl.-Jur. Niklas Pfeifer

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Abstract
Seit der Nichtigerklärung des umstrittenen Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe durch das BVerfG im vergangenen Jahr sucht die Politik nach einem neuen Regelungskonzept zum Ausgleich des individuellen Rechts auf Inanspruchnahme von Hilfe bei der Verwirklichung eines selbstbestimmten Selbsttötungsentschlusses mit der staatlichen Pflicht zum Schutz von Autonomie und Leben. Dass das keine leichte Aufgabe ist, zeigt sich auch in den bislang vorliegenden Gesetzesentwürfen. Der Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit schockiert, indem er ein generelles, noch über § 217 StGB a.F. hinausgehendes strafrechtliches Verbot der Suizidbeihilfe zum Ausgangspunkt nimmt, während der Abgeordnetenentwurf die Entscheidung über die Freiverantwortlichkeit des Suizidwilligen unter kategorischer Ausblendung des ärztlichen Ethos allein in die Hände des Sterbehelfers und damit i.d.R. in die eines Arztes legen will. Keiner der Entwürfe kann überzeugen. 

Since the annulment of the controversial ban on commercially assisted suicide, lawmakers have been seeking a new regulatory approach to balance the individual right to help with the implementation of a self-determined suicide decision with the state’s duty to protect autonomy and life. That this is not a simple task is also shown in the draft legislation so far. The draft of the Federal Ministry of Health shocks by taking as its starting point a general criminal prohibition on assisted suicide, which goes beyond the former Section 217 StGB. An inter-party draft, on the other hand, wants to place the decision on the autonomy of the suicidal person solely in the hands of the person assisting in the suicide, and thus generally in the hands of a doctor – under the categorical suppression of the medical ethos. None of the drafts can convince.

I. Einleitung

Am 20. April 2021 haben Abgeordnete mehrerer Bundestagsfraktionen den „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe“ in den Bundestag eingebracht.[1] Der Entwurf ist einer unter vielen: Nur wenige Stunden nachdem er Ende Januar zuerst veröffentlicht worden war, traten die Grünen-Abgeordneten Künast und Keul mit Ihrer Skizze für einen „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ an die Öffentlichkeit.[2] Wenige Tage darauf publizierte eine Kooperation von Rechtswissenschaftlern einen „Vorschlag für ein modernes Sterbehilferecht“.[3] Medien berichten außerdem vom Eckpunktepapier eines weiteren interfraktionellen Zusammenschlusses von Abgeordneten.[4] Mittlerweile hat auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit einem Diskussionsentwurf für ein „Gesetz zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung“ reagiert.[5] Hinzu kommt eine ganze Reihe an Vorschlägen aus Wissenschaft[6] und Gesellschaft[7].

Am 21. April 2021 fand im Bundestag eine Orientierungsdebatte zur Neuregelung der Sterbehilfe statt.  Das Plenarprotokoll offenbart die tiefen Gräben zwischen den ethischen und politischen Grundpositionen.[8] Mehrheiten für einen der Vorschläge oder auch nur deren grundsätzliche Ausrichtung zeichnen sich bislang nicht ab. Die Debatte ist in vollem Gange und die Zukunft der Suizidbeihilfe in Deutschland noch weitgehend offen.

Dieser Beitrag vergleicht den zuerst erwähnten Abgeordnetenentwurf mit dem Diskussionsentwurf des BMG, der sich in vielen Punkten als Gegenentwurf erweist. An den geeigneten Stellen finden sich außerdem Hinweise auf den Grünen Entwurf sowie auf den AMHE-SterbehilfeG. Die übrigen Entwürfe und Vorschläge wurden hier nicht berücksichtigt.[9]

II. Hintergrund

In seiner vielbeachteten Entscheidung aus dem vergangenen Jahr hat das BVerfG die Eckpfeiler einer gesetzlichen Ausgestaltung der Suizidbeihilfe in Deutschland eingeschlagen: Das individuelle Recht auf selbstbestimmtes Sterben geht einher mit dem Recht, hierbei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen,[10] wenn auch niemand – ob Arzt oder nicht – zur Hilfeleistung verpflichtet werden kann.[11] Demgegenüber trifft den Staat die Pflicht zum Schutz der Autonomie Sterbewilliger und über diese vermittelt von deren Leben.[12] Der Gesetzgeber muss diese Aspekte zum Ausgleich bringen – mit entsprechendem Gestaltungsspielraum.[13] Das pauschale Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Suizidhilfe in § 217 StGB a.F. hat diesen Spielraum jedenfalls überschritten und wurde daher für verfassungswidrig und nichtig erklärt.[14] Zwar intendierte die Strafnorm legitimerweise den Schutz vor einer „gesellschaftlichen Normalisierung des assistierten Suizids“ und den einhergehenden Pressionen in Richtung einer Selbsttötung.[15] Sie war aber unverhältnismäßig, da sie „das Recht auf Selbsttötung als Ausprägung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in bestimmten Konstellationen faktisch weitgehend entleert“ hat.[16] Sterbewilligen müssten geeignete Handlungsoptionen zur Verwirklichung ihres Rechtes auf selbstbestimmtes Sterben zur Verfügung stehen.[17] Solange nicht tatsächlich Ärzte bereit seien, „an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken“, verbliebe das Angebot von Sterbehilfevereinen als einzige geeignete Handlungsoption.[18] Einer solchen Bereitschaft der Ärzteschaft stünden jedoch neben der zu respektierenden individuellen Gewissensentscheidung das jedenfalls faktisch handlungsleitende Verbot der Sterbehilfe in § 16 S. 3 MBO-Ä[19] sowie in vielen Berufsordnungen der Landesärztekammern entgegen.[20]

Als Optionen für eine künftige, am staatlichen Schutzauftrag zugunsten der individuellen Autonomie und des Lebens orientierte Regulierung der Suizidassistenz in Deutschland nennt das BVerfG „prozedurale Sicherungsmechanismen“ wie „gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten“, außerdem „Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern“, und eröffnet Raum für (ggf. strafrechtliche) „Verbote besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe entsprechend dem Regelungsgedanken des § 217 StGB“. Es weist auch auf die Notwendigkeit einer „konsistenten Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker“ und des Betäubungsmittelrechts hin.[21]

Nach alledem steht der Gesetzgeber vor einer beachtlichen Herausforderung. Er trägt die grundrechtlich gespeiste Verantwortung, einen normativ überzeugenden und praktisch tragfähigen Rechtsrahmen zu entwickeln, der einerseits die Inanspruchnahme von Hilfe bei der Selbsttötung ermöglicht, andererseits die Selbstbestimmtheit des Entschlusses zu dieser absichert. Die rechtlichen Hürden müssen hoch genug sein, um einer „Normalisierung“ der Sterbehilfe im Allgemeinen vorzubeugen und Autonomiedefizite im Einzelfall auszuschließen, dürfen aber nicht so hoch sein, dass die Schwelle zum „Generalverdacht“[22] fehlender Autonomie überschritten und die „geeigneten Handlungsoptionen“[23] Suizidwilliger zu stark beschränkt werden.

Das BVerfG hat durch die Nichtigerklärung von § 217 StGB den strafrechtlichen status quo ante wiederhergestellt. Die Suizidbeihilfe ist mangels beihilfefähiger Haupttat straffrei (vgl. § 27 Abs. 1 StGB). Sterbehilfeorganisationen haben daraufhin ihre Tätigkeit wieder aufgenommen.[24] Der Deutsche Ärztetag hat zwischenzeitlich in Reaktion auf das Urteil des BVerfG das Verbot der Sterbehilfe aus der MBO-Ä gestrichen.[25] Es ist zu erwarten, dass die Landesärztekammern diesem Beispiel folgen werden, soweit das Verbot überhaupt in den jeweiligen Landesberufsordnungen umgesetzt war. Die Praxis der Suizidbeihilfe in Deutschland entwickelt eine Eigendynamik, die nicht im Interesse des schutzverpflichteten Gesetzgebers sein kann. Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die gegen die eine Erlaubnis zum Erwerb eines tödlichen Arzneimittels zum Zweck der Selbsttötung ablehnenden, gerichtlich bestätigten Entscheidungen des Bundesinstituts für Arzneimittel gerichtet war, und die Beschwerdeführer darauf verwiesen, die „konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume“ der aktuellen Rechtslage auszuloten und auszuschöpfen. Das Verfassungsgericht wollte insbesondere die gesetzgeberische Gestaltungsentscheidung nicht faktisch vorwegnehmen.[26] Mit anderen Worten: Die Judikative hat ihren Teil (vorerst) getan, nun ist der Gesetzgeber am Zug.

III. Der Abgeordnetenentwurf im Überblick

Der Abgeordnetenentwurf sieht vor, der Suizidassistenz in Deutschland durch ein neues Suizidhilfegesetz (SuizidhilfeG-E) und kleinere Änderungen an BtMG und StGB einen rechtlichen Rahmen zu geben.[27] Er orientiert sich stark an der Entscheidung des BVerfG und betont einen liberalen Humanismus: „Suizidhilfe braucht Menschlichkeit.“, heißt es in der Entwurfsbegründung. „Im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfes stehen die Menschen, die sehnlichst sterben möchten, ihre Angehörigen und Freunde sowie Menschen, die helfen möchten.“ Das einzige beachtenswerte Kriterium sei das „Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen, also der autonom gebildete, freie Wille des Menschen“. Dementsprechend wären „Grund und Grenze des gesetzgeberischen Tätigwerdens […] sicherzustellen, dass die Suizidentscheidung tatsächlich auf einem autonom gebildeten, freien Willen fußt.“[28] Durch das neue Suizidhilfegesetz sollen „praktische Rechtsunsicherheiten“ und „faktische Hürden“ beseitigt werden, die beim assistierten Suizid trotz dessen prinzipieller Straffreiheit nach wie vor bestehen. Insbesondere sollen Ärzte Suizidbeihilfe leisten dürfen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, und Sterbewilligen soll ermöglicht werden, Medikamente zur Selbsttötung zu erhalten. Zugleich sollen Sterbewillige vor „übereilten und nicht autonom gebildeten Suizidentscheidungen“ geschützt werden.[29]

Der Entwurf greift das vom BVerfG herausgearbeitete Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und das spiegelbildliche Recht zur Hilfeleistung auf und schreibt diese klarstellend in §§ 1 und 2 SuizidhilfeG-E fest. § 3 SuizidhilfeG-E enthält die Voraussetzungen des autonom gebildeten, freien Willens zur Selbsttötung, dessen Vorliegen wiederum von §§ 1 und 2 SuizidhilfeG-E ebenso wie vom praktisch zentralen § 6 SuizidhilfeG-E vorausgesetzt wird, der Ärzten die Verschreibung von Arzneimitteln zum Zwecke der Selbsttötung gestattet. § 6 SuizidhilfeG-E verlangt außerdem die Vorlage der Bescheinigung über eine erfolgte Beratung zu Fragen der Suizidhilfe, auf die § 4 SuizidhilfeG‑E ein Recht verleiht. Diese Norm konkretisiert auch die Inhalte und das Verfahren der Beratung, während § 5 SuizidhilfeG-E institutionelle Rahmenbedingungen der von den Ländern zu gewährleistenden Beratungsstellen regelt. § 7 SuizidhilfeG-E verpflichtet schließlich die Bundesregierung zu jährlichen Berichten über die Ausführung des neuen Gesetzes und zu dessen regelmäßiger Evaluation. Durch Art. 2 des Entwurfs wird § 13 Abs. 1 BtMG im Einklang mit § 6 SuizidhilfeG-E ergänzt, um die Verschreibung von Arzneimitteln zum Zwecke der Selbsttötung auch betäubungsmittelrechtlich zu gestatten. Art. 3 nimmt die Mitglieder und Beauftragten der anerkannten Beratungsstellen i.S.d. §§ 4, 5 SuizidhilfeG-E in den Kreis der gem. § 203 StGB unter Strafandrohung zur Verschwiegenheit verpflichteten Personen auf.

IV. Der Diskussionsentwurf des BMG im Überblick

Der Diskussionsentwurf stellt die Schutzpflicht des Staates gegenüber der Selbstbestimmung und dem Leben in den Vordergrund: „Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die Einzelne und den Einzelnen vor einer Selbsttötung zu schützen, die nicht auf einem selbstbestimmten Entschluss beruht.“ Im Übrigen soll einer „problematischen gesellschaftlichen Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung entgegengewirkt“ werden.[30]

Dazu sieht der Entwurf zwei neue Straftatbestände im StGB vor (§§ 217 und 217a StGB-E) und ergänzt diese um ein Gesetz zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung (Selbsttötungshilfegesetz – StHG-E) sowie eine Modifikation des BtMG. § 217 StGB-E stellt die Hilfe zur Selbsttötung in seinem ersten Absatz grundsätzlich unter Strafe. Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu die Gelegenheit gewährt oder verschafft, soll mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Abs. 2 regelt sodann die erste Ausnahme von Abs. 1. Sie greift zusammengefasst dann ein, wenn die dort aufgestellten und durch Verweise auf das BGB sowie das StHG konkretisierten Voraussetzungen eines autonomen Selbsttötungsentschlusses und dessen prozeduraler Feststellung erfüllt sind. Als zweite Ausnahme bleiben Angehörige und Nahestehende stets straffrei (Abs. 3). § 217a Abs. 1 StGB-E enthält ein umfassendes Verbot gewinnorientierter oder grob anstößiger Werbung für die Suizidhilfe, das allerdings in den folgenden drei Absätzen von mehreren Ausnahmen zugunsten sachlicher Information durchbrochen wird. Die neuen Tatbestände werden durch die Normen des neuen StHG ergänzt. Es konkretisiert insbesondere die Anforderungen an das Verfahren zur Feststellung der Abwesenheit von für den Selbsttötungsentschluss relevanten akuten psychischen Störungen beim Suizidwilligen i.S.d. § 217 Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB-E (§ 3 StGH-E) sowie an das Verfahren und den Inhalt der gem. § 217 Abs. 2 Nr. 1 lit. d StGB-E verpflichteten Beratung (§§ 4–7 StHG-E). Daneben soll das neue Gesetz die Einrichtung, staatliche Anerkennung, Kontrolle und Förderung der Beratungsstellen (§§ 9­–12 StHG-E), die Anerkennung von Sterbehilfeorganisationen (§ 13 StHG-E) und die Kosten der Sterbehilfe regeln (§ 14 StHG-E). Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird dazu verpflichtet, Informationsmaterialien zur Suizidprävention zu erstellen und zu verbreiten (§ 8 StHG-E). Die Anwendung der neu geschaffenen Gesetze soll in einer Bundesstatistik erfasst werden (§§ 15–18 StHG-E). Durch eine Ergänzung von § 13 Abs. 1 BtMG wird die im Einklang mit den neuen Vorschriften erfolgende Selbsttötung als begründeter Fall der Anwendung und damit auch der Verschreibung und Gebrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln eingestuft. Hierzu sollen nur Ärzte befugt sein.

V. Vergleichende Anmerkungen zu ausgewählten Aspekten der Entwürfe

Große Unterschiede zwischen den verschiedenen Entwürfen ergeben sich schon daraus, welche Aspekte des Regulierungskomplexes Suizidbeihilfe sie überhaupt in den Blick nehmen. So sieht der Abgeordnetenentwurf im Vergleich zum Diskussionsentwurf beispielsweise keine Regulierung der Zulassung von Sterbehilfeorganisationen vor. Beide Entwürfe treffen im Gegensatz zum Grünen Entwurf keine Aussage darüber, wie mit den zur Selbsttötung ausgegebenen Betäubungsmitteln zu verfahren ist, z.B. wenn der Selbsttötungsentschluss nicht umgesetzt wird. Die Verfasser des AMHE-SterbehilfeG betten die Neufassung des Rechts der Suizidbeihilfe gleich in eine umfassende Reform der Sterbehilfe insgesamt ein, einschließlich der aktiven Sterbehilfe. Die nachfolgenden vergleichenden Anmerkungen konzentrieren sich auf ausgewählte Aspekte des Abgeordnetenentwurfs und des Diskussionsentwurfs.

1. (Kein) strafrechtliches Verbot der Suizidbeihilfe

Die beiden Entwürfe stehen unter gegensätzlichen Vorzeichen. Während der Abgeordnetenentwurf das Recht zur Hilfeleistung bei der Selbsttötung zum Ausgangspunkt nimmt (§ 2 SuizidhilfeG-E), statuiert der Diskussionsentwurf ein strafrechtliches Verbot (§ 217 Abs. 1 StGB-E). Zwar zielen beide Entwürfe darauf ab, Suizidbeihilfe nur unter den Voraussetzungen eines freiverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses zu legitimieren – eine prozedurale Absicherung dieses Ziels sieht der Abgeordnetenentwurf aber nur für die ärztliche Suizidbeihilfe durch Verschreibung eines Arzneimittels zum Zweck der Selbsttötung vor, während sonstige Suizidbeihilfehandlungen unreguliert bleiben. Sanktionen für die Nichteinhaltung der vom SuizidhilfeG-E aufgestellten Voraussetzungen sieht der Abgeordnetenentwurf in keinem Fall ausdrücklich vor. Allenfalls kann ein Arzt gem. § 29 Abs. 1 Nr. 6 oder 6a BtMG bestraft werden, wenn er BtM zur Selbsttötung verschreibt, obwohl die Voraussetzungen des § 6 SuizidhilfeG-E nicht erfüllt sind (vgl. § 13 Abs. 1 S. 4 BtMG-E). Dazu muss sich aber sein Vorsatz auf die Unbegründetheit der Verschreibung,[31] d.h. das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der §§ 6, 3 SuizidhilfeG-E erstrecken. Ein Abgleiten in eine faktische Strafbarkeit der fahrlässigen Suizidbeihilfe für Ärzte über die Hintertür des Betäubungsmittelstrafrechts müsste in jedem Fall vermieden werden.

Ganz anders der Diskussionsentwurf: Dieser hängt das schärfste Schwert im regulatorischen Arsenal über dem Haupt von jedem auf, der einem anderen in der Absicht, dessen Selbsttötung zu fördern, in irgendeiner Weise hierzu die Gelegenheit gewährt oder verschafft. Die damit statuierte grundsätzliche Strafbarkeit der Suizidbeihilfe bricht (erneut[32]) mit dem aus der allgemeinen Beihilfedogmatik folgenden Grundsatz der Straffreiheit von Beihilfehandlungen zu straffreiem Verhalten (vgl. § 27 StGB) und stellt gegenüber § 217 StGB a.F. noch eine Verschärfung dar, indem auf das den Tatbestand begrenzte Merkmal der Geschäftsmäßigkeit verzichtet wird.[33] Die neue Strafnorm erinnert stark an den erst kürzlich vom Österreichischen Verfassungsgerichtshof aufgehobenen § 78 2. Alt. Ö-StGB.[34] Die Entwurfsbegründung lässt offen, ob das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Abs. 2 vom Vorsatz des Hilfeleistenden umfasst sein muss, oder ob es als objektive Bedingung der Strafbarkeit gelten soll. Der Gesetzeswortlaut („Absatz 1 gilt nicht, wenn…“) legt letzteres nahe. Damit würde jedes – auch jedes fahrlässige – Versäumnis des Hilfeleistenden bei der Prüfung des von § 217 Abs. 2 StGB-E vorgesehenen „abgestuften Verfahrens“ zu seiner Bestrafung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe führen, selbst dann, wenn der andere die Selbsttötung gar nicht oder jedenfalls nicht durch die vom Hilfeleistenden gewährte oder verschaffte Gelegenheit realisiert (abstraktes Gefährdungsdelikt!).[35]

Die Verfasser des Abgeordnetenentwurfs verzichten anders als das BMG darauf, die Suizidbeihilfe mit einem grundsätzlichen Unwerturteil zu versehen. Diese Zurückhaltung verdient Beifall. Dem Entwurf des BMG steht das Wort „Abschreckung“ auf die Stirn geschrieben – getarnt als Rechtsgüterschutz. Dieser kennt jedoch viele Gesichter und das Strafrecht ist bekanntlich seine ultima ratio. Es ist eine Sache, einer gesellschaftlichen „Normalisierung“ der Sterbehilfe entgegenwirken zu wollen; eine ganz andere hingegen, sie als in höchstem Maße sozialschädlich zu brandmarken und die Verwirklichung des Grundrechts auf die Inanspruchnahme von Hilfe bei der Umsetzung eines selbstbestimmten Selbsttötungsentschlusses als Ausnahmefall in den mit dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung belasteten Grenzbereich des „Gerade-so-nicht-Strafbaren“ zu verbannen, zumal die Grundsatz-Ausnahme-Regelung dazu führen würde, dass jedes suizidfördernde Verhalten einen Anfangsverdacht begründen und damit Ermittlungen veranlassen würde.[36]

Zwar hat das BVerfG die Option eines abstrakten Gefährdungsdelikts zum Schutze von Leben und Autonomie gerade wegen der besonderen Fragilität eines Selbsttötungsentschlusses und der Unumkehrbarkeit seiner Umsetzung nicht gänzlich ausgeschlossen.[37] Zugleich hat es aber klargestellt, dass jede, insbesondere jede strafrechtliche Regulierung der Suizidbeihilfe das „von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung“ bestimmte Menschenbild des Grundgesetzes zum Ausgangspunkt haben muss.[38] Die Vorzeichen des Diskussionsentwurfs des BMG passen nicht zu diesem Menschenbild. Wie schon § 217 StGB a.F., unterstellt § 217 Abs. 1 StGB-E den individuellen Selbsttötungsentschluss dem „Generalverdacht mangelnder Freiheit und Reflexion“[39], wenn dieser nunmehr auch nach § 217 Abs. 2 StGB-E widerlegbar sein soll. Faktisch macht diese Konstruktion es höchst unwahrscheinlich, dass jemand anderes als ein Arzt oder ein professioneller Sterbehelfer den vom Diskussionsentwurf vorgesehenen, hochprozeduralisierten Weg der Absicherung der Freiverantwortlichkeit des eigenen Selbsttötungsentschlusses gehen würde. Effektiv würde so der Kreis der potentiellen Suizidhelfer auf Angehörige und Nahestehende (§ 217 Abs. 3 StGB-E) und Ärzte bzw. professionelle Sterbehelfer beschränkt. Gleichzeitig wird die Hemmschwelle für Ärzte, sich überhaupt zur Suizidassistenz bereit zu klären, noch über die durch Fragen des individuellen Gewissens, medizinisch-ethischen Selbstverständnisses und ärztlichen Berufsrechts geschaffenen Komplikationen hinaus erhöht. Denn die strengen und formalen Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 StGB-E würden dazu führen, dass jedes auch nur geringfügige Versäumnis im Verfahren der Autonomiesicherung (etwa das Unterschreiten der von Abs. 2 Nr. 2 vorgeschriebene Wartefrist von sechs Monaten um wenige Tage) den Wegfall der Ausnahme und damit die Strafbarkeit nach Abs. 1 begründen würde. Saliger warnt zu Recht vor einer „Überkriminalisierung von Verfahrensverstößen“.[40]

Jenseits des Betäubungsmittelstrafrechts könnten besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen im Verfahren zur Autonomiesicherung durch punktuelle Strafvorschriften nach dem Vorbild des § 218c StGB adressiert werden. Im Übrigen kommt eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Absicherung bestimmter punktueller Aspekte in Betracht, wie z.B. der Zulassungsbedürftigkeit von Beratungsstellen und/oder Sterbehilfeorganisationen.[41] Auf diese Weise ließe sich der Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter Rechnung tragen, ohne das Recht auf selbstbestimmtes Sterben durch übermäßige Abschreckung der potentiellen Hilfeleistenden zu unterlaufen. Auch ein Werbeverbot, das m.E. verzichtbar, in jedem Fall aber auf Kommunikationsformen jenseits der Schwelle sachgemäßer Information zu begrenzen ist, wäre im Recht der Ordnungswidrigkeiten besser aufgehoben.[42]

2. (Kein) Übergriff ins ärztliche Berufsrecht

Der Abgeordnetenwurf will durch § 2 Abs. 3 SuizidhilfeG-E Beschränkungen des Rechts auf Hilfeleistung (und spiegelbildlich die Verpflichtung hierzu) aufgrund der Berufszugehörigkeit verbieten. Die Vorschrift hat insbesondere das ärztliche Berufsrecht im Blick.[43] Bis vor kurzem sah die MBO-Ä noch ein Verbot der Suizidassistenz vor. In vielen Berufsordnungen der Landesärztekammern ist dieses noch immer enthalten bzw. als Soll-Vorschrift ausgestaltet.[44] Die verfassungsrechtliche Gültigkeit dieser Bestimmungen ist zwar noch ungeklärt. Solange dieser Schwebezustand anhält, wirken sie aber – so das BVerfG – „jedenfalls faktisch handlungsleitend“.[45] Die Verfasser des Abgeordnetenentwurfs lehnen die berufsrechtlichen Verbote ausdrücklich ab.[46] Das ist naheliegend, würden sie doch das von § 6 SuizidhilfeG-E vorgesehene ärztliche Recht zur Verschreibung von Arzneimitteln zur Selbsttötung konterkarieren. Allerdings stellt das Verbot jeder berufsrechtlichen Regelung einen Übergriff in die den Landesärztekammern durch die jeweiligen Landesgesetze gewährte funktionale Selbstverwaltung dar, noch dazu in einem Punkt, der das ärztliche Selbstverständnis in seinem Innersten berührt. Man mag noch argumentieren, dass es sich bei Legitimationen bzw. Verboten der ärztlichen Suizidbeihilfe um „einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich prägende Vorschriften über die Ausübung des Berufs“ handelt, die daher „dem Gesetzgeber zumindest in den Grundzügen vorzubehalten“ sind.[47] Dann aber liegt die diesbezügliche Kompetenz als Teil der für das Berufsausübungsrechts mangels besonderer Bundeszuständigkeit gem. Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern, nicht beim Bund.[48]

Der Diskussionsentwurf lässt das ärztliche Berufsrecht hingegen unberührt. Eine Suizidbeihilfehandlung durch einen Arzt hätte unter den Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 StGB-E (falls der Arzt ein Angehöriger oder Nahestehender des Suizidenten ist nach Abs. 3) keine strafrechtlichen, abhängig von der jeweils gültigen Berufsordnung aber möglicherweise berufsrechtliche Konsequenzen. Bis die Landesärztekammern dem durch die neue MBO-Ä gegebenen Impuls folgend die Verbote der ärztlichen Suizidhilfe freiwillig – eben selbstverwaltet – aufgegeben haben oder deren Unwirksamkeit gerichtlich festgestellt ist, ist dies der bessere Weg. Die „geografischen Zufälligkeiten“[49] die aus der Uneinheitlichkeit der Berufsordnungen folgen, sind zwar unbefriedigend, als Folge unseres föderalistischen Systems aber hinzunehmen.

3. Ärztliches Entscheidungsmonopol?

Praktisch noch bedeutsamer als die Voraussetzungen eines freiverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses ist, in wessen Kompetenz die letzten Endes in ihren Auswirkungen häufig unumkehrbare Entscheidung über das Vorliegen dieser Voraussetzungen fällt.

Der Abgeordnetenentwurf legt die Entscheidung über die Freiverantwortlichkeit allein in die Hände des Hilfeleistenden (vgl. § 2 Abs. 1 SuizidhilfeG-E). Das Verfahren der Entscheidung ist nur für den Fall der Verschreibung eines Arzneimittels zum Zwecke der Selbsttötung näher geregelt (§ 6 SuizidhilfeG-E). Hier ist es der verschreibende Arzt, der die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses zu beurteilen hat.[50] Er muss sich die Bescheinigung der Beratungsstelle zwar vorlegen lassen, ihr Inhalt nimmt seine Entscheidung aber nicht vorweg. Bei ihrem Vorliegen kann der Arzt lediglich davon ausgehen, dass dem Suizidwilligen alle für seinen Selbsttötungsentschluss erheblichen Gesichtspunkte bekannt sind, vorausgesetzt er hat selbst medizinisch sachgerecht aufgeklärt. Selbst wenn die beratende Person auf der Beratungsbescheinigung Zweifel an der Autonomie der sterbewilligen Person vermerkt hat, hindert das den Arzt nicht daran, das Arzneimittel zu verschreiben, wenn er selbst diese Zweifel nicht teilt. Aufgabe der Beratungsstelle soll die Beratung des Sterbewilligen sein, nicht seine Begutachtung.[51] Aufgrund der personellen Trennung von Beratendem und Hilfeleistendem (vgl. § 4 Abs. 5 SuizidhilfeG-E) von einem „Vier-Augen-Prinzip“ zu sprechen, wenn die Entscheidung allein beim Träger des zweiten Augenpaares liegt, ist nicht angemessen. Prozedural abgesichert wird im Abgeordnetenentwurf lediglich die für eine selbstbestimmte Entscheidung des Sterbewilligen nötige Informationsgrundlage. Der Schutz aller anderen Aspekte der Freiverantwortlichkeit obliegt dem Hilfeleistenden, in der Regel also dem Arzt. Konflikte mit dessen professionellem Selbstverständnis sind hier vorprogrammiert. Es erscheint daher nicht unwahrscheinlich, dass sich praktisch viele Ärzte der Mitwirkung i.S.d. § 6 SuizidhilfeG-E generell verschließen werden. Damit verbliebe Raum für das Angebot professioneller Sterbehilfeorganisationen, denen der Abgeordnetenentwurf eigentlich die Handlungsgrundlage entziehen will.[52]

Der Diskussionsentwurf verteilt die Entscheidungslast hingegen auf mehr als zwei Schultern: Zwar muss sich der Hilfeleistende, wenn er nach § 217 Abs. 2 StGB-E straffrei bleiben will, des Vorliegens der dort genannten Voraussetzungen vergewissern. Der Nachweis obliegt dabei allerdings dem Hilfesuchenden, indem er einen amtlichen Lichtbildausweis und die auf den verschiedenen Stufen des Feststellungsverfahrens erworbenen Bescheinigungen und ggf. Gerichtsentscheidungen vorlegt. Anhand des Lichtbildausweises kann der Hilfeleistende die Volljährigkeit des Hilfesuchenden prüfen. Fehlt es an dieser, muss die Genehmigung des Familiengerichts vorliegen (Abs. 2 Nr. 1 lit. a). Die durch Abs. 2 Nr. 1 lit. d vorgeschriebene Beratung nach § 4 StHG-E wird durch die Vorlage der entsprechenden Bescheinigung nachgewiesen. Dass der Hilfesuchende seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung gebildet hat und nach dieser Einsicht handeln kann, muss nach den Voraussetzungen des § 3 StHG-E festgestellt worden sein. Dazu muss dies durch zwei (voneinander und von dem oder den Hilfeleistenden[53]) unabhängige Ärzte, von denen mindestens einer ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sein muss (§ 3 Abs. 3 StGH-E), schriftlich bescheinigt worden sein (Abs. 1, 2). Hier lässt sich tatsächlich von einem „Vier-Augen-Prinzip“ sprechen.[54] Bei Zweifeln darf die Bescheinigung nicht ausgestellt werden (vgl. Abs. 2 S. 2). Bei Uneinigkeit der beiden Ärzte entscheidet das Betreuungsgericht auf Antrag des Sterbewilligen (vgl. Abs. 4), die gerichtliche Entscheidung wäre dem Hilfeleistenden dann vorzulegen (§ 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E a.E.). Die Zuweisung zum Betreuungsgericht sei „sachgerecht, da dieser Fachgerichtsbarkeit bereits die Zuständigkeit in ähnlich gelagerten Fällen zugewiesen ist.“[55] Beispiele werden nicht genannt; dem Verfasser dieses Beitrages fällt allenfalls der § 1904 BGB ein, der die Einwilligung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten in eine besonders gefährliche ärztliche Maßnahme dem Vorbehalt der Genehmigung des Betreuungsgerichts unterstellt bzw. dem Gericht die Kompetenz einräumt, den Dissens zwischen dem Betreuer bzw. Bevollmächtigten und dem behandelndem Arzt über die Auslegung des durch Patientenverfügung (§ 1901a BGB) vorverfügten Willens des Betreuten bzw. Vollmachtgebers aufzulösen. Wirklich vergleichbar ist diese Kompetenz des Betreuungsgerichts der vom Diskussionsentwurf vorgesehenen allerdings nicht, schließlich soll das Betreuungsgericht nach letzterem über die genuin medizinische Frage des Vorliegens einer akuten psychischen Störung entscheiden.

In der Gesamtschau obliegt dem Hilfeleisten nach dem Diskussionsentwurf lediglich die formale Prüfung der vom Hilfesuchenden zu erbringenden Nachweise, ggf. die nach § 217 Abs. 2 Nr. 1 lit. b StGB-E erforderliche ärztliche Aufklärung entsprechend § 630e Abs. 1 und 2 BGB sowie seine eigene Gewissenentscheidung für oder gegen die Suizidbeihilfe. Die materiellen Entscheidungen werden von den die Begutachtung der Autonomiefähigkeit durchführenden Ärzten sowie ggf. dem Familien- und/oder Betreuungsgericht getroffen. Die Begründung des Diskussionsentwurfs weist zurecht darauf hin, dass die Feststellung einer akuten psychischen Störung zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit gehört.[56] Von einem „Einklang mit den ärztlichen Grundsätzen der Berufsausübung“[57] kann deshalb aber nicht die Rede sein. Denn die doppelte Begutachtung stellt im Schutzkonzept sicherlich die höchste Stufe dar, die der Hilfesuchende zu nehmen hat. Dies gilt insbesondere, wenn man mit den Ausführungen des BVerfG davon ausgeht, dass rund 90 Prozent der Suizidentschlüsse tatsächlich auf einer akuten psychischen Störung beruhen.[58] Die Begutachtung selbst mag noch keine Suizidbeihilfe sein, sie ebnet ihr aber entscheidend den Weg. Den begutachtenden Ärzten wird der Kontext ihrer Untersuchung selbstverständlich bewusst sein, ebenso dem Arzt, der durch die Verschreibung oder Bereitstellung des tödlichen Arzneimittels die konkrete Suizidbeihilfehandlung vornimmt. Richtigerweise muss jedermann und insbesondere ein Arzt jede Mitwirkung am auf die Selbsttötung des Sterbewilligen gerichteten Verfahren aus Gewissensgründen verweigern können, auch wenn sich diese Mitwirkung in einer psychologischen bzw. psychiatrischen Untersuchung und Befundstellung erschöpft.

Die Beschränkung des Untersuchungsauftrags auf das (Nicht-)Vorliegen einer akuten psychischen Störung führt zudem dazu, dass nach dem Diskussionsentwurf keine materielle Entscheidung darüber getroffen wird, ob der Selbsttötungsentschluss ohne unzulässige Einflussnahme oder Druck gebildet wurde, insbesondere nicht auf Täuschung, Drohung oder Zwang beruht. Auf die Vermeidung derartiger Fremdbeeinflussung ist vielmehr erst die sich anschließende verpflichtende Beratung gerichtet (§ 5 Abs. 1 S. 2 StHG-E). Da die Bescheinigung über die Beratung dem Sterbewilligen aber nicht versagt werden kann, stünde selbst dessen offensichtliche Fremdbestimmung der rechtmäßigen Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe nicht entgegen, wenn der Sterbewillige trotz der Beratung an seinem Entschluss festhält.  Der Diskussionsentwurf ist demnach darauf aus, das Risiko einer Fremdbestimmung zu minimieren, nicht darauf sie zu verhindern.  

Um die Autonomie und das Leben des Suizidwilligen im Einzelfall abzusichern, allen Verfahrensbeteiligten das höchstmögliche Maß an Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Schwelle für eine Mitwirkung am Verfahren bzw. an der eigentlichen Selbsttötung niedrig zu halten, ist es unumgänglich, dass über die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses verbindlich entschieden wird. Die Entscheidungskompetenz sollte aber aus den genannten Gründen nicht allein bei der Ärzteschaft, schon gar nicht bei einem einzelnen Arzt, liegen. Stattdessen sollte die Entscheidung durch eine Behörde getroffen werden,[59] deren Beschluss dann der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich wäre. Schließlich handelt es sich bei der Prävention nicht-selbstbestimmter Suizide um ein Anliegen der Gefahrenabwehr, überdies der Gesetzesausführung. Hierzu passt auch, dass die Freigabe entsprechender Betäubungsmittel unabhängig von einer ärztlichen Verschreibung schon heute in behördlicher Hand liegt (§ 3 BtMG). Alternativ könnte die Entscheidungskompetenz kraft Gesetzes an eine fachlich plural besetzte, unabhängige Kommission delegiert werden, um die unmittelbare staatliche Einflussnahme auf das Entscheidungsverfahren zu minimieren.[60] Auf diese Weise könnte medizinischer Sachverstand eingebunden werden, ohne einen offensichtlichen Konflikt mit dem ärztlichen Ethos zu provozieren.

4. Voraussetzungen der Suizidbeihilfe bei Minderjährigen

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben „besteht in jeder Phase menschlicher Existenz“.[61] Daher ermöglichen sowohl der Abgeordnetenentwurf als auch der Diskussionsentwurf die Suizidbeihilfe bei Minderjährigen. Gleichwohl können und sollten „je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens“ gestellt werden.[62]

Zwar ist im Abgeordnetenentwurf vorgesehen, dass „eine Person regelmäßig erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Bedeutung und Tragweite einer Suizidentscheidung vollumfänglich zu erfassen vermag“ (§ 3 Abs. 1 Sui-zidhilfeG-E). Die offene Formulierung „regelmäßig“ macht diesen Satz aber zu einer bloßen widerlegbaren gesetzlichen Vermutung. Das Verfahren der Feststellung der Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses wird für Minderjährige nicht modifiziert. Damit liegt die Beurteilung derselben wie stets beim Hilfeleistenden, im Falle der Verschreibung eines Arzneimittels zur Selbsttötung beim verschreibenden Arzt. Der besonderen Schutzwürdigkeit Minderjähriger trägt diese stark durchlässige Altersgrenze keine Rechnung. 

Der Diskussionsentwurf sieht die Volljährigkeit der zur Selbsttötung entschlossenen Person als erste Voraussetzung einer straffreien Suizidbeihilfe vor (§ 217 Abs. 2 Nr. 1 lit. a Alt. 1 StGB-E), die allerdings durch die Genehmigung des Familiengerichts ersetzt werden kann (Alt. 2). Dieses soll die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen im Einzelfall feststellen.[63] Damit ist immerhin ein zusätzlicher Mechanismus zum Schutz minderjähriger Sterbewilliger vorgesehen. Die Sorgeberechtigten und –verpflichteten werden durch diese Lösung allerdings gänzlich übergangen. Mit Blick darauf, dass die erforderliche natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit auch bei Minderjährigen gegeben sein kann, erscheint es nicht zwingend, überhaupt an das Alter der suizidwilligen Person anzuknüpfen.[64] Hilfsweise sollte die Zustimmung aller Sorgeberechtigten als Substitut der Volljährigkeit genügen,[65] wobei die Zustimmung eines oder mehrerer Sorgeberechtigter wiederum nach dem Vorbild des § 1748 BGB im Einzelfall durch eine Entscheidung des Familiengerichts ersetzt werden kann. Gänzlich verzichtet werden kann auf besondere gesetzliche Voraussetzungen betreffend Minderjährige nur dann, wenn die sorgfältige Prüfung der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit im Einzelfall sichergestellt ist.

5. Prozedurale Absicherung der Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses

Auch wenn der Abgeordnetenentwurf und der Diskussionsentwurf unterschiedliche Konsequenzen an ihr Nichtvorliegen knüpfen, ist für beide Entwürfe die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses entscheidend für die Abgrenzung von rechtmäßiger und unrechtmäßiger Suizidbeihilfe und die Absicherung der autonomen Entscheidung des Hilfesuchenden das gesetzgeberische Hauptanliegen. Beide Entwürfe setzen dazu, dem Vorschlag des BVerfG folgend,[66] auf die Implementierung prozeduraler Mechanismen.

a) Beratungsrechte und Beratungspflichten

So ist zunächst jeweils ein Beratungsmodell vorgesehen, das sich in beiden Entwürfen unverkennbar stark am zweifelhaften Vorbild des § 219 StGB i.V.m. den §§ 2 ff. Schwangerschaftskonfliktgesetz orientiert. Gegen die Etablierung eines bundesweiten, staatlich garantierten Beratungsnetzes spricht zunächst nichts. Konfliktlinien zeigen sich erst, wenn aus dem Beratungsrecht eine Beratungspflicht wird.

Verpflichtend ist die Beratung nach dem Abgeordnetenentwurf nur, wenn sich der Sterbewillige ein Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung verschreiben lassen will, denn dann muss er die über die erfolgte Beratung auszustellende Bescheinigung (§ 6 Abs. 7 S. 1 SuizidhilfeG-E) dem Arzt vorlegen (§ 6 Abs. 3 SuizidhilfeG-E). In allen anderen Fällen der Suizidbeihilfe bedarf es keiner Beratung. Grundsätzlich ist eine Beratungspflicht ein geeignetes Mittel, den informed consent abzusichern. Sie hat insofern die gleiche Stoßrichtung wie die Pflicht zur ärztlichen Aufklärung, die grundsätzlich für die Rechtmäßigkeit jeder ärztlichen Heilmaßnahme konstitutiv ist (vgl. § 630d Abs. 4 i.V.m. § 630e BGB). Auch der Abgeordnetenentwurf sieht für die Verschreibung eines Arzneimittels zum Zwecke der Selbsttötung zwingend die Aufklärung durch den verschreibenden Arzt vor (§ 6 Abs. 2 SuizidhilfeG-E), ebenso der Diskussionsentwurf (§ 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. b StGB-E). Die Beratung hat allerdings eine größere Reichweite: Während die ärztliche Aufklärung auf medizinische Aspekte beschränkt bleibt, soll die Beratung alleInformationen vermitteln, die für eine selbstbestimmte Suizidentscheidung erforderlich sind (vgl. § 4 Abs. 2 SuizidhilfeG-E). Auch adressiert eine Beratungspflicht primär den Suizidwilligen und nicht den Arzt. Bei der Einbindung der Beratungspflicht in das prozedurale Schutzkonzept ist daher Fingerspitzengefühl angezeigt. Denn die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende bedarf gerade keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung.[67] Gleichzeitig darf es nicht darauf hinauslaufen, dass der Suizidwillige durch eisernes Schweigen jeden vorgesehenen Mechanismus zum Schutze seiner Selbstbestimmung unterlaufen kann. Zumindest gegenüber dem von ihm konsultierten Arzt wird er sich öffnen müssen, wenn dieser die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses tatsächlich beurteilen und nicht nur darüber spekulieren soll. Man beachte in diesem Kontext die Pflicht des Arztes zur Dokumentation aller für eine Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkte (§ 6 Abs. 5 SuizidhilfeG-E). Mitwirkungspflichten bei der Beratung – auch faktische – dürfen dagegen nicht vorgesehen werden. Wenn nun die beratende Person auf der Beratungsbescheinigung begründete Zweifel an der Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses vermerken soll (§ 4 Abs. 7 S. 2 SuizidhilfeG-E), muss klargestellt werden, dass das schlichte „Über-sich-ergehen-Lassen“ der Beratung, ohne der beratenden Person einen Einblick in die eigenen Motive und Umstände zu gewähren, in diesem Stadium des Verfahrens keine Zweifel an der Freiverantwortlichkeit begründet. Denn der Arzt wird sich von einem solchen Vermerk wahrscheinlich abschrecken lassen, auch wenn er formal nicht durch ihn gebunden wird.[68]

Ein Recht auf Beratung soll laut dem Abgeordnetenentwurf jeder haben, der seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 4 Abs. 1 SuizidhilfeG-E). Diese Beschränkung soll verhindern, dass Deutschland zu einem „Land des internationalen Sterbehilfetourismus“ wird.[69] Dabei ist die Klausel einerseits ineffektiv: Mittelbar ist sie zwar geeignet, Ausländer das Erlangen einer Verschreibung von Arzneimitteln zur Selbsttötung zu erschweren, denn ohne Beratungsbescheinigung darf die Verschreibung nicht erfolgen. Einen Wohnsitz in Deutschland zu erlangen ist für entschlossene Sterbewillige aber kein unüberwindliches Hindernis (dann schon eher: ständiger Wohnsitz). Andererseits ist die Beschränkung ohnehin abzulehnen. Schon vom ethischen Standpunkt aus ist es bedenklich, ausländischen Sterbewilligen eine ergebnisoffene Beratung zu verweigern, wenn die dafür nötige Infrastruktur vorhanden ist. Wenn das Beratungsmodell außerdem der staatlichen Schutzpflicht zugunsten der individuellen Selbstbestimmung bei einer Suizidentscheidung genügen soll, ist zu beachten, dass diese aus dem auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fußenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet wird, das als sog. Jedermann-Grundrecht allen Menschen zugutekommt.  In §§ 1 und 2 SuizidhilfeG-E findet dieser universelle Geltungsanspruch noch Ausdruck („Jeder…“). Die Verortung der personellen Beschränkung beim Beratungsrecht statt beim Verschreibungsrecht rührt wahrscheinlich daher, dass in letzterem Fall die Atypizität dieser ungeschickten Rücknahme für Ausländer deutlicher zutage treten würde.

Nach dem Diskussionsentwurf ist Beratung bei jeder Form der Suizidbeihilfe zwingend erforderlich (§ 217 Abs. 2 Nr. 1 lit. d StGB-E). Die Beratung „soll insbesondere darauf hinwirken, dass dem Entschluss zur Selbsttötung eine selbstbestimmte Entscheidung zugrunde liegt und [er] nicht auf unzulässiger Einflussnahme oder Druck, insbesondere nicht auf Täuschung, Drohung oder Zwang beruht“ (§ 5 Abs. 1 StHG-E). Dass die Beratung erst nach der doppelten ärztlichen, ggf. gerichtlichen Bescheinigung der Autonomiefähigkeit der sterbewilligen Person erfolgen soll, leuchtet nicht ein. Dies nimmt nicht nur dem Beratenen die Gelegenheit, unter dem Eindruck der Beratung von seinem Sterbewunsch Abstand zu nehmen, bevor von dritter Seite über seine Selbstbestimmung befunden wird, sondern verhindert auch, dass die in der Beratung gewonnenen Erkenntnisse und Eindrücke bei der ärztlichen Beurteilung herangezogen werden können, so sich der Beratene denn freiwillig geöffnet hat.

b) Angemessene (?) Wartefristen und „Härtefälle“

Das Vorsehen einer Frist zwischen dem Abschluss des der Suizidbeihilfe vorausgehenden Verfahrens, insbesondere der Beratung des Sterbewilligen und der eigentlichen Suizidbeihilfe ist eine einfache Möglichkeit zur prozeduralen Absicherung der „gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit“, die das BVerfG als Voraussetzung eines autonomen Selbsttötungsentschlusses aus der Rechtsprechung des BGH übernommen hat.[70]

Im Abgeordnetenentwurf ist vorgesehen, dass der Arzt bei der Entscheidung über die Verschreibung eines Arzneimittels zur Selbsttötung „in der Regel“ erst zehn Tage nach der Beratung von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit des Sterbewunsches ausgehen darf (§ 6 Abs. 4 SuizidhilfeG-E). Damit ist zugleich klar, dass der Arzt im begründeten Einzelfall die Verschreibung auch schon früher vornehmen kann. Die Entwurfsbegründung spricht von Situationen, in denen „dem Suizidwilligen ein Zuwarten aufgrund des Ausnahmecharakters seiner individuellen Situation nicht zuzumuten ist“.[71] Brauchbare Orientierungspunkte für den allein entscheidungskompetenten Arzt liefert diese Formulierung nicht. „Zumutbarkeit“ ist an sich jedenfalls kein medizinisches Kriterium, sondern ein höchst unbestimmter Rechtsbegriff. Rechtssicherheit sucht man hier also vergebens. Die Zehn-Tages-Frist ist überdies reichlich kurz bemessen, wenn man bedenkt, dass sie „Entscheidungen, die als Kurzschlusshandlungen auf rein affektiven Impulsen beruhen oder im Rahmen vorübergehender Lebenskrisen gebildet werden“ ausschließen soll.[72] Erfolgt die Beratung wie vorgesehen „unverzüglich“, könnten zwischen dem ersten Impuls und der Verschreibung des Arzneimittels weniger als zwei Wochen liegen. Auch eine „vorübergehende“ Lebenskrise kann leicht länger andauern.

Die vom Diskussionsentwurf vorgesehene Wartefrist von sechs Monaten (§ 217 Abs. 2 Nr. 2 1. HS. StGB-E) erscheint demgegenüber zu lang. Sie verlängert sich außerdem um die wohl nicht unerhebliche Dauer des Verfahrens der zweifachen ärztlichen Begutachtung sowie der Beratung. Zwar kann die Wartefrist im Einzelfall verkürzt werden, wenn ihre Einhaltung für den Sterbewilligen eine unzumutbare Härte bedeuten würde (§ 217 Abs. 2 Nr. 2    2. HS. i.V.m. § 7 StHG-E). Dafür bedarf es aber einer Entscheidung des Betreuungsgerichts. Dabei ist der Sterbewillige, dessen Autonomiefähigkeit in Hinblick auf den Entschluss zur Selbsttötung an diesem Punkt des Verfahrens bereits in aller Form festgestellt wurde, gar nicht betreuungsbedürftig (vgl. § 1896 BGB). Dass dem Betreuungsgericht gleichwohl die Entscheidungskompetenz zugewiesen wird, ist zwar konsequent zur Regelung des § 3 Abs. 4 StHG-E, aber ebenso wenig überzeugend (dazu o. 3.).

Wenn es nicht gelingt, aus den Erkenntnissen der Suizidforschung eine aus wissenschaftlicher Perspektive „angemessene“ Wartefrist abzuleiten, bleibt ihre Festlegung eine mehr oder weniger willkürliche, politische Entscheidung. In diesem Sinne sei hier eine Frist von zwei Monaten vorgeschlagen. Im Einzelfall muss diese Frist verkürzt werden können. Soll die Entscheidung darüber beim Hilfeleistenden liegen, muss das Gesetz selbst möglichst klare Kriterien für die „Unzumutbarkeit“ längeren Zuwartens benennen. Eine Generalklausel ist nur bei einer institutionalisierten Entscheidung unter Einbeziehung rechtlicher Expertise tragbar. Statt der Betreuungsgerichte sollte die auch für die Entscheidung über die Freiverantwortlichkeit zuständige Stelle, d.h. entweder eine unabhängige Kommission oder eine Behörde (s. o. 3.), über Härtefälle entscheiden. Entscheidet eine Behörde, muss die Entscheidung verwaltungsgerichtlich überprüfbar sein.

VI. Fazit

Wahrscheinlich liegen sowohl der Abgeordnetenentwurf als auch der Diskussionsentwurf im Rahmen des vom BVerfG betonten Gestaltungsspielraums bei der Neuregelung der Suizidbeihilfe in Deutschland, auch wenn dies mit Blick auf die radikal-strafrechtliche Ausformung des Diskussionsentwurfs keineswegs sicher ist. Überzeugen kann für sich genommen keiner der Entwürfe.

Die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Absicherung des Verfahrens gegen schwerwiegende Pflichtverletzungen und Missbrauch ist angebracht, ein grundsätzliches Verbot jeder Suizidbeihilfe, noch dazu unter Strafandrohung, ist hingegen ein großer Schritt in die falsche Richtung und trägt nicht zu mehr Rechtssicherheit bei, sondern schürt im Gegenteil Verunsicherung und lässt Reflexe einer „Tabuisierung und Abwehr aus Sorge vor eigener Verstrickung“[73] erwarten, die der „Bedingung realer Wirkkraft“[74] des Rechtes auf Selbsttötung nur abträglich sein können.

Gleichzeitig befreien prozedurale Sicherungsmechanismen nicht von der Notwendigkeit einer Einzelfallentscheidung über die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses. Der Gesetzgeber sollte bereit sein, Elemente aus verschiedenen Entwürfen miteinander zu verbinden. So könnte die vom Diskussionsentwurf vorgesehene ärztliche „Vier-Augen“-Entscheidung über die Autonomiefähigkeit des Sterbewilligen im medizinischen Sinne als Grundlage für die Entscheidung einer Behörde oder einer staatlich bestellten, in ihrem Wirken unabhängigen Kommission herangezogen werden, die auch die persönlichen und sozialen Umstände des Sterbewilligen würdigt, um Fremdbestimmung als treibendes Motiv des Selbsttötungsentschlusses auszuschließen. Eine derart institutionalisierte Entscheidung über die Freiverantwortlichkeit könnte auch die besonderen Bedingungen und Umstände eines Selbsttötungsentschlusses Minderjähriger berücksichtigen.

Der verständliche Impuls, Suizidbeihilfe als medizinisches Problem zu sehen, verkennt die vom BVerfG herausgearbeitete Vieldimensionalität jedes Sterbeentschlusses. Der Impuls wird zum legislativen Kurzschluss, wenn Ärzte allein oder jedenfalls maßgeblich darüber entscheiden sollen, wer beim Sterben von Rechts wegen fremde Hilfe in Anspruch nehmen darf. Die deutsche Ärzteschaft ist fraglos hochqualifiziert und einem Ethos verpflichtet, der besonderes Vertrauen in ihre Expertise und Entscheidungen rechtfertigt. Sie sind aber gerade nicht per se „besser als andere Berufsgruppen in der Lage zu erkennen, ob der Betroffene aus autonom gebildetem, freiem Willen heraus handelt“[75]. Die ärztliche Kompetenz darf und muss sich auf medizinische Aufklärung, Untersuchung und Befundstellung beschränken. Hinzu kommt ohnehin noch die höchsteigene Gewissensentscheidung. Aus dem benannten Beschluss des Deutschen Ärztetags zur Änderung der MBO-Ä geht auch hervor, „dass es nicht zum Aufgabenspektrum der Ärzteschaft zählt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten“.[76] Ärzte sind ihrem Selbstverständnis nach eben nicht die „geborenen Freitodhelfer“[77]. Jeder weitere Vorschlag für den künftigen Rechtsrahmen der Suizidbeihilfe in Deutschland sollte das berücksichtigen.

 

[1]      BT-Drs. 19/28691, abrufbar unter www.kripoz.de/2016/05/05/gesetz-zur-strafbarkeit-der-geschaeftsmaessigen-foerderung-der-selbsttoetung/ (zuletzt abgerufen am 24.5.2021), i.F. „Abgeordnetenentwurf“.
[2]      I.F. „Grüner Entwurf“; abrufbar unter www.renate-kuenast.de/berlin-thema/entwurf-eines-gesetzes-zum-schutz-des-rechts-auf-selbst
bestimmtes-sterben (zuletzt abgerufen am 24.5.2021).
[3]      Dorneck u.a., Gesetz zur Gewährleistung selbstbestimmten Sterbens und zur Suizidprävention: Augsburg-Münchner-Hallescher-Entwurf (AMHE-SterbehilfeG), Tübingen 2021; eine verkürzte Fassung ist abrufbar unter www.dghs.de/humanes-sterben/gesetze/gesetzentwuerfe.html (zuletzt abgerufen am 24.5.2021).
[4]      Z.B. Widmann/Lau, „Die Freiheit zu sterben“, DIE ZEIT 20/2021, S. 9; www.aerzteblatt.de/nachrichten/123117 (zuletzt abgerufen am 24.5.2021); das Eckpunktepapier selbst wurde nicht veröffentlicht.
[5]      I.F. „Diskussionsentwurf“; abrufbar unter www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und
_Verordnungen/GuV/S/Suizidhilfe_Gesetz_Arbeitsentwurf.pdf (zuletzt abgerufen am 24.5.2021).
[6]      Z.B. Borasio u. a., Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben, 2. Aufl. (2020); Kreuzer, KriPoZ 2020, 199 (202 f.); Lindner, ZRP 2020, 66 ff.; s. außerdem die umfassende Kommentierung von Vorschlägen aus dem Reformprozess vor § 217 StGB a.F., die nun teilweise wieder an Aktualität gewonnen haben, bei Saliger, in: FS Merkel, 2020, S. 1063 ff.
[7]      Vorschläge wurden gemacht von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, vom Humanistischen Verband Deutschlands, von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und von der Deutschen Stiftung Patientenschutz.
[8]      S. Plenarprotokoll 19/223, S. 28261 ff.
[9]      Zu weiteren Entwürfen s. z.B. Neumann, NJOZ, 2021, 385 ff.
[10]    BVerfG, NJW 2020, 905 (907 f.).
[11]    BVerfG, NJW 2020, 905 (915).
[12]    BVerfG, NJW 2020, 905 (907).
[13]    Ebd.
[14]    BVerfG, NJW 2020, 905 (907 ff.).
[15]    BVerfG, NJW 2020, 905 (909 ff.).
[16]    BVerfG, NJW 2020, 905 (913).
[17]    BVerfG, NJW 2020, 905 (915).
[18]    Ebd.
[19]    Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte.
[20]    BVerfG, NJW 2020, 905 (916 f.).
[21]    BVerfG, NJW 2020, 905 (921).
[22]    BVerfG, NJW 2020, 905 (915).
[23]    Ebd.
[24]    Vgl. Albrecht, „Sehnsucht nach Klarheit“, DIE ZEIT 18/2021, S. 29 (30).
[25]    Beschlussprotokoll des 124. Deutschen Ärztetags, abrufbar unter www.bundesaerztekammer.de/aerztetag/124-deutscher-aerztetag-2021-als-online-veranstaltung/beschlussprotokoll/, S. 156 f. (zuletzt abgerufen am 24.5.2021).
[26]    BVerfG, NJW 2021, 1086 (1087).
[27]    BT-Drs. 19/28691, S. 9.
[28]    BT-Drs. 19/28691, S. 8 f.
[29]    BT-Drs. 19/28691, S. 9 f.
[30]    Diskussionsentwurf, S. 1.
[31]    Vgl. BGH, NStZ 2012, 337 (338).
[32]    S. Hecker, GA 2016, 455 zu § 217 StGB a.F.
[33]    Vgl. Saliger (Fn. 6), S. 1065 f., 1072.
[34]    VfGH, Erkenntnis v. 11.12.2020 – G 139/2019-71 – www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH-Erkenntnis_G_139_2019_vom_11.12.2020.pdf (zuletzt abgerufen am 24.5.2021); § 78 Ö-StGB a.F. lautete: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ (Herv. d. Verf.).
[35]    Diskussionsentwurf, S. 16.
[36]    Vgl. Murmann, in: Dessecker u. a. (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene Forschung, 2019, S. 273 (286).
[37]    BVerfG, NJW 2020, 905 (914); dazu kritisch Duttge, MedR, 570 (572).
[38]    Ebd.
[39]    BVerfG, NJW 2020, 905 (915).
[40]    Saliger (Fn. 6), S. 1072; vgl. auch Neumann, NJOW 2021, 385 (386).
[41]    Vgl. z.B. § 8 Abs. 1, 2 SelbstG-E im Grünen Entwurf.
[42]    Vgl. z.B.  § 8 Abs. 3 SelbstG-E im Grünen Entwurf; zustimmend Neumann, NJOZ 2021, 385 (389).
[43]    Vgl. BT-Drs. 19/28691, S. 11.
[44]    BVerfG, NJW 2020, 905 (916).
[45]    BVerfG, NJW 2020, 905 (916 f.).
[46]    BT-Drs. 19/28691, S. 12.
[47]    Vgl. BVerfG, NJW 1972, 1504 (1507).
[48]    Vgl. BVerfG, NJW 2020, 905 (916).
[49]    BVerfG, NJW 2020, 905 (917).
[50]    BT-Drs. 19/28691, S. 15.
[51]    BT-Drs. 19/28691, S. 14.
[52]    Vgl. BT-Drs. 19/28691, S. 1.
[53]    Diskussionsentwurf, S. 22.
[54]    Diskussionsentwurf, S. 12.
[55]    Diskussionsentwurf, S. 22.
[56]    Diskussionsentwurf, S. 17.
[57]    Ebd.
[58]    BVerfG, NJW 2020, 905 (911).
[59]    Vgl. den Grünen Entwurf, § 4 Abs. 1 SelbstG-E, der die behördliche Entscheidung allerdings nur im „allgemeinen Verfahren“ vorsieht, während in einer „medizinischen Notlagen, die mit schweren Leiden, insbesondere starken Schmerzen, verbunden ist“ der behandelnde Arzt im Einvernehmen mit einem zweiten Arzt zur Selbsttötung geeignete Betäubungsmittel verschreiben darf (§ 3 SelbstG-E). Die Begriffe „medizinische Notlage“ und „schweres Leiden“ sind aber höchst unbestimmt und daher ungeeignet, Rechtssicherheit zu schaffen.
[60]    Vgl. AMHE-SterbehilfeG, § 9; s. schon Duttge, NJW 2016, 120 (125).
[61]    BVerfG, NJW 2020, 905 (907).
[62]    BVerfG, BJW 2020, 905 (921).
[63]    Diskussionsentwurf, S. 18.
[64]    Vgl. Saliger (Fn. 6), S. 1074.
[65]    Vgl. den Grünen Entwurf, § 7 Abs. 1 Nr. 2 SelbstG-E, der dort allerdings in Nr. 1 zusätzlich ein kinder-psychologisches oder kinder-psychiatrisches Gutachten verlangt. Minderjährigen spricht der Entwurf in eigenwilliger Konstruktion zunächst ab, „Sterbewillige“ i.S.d. Gesetzes sein zu können (vgl. §§ 2 Abs. 1, 7 Abs. 1 S. 1 SelbstG-E), um dann ausschließlich in
[68]    BT-Drs. 19/28691, S. 14; vgl. Neumann, NJOW 2021, 385 (388).
[69]    BT-Drs. 19/28691, S. 13.
[70]    BVerfG, NJW 2020, 905 (911) unter Verweis auf BGH, NJW 2019, 3092 (3093 f.) m.w.N.
[71]    BT-Drs. 19/28691, S. 16.
[72]    BT-Drs. 19/28691, S. 13.
[73]    Duttge, NJW 2016, 120 (124).
[74]    BVerfG, NJW 2020, 905 (915).
[75]    BT-Drs. 19/28691, S. 15.
[76]    Beschlussprotokoll (Fn. 25), S. 157.
[77]    So aber Saliger (Fn. 6), S. 1075.

 

 

 

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