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Freierstrafbarkeit – Quo vadis?

von Dr. Julia Bosch

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Abstract
Die 2016 eingeführte Freierstrafbarkeit wurde jüngst verschärft, indem die Strafbarkeit auch auf leichtfertiges Handeln ausgeweitet wurde. Der vorliegende Beitrag dient der Analyse der bisherigen Rechtslage, die im Wesentlichen wirkungslos geblieben ist. Er zeigt die Schwächen der Regelung auf und wagt die Prognose, dass die Änderung zur (teilweisen) Behebung dieser Schwächen beitragen kann. Des Weiteren versucht der Beitrag zu klären, wie die Strafnorm zum Schutz von Prostituierten beitragen kann und mit welchen Änderungen für die Zukunft zu rechnen ist. Schließlich wird kurz dazu Stellung genommen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein generelles Sexkaufverbot in Deutschland eingeführt werden könnte. In diesem Kontext werden das Prostitutionsgesetz von 2002 und das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 im Überblick dargestellt.

Since 2016, the solicitation of a sexual act is punishable under German law provided that the buyer deliberately solicits sex from a victim of human trafficking or forced prostitution. Recently, this law has been tightened by extending criminal liability to “Leichtfertigkeit”, i.e. recklessness. This paper analyzes the weaknesses of the previous version of the law and discusses the potential of the new amendment. Moreover, this article attempts to explain the positive impact of criminalizing the solicitation of sex for the situation of victims of human trafficking and forced prostitution. Furthermore, it gives an overview of additional amendments that might be expected in future. Eventually, the question if or under which circumstances a general ban on the solicitation of sex might be feasible under German law will be examined. In this context, the paper gives a short overview of the relevant regulations (the Prostitution Act of 2002 and the Prostitute Protection Act of 2017).

I. Einleitung

Am 24.6.2021 hat der Deutsche Bundestag die erst 2016[1] in § 232a Abs. 6 S. 1 StGB eingeführte sog. Freierstrafbarkeit verschärft.[2] Nach der bisherigen Fassung der Norm[3] machte sich (nur) derjenige Freier strafbar, der vorsätzlich „an einer Person, die Opfer [des Menschenhandels oder der Zwangsprostitution] geworden ist und der Prostitution nachgeht, gegen Entgelt sexuelle Handlungen vornimmt oder von ihr an sich vornehmen lässt und dabei deren persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder deren Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, ausnutzt“. Bei der 2016 eingefügten Pönalisierung des Freiers handelte es sich um die erste derartige Regelung in Deutschland. Das damalige Gesetzgebungsverfahren bezweckte in erster Linie die Anpassung der deutschen Menschenhandelsvorschriften an die europäischen Vorgaben der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer vom 5.4.2011.[4] Während im ursprünglichen Gesetzesentwurf der Bundesregierung[5] noch keine Freierstrafbarkeit vorgesehen war, wurde eine solche – nach Art. 18 Abs. 4 der genannten Richtlinie durch die Mitgliedstaaten lediglich „in Erwägung“ zu ziehende und nicht verpflichtende Strafbarkeit[6] – schließlich nach einer Expertenanhörung[7] und nach Befassung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz von diesem vorgeschlagen[8] und letztlich auch beschlossen.

Abgesehen von den internationalen Bezügen wurde in den Gesetzgebungsmaterialien zur Freierstrafbarkeit im Wesentlichen darauf abgestellt, dass das „durch die Vorschrift unter Strafe gestellte Verhalten […] dennoch strafwürdig [erscheint], da es sich die Schwächesituation der bzw. des Zwangsprostituierten zunutze macht. Bereits an anderer Stelle erkennt der Gesetzgeber die Strafwürdigkeit der Ausnutzung eines Machtgefälles zwischen Opfer und Täter zum Zweck entgeltlicher sexueller Handlungen mit schutzbedürftigen Personen an. So stellt § 182 Abs. 2 StGB den Missbrauch eines Jugendlichen durch einen Erwachsenen unter Strafe, der darin besteht, dass der Jugendliche gegen Entgelt sexuelle Handlungen an dem erwachsenen Täter vornimmt oder von diesem an sich vornehmen lässt“.[9]

Auch im ähnlich verlaufenden Gesetzgebungsverfahren, das zu der nun ab dem 1.10.2021 geltenden Fassung der Norm führte, war im ursprünglichen Gesetzesentwurf der Bundesregierung[10] keine Regelung zur Frage der Freierstrafbarkeit vorgesehen. Vielmehr beschränkte sich dieser Gesetzesentwurf unter Bezugnahme auf den Evaluierungsbericht der Bundesregierung zu Neufassung des § 238 StGB (Nachstellung), also einer „themenfremden“ Norm, allein auf eine Nachbesserung derselben. Die Verschärfung der Freierstrafbarkeit in das am 24.6.2021 beschlossene Gesetz wurde ebenfalls erst wieder unter Befassung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (ohne nähere Bezugnahme auf den eigentlichen Anlass des Gesetzgebungsverfahrens) hinzugefügt[11] und schließlich im Bundestag mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD angenommen. Die FDP stimmte dagegen, die Linke enthielt sich.[12]

II. Kritik an der bisherigen Regelung und (berechtigter) Anlass für eine Verschärfung

Was ist nun neu an der ab dem 1.10.2021 geltenden Regelung des § 232a Abs. 6 StGB? Und warum wurde überhaupt Änderungsbedarf gesehen?

Neu ist, dass der Freier eines Menschenhandelsopfers oder einer Zwangsprostituierten (im Sinne von § 232a Abs. 1 bis 3 StGB) auch dann bestraft werden kann, wenn er „bei der sexuellen Handlung zumindest leichtfertig die Umstände des Satzes 1 Nummer 1 oder 2 oder die persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage des Opfers oder dessen Hilfslosigkeit“ verkennt, vgl. § 232a Abs. 6 S. 2 StGB i.d.F. v. 10.8.2021. Der Gesetzgeber lässt also nunmehr in subjektiver Hinsicht Leichtfertigkeit genügen.

Die Ausdehnung der Norm auf leichtfertiges Handeln erfolgte nach den Gesetzgebungsmaterialen deswegen, weil der Nachweis eines Vorsatzes in der Praxis schwer zu führen sei und die Neuregelung darauf abziele, „die besonders vulnerablen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution besser zu schützen“[13] und „Strafbarkeitslücken zu schließen“[14]. Auch solche Täter bzw. Freier sollten strafrechtlich verantwortlich sein, „denen sich bei der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistung auf Grund der Umstände aufdrängen musste, dass es sich bei der oder dem Prostituierten um ein Opfer von Menschenhandel oder um eine von Zwangsprostitution betroffene Person“ handele. Als Beispiele für solche Umstände sind aufgeführt: „Merkmale der Gewaltanwendung oder Einschüchterung, der Ort der Kontaktaufnahme; die Vorgabe bestimmter sexueller Handlungen durch Dritte oder die Bezahlung an den Zuhälter“ sowie auch das „besonders junge Alter“, „fehlende Verständigungsmöglichkeiten mit der oder dem – nicht deutsch- oder englischsprechenden[!] – Prostituierten oder wenn sich der Zuhälter im Nebenzimmer aufhält“.[15]

Vor diesem Hintergrund erscheint es legitim, trotz des eher wenig konturierten Begriffs der Leichtfertigkeit, der der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht entsprechen, jedenfalls aber ein gesteigerter Fall der Fahrlässigkeit sein und sowohl bewusste als auch unbewusste Fahrlässigkeit umfassen soll,[16] den Tatbestand entsprechend auszudehnen. Denn der (auch im Zusammenhang mit anderen Normen, insb. § 264 StGB erhobene) Vorwurf, der Gesetzgeber wolle sich mit Hilfe der Leichtfertigkeit Nachweisprobleme beim Vorsatz „sparen“ ist unter der Prämisse unberechtigt, dass Fahrlässigkeit u.U. für Fälle nicht nachweisbaren Vorsatzes allgemein eine Auffangfunktion hat und auch nichtvorsätzliches Verhalten die Schwelle zur Strafwürdigkeit überschreitet.[17] Letzteres sieht der Gesetzgeber hier als gegeben an und begründet dies mit dem Rechtsgüterschutz, konkret dem anderenfalls nicht ausreichend gewährleisteten Schutz von Opfern des Menschenhandels bzw. der Zwangsprostitution. Dies dürfte jedenfalls (noch) von seiner Entscheidungsprärogative umfasst sein.

Die genauere Konturierung des Begriffs der „Leichtfertigkeit“ im Zusammenhang mit Straftaten nach § 232a Abs. 6 StGB wird weitgehend der Rechtsprechung und Rechtslehre obliegen, so wie dies auch bei anderen Tatbeständen, die diesen Begriff verwenden, der Fall ist. Der Gesetzgeber hat immerhin einige Kriterien bzw. Umstände aufgezeigt, die aus seiner Sicht eine Leichtfertigkeit nahelegen. Fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang allerdings, warum fehlende deutsche oder englische (!) Sprachkenntnisse hier relevant sein sollen. Im Hinblick auf die deutsche Sprache mag das angehen, aber warum Englisch als „Arbeitssprache“ im Rotlicht-Milieu angesehen wird, erschließt sich nicht ohne weiteres. Bei der naheliegenden Annahme, dass ein Großteil der in Deutschland tätigen Prostituierten aus Osteuropa stammt,[18] es sich hierbei um sog. „Armutsprostituierte“ handelt,[19] die in der Regel über wenig Schulbildung verfügen, erscheint es abwegig, dass englische Sprachkenntnisse vorhanden sind.

Die Änderung und Ausweitung des § 232a Abs. 6 StGB war im Hinblick auf die Vorbehalte gegenüber der „alten“ Version des § 232a Abs. 6 S. 1 StGB geboten und dürfte dazu beitragen, die Kritik verstummen zu lassen. Die bisherige Fassung des Tatbestandes wurde vielfach – im Vorfeld, aber auch nach ihrem Inkrafttreten – gescholten. U.a. wurde sie als “Placebo”, “Farce”1, und – häufig – als bloßes „Symbolstrafrecht“[20] bezeichnet.Kennzeichen des letzteren sollen der mangelnde Rechtsgutsbezug sowie die Verschleierung mangelnder Effizienz sein.[21] Anders formuliert: Sinn und Zweck von Strafvorschriften sollte es nicht nur sein, strafwürdiges Verhalten auf dem Papier zu sanktionieren, sondern sie auch tatsächlich praktisch anzuwenden und die Bestrafung der Täter zu erreichen.

Fraglich ist, ob der Vorwurf des „Symbolstrafrechts“ gerechtfertigt war und ggf. auch weiterhin ist und sein wird. Im Hinblick auf die Effizienz der „alten“ Vorschrift kann man – jedenfalls wenn man für die Effizienz die Ermittlung und Aburteilung entsprechender Straftaten als Maßstab nimmt – konstatieren, dass eine praktische Bedeutung kaum vorliegt. Der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zufolge wurden bundesweit 2017 sechs Fälle, 2018 acht Fälle, 2019 15 Fälle und 2020 neun Fälle ermittelt.[22] Angesichts des Umstandes, dass 2017 immerhin in 151 Fällen, 2018 in 238 in Fällen, 2019 in 218 Fällen und 2020 in 255 Fällen wegen Zwangsprostitution ermittelt wurde[23] und ohne weiteres anzunehmen ist, dass jede Zwangsprostituierte mindestens einen Freier gehabt haben dürfte, müsste die Anzahl der ermittelten Freierstraftaten selbst bei Außerachtlassung der wohl erheblichen Dunkelziffer viel höher sein und einem Vielfachen der Verfahrenszahlen für die Zwangsprostitution entsprechen.[24] Die Einführung des Straftatbestandes führte also nicht zur Erhellung des Phänomens und erst Recht nicht zur Ahndung desselben.[25] Bei diesen geringen Zahlen und der damit dokumentierten kaum vorhandenen Verfolgungswahrscheinlichkeit ist fraglich, ob der Straftatbestand aus Tätersicht überhaupt wenigstens eine gewisse Abschreckungswirkung hat und somit gewissermaßen im Vorfeld Straftaten verhindert.[26] Mit zur geringen Effizienz des Straftatbestandes des § 232a Abs. 6 S. 1 StGB dürfte (neben anderen Faktoren, dazu später) allerdings beigetragen haben, dass der Nachweis des Vorsatzes des Freiers erforderlich war. Dieses „Effizienzhindernis“ soll durch die Neuregelung und Ausweitung auf die zumindest leichtfertige Begehungsweise behoben werden. Insgesamt kann daher derzeit – und insbesondere mit Blick auf die Zukunft – nicht pauschal festgestellt werden, dass der Straftatbestand zu wenig effizient sei bzw. bleiben wird.

Der zweite Aspekt eines „Symbolstrafrechts“ – mangelnder Rechtsgutsbezug – kann im Hinblick auf die Freierstrafbarkeit allerdings nicht festgestellt werden. Soweit ersichtlich wird in der Literatur an keiner Stelle in Abrede gestellt, dass durch den Straftatbestand ein auch strafrechtlich schützenswertes Rechtsgut geschützt wird. Lediglich um die Frage, welches Rechtsgut geschützt wird, besteht Streit. Richtig dürfte sein, dass die Norm (wohl) im falschen Abschnitt des StGB[27] steht und primär die sexuelle Selbstbestimmung[28] und darüber hinaus auch die Menschenwürde[29] schützen soll.

Die Norm ist auch geeignet, diese Rechtsgüter zu schützen, denn man darf annehmen, dass grundsätzlich eine solche Strafbarkeit die Nachfrage nach (Zwangs-)Prostituierten zunächst einschränkt.[30] Im Bereich des Menschenhandels und der Zwangsprostitution kann es keine Lösung sein den Markt dadurch zu beeinflussen, dass man auf der Angebotsebene die unmittelbar Handelnden (die Prostituierten) pönalisiert, sondern richtigerweise muss auf der Nachfrageseite angesetzt werden, denn erst die Nachfrage schafft den Markt.[31] Das vielfach bemühte Argument vom “ältesten Gewerbe der Welt”, das es schon immer gegeben hat und immer geben wird, steht dem nicht entgegen, denn sicherlich spielen äußere Faktoren eine wesentliche Rolle in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen (mit oder ohne Zwang und mit oder ohne Menschenhandel) das “älteste Gewerbe” stattfindet oder eben nicht.[32] Im Übrigen ist dies auch kein Argument, jeglichen Bemühungen dem Menschenhandel oder der Zwangsprostitution mittels des Strafrechts entgegenzuwirken. Denn Mord und Totschlag gab und gibt es auch schon immer, gleichwohl würde niemand fordern, die Strafbarkeit dieser Delikte aufzuheben. Auch das gegen die Freierbestrafung ins Feld geführte Argument, das Strafrecht sei kein geeignetes Instrument, um „die legale und illegale Seite des Prostitutionsgewerbes voneinander zu trennen” und der Staat verlasse „den Pfad der gesetzgeberischen Zurückhaltung”, wenn er mit Hilfe des Strafrechts „Menschen vor den Folgen eigenverantwortlicher Lebensentscheidungen bewahren” wolle, geht fehl.[33] Denn Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel leiden gerade nicht an den Folgen „eigenverantwortlicher Lebensentscheidungen“, sondern an aufgezwungenen Lebensentwürfen. Um solche Zustände zu bekämpfen, erscheint die Freierstrafbarkeit bezogen auf Opfer des Menschenhandels oder der Zwangsprostitution durchaus als geeignetes Mittel.

Soweit noch im Gesetzgebungsverfahren 2016[34] gegen die  Freierstrafbarkeit  ins  Feld  geführt  wurde,  dass  eine entsprechende Strafbarkeit die Freier davon abhalten würde auffällige Sachverhalte anzuzeigen und man somit ihrer “Hilfe” bei der Aufklärung von Straftaten des Menschenhandels und der Zwangsprostitution verlustig gehen würde, eine Freierstrafbarkeit somit der Bekämpfung des Menschenhandels eher abträglich sei, so leuchtet dies nicht ein. Aus dem Lagebild des BKA aus dem Jahr 2016 (vor Einführung der Freierstrafbarkeit) ergibt sich jedenfalls nicht, dass irgendeine Straftat aus diesem Bereich von einem Freier (allein) initiiert wurde.[35] Vielmehr wurden in den letzten Jahren durchweg ca. 50 % der Verfahren von der Polizei und die anderen durch Opfer initiiert (wobei hierbei differenziert wird zwischen Opfern, die allein tätig wurden, Opfern, die mit Hilfe einer Beratungsstelle agierten und Opfern, die die Hilfe von Dritten, beispielsweise andere Prostituierte oder Freier, in Anspruch nahmen).[36] Durch die Einführung der Freierstrafbarkeit hat sich an diesen „Auslösern“ für Ermittlungsverfahren jedenfalls statistisch gesehen nichts geändert. Gleichwohl wurde versucht, diesem Einwand im Gesetzgebungsverfahren durch Schaffung (der zu Recht aus verschiedenen Gründen kritikwürdigen[37]) Kronzeugenregelung in § 232a Abs. 6 S. 2 StGB a.F. (bzw. S. 3 der n.F.) zu begegnen, um auf diese Weise Freier zu ermutigen, zur Aufklärung von Menschenhandel oder Zwangsprostitution beizutragen.[38] Selbst wenn es diese Kronzeugenregelung nicht gäbe, bestünden strafprozessual Möglichkeiten, ein solches Anzeigeverhalten des Freiers mittels der Vorschriften des §§ 153 ff. StPO zu honorieren – jedenfalls soweit seine Tat nicht gleichzeitig einen (Verbrechens)tatbestand nach § 177 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 7 oder Abs. 8 StGB verwirklicht.[39]

Schließlich spricht – jedenfalls nach der nun geltenden Neufassung – auch nicht mehr gegen die Freierstrafbarkeit, dass sie eigentlich überflüssig sei, da das sanktionierte Verhalten auch unter § 177 Abs. 2 Nr. 4 (Abs. 6 Nr. 1) StGB subsumiert werden könne.[40] Denn durch das Genügen Lassen der „Leichtfertigkeit“ in subjektiver Hinsicht ist diesem Argument der Boden entzogen. Die Verwirklichung des Tatbestands des § 177 StGB verlangt weiterhin in subjektiver Hinsicht einen entsprechenden Tatvorsatz. Insofern hat § 232a Abs. 6 S. 1, 2 StGB (n.F.) einen weiteren Anwendungsbereich. Im Übrigen erschien es auch davor keineswegs abwegig, wegen der hiervon ausgehenden Signalwirkung[41] die Freierstrafbarkeit als gesonderten Tatbestand zu regeln, selbst wenn der praktische Anwendungsbereich häufig mit § 177 Abs. 2 Nr. 4 (Abs. 6 Nr. 1) StGB identisch war bzw. ist.

Insgesamt ist damit die These vom bloßem „Symbolstrafrecht“ im Hinblick auf die Freierstrafbarkeit nach § 232a Abs. 6 S. 1, 2 StGB (n.F.) spätestens mit der Neufassung unberechtigt. Selbst wenn man diese Ansicht gleichwohl teilt, sollte nicht unterschätzt werden, dass auch „Symbolstrafrecht“ seine Berechtigung haben kann. Hauptziel sollte sicherlich sein, auf Basis der eingeführten Straftatbestände das strafbewährte Verhalten auch tatsächlich zu sanktionieren. Jedoch erfüllen bereits im Vorfeld Straftatbestände eine Aufgabe – so geben sie doch klar zu erkennen, was eine Gesellschaft zu akzeptieren bereits ist und was nicht. Sie haben eine normbildende Funktion. Von dem Stempel der Strafwürdigkeit als ultima ratio geht ein besonders starkes Signal aus. Allein dies mag den einen oder anderen Delinquenten[42] von der Tat abhalten und die Haltung der Gesellschaft zum Ausdruck bringen, dass zur Verbreitung von Zwangsprostitution und Menschenhandel nicht nur Zuhälter und Menschenhändler beitragen, sondern auch diejenigen, die unter diesen Prämissen angebotenen Dienstleistungen leichtfertig nachfragen.

Insofern ist es richtig und zielführend – wie geschehen –  eine Freierstrafbarkeit überhaupt vorzusehen und diese angesichts der Nachweisprobleme trotz der aufgezeigten Schwierigkeiten mit dem Begriff der „Leichtfertigkeit“ auch auf leichtfertiges Handeln der Täter bzw. Freier auszuweiten.

III. Weiterer Handlungsbedarf

Daneben müsste aber – zur Effektivitätssteigerung des Straftatbestandes – deutlich mehr getan werden. Bevor eine Straftat verfolgt werden kann, muss sie zunächst als solche erkannt werden. Im juristischen (universitären) Studium und im Referendariat sind Sexualdelikte (13. Abschnitt des StGB, darin enthalten Ausbeutung von Prostituierten, § 180a StGB, und Zuhälterei, § 181a StGB) überwiegend nicht Gegenstand der Ausbildung oder der Prüfungsordnungen.[43] Menschenhandelsdelikte (§ 232 und 232a StGB) sind nur in wenigen Bundesländern[44] Bestandteil des Pflichtstoffs.[45] Eine effektive Strafverfolgung würde mit Sicherheit davon profitieren, wenn die genannten Tatbestände mehr Ausbildungsrelevanz hätten – und zwar nicht nur für spätere Richter*innen oder Staatsanwält*innen, sondern auch für Rechtsanwält*innen, die ggf. mit der Materie im Zusammenhang mit Nebenklage oder auch Strafverteidigung konfrontiert werden.

Auch ein „learning by doing“ in der späteren Verwendung, insbesondere bei der Staatsanwaltschaft, kann – jedenfalls bezogen auf die Freierstrafbarkeit – schon deswegen nicht erfolgen, weil das Fallaufkommen (noch) zu gering ist. Angesichts des hohen Erledigungsdrucks, den personell zu knapp ausgestatteten Staatsanwaltschaften, verbunden mit dem „Verweisungsdschungel“[46] im Bereich Menschenhandel/Prostitution, der die Verständlichkeit der Normen nicht befördert, dürfte eine „schlanke, schnelle Einstellung“ eher zu erwarten sein, als eine Einarbeitung in eine fremde Materie, ein Nachbohren, Nachermitteln, eine Anklageerhebung und dann ggf. eine schwierige Hauptverhandlung, in der oft Aussage gegen Aussage steht und meist keine weiteren Beweismittel vorhanden sind. Auch die Behörden des „ersten Zugriffs“ wie Polizei oder Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) müssen entsprechende Kenntnisse haben, damit zu Beginn der Ermittlungen ggf. vorhandene Sachbeweise (etwas Kundenlisten, Abrechnungen, Terminkalender) von Menschenhandelsopfern oder Zwangsprostituierten gesichert und auch im Hinblick auf die Strafbarkeit der Kunden ausgewertet werden können.[47]

Weitere Ermittlungsmaßnahmen, auf die – eine angemessene personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden unterstellt – zurückzuggegriffen werden kann, sind Internetermittlungen. Insbesondere in einschlägigen Freierforen dürfte es kein Problem darstellen, Täter (und Opfer!) zu finden, sogar solche, bei denen der Nachweis eines Vorsatzes hinsichtlich der Lage ihres Gegenübers sehr einfach ist.[48] Denn aus vielen Einträgen in Freierforen wird deutlich, dass den Freiern häufig klar ist, dass sie es nicht mit einer „freiwilligen Prostituierten“ zu tun haben. Die Schwierigkeit dürfte allerdings in vielen Fällen (aber nicht in allen!) darin liegen, die Klarnamen der Täter zu ermitteln und ihre „Geständnisse“ jeweils einer konkreten Straftat, die im Sinne des § 200 StPO „anklagefähig“ ist, zuzuordnen.

Gefordert wurde auch eine Aufnahme der Freierstraftbarkeit in den Straftatenkatalog der §§ 100a, 100g StPO, was die Möglichkeit einer Telefonüberwachung (TKÜ) bzw. einer Verkehrsdatenerhebung ermöglichen würde. Legt man den Strafrahmen des § 232a Abs. 6 Satz 1 StGB (drei Monate bis zu fünf Jahre) zugrunde, erscheint es zunächst abwegig, diesen Tatbestand als Katalogtat einzuordnen. Andererseits sieht § 177 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 6 Nr. 1 StGB, der oft (bei Vorsatz) deckungsgleich sein wird, einen Regelstrafrahmen nicht unter zwei Jahren vor, was schon auf eine erheblich schwerere Straftat hindeutet. Jedoch ist selbst dieser Tatbestand nicht in die Kataloge der §§ 100a, 100g StPO aufgenommen worden (lediglich § 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB befindet sich dort). Letztlich ist dies aber eine Entscheidung des Gesetzgebers, die den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit aber deutlich erleichtern könnte.[49] Als milderes Mittel wäre auch die Aufhebung der Verwendungsbeschränkung[50] von TKÜ-Inhalten, die etwa in gegen Menschenhändler gerichteten Verfahren gewonnen werden, denkbar.

IV. Abschließende Bewertung und Ausblick

Im Ergebnis und insbesondere wegen der möglichen „Abschreckungsfunktion“ des Tatbestandes sowie zur Reduzierung der Nachfrage wäre es wünschenswert gewesen, noch weitergehend (allgemein) Fahrlässigkeit zum besseren Schutz der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution genügen zu lassen oder – noch extensiver – den Umstand der Zwangslage und der Opfersituation als objektive Bedingung der Strafbarkeit auszugestalten.[51] In letzterem Fall müsste dann nur (objektiv) das Vorliegen der Zwangslage des Opfers bewiesen werden, auf einen dementsprechenden Vorsatz oder eine Fahrlässigkeit des Täters käme es nicht mehr an. Es würde genügen, dass er hinsichtlich des Kaufes der sexuellen Dienstleistung vorsätzlich handelt. Das würde die Strafverfolgung, die im Bereich Menschenhandel ohnehin schon rudimentär genug ist, deutlich vereinfachen und möglicherweise den Freier davon abhalten, Menschenhandelsopfer bzw. Zwangsprostituierte weiter zu „benutzen“ und ihn dazu anhalten, sich im Zweifelsfalle lieber eine andere Dienstleisterin auszusuchen bzw. ihn gar dazu veranlassen positiv festzustellen, dass die Prostituierte eben nicht unter Zwang „arbeitet“. Auch auf Betreiber von Prostitutionsstätten könnte eine weitere Ausdehnung der Strafbarkeit im o.g. Sinne verhaltenssteuernd wirken; ihnen würde ein Anreiz gegeben, für ihre Arbeitnehmerinnen oder (Schein-)Selbständigen Dienstleisterinnen ein Arbeitsumfeld zu schaffen, dass den Anschein einer Zwangslage erst gar nicht aufkommen lässt, da ansonsten Kunden ausbleiben. Auch insoweit (mittelbar) würde die Ausdehnung der Strafbarkeit auf allgemeine Fahrlässigkeit bzw. die Einführung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit zum Schutz der Prostituierten beitragen.

Die Einführung eines noch darüber hinausgehenden generellen Sexkaufverbotes[52] (nach dem Nordischen Modell[53]) würde die Strafverfolgung und den Tatnachweis noch mehr erleichtern,[54] denn dann käme es nicht mehr darauf an, ob die Anbieterin der Dienstleistungen „freiwillig“, durch faktische Zwänge oder durch unmittelbaren Zwang ihre Dienstleistung „anbietet“.[55] Es genügte dann der bloße Nachweis, dass für eine sexuelle Handlung Geld gezahlt wurde. Angesichts der (strafrechtlich) noch weitgehend ungeklärten Frage, wann eine sexuelle Dienstleistung „freiwillig“ angeboten wird, würde dies zudem der Rechtsklarheit, nicht nur für den Rechtsanwender sondern auch für den primären Normadressaten, dienen. Die Abschichtung der „guten“ von der „bösen“ Prostitution (und dem damit verbundenen Grad der Strafwürdigkeit des Verhaltens) könnte man durch Abstufung des Freiertatbestandes, Regelung von minder schweren oder besonders schweren Fällen, einem Strafantragserfordernis und strafverfolgungspraktisch durch Handhabung von Opportunitätseinstellungen nach §§ 153 ff. StPO regeln; selbstredend sind die genauen Umstände der Tat – soweit sich nicht Tatbestandsmerkmale sind – auch im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Ein generelles Sexkaufverbot lässt sich jedoch mit dem in Deutschland herrschenden Regelungssystem[56] der Prostitution wohl kaum ein Einklang bringen: Die vor 2002 ungeregelte, faktisch vorhandene und nicht verbotene Prostitution wurde erst im Jahr 2002 durch das Prostitutionsgesetz[57] in Ansätzen geregelt. Das lediglich drei Paragraphen umfassende Gesetz sollte die soziale und rechtliche Lage der Prostituierten verbessern,[58] indem u.a. das Verdikt der Sittenwidrigkeit beseitigt wurde[59] und dadurch den in der Prostitution tätigen Menschen Zugang zu Sozial- und Krankenversicherung sowie der Altersvorsorge ermöglicht werden sollte.[60] Zudem wurde ihr Lohnanspruch durch Beseitigung der Sittenwidrigkeit (theoretisch) einklagbar. Mit dem ProstG verknüpft war zudem die Erwartung, dass „die kriminellen Begleiterscheinungen der Prostitution zurückgedrängt und die Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte erleichtert werden“.[61] Tatsächlich soll das Gesetz aber die Situation von Prostituierten nicht verbessert,[62] sondern dazu geführt haben, dass die Machtstellung der Zuhälter gestärkt und die Handlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden durch das Gesetz verschlechtert wurden,[63] was u.a. deswegen plausibel erscheint, weil – infolge der Legalisierung von Prostitution und der Ermöglichung von Beschäftigungsverhältnisse in der Prostitution – das Gewinnstreben von Zuhältern und Bordellbetreibern nicht mehr beanstandet werden kann.[64] Ob dieser negative Effekt tatsächlich zutrifft, lässt sich – einem Bericht der Bundesregierung zufolge – weder bestätigen noch widerlegen. So gebe es für einen kriminalitätsmindernden Effekt des ProstG „bislang keine belastbaren Hinweise“. Auch habe das ProstG allenfalls in sehr begrenztem Umfang zu einer besseren Transparenz des „Rotlichtmilieus“ beigetragen. Eine „Erschwernis der Verfolgung von Menschenhandel, Zwangsprostitution und anderen gewaltförmigen Auswüchsen der Prostitution“ sei aber ebenfalls nicht (belegbar) eingetreten.[65] Ungeachtet seiner (Un-)Wirksamkeit führte das ProstG jedenfalls dazu, dass Prostitution „legalisiert“ wurde, was der Einführung eines generellen Sexkaufverbotes entgegenstehen dürfte.

Der Gesetzgeber hat an diesen Weg – trotz oder gerade wegen des Umstandes, dass die „Legalisierung“ nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Lage Prostituierter beigetragen hat[66] – grundsätzlich festgehalten und mit dem zum 1.7.2017 in Kraft getretenen Prostitutionsschutzgesetz[67] erneut versucht, Verbesserungen der Situation der Prostituierten durch (ordnungsrechtliche) Regelungen zu erreichen. Denn es war erkannt worden, dass durch Prostitution „Grundrechte wie die sexuelle Selbstbestimmung, persönliche Freiheit, Gesundheit sowie Persönlichkeitsrechte der Beteiligten“ faktisch in besonderer Weise gefährdet seien, „es aber an verbindlichen Mindestvorgaben zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit“ der Prostituierten und an Rechtsgrundlagen, mit denen die Zuverlässigkeit der Betreiber kontrolliert werden könne, fehle. Das bisherige Fehlen behördlicher Aufsichtsinstrumente begünstige „kriminelle Strukturen, die sich dieses Defizit zunutze“ machten.[68] Zur Behebung dieser Defizite wurden u.a. eine (persönliche) Anmeldepflicht für Prostituierte, die mit einer Aufklärung über die geltende Rechtslage sowie diversen Beratungsangeboten einhergeht (§§ 3 ff. ProstSchG), eine Erlaubnispflicht für Betreiber von Prostitutionsbetrieben (§§ 12 ff. ProstSchG) sowie die Kondompflicht (§ 32 Abs. 1 ProstSchG) eingeführt. Mit dieser Regelungsdichte bezüglich der Tätigkeit dürfte es unvereinbar sein, strafrechtlich diejenigen allein deswegen zu belangen, weil sie die Dienstleistung in Anspruch nehmen.

Die Einführung eines allgemeinen Sexkaufverbots würde also voraussetzen, dass sich – entgegen dem bisherigen Trend – die Erkenntnis durchsetzt, dass man (jedenfalls die überwiegenden Teile der Prostitution) nicht durch ordnungsrechtliche Regelungen, Anmeldepflichten und Kontrollen in den Griff bekommt,[69] sondern nur durch das Nordische Modell,[70] also durch ein Verbot der organisierten Prostitution (in dem Sinne, dass jegliche Teilhabe an Prostitution, sei es als Zuhälter, als Anbieter von Räumlichkeiten etc., verboten wird) ohne die jeweilige Anbieterin ebenfalls zu kriminalisieren oder auch nur zu stigmatisieren.

Aber selbst wenn das Nordische Modell eingeführt würde, wäre fraglich, ob ein allgemeines Sexkaufverbot in das System des StGB, dem der Gedanke des Rechtsgüterschutzes zugrunde liegt, hineinpassen würde. Dagegen sprechen würde, dass dann auch Fälle unter Strafe gestellt würden, in denen Prostituierte tatsächlich freiwillig und selbstbestimmt ihre Dienste anbieten. Insoweit würde jedenfalls die sexuelle Selbstbestimmung als geschütztes Rechtsgut der Freierstrafbarkeit nicht in Betracht kommen.[71]

Soweit man als geschütztes Rechtsgut eines (generellen) Sexkaufverbots die Menschenwürde ansieht,[72] stünde einer solchen Strafbarkeit (unter dem Nordischen Modell) wohl nichts entgegen, jedoch ergäben sich dann schwierige Folgefragen wie z.B. diejenige, ob es der Menschenwürde widerspräche, wenn sich eine Frau (tatsächlich selbstbestimmt) „verkaufen“ will. Zum Teil wird angenommen, dass es auch Ausdruck der Menschenwürde ist, sich für selbstschädigendes Verhalten zu entscheiden und dass diese Entscheidung dann jedem einzelnen zuzubilligen ist, so dass die eigenverantwortlich ausgeübte Prostitution basierend auf einer freien Selbstbestimmung gerade Ausdruck der Menschenwürde sei.[73] Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen eine solche Entscheidung tatsächlich frei getroffen wird und nicht Folge von offensichtlichen oder eher weniger leicht zu erkennenden Zwängen oder gesellschaftlichen Strukturen ist. Diese bislang (strafrechtlich) wenig gestellte Frage ist noch längst nicht zu Ende diskutiert, zumal die Frage, wann ein Mensch wirklich „frei“ entscheiden kann, auch eine psychologische und eine philosophische Dimension aufweist.

Die fehlende Diskussion über diese Fragen erstaunt, da – völlig zu Recht – bereits in der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes der Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 25.1.2007 ausgeführt wird, Freiwilligkeit bedeute im Zusammenhang mit dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht, „dass Individuen frei über das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ einer sexuellen Begegnung[74] entscheiden können“ und gleichzeitig aber anerkannt wird, dass empirische Befunde vorliegen, „wonach die in diesem Bereich Tätigen empirisch belegbar erheblichen psychischen und physischen Gefährdungen ausgesetzt sind“[75] und „Prostitution überwiegend eine physisch und psychisch belastende, risikoreiche und auch gefährliche Tätigkeit ist, die nicht selten von besonders vulnerablen Gruppen ausgeübt wird“. Der Erfahrung von Gewalt als Belastungsfaktor für Frauen in der Prostitution müsse daher mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es sei eine „soziale Realität, dass viele Prostituierte sich in einer sozialen und psychischen Situation befinden, in der es fraglich ist, ob sie sich wirklich frei und autonom für oder gegen diese Tätigkeit entscheiden können“[76] – worauf sich die Frage aufdrängt, wie frei(willig) hier getroffene Entscheidungen sind und sein können.[77] Diese Vulnerabilität und die Frage der Auswirkungen auf die Freiwilligkeit müssen gerade auch im Zusammenhang mit Menschenhandels- und Zwangsprostitutionsdelikten (und davon abgeleitet der Freierstrafbarkeit) genauer auf den Prüfstand. Derzeit scheint man eine strafrechtlich relevante Fremdbestimmung bzw. Unfreiwilligkeit im Zusammenhang mit diesen Delikten erst ab einem sehr hohen „Zwangsniveau“ anzunehmen. Sieht man alles unterhalb der Schwelle dieses „Zwangsniveaus“ noch als selbstbestimmt an – was wohl zu kurz greift –, müsste man konsequenterweise auch die Menschenwürde als Schutzgut eines generellen Sexkaufverbots ausschließen.

Als weiteres mögliches schützenswertes Rechtsgut einer generellen Freierstrafbarkeit käme die Gleichberechtigung der Geschlechter als Kollektivrechtsgut in Betracht. Die „aus gleichstellungspolitischer Sicht problematischen Implikationen von Prostitution“ wurden bereits im Zusammenhang mit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes erkannt und als solche benannt,[78] die erforderliche Gegensteuerung ist aber noch nicht ersichtlich. Vielmehr führt der durch das ProstG eingeschlagene und das ProstSchG fortgeführte Weg dazu, geschlechtsspezifisch strukturelle Diskriminierung zu „zementieren“.[79] Angesichts des Umstands, dass dieser Aspekt noch wenig diskutiert wurde, der Gesetzgeber ihn im o.g. Bericht zwar erkennt, aber nicht erkennen lässt, hiergegen bereits (niederschwellige) Maßnahmen ergriffen zu haben, erscheint es verfrüht, den Schutz dieses Rechtsguts – sofern man es überhaupt als kollektives Rechtsgut anerkennen will – gleich mit der ultima ratio des Strafrechts durchsetzen zu wollen. Sollte das Nordische Modell kommen, so wäre es jedoch eine Überlegung wert.

Insgesamt wird sich im Bereich Menschenhandel/Zwangsprostitution/Freierstrafbarkeit in den nächsten Jahren sicherlich noch einiges tun. So steht auf europäischer Ebene eine Überarbeitung der Menschenhandels-RL 2011/36/EU an.[80] Das Überprüfungsverfahren steckt noch in der Anfangsphase, es erscheint aber durchaus möglich, dass am Ende des Prozesses eine Verschärfung der Richtlinie steht,[81] die Anpassungen in der nationalen Gesetzgebung – möglicherweise auf in Bezug auf die Nachfrage der „Dienstleistungen“ – erforderlich machen. Hierbei könnte auch eine Rolle spielen, dass sich das Europäische Parlament bereits in einer Entschließung von 26.2.2014[82] für das Nordische Modell[83] ausgesprochen hat.

Weitere Änderungen könnten von Nöten sein, wenn das Prostituiertenschutzgesetz von 2017, das – was bereits jetzt feststeht – seine Ziele[84] nicht erfüllen kann,[85] evaluiert wird und nach Vorliegen der Evaluation[86] mit Sicherheit geändert werden wird. Es bleibt abzuwarten, welcher Weg dann seitens des Gesetzgebers gewählt wird: ob weiterhin daran festgehalten wird, zu versuchen, die anerkannten Missstände in der Prostitution mithilfe von Regelungen, in erster Linie ordnungsrechtlicher Art zur Kontrolle von Prostitutionsbetrieben, Anmeldepflicht und Pflichtberatung für Prostituierte und Zugang zu Ausstiegsangeboten, zu beheben oder ob der Weg des Nordischen Modells eingeschlagen wird.[87]

Ungeachtet dessen besteht schon jetzt gesetzgeberischer Handlungsbedarf, denn zahlreiche Ungereimtheiten[88] bei der Interaktion zwischen Sexualstrafrecht und Menschenhandels/Prostitutionstatbeständen bestehen bereits. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, die Freierstrafbarkeit (ggf. als eigenständiger Straftatbestand) im Abschnitt über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung[89] zu verorten. Auch die Tatbestände der §§ 180, 180a StGB müssten genauer und „anwenderfreundlicher“ mit den Regelungen des Prostituiertenschutzgesetzes abgestimmt werden.[90] Aus Sicht des Rechtsanwenders bzw. der Strafverfolgungsbehörden erscheint eine umfassende redaktionelle Überarbeitung der Vorschriften (wieder einmal oder immer noch) überfällig.[91]

 

*     Dr. Julia Bosch ist Lehrbeauftragte an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg, ehemalige Staatsanwältin und nun Richterin am Verwaltungsgericht. Dieser Beitrag gibt ausschließlich die private Auffassung der Verfasserin wieder und ist nicht dienstlich veranlasst.

[1]      Vgl. Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 11.10.2016, BGBl. I 2016, S. 2226; zu den Materialien siehe BT-Drs. 18/9095 vom 6.7.2016.
[2]      Vgl. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – effektivere Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings sowie Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Zwangsprostitution vom 10.8.2021, BGBl. I 2021, S. 3513; zu den Materialien siehe BT-Drs. 19/31111 vom 23.6.2021.
[3]      Fassung vom 11.10.2016 (Fn. 1).
[4]      ABl. Nr. L 101, S. 1; zur Übersicht und zum Gesetzgebungsverfahren s. Renzikowski, KriPoZ 2017, 358 ff.
[5]      Gesetzesentwurf vom 15.4.2015, BT-Drs. 18/4613.
[6]      Art. 18 Abs. 4 der Richtlinie 2011/36/EU lautet: „Um Menschenhandel dadurch, dass der Nachfrage entgegengewirkt wird, wirksamer zu verhüten und zu bekämpfen, erwägen die Mitgliedstaaten die Einleitung von Maßnahmen, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die Gegenstand einer Ausbeutung im Sinne des Artikels 2 sind, in dem Wissen, dass die betreffende Person Opfer einer Straftat nach Artikel 2 ist, als strafbare Handlung eingestuft wird“. Auch Art. 19 des Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels von 2005, online abrufbar unter: https://rm.coe.int/168047c9dd (zuletzt abgerufen am 15.9.2021) legt den Vertragsparteien nahe, eine Strafbarkeit von Freiern von Menschenhandelsopfern nach nationalem Recht in Erwägung zu ziehen.
[7]      Siehe das Wortprotokoll der 103. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/433802/
69982baf619a1ea902361a33c5b63f00/wortprotokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 15.9.2021).
[8]      Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 6.7.2016, BT-Drs. 18/9095.
[9]      BT-Drs. 18/9095, S. 21; ergänzend heißt es, dass das Verhalten des Freiers als strafbare Teilnahme an einer Tat nach § 232a Abs. 1 StGB deswegen nicht geahndet werden könne, weil diese bereits zu dem Zeitpunkt beendet sei, als der Freier handele.
[10]    BT-Drs. 19/2869.
[11]    Vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung – BT-Drs. 19/28679, 19/29639, 19/29997 Nr. 1.15 – BT-Drs. 19/31111 vom 23.6.2021.
[12]    Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/236, S. 253.
[13]    Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 19/31111, S. 5.
[14]    Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, (Fn. 13), S. 4.
[15]    Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (Fn. 13), S. 5.
[16]    Duttge, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2020), § 15 Rn. 192 spricht von einer „besonderen Vorsatznähe“ der Leichtfertigkeit; vgl. ferner Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. (2018), § 15 Rn. 55; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 15 Rn. 205; Vogel/Bülte, in: LK-StGB, 13. Aufl. (2020), § 15 Rn. 292 ff.
[17]    Zu diesen Maßstäben siehe Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rn. 205.
[18]    Nach dem Zwischenbericht zum Prostituiertenschutzgesetz des BMFSFJ von 1.7.2020 machten im Jahr 2017 bei den angemeldeten Prostituierten deutsche Staatsangehörige lediglich 22 % aus, die größte Gruppe mit 31 % stammte aus Rumänien; die nächstgrößeren Gruppen stammen aus Bulgarien, Ungarn und Polen; im Jahr 2018 waren es 19 % angemeldete deutsche Prosituierte verglichen mit 35 % rumänischen Staatsangehörigen, vgl. S. 17 f. und 21 f. des Berichts, online abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/156998/bfc0e8295e1bcc04b08159e32e95281f/zwischenbericht-zum-prostituiertenschutzgesetz-data.pdf (zuletzt abgerufen am 15.9.2021); zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Anzahl der angemeldeten Prostituierten lediglich ein Bruchteil der tatsächlichen Anzahl der Prostituierten darstellt. Naheliegend dürfte es sein anzunehmen, dass gerade Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution nicht angemeldet sind. Gleichwohl erscheint unumstritten, dass der Anteil an ausländischen „Arbeitskräften“ sehr hoch ist.
[19]    So u.a. die Einschätzung von ver.di, Position zum Referentenentwurf des „Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ vom 11.9.2015, S. 2, online abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/119064/9336382ff2c48a7863d6481627e1f4ca/ver-di-data.pdf (zuletzt abgerufen am 15.9.2021).
[20]    Im Gesetzgebungsverfahren wurde dies von Vertretern des Bündnis 90/Die Grünen vorgetragen, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/9095, S. 17; hierzu auch m.w.N. Hofmann, NK 2018, 180 (181).
[21]    Renzikowski, Freierbestrafung – Ja oder Nein, Tagungsbeitrag 2006, online abrufbar unter: www.gegen-frauenhandel.de/fachtagungen/fachtagung-2006/ (zuletzt abgerufen am 15.9.2021); ähnlich auch Ofosu-Ayeh, ZJS 2020, 109 (110 m.w.N.).
[22]    PKS der jeweiligen Jahre, Straftaten nach § 232a Abs. 6 StGB = Straftatenschlüssel 239220, abrufbar unter: www.bka.de.
[23]    Siehe PKS (Fn. 22).
[24]    Zumal noch die „Kunden“ der Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung hinzuzurechnen wären.
[25]    Das BMJV finanziert ein derzeit laufendes Forschungsprojekt des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. zur Evaluierung der 2016 neu geregelten Menschenhandelsdelikte. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Zum Forschungsprojekt sieh https://kfn.de/forschungsprojekte/evaluierung-der-strafvorschriften-zur-bekaempfung-des-menschenhandels-232-bis-233a-stgb/.
[26]    Einer umfassenden Freierstudie aus Großbritannien zufolge gaben 80 % der Freier an, sie würden durch höhere (Geld-)Strafen davon abgeschreckt werden, Frauen in der Prostitution zu „benutzen“, jedenfalls dann, wenn sie davon überzeugt seien, dass die Gesetze und Strafen auch tatsächlich vollstreckt würden, vgl. Farley, Men who buy sex, Dec. 2007, S. 22, online abrufbar unter: https://documentation.lastradainternational.org/lsidocs/Mensex.pdf (zuletzt abgerufen am 15.9.2021); in einer späteren Studie wurde differenziert zwischen Freiern und Männern, die bislang keine Freier waren; bei letzteren nannten 81 % drohende Kriminalstrafen als abschreckend (bei den Freiern waren es 70 %), vgl. Farley et al., Comparing Sex Buyers with men who do not buy sex: New Data on Prostitution and Trafficking, Journal of Interpersonal Violence, 2015, S. 1, 15.
[27]    Derzeit im Achtzehnten Abschnitt: Straftaten gegen die persönliche Freiheit.
[28]    Renzikowski, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 232a Rn. 1.
[29]    Hörnle, ZStW 127 (2015), 851 (863): jedenfalls der, der „den Körper anderer Menschen ohne deren Zustimmung für sexuelle Handlungen nutzt, verletzt deren Intimsphäre und Menschenwürde“; zur Problematik der Menschenwürde als strafrechtliches Rechtsgut siehe auch Bürger, ZIS 2017, 169 (178 f. m.w.N.).
[30]    Vorausgesetzt die potentiellen Täter haben überhaupt Kenntnis von der Existenz des Straftatbestandes und die „schlechte“ Verfolgungsstatistik ist ihnen nicht bekannt.
[31]    Merk, ZRP 2006, 250 (251); die Bekämpfung der Nachfrage als Element im Kampf gegen Menschenhandel ist wohl auch international Konsens, denn sonst gäbe es die bereits genannten Regelungen in Art. 18 Abs. 4 der Richtlinie 2011/36/EU bzw. in Art. 19 des Europaratsübereinkommens zum Menschenhandel 2005 nicht; siehe hierzu auch ausführlich Post, Legalization of Prostitution is a Violation of Human Rights, National Lawyers Guild Review, Vol. 68, p. 56, 94 ff.
[32]    Eine Studie, bezogen auf 150 Länder weltweit, kommt zu dem Schluss, dass die Legalisierung der Prostitution zu einem Anstieg von Menschenhandelsdelikten führt. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass es anderslautende Studien gibt und sich verlässliche Aussagen in diesem Milieu kaum treffen lassen, da Prostitution sehr heterogen ist und naturgemäß mit einem erheblichen Dunkelfeld einhergeht; vgl. vertiefend Cho/Dreher/Neumayer, June 2012, Economics of Security Working Paper 71, online abrufbar unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.405
653.de/diw_econsec0071.pdf (zuletzt abgerufen am 15.9.2021); zur Kritik an dieser Studie siehe Renzikowski, in: MüKo-StGB, Vorbem. zu § 174 Rn. 144.
[33]    Hofmann, NK 2018, 180 (186).
[34]    So u.a. Dr. v. Braun im Rahmen der Expertenanhörung bzw. in ihrer Stellungnahme, vgl. Wortprotokoll der 103. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, (Fn. 7), S. 43 ff., S. 52.
[35]    So auch die Einschätzung von Grimmeisen, Expertenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, (Fn. 7), S. 25.
[36]    Siehe im Einzelnen BKA, Bundeslagebilder Menschenhandel 2015-2019, online abrufbar unter: www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel_node.html (zuletzt abgerufen am 15.9.2021).
[37]    Die Kritik bezieht sich in erster Linie darauf, dass die Verwirklichung des § 232a StGB weitgehend deckungsgleich mit § 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB sein dürfte, die Kronzeugenregelung für letzteren aber nicht gilt, vgl. Ofosu-Ayeh, ZJS 2020, 109 (111); Zimmermann, in: SSW-StGB 5. Aufl. (2020), § 232a Rn. 33; Renzikowski, KriPoZ 2017, 363 sieht für die Kronzeugenregelung genau aus diesem Grund “keinen praktischen Anwendungsbereich”.
[38]    BT-Drs. 10/9095, S. 36.
[39]    Bei dem oft mitverwirklichten § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB (Vergewaltigung) handelt es sich demgegenüber lediglich um ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falles, somit bleibt es hier beim Vergehenstatbestand des § 177 Abs. 1, 2 StGB, vgl. § 12 Abs. 3 StGB. Eine Opportunitätseinstellung nach §§ 153 ff StPO bleibt daher möglich.
[40]    Ofosu-Ayeh, ZJS 2020, 109 (111); ausführlich Hörnle, NStZ 2017, 13 (17 ff.); so auch Renzikowski, KriPoZ 2017, 363, der auf die wenig nachvollziehbaren Unterschiede in den jeweiligen Strafrahmen hinweist; man könnte auf die Idee kommen, über eine Sperrwirkung des (niedrigeren) Strafrahmens (Untergrenze: drei Monate) in § 232a Abs. 6 StGB Freier von Menschenhandelsopfern gegenüber Tätern, die ein aus anderen Gründen und damit ggf. weniger schutzwürdiges Opfer vor sich haben und „nur“ den Tatbestand des § 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB (Untergrenze: sechs Monate – bei dem in der Regel gleichzeitig vorliegenden § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB aber zwei Jahre!), zu privilegieren, was sicherlich nicht gewollt ist.
[41]    Eisele, Expertenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, (Fn. 7), S. 34.
[42]    Bzw. insbesondere potentiellen Delinquenten, siehe Farley et al., Comparing Sex Buyers with men who do not buy sex: New Data on Prostitution and Trafficking, Journal of Interpersonal Violence, 2015, p. 1, 15.
[43]    Jedenfalls nicht in §§ 8 Abs. 2 Nr. 7b, 56 Abs. 1 Nr. 7b JaPro BW, §§ 1 Abs. 2 Nr. 1b, 37 Abs. 1 JaPo RP i.V.m. Anlage B II; §§ 3 Abs. 2, 17 Abs. 2 JAG Berlin i.V.m. § 3 Abs. 4 Nr. 2b JAO Berlin; §§ 14 Abs. 3 Nr. 7b, 34 Abs. 2 SächsJaPo, §§ 14 Abs. 2 Nr. 4, 47 Abs. 2 JAPrVO Sachs.-Anhalt; §§ 18 Abs. 2 Nr. 4, 58 Abs. 2 Nr. 1 BayJaPo; § 7 Nr. 3 b Hess.JAG; §§ 11 Abs. 2 Nr. 7b, 52 Abs. 1 Nr. 1 JAG NRW; § 3 JAG i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 1 JAVO Nds.; lediglich in Thüringen umfasst der Pflichtstoff nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 46 Abs. 2 Nr. 1 JaPo den gesamten Besonderen Teil des StGB.
[44]    §§ 18 Abs. 2 Nr. 4, 58 Abs. 2 Nr. 1 BayJaPo; § 7 Nr. 3 b Hess. JAG; § 3 JAG i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 1 JAVO Nds; §§ 11 Abs. 2 Nr. 7b, 52 Abs. 1 Nr. 1 JAG NRW und Thüringen (s. Fn. 43).
[45]    Wobei bspw. die Regelung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 JAVO in Niedersachsen vom 15.1.2004 stammt (Nds. GVBl. 2004, 7) und zuletzt am 20.12.2016 geändert wurde und sich insofern die Frage stellt, ob der – erst danach geschaffene – Tatbestand des § 232a Abs. 6 StGB tatsächlich zum Pflichtstoff gehören soll.
[46]    Renzikowski, KriPoZ 2017, 358.
[47]    So auch die Empfehlung der Expert*innengruppe GRETA aus 2019 (die die Umsetzung des Menschenhandelsabkommens des Europarats überwacht) an die Bundesrepublik, vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Bekämpfung des Menschenhandels, Information, online abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Information_28_Bekaempfung_des_Menschenhandel_GRETA_bf.pdf (zuletzt abgerufen am 15.9.2021).
[48]    Siehe hierzu die Ausführungen der Expertinnen Gayer und Dr. von Braun bei der Expertenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103 (Fn. 7), S. 26, 28; eine Zusammenstellung von Zitaten findet sich auf der Seite https://dieunsichtbarenmaenner.wordpress.com/.
[49]    So die Forderung von Grimmeisen, Expertenanhörung des Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, (Fn. 7), S. 24.
[50]    Vgl. § 479 Abs. 2 StPO i.V.m. § 161 Abs. 3 StPO
[51]    So auch – in Anlehnung an die Regelung in England: Ofosu-Ayeh, ZJS 2020, 109 (112).
[52]    Einen (kurzen) Überblick bietet das Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestag, Sachstand: Regelungen zur Freierstrafbarkeit in ausgewählten europäischen Ländern, WD 7 – 3000 – 165/19, online abrufbar unter: www.bundestag.de; ablehnend gegenüber einem allgemeinen Sexkaufverbot: Eisele, KriPoZ 2017, 330 (387); s.a. Bürger, ZIS 2017, 169 (180).
[53]    Das Nordische Modell, das in Schweden bereits seit 1999 gilt, basiert im Wesentlichen auf drei Säulen: Entkriminalisierung der Prostituierten, Kriminalisierung der Sexkäufer und Betreiber und Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für Prostituierte, vgl. u.a. www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/frauenhandel/nordisches-modell.
[54] Ausführlich zum Gesetzgebungsverfahren s. Gugel, Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art. 3 II Grundgesetz – eine rechtspolitische Untersuchung, Berlin 2010, S. 72 ff.
[55]    Bei der Prostitution handelt es sich um ein sehr heterogenes Phänomen. Die (lautstarken) Lobbyverbände dürften wohl eher diejenigen Prostituierten vertreten, denen eine selbstbestimmte Entscheidung für diese Tätigkeit eher nicht abgesprochen werden kann. Umgekehrt gibt es naturgemäß keine organisierten Zwangsprostituierten, die ihre (konträre) Sicht der Dinge darstellen. Neben diesen beiden Extremen gibt es einen Zwischenbereich, bei dem die Frage der „Selbstbestimmtheit“ durchaus genauer geprüft werden müsste; zu diesen drei Kategorien s.a. Sporer, Kriminalistik 2010, 235.
[56]    Zur (kurzen) Darstellung der zur Bewertunge der Prostitution vertretenen Ansichten, denen verschiedenen Regulierungsmodelle, darunter das in Schweden (u.a.) geltende Nordische Modell und das in Deutschland geltende liberale Modell, siehe Renzikowski, in:MüKo-StGB, Vorbem. § 174 StGB Rn. 42 f. m.w.N.
[57]    Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001, BGBl. I, S. 3983.
[58]    Siehe Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG), BT-Drs. 16/4146, S. 4.
[59]    Umstritten ist, ob generell „die Sittenwidrigkeit“ beseitigt sein soll oder ob dies – wie § 1 ProstG regelt – lediglich dem Lohnanspruch der Prostituierten die Sittenwidrigkeit genommen werden soll; zum Streitstand vertiefenden Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. (2021), § 1 ProstG Rn. 30 ff.; siehe auch vertiefend zu dieser Frage Majer, NJW 2018, 2294 f. und Gugel, (Fn. 54), S. 75 ff.
[60]    Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, BT-Drs. 14/5958, S. 2.
[61]    Siehe Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG), BT-Drs. 16/4146, S. 4.
[62]    Vgl. den Bericht im Spiegel vom 30.5.2013 über die Lebenswirklichkeit einer Armutsprostituierten, online abrufbar unter: https://www.spiegel.de/international/germany/human-trafficking-persists-despite-legality-of-prostitution-in-germany-a-902533.html (zuletzt abgerufen am 15.9.2021).[63]    So die Kritik von Schmidbauer, NJW 2005, 871 (872).
[64]    Gugel, (Fn. 54), S. 93
[65]    Bericht der Bundesregierung, (Fn. 58), S. 44
[66]    Zu einer Analyse der Lage nach Inkrafttreten des ProstG und vor Inkrafttreten des ProstSchG siehe auch Mäurer, ZRP 2010, 253.
[67]    Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Prostituiertenschutzgesetz – ProstSchG) vom 21.10.2016, BGBl. I, S. 2372.
[68]    So die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 1.
[69]    Dies wird vermutlich das Ergebnis der zum 1.7.2025 vorzulegenden Evaluation des ProstSchG sein.
[70]    Zur Erläuterung s. Fn. 53.
[71]    In den Fällen, in denen sich ein Freier nicht an die vertraglichen Absprachen hielte, bliebe immer eine mögliche Strafbarkeit nach den §§ 177 ff., 240, 223 StGB möglich, wobei man sich die Beweisschwierigkeiten bei einer solchen Situation, in der Aussage gegen Aussage steht, gut vorstellen kann.
[72]    Davon geht das Europäische Parlament in einer Entschließung aus, vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Februar 2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (2013/2103(INI)), ABl. C 285 vom 29.8.2017: Erwägungsgrund B („in der Erwägung, dass Prostitution und Zwangsprostitution Formen der Sklaverei darstellen, die mit der Menschenwürde und den Grundrechten unvereinbar sind“.
[73]    BT-Drs 16/4146, S. 5.
[74]    Zu ergänzen wäre noch „mit wem“.
[75]    BT-Drs 16/4146, S. 5 f.; zu den völlig inhomogen Lebenswirklichkeiten Prostituierter siehe Fn. 55 sowie u.a. das Papier des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Prostitution und Sexkaufverbot, Aktuell 17.10.2019 unter dem Kapitel „Freiwilligkeit und Zwang in der Prostitution“, online abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/prostitution-und-sexkaufverbot.
[76]    BT-Drs. 16/4146, S. 6; so auch das Fazit von Renzikowski, in: MüKo-StGB, Vorbem. § 174 Rn. 49.
[77]    S. hierzu BT-Drs. 18/9095, S. 19 f., wobei darauf hingewiesen wird, dass nicht jede „ungünstige Bedingung, unter denen eine Person arbeitet, mit den Mittel des Strafrechts bekämpft werden kann“.
[78]    BT-Drs. 16/4146, S. 6.
[79]    So die Schlussfolgerung von Gugel, (Fn. 54), S. 206 f. und ausführlich auf S. 60 ff., 66 f.
[80]    Vgl. die Initiative der EU Kommission “Preventing and combating trafficking in human beings – review of EU rules, Ref.Arest(2021)4984017 – 05/08/2021, online abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info.
[81]    Die Europäische Kommission kommt in ihrer “EU Strategy on combatting trafficking in human beings 2021-2025″ v. 14.4.2021 (COM(2021) 171 (online abrufbar unter: https://ec.europa.eu) auf Grundlage mehrerer Evaluationsberichte zum Ergebnis, dass die Richtlinie nicht mehr ausreichend sei.
[82]    Entschließung des Europäischen Parlaments (Fn. 70), S. 78 ff.
[83]    Entschließung des Europäischen Parlaments (Fn. 70), Zif. 29 und 31.
[84]    Als Ziel wird in den Gesetzgebungsmaterialien ausgeführt (BT-Drs. 18/8556, S. 1 f.): „Es geht um gesetzliche Maßnahmen, die effektiv und praxistauglich sind, um die in der Prostitution Tätigen besser zu schützen und ihr Selbstbestimmungsrecht zu stärken, um fachgesetzliche Grundlagen zur Gewährleistung verträglicher Arbeitsbedingungen und zum Schutz der Gesundheit für die in der Prostitution Tätigen zu schaffen und um Kriminalität in der Prostitution wie Menschenhandel, Gewalt gegen Prostituierte und Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei zu bekämpfen. Dies soll das Prostituiertenschutzgesetz leisten“.
[85]    Zum ProstSchG kritisch Mindach, NordÖR 2019, 1 ff.
[86]    Nach § 35 ProstSchG soll die erstmalige Evaluierung 2022 beginnen und bis zum 1.7.2025 vorliegen.
[87]    Zur Diskussion nach Einführung des ProstG 2002, siehe BT-Drs. 16/4146, S. 4 f.
[88]    Z.B. im Hinblick auf Strafrahmen, die im Bereich des Menschenhandels für weiter entfernte Unterstützer höher ausfallen (§ 232 StGB) als für die eigentlichen Ausbeuter (§§ 233, 180a StGB), vgl. Hörnle, in: FS Kindhäuser, 2019, S. 673 (684).
[89]    So schon BMFSFJ, Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme, 24.1.2007, Rn 126; zur (fehlenden) Systematik der geltenden Regelungen im Bereich Menschenhandel/Prostitution und möglichen Lösungen siehe Eisele, Schriftliche Stellungnahme zur Expertenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, (Fn. 7), S. 64 ff.; so auch Grimmeisen in seiner Stellungnahme, ebenda S. 88; a.A. Merkle, ZRP 2020, 162, der jedenfalls die Zwangsprostitution als solche in dem Abschnitt über die Straftaten gegen die persönliche Freiheit als richtig verortet sieht, denn dadurch würde der Anschein eines „sittenstrafrechtlichen Motivs“ vermieden; in diesem Sinne auch Bürger, ZIS 2017, 169 (171).
[90]    Eisele, Expertenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 8.6.2016, Protokoll-Nr. 18/103, (Fn. 7), S. 15 und S. 34.
[91]    Zur Auflösung des ”Verweisungsdschungels”, so Renzikowski, KriPoZ 2017, 358.

 

 

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