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Einführung einer Strafbarkeit von Prostitution? – Zum Verhältnis von Sex-Arbeit und Menschenwürde

von Teresa Harrer

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Abstract
Nicht erst seit Beginn der COVID-19-Pandemie werden immer wieder Forderungen laut, die Sex-Arbeit in Deutschland zu verbieten und eine „Freier-Strafbarkeit“ nach Schwedischem Modell zu implementieren. Gleichzeitig fordern Sex-Arbeitsverbände und neoliberale Feministinnen eine rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung der Sex-Arbeit sowie die Gleichstellung mit anderen freien Berufen. Die in Anspruch genommenen Werte und verfolgten Ziele – insbesondere: Schutz der Menschenwürde und die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter – unterscheiden sich bei Verbotsgegnern und -befürworterinnen kaum, doch es liegt den Perspektiven ein grundverschiedenes Autonomieverständnis zugrunde. Nach der hier vertretenen Ansicht kann ein strafrechtliches De-facto-Verbot von Sex-Arbeit nicht mit dem Schutz der Würde von Frauen gegen den Willen der Einzelnen begründet werden.

Even before the COVID-19-pandemic, claims have risen to abolish prostitution in Germany altogether and implement a ban of sex work, modeled on the Swedish Sex Purchase Act. At the same time, sex work associations and neo-liberal feminists demand legal and social recognition as well as equal treatment with other professions for sex work. The values and aims both sides draw on – especially the protection of human dignity and the factual equalization of women and men – merely differ, however underlying, there are entirely different perspectives on autonomy. It will be shown that – following the here held view – the protection of dignity of women against their own will cannot constitute a ban of sex work.

I. COVID 19 und neue Prohibitionsvorstöße

Bereits bei der „ersten Welle“ der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 wurden Stimmen laut, die die infektionsschutzbedingte Schließung aller Bordelle und Sex-Arbeitsstätten zum Anlass nahmen, um eine neue öffentliche Diskussion über ein dauerhaftes Verbot von Sex-Arbeit[1] anzuregen.[2] Zugleich klagten Prostitutionsstättenbesitzer und Sex-Arbeiterinnen gegen die pandemiebedingten Schließungen. Bereits an den verwaltungsgerichtlichen Urteilen zu diesen Klagen werden die Kontroversen deutlich, die sowohl die rechtliche als auch die politische Diskussion durchziehen.[3] Die Rechtslage in Deutschland ist auch mehr als ein Jahrzehnt nach Einführung des Prostitutionsgesetzes (ProstG) uneinheitlich, die Rechtspraxis geprägt von „Rechtszersplitterung und regionaler Rechtsverweigerung“[4]. Während Berufsverbände und Sex-Arbeiterinnen gerade hierin eine entwürdigende Bevormundung und zusätzliche Erschwerung ihrer Arbeitsbedingungen sehen, sind sich konservative Parteien mit sog. „Radikalfeministinnen“ darin einig, dass die Wertung des ProstG, das die Einordnung der Prostitution als sittenwidrig aufhob,[5] zurückzunehmen sei. Dagegen fordern Sex-Arbeiterinnen selbst sowie „neoliberale“ Feministinnen, Sex-Arbeit zu entstigmatisieren und anderen Berufen rechtlich gleichzustellen.

II. Einführung einer Strafbarkeit von Prostitution?

Kein anderes Berufsfeld sieht sich einer derart kontroversen Debatte um die eigene Legitimität aus­gesetzt und nicht immer werden die Diskussionen um den Status und die Wertungen rund um Sex-Arbeit sachlich geführt.[6] Es soll deshalb der Versuch unternommen werden, einige Argumentations­linien klarer herauszuarbeiten und die wiederkehrende Forderung nach einer „Abschaffung der Prostitution“ verfassungsrechtlich sowie rechtsphilosophisch genauer zu beleuchten.

Nach wie vor ist hochumstritten, ob die Einführung einer Strafbarkeit von Sex-Arbeit aus verfassungsrechtlicher Sicht möglich ist, auf welche Verfassungswerte sie gestützt werden könnte und welche Aspekte dem entgegenstehen. Hier soll der Frage nachgegangen werden, woran sich im Kern die beiden großen Argumentationslinien, die die öffentliche und rechtliche Diskussion durchziehen, reiben und uneins sind. Von Interesse ist insbesondere der Komplex „Sex-Arbeit und Würde“, da dieser – neben der Frage, wie Sex-Arbeit und Gleichstellung miteinander vereinbar sind – ein zentraler Aspekt der widerstreitenden Betrachtungsweisen ist.[7]

1. Phänomen Sex-Arbeit

Eine Legaldefinition der Prostitution existiert erst seit Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) im Jahr 2017. Nach § 2 Abs. 2 ProstSchG sind „Prostituierte […] Personen, die sexuelle Dienstleistungen erbringen“ und „eine sexuelle Dienstleistung ist eine sexuelle Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person gegen Entgelt oder das Zulassen einer se­xuellen Handlung an oder vor der eigenen Person gegen Entgelt.“

Herauszustellen ist, dass unter diese Legaldefinition vielfältigste Praktiken und Arbeitssituationen fallen, die z.T. nur marginale Berührungspunkte aufweisen.[8] Bereits die Arbeitsbereiche Straßen­strich und Sexualbegleitung, welche beide unstreitig unter den Begriff des ProstSchG fallen, haben lebensweltlich nur sehr wenig Überschneidungen.[9] Ungeachtet der Schwierigkeiten, die sich bei ei­ner genauen Bestimmung und Abgrenzung von Freiwilligkeit und Zwang ergeben,[10] wird hier grundlegend eine Definition von Prostitution und Sex-Arbeit vorausgesetzt, die die Selbstgewähltheit der Tätigkeit annimmt.[11] Die Frage, wann von Selbstbestimmtheit ausgegangen werden kann, ist hierbei von zentraler Bedeutung.

Es ist bei Verfolgen der politischen wie auch der fachwissenschaftlichen Diskussion festzu­stellen, dass sich zwei Argumentationslinien gegenüberstehen, unter welche fast jede vertretene Po­sition subsumiert werden kann. Knapp zusammengefasst sieht die häufig als „radikalfeministisch“ bezeichnete Linie[12] Sex-Arbeit immer und in jeder Form als einen Ausdruck geschlechtlicher Un­gleichheit und Unfreiheit, der strukturellen Unterdrückung von Frauen und der hierarchischen Über­ordnung von Männern, mithin: des Patriarchats. Eine wirklich freiwillige Entscheidung von Frauen für die Tätigkeit als Sex-Arbeiterin ist nach dieser Ansicht unmöglich.[13] Ferner wird Sex-Arbeit von dieser Diskursposition aus häufig als untrennbar von Zwangsprostitution, Menschenhandel und Kriminalität gesehen.[14]

Dem gegenüber steht die „neoliberal-feministische“ Position, welche Sex-Arbeit vor allem als Lohnarbeit im Kapitalismus begreift. Zwar wird auch hier die ideale Freiwilligkeit in Frage gestellt, diese Frage müsse jedoch für alle Lohnarbeit im Kapitalismus aufgeworfen und Sex-Arbeit als ein prekarisierter Bereich unter vielen eingeordnet werden.[15] Der Fokus wird bei dieser Betrachtungs­weise auf die realen Lebensbedingungen der in der Sex-Arbeit Tätigen gerichtet. Diese litten insbe­sondere unter dem „Hurenstigma“, sodass in der gesellschaftlichen Anerkennung und Normalisierung von Sex-Arbeit, der rechtlichen Angleichung an andere freie Berufe sowie der Abwendung von einer hypokritischen Sicht auf diese Tätigkeit die notwendigen Entwicklungen gesehen werden, um die Selbstbestimmtheit von Sex-Arbeiterinnen zu fördern.[16]

2. Sex-Arbeit als „feministisches Dilemma“

Dass die Vertreterinnen beider Positionen ihrem Selbstverständnis nach feministische Ziele verfol­gen und feministische Grundannahmen hegen, sich in der Frage um den Umgang mit Sex-Arbeit je­doch so konträr wie unversöhnlich gegenüberstehen, erscheint zunächst paradox, wird jedoch er­klärbar, wenn die vielfältigen Implikationen der Sex-Arbeit verdeutlicht werden. Sex-Arbeit ist nach wie vor hochgradig vergeschlechtlicht[17] und wird ganz überwiegend von Frauen angeboten und fast ausschließlich von Männern nachgefragt.[18] Ferner drückt sich in der Sex-Arbeit in elemen­tarer Weise die Spaltung des Geschlechterraums aus, die eine entscheidende Grundlage für sexuelle Diskriminierung ist.[19] Zum „feministischen Dilemma“ wird die Frage um den „richtigen Umgang“ mit Sex-Arbeit, weil sich in ihr letztlich die Selbstverwirklichung der einzelnen Frau mit der sexuel­len Diskriminierung „aller Frauen“ als Gruppe gegenübersteht.[20] So sind die verteidigten und in An­spruch genommenen Werte auf diesem diskursiven Kampffeld mitunter identisch, die jeweiligen Beobachtungsweisen deuten aber in völlig unterschiedliche Richtungen.[21]

3. Rechtliche Einordnung in Deutschland und international

In Deutschland gilt die Prostitution seit Einführung des ProstG 2002 nicht mehr als sittenwidrig.[22] Die Einführung des ProstG verfolgte das Ziel, Prostituierte vor Diskriminierung zu schützen und zumindest zivilrechtliche Rechtsklarheit und -sicherheit herzustellen.[23] Seitdem ist der zwischen Prostituierter und Freier geschlossene Vertrag wirksam und begründet einen gerichtlich durchsetz­baren Zahlungsanspruch der Sex-Arbeiterin. Ausfluss der seither nicht stillstehenden Debatte um diese Wertung ist das  ProstSchG, das 2017 mit dem Ziel eingeführt wurde, einerseits die Arbeits­bedingungen der in der Sex-Arbeit Tätigen zu verbessern und andererseits wirksamer Zwangspro­stitution bekämpfen und verfolgen zu können.[24]Dieses beinhaltet u.a. eine Anmeldepflicht aller Per­sonen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten (§ 3), verpflichtende Gesundheitsberatungen (§ 10), sowie ein Verbot von Praktiken, die in gesundheitlicher oder rechtlicher Hinsicht als besonders risi­koreich eingestuft werden.[25]

Strafrechtlich beschäftigen sich die §§ 180a, 181a, 182 Abs. 2, 184f, 184g, 232, 233a StGB mit der Pro­stitution. Unter Strafe gestellt ist insbesondere die unzulässige Einflussnahme auf die Ausübung der Tätigkeit, wobei geschütztes Rechtsgut sämtlicher Tatbestände die sexuelle Selbstbestimmung ist.[26] Die §§ 180a, 181a, 232, 233a StGB schützen die sexuelle Selbstbestimmung der Prostituierten. Dem gegenüber sollen die §§ 184f, 184g StGB dem Jugendschutz sowie der sexuellen Selbstbestimmung der Allgemeinheit dienen;[27] die sexuelle Selbstbestimmung der Allgemeinheit hier in negativer Ausprägung als das Recht, von sexuellen Handlungen anderer verschont zu bleiben.[28] Grundsätzlich ist sowohl das Angebot sexueller Dienstleistungen als auch die Nachfrage – sofern zwischen Volljährigen ohne Willensmängel konsentiert –  straflos. Hinsichtlich der Nachfrageseite wurde 2016 in § 232a Abs. 6 S. 1 StGB erstmals auch eine Freierstrafbarkeit für die Nachfrage nach Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution eingeführt.[29] Zudem sind, ebenfalls seit 2016, nach § 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB Freier strafbar, die eine Lage ausnutzen, in der der Prostituierten bei Widerstand ein empfindliches Übel droht.[30] Nach § 182 Abs. 2 StGB macht sich ferner auch der volljährige Freier strafbar, der Sex von einer minderjährigen Person kauft.

Deutschland gehört neben den Niederlanden, Österreich und der Schweiz zu den europäischen Län­dern, die Prostitution grundsätzlich legalisiert und spezifischen Regelungen unterworfen haben. Im Übrigen ist der rechtliche Umgang mit dem Phänomen Sex-Arbeit europaweit höchst uneinheitlich geregelt. In Südeuropa (Spanien und Italien) ist die Ausübung von Sex-Arbeit legal und vollkommen unreguliert, wohingegen in osteuropäischen EU-Ländern (Kroatien, Rumänien und Litauen) die Ausübung von Sex-Arbeit prinzipiell verboten ist. Vom Norden bis zur Mitte Europas hin (Schweden, Norwegen, Finnland, Island, Irland, Frankreich) hat sich das sog. „Schwedische Modell“ durchgesetzt, welches das Angebot sexueller Dienstleistungen legalisiert, die Nachfrage/Wahrnehmung hingegen kriminalisiert (sog. „Freierstrafbarkeit“).[31] Wird über die Einführung einer Strafbarkeit von Prostitution in Deutschland diskutiert, so ist in wei­ten Teilen die Einführung einer Freierstrafbarkeit nach schwedischem Modell gemeint.[32]

4. Sex-Arbeit und Würde

Wie auch im Umgang der EU-Staaten mit der rechtlichen Einordnung von Sex-Arbeit deutlich wird, besteht grundlegende Uneinigkeit darüber, wie die Frage der Vereinbarkeit von Sex-Arbeit mit der Menschenwürde zu beantworten ist. So kann das Würdeverständnis in diesem Zusammenhang ent­weder die staatliche Pflicht begründen, Sex-Arbeit effektiv zu unterbinden (bspw. durch Strafge­setz) wie auch die Verpflichtung, Sex-Arbeit rechtlich anzuerkennen und anderen Berufen unter Schaffung entsprechender Arbeitsschutzvorschriften gleichzustellen.

a) Prostitution als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG

Die „radikalfeministische“ Position, welche in Prostitution stets und in jeder Form einen Verstoß gegen die Menschenwürde der Prostituierten wie aller Frauen sieht, argumentiert, dass bereits in der grundsätzlichen Verfügbarmachung weiblicher Sexualität für männliche Kunden gegen Entgelt das patriarchale, hierarchische Geschlechterverhältnis zum Ausdruck komme.[33] Das Hauptproblem wird jedoch in der Freiwilligkeit gesehen. „Entwürdigend“ wird die sexuelle Dienstleistung dadurch, dass die augenscheinliche (explizite oder implizite) Zustimmung der Prostituierten stets als nur oberflächlich und im Kern defizitär betrachtet wird. Somit liege in materieller Hinsicht kein Kon­sens für den sexuellen Kontakt vor, worin sich die Behauptung begründet, Prostitution sei „kom­merzielle Vergewaltigung“.[34] Erklärt wird das Defizit der Entscheidung zur Prostitution einerseits damit, dass ein überproportional hoher Anteil der Prostituierten bereits in der Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt habe,[35] in deren Folge durch Traumatisierung die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbe­stimmung erheblich beeinträchtigt sei. Ein weiteres Argument gegen eine „echte“ Freiwilligkeit ist der empirische Befund, dass jedenfalls mehr als die Hälfte der Prostituierten in Deutschland aus dem, meist osteuropäischen, Ausland kommt[36]und sich häufig unter Bedingungen starker wirt­schaftlicher Zwänge oder Not für die Tätigkeit in der Sex-Arbeit entscheidet.[37]

b) Sex-Arbeit im Schutzbereich von Art. 1 Abs. 1 GG

Die Gegenposition sieht demgegenüber in der freiwilligen Ausübung von Sex-Arbeit zunächst einen Ausdruck der von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten sexuellen Selbstbestimmung sowie eine vom Staat zu akzeptierende freie Lebensentscheidung. Aus dieser Perspektive liegt ein Angriff auf die Würde vielmehr in dem Absprechen eigener Entscheidungsfähigkeit hinsichtlich der Ausübung dieser Selbstbestimmung[38]sowie in den Wertungen, die mit der vorgenannten Argumentation einhergehen. So werden insbesondere die vorenthaltene soziale Anerkennung für eine („Care“-)Arbeit, die als gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit verstanden wird und der damit einhergehende defizitäre rechtliche Status als entwürdigend begriffen.[39] Durch die Vorenthaltung gleicher Arbeitsrechte und angemessener Arbeitsbedingungen erst entstehe ein Arbeitsverhältnis, das für die Sex-Arbeiterin entwürdigend sei. Dies liege jedoch nicht im Tausch von Sex gegen Geld begründet, sondern in prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen, die jenen in anderen prekarisierten Beschäftigungsverhältnissen entsprächen.[40] Folgerichtig kommt diese Sicht zu dem Ergebnis, dass Art. 1 Abs. 1 GG es gebiete, Sex-Arbeit unter möglichst guten Bedingungen legal, stigmafrei und mit dem Arbeitsschutz anderer Berufsfelder vergleichbar, zu ermöglichen.

aa) Begriff und Rechtsnatur der Menschenwürde

Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG normiert als „Grundnorm“ personaler Autonomie, individueller Selbstwerthaftigkeit und der Subjektqualität des Menschen in wechselseitiger Anerkennung mit anderen den fundamen­talen Anspruch auf gleiche Würde aller.[41] 

Die Menschenwürde ist nicht nur höchster Verfassungswert, sondern auch unmittelbar verbindliche Norm des objektiven Verfassungsrechts, die konkrete Verpflichtungen für alle Träger staatlicher Ge­walt begründet.[42] Ferner ist die Menschenwürde absolut garantiert, sodass sich eine Abwägung wie bei anderen Grundrechten verbietet.[43] Wäre also tatsächlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass be­reits das grundlegende Konzept des Tauschhandels „sexuelle Dienstleistung gegen Geld“ gegen die Menschenwürde verstößt, so könnte dies  unmittelbar die Pflicht des Staates begründen, Sex-Arbeit – ggf. auch durch strafrechtliches Verbot – zu unterbinden.[44]

bb) Würde und Autonomie

Kern der Menschenwürde ist die personale Autonomie. Da es sich hierbei um ein hochkomplexes Konstrukt handelt,[45] ist eine umfassende Analyse hier unmöglich. Es soll dennoch der Versuch einer kompakten Darstellung unternommen werden, die zeigen wird, dass den beiden oben dargelegten Positionen in der Sex-Arbeits-Debatte vor allem ein unterschiedliches Autonomieverständnis zugrunde liegt. Deutlich wird die Differenz in Annäherung an den kantischen Autonomiebegriff.

Nach Kants Verständnis[46] ist „Autonomie […] der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“[47] Autonomie meint in diesem Sinn die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung.[48] Nach der Vorstellung Kants ist hiermit keineswegs schlicht jede Selbstbestimmung gemeint, son­dern lediglich diejenige, die sich an „vernünftigen“ Maßstäben misst. Nach diesem Gedanken gibt es folglich eine „objektiv richtige“ Selbstbestimmung, eine „objektiv richtige Moral“. An die Fähig­keit, sich eben diese „richtigen“ Vernunft- und Moralregeln selbst aufzuerlegen, knüpft Kant auch den Achtungsanspruch einer Person in der Gesellschaft.[49] 

Hierin liegt ein wesentlicher Kernpunkt der Divergenz in der Debatte. Der kantische Gedanke ist hier insofern wiederzufinden, als dass die „radikalfeministische“ Linie, der Vorstellung Kants von einer guten, moralischen Selbstbestimmung als Ursprung rechtlicher Anerkennung folgend, von ei­ner objektiv guten, „richtigen“ Sexualität ausgeht.[50] Die sexuelle Autonomie wird in diesem Sinne verstanden: nur das soll Würde erzeugen und demnach Anerkennung verdienen, was vernünftigen und moralischen Prinzipien folgt.[51]

Jedoch sieht sich das von Kant zugrunde gelegte rationalistische Menschenbild der feministischen Kritik ausgesetzt, außer Acht zu lassen, dass Freiheit niemals bedingungslos sein kann, sondern stets in Abhängigkeit von anderen entsteht.[52] In der Realität stellt sich Freiheit als ein Kontinuum dar, welches in dem Bereich zwischen Zwang und Selbstbestimmung angesiedelt ist.[53] Dem ideellen Wunschort „absoluter Freiheit“ kann sich jedoch nur angenähert werden, indem in einer als unvoll­kommen erkannten Welt auch unvollkommene, relative Autonomie als ausreichende Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe und Achtung anerkannt wird.[54] Freiheit als Ziel darf demnach nicht mit Freiheit als Voraussetzung verwechselt werden, da sie andernfalls für diejenigen, die zum aktuellen Zeitpunkt die Voraussetzung nicht erfüllen, dauerhaft unmöglich gemacht wird.

Zur Begründung der Nichtanerkennung der Entscheidung für die Ausübung der Sex-Arbeit wird ferner darauf verwiesen, dass eine – wenngleich als autonom akzeptierte – Entscheidung, die die eigene Autonomie zerstört, nicht zu beachten sei.[55] Grundsätzlich kann der Wert personaler Autonomie nicht infrage stehen, da jeder Mensch, der in Austausch mit anderen Menschen tritt, die Existenz und den Wert der Autonomie hierdurch automatisch voraussetzt und anerkennt.[56] Daraus folgt, dass die autonome Entscheidung zur Zerstörung der eigenen Autonomie nicht schrankenlos anerkannt werden muss.[57] Ein solcher Fall ist jedoch, selbst wenn dem gefolgt wird, nur anzuneh­men, wenn die Grundvoraussetzungen zukünftigen Freiheitsgebrauchs schwer und irreversibel ge­schädigt werden.[58] Die Entscheidung zu einer Handlung oder einer Lebensweise, die dazu geeignet ist, die Person, welche sie trifft, einem Stigma auszusetzen, genügt hierfür ebenso wenig, wie das Risiko späterer psychologischer oder körperlicher Schäden.[59]

cc) Würde und Selbstschädigung

Mit der Frage, wann eine Selbstzerstörung der personalen Autonomie vorliegt, welche möglicher­weise ein Eingreifen gegen den Willen des Betroffenen rechtfertigt, sind die Fragen nach Angemes­senheit und der grundsätzlichen Legitimität paternalistischer Intervention eng verbunden. In Deutschland wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Freiheitsbeschneidungen auf der Grundla­ge paternalistischer staatlicher Intervention möglich sind. Zu unterscheiden ist „harter“ von „wei­chem“ Paternalismus. Weicher Paternalismus liegt vor, wenn der Staat lediglich auf eine eigenver­antwortliche, d.h. informierte, nicht-defizitäre Entscheidung hinwirkt, eine unter den soeben ermit­telten Mindestanforderungen an Autonomie getroffene Entscheidung hingegen akzeptiert.[60] Dies lässt sich ohne allzu große Probleme mit staatlichen Schutz- und Fürsorgepflichten begründen.

Harter Paternalismus bedeutet hingegen, dass der Staat sich auch über eine nicht-defizitäre Ent­scheidung des Individuums hinwegsetzt. Auch solche Konstellationen kennt das deutsche Strafrecht, jedoch ist keiner der Fälle, in denen ein Verhalten verboten wird, welches lediglich die handelnde Person selbst direkt schädigt, unumstritten.[61] Dies hat gute Gründe: Es erscheint nicht plausibel, dass durch staatliche Sanktionen ein „Wunsch zum Selbstschutz“ bei Menschen hervorgerufen werden kann; eher ist das Gegenteil der Fall.[62] Neben der praktischen Ungeeignetheit solcher Art der paternalisti­schen Intervention läuft ein solches Verständnis gerade dem eigentlichen Kern der Menschenwürde, der personalen Autonomie, zuwider.[63]

III. Schlussfolgerungen

Es wurde gezeigt, dass die Debatte darum, ob Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ein Verbot von Sex-Arbeit begründen kann, gar muss oder einem solchen unbedingt entgegensteht, sich vor allem an unterschiedlichen Autonomieverständnissen entzündet. Diese sind wiederum eng verbunden mit unterschiedlichen Einschätzungen von der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit paternalistischer Intervention des Staates. Überzeugend erscheint, dass lediglich ein Mindestmaß an personaler Autonomie zu fordern ist, welches vorrangig in der Abwesenheit von Zwang und Gewalt, dem Vorliegen von Geschäftsfä­higkeit und eines Mindestalters[64] zu sehen ist.[65] Andernfalls ist das Erreichen des Ziels einer „quali­fizierten Autonomie“ (insbesondere für Frauen, die nach wie vor über weniger reale Wahl­möglichkeiten verfügen) von vornherein ausgeschlossen. Die Menschenwürde, verstanden als die Idee personeller Autonomie kann gerade nicht „gegen den Willen“ der Grundrechtsträgerin selbst gerichtet werden, ohne sich hierdurch ad absurdum zu führen. Eine Strafbarkeit – immerhin das „schärfste Schwert“ des Rechts – kann nicht mit dem Würdeschutz eines „Opfers“ wider dessen Willen begründet werden.[66]

Die Argumentationslinie des sog. „radikalfeministischen“ Lagers erscheint insofern keineswegs radikalfeministisch. Radikal, vom Wortsinn her[67]verstanden als „von Grund auf“, und feministisch, verstanden als dem Grundstreben der Frau nach Emanzipation und somit letztlich nach Autonomie, gerade also dem Kerngehalt der Menschenwürde, kann es nicht sein, Frauen eben jene Fähigkeit zur Selbstbestimmung abzusprechen. Insbesondere die paternalistische, mithin auf dem Konzept einer Herrschaftsordnung der – originär männlichen[68] – Autorität und Vormundschaft basierende Argumentation, nach welcher Frauen vor sich selbst und ihren Entscheidungen geschützt werden müssten, kann nicht als radikalfeministisch verstanden werden. Selbst dann nicht, wenn das „Ergebnis“ der getroffenen Entscheidung auch aus feministischer Sicht nur schwer erträglich erscheint. Dem Wunsch der „radikalfeministischen Linie“, Frauen mögen die hart erkämpfte Selbstbestimmung nicht dafür nutzen, sich freiwillig in das selbe Machtsystem zu begeben, welchem ebendiese Freiheit abgerungen wurde, ist nicht damit geholfen, Frauen mithilfe des Strafrechts vorzuschreiben, welche Selbstbestimmung würdevoll (genug) ist. Autonomie ist ein Prozess, der der Einübung und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit bedarf. Im Umkehrschluss zu dem oben Gesagten[69] ist Autonomie[70] als Ziel nur dadurch näherzukommen, dass die Möglichkeit der Erfahrung von Selbstwirksamkeit eröffnet wird, indem die unter realen – häufig imperfekten – Gegebenheiten getroffenen Entscheidungen respektiert und die Bedingungen[71] für eine „qualifizierte“ Autonomie zugleich gefördert und verbessert werden.

Allerdings gilt das Gesagte ausschließlich in Bezug auf das Würdeargument als Grundlage zur Rechtfertigung eines Sex-Arbeitsverbotes. Nicht zu verkennen ist, dass von der Praxis der Sex-Arbeit nicht nur die individuelle Person der Sex-Arbeitenden betroffen ist, sondern auch Rechtsgüter anderer, insbesondere das Schutzgut von Art. 3 Abs. 2 GG, berührt werden. Ob diese ein strafrechtliches Verbot zu rechtfertigen vermögen, bedarf der kritischen Analyse. Insbesondere stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis der Schutz der Sex-Arbeiterinnen vor sexueller Diskriminierung zu dem Anspruch auf tatsächliche Gleichstellung der Gruppe aller Frauen steht.

Teresa Harrer studiert Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig mit Schwerpunkt Kriminalwissenschaften. Der vorliegende Aufsatz folgt der wissenschaftlichen Seminararbeit mit der Fragestellung „Einführung einer Strafbarkeit von Prostitution? – Eine verfassungsrechtliche, strafrechtliche und kriminalpolitische Betrachtung“, welche die Autorin im WS 2020/2021 am Lehrstuhl von Prof. Dr. Elisa Hoven vorgelegt hat. Der Dank der Autorin gilt Frau Prof. Dr. Hoven und ihrem Lehrstuhlteam für die Unterstützung und die Anregung zur Veröffentlichung.

[1]      Es wird in der vorliegenden Arbeit die Bezeichnung „Sex-Arbeit“ gewählt, sofern nicht auf rechtliche Bestimmun­gen Bezug genommen wird, die den Begriff „Prostitution“ verwenden oder eine Position dargelegt wird, die den Begriff der „Prostitution“ explizit nutzt, da sie dessen Implikationen gezielt vertritt in Abgrenzung zu der Konno­tation, die „Sex-Arbeit“ innewohnt. Zu den Konnotationen der unterschiedlichen Begriffe s. Schrupp, Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe, Zeit-Online, 30.5.2018, online abrufbar unter: https://www.zeit.de/kultur/2018-05/feminismus-prostitution-sexarbeit-unterscheidung-streit (zuletzt abgerufen am 27.5.2021).
[2]      Vgl. nur Streitgespräch zwischen Breymaier und Klee auf Deutschlandfunk Kultur vom 2.6.2020, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/streitgespraech-ueber-sexkaufverbot-perspektiven-fuer.1008.de.html?dram:article_id=477800 (zuletzt abgerufen am 27.5.2021).
[3]      Vgl. nur OVG Saarland, Beschl. v. 6.8.2020 – 2 B 258/20, S. 17 ff. und OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2020 – 5 Bs 114/20, S. 25 ff.
[4]      So Lembke, in: Greif, SexWork(s) – verbieten – erlauben – schützen?, 2012, S. 111. Diese regionale „Zersplitterung“ betrifft insbes. das Bau- und Gewerberecht, vgl. exemplarisch OVG Saarland, OVG Hamburg (Fn 3). Dies hat in der Praxis Auswirkungen auf die Möglichkeit der selbstständigen Ausübung von Sex-Arbeit z.B. in einer eigenen Wohnung, die Ausübung in selbstorganisierten kleinen Gruppen, betrifft die Arbeitsumstände auf dem Straßenstrich sowie in Bordellen und Laufhäusern.
[5]      Vgl. zur langwierigen Uneinigkeit und Diskussion über diese Feststellung, Thieé, KJ 2005, 387 (389).
[6]      Vgl. Breymaier/Klee (Fn. 2).
[7]      Vgl. Lembke in: Baer/Sacksofsky, Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, 2018, S. 275 (294); sowie Gugel, Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art. 3 II Grundgesetz, 2011, S. 3. Auf die ebenfalls hoch kontroverse und im Diskurs – wenngleich selten offen thematisierte – Frage von Moral und Sittengesetz, auch als Grundlage ei­ner eventuellen Strafbarkeit kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden. S. hierzu jedoch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten – Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus, 2005, insbes. S. 1 – 9, 52 – 65, 84 – 86, 89 – 92, 96 – 101, 116 – 120, 131 – 141, 147 – 151, 407 – 409 sowie 463 – 483.
[8]      Vgl. Fischer, Freiheit für Freiwilligkeit! Zeit-Online 18.8.2015, online abrufbar unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-08/prostitution-justiz-fischer-im-recht/komplettansicht (zuletzt abgerufen am 27.5.2021).
[9]      Solidor, Interviewgespräch, S. A3. Es wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit, die dem Artikel zu­grunde liegt, am 1.10.2020 ein offenes Interview mit der im Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistun­gen e.V., BesD, organisierten Sex-Arbeiterin Tamara Solidor (Alias-Name gem. § 6 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG) geführt. Alle Verweise auf Solidor beziehen sich auf dieses Gespräch.
[10]    Vgl. zur Abgrenzung Menschenhandel/Zwangsprostitution von freiwilliger Sex-Arbeit Bahl/Ginal, in: Netzwerk MiRA, Kritische Migrationsforschung? Da kann ja jedeR kommen, 2012, S. 201 (202 ff.), online abrufbar unter: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/18546/mira.pdf (zuletzt abgerufen am 27.5.2021). Auf fließende Übergänge und Fehlerquellen bei der Einordnung deutet auch Ames­berger, Ethik und Gesellschaft 2017, S. 10 (13 ff.).
[11]    Insoweit folgend dem „Manifest der SexarbeiterInnen in Europa“ von 2005: „Sexarbeit ist definitionsgemäß Sex in beiderseitigem Einverständnis. Sex, der ohne dieses Einverständnis stattfindet, ist keine Sexarbeit, sondern sexuelle Gewalt oder Sklaverei.“ Online abrufbar unter: https://menschenhandelheute.net/2013/10/01/manifest-der-sexarbeiterinnen-in-europa-2005/ (zuletzt abgerufen am 27.5.2021). Wenngleich gerade der Begriff der „Prostitution“ häufig mit „Zwangsprostitution“ in Eins gesetzt oder zumindest beide Phänomene als untrennbar miteinander verbunden verwendet werden, vgl. Resolution des Europäischen Parlaments ABl EU C 285/80 vom 26.2.2014, meint auch „Prostitution“ im Folgenden die von Menschenhandel und unmittelbarem Zwang abgegrenzte Tätigkeit des Anbietens sexueller Dienstleistungen durch die Prostituierte aus eigener Willensentscheidung.
[12]    Schrader, in: Schrader/Künkel, Sexarbeit – Feministische Perspektiven, 2019, S. 5 (7); Gerheim, Die Produktion des Freiers – Macht im Feld der Prostitution. Eine soziologische Studie, 2012, S. 61, ausführlicher zu dieser Diskurslinie S. 77.
[13]    S. beispielhaft für diese Argumentationslinie Schwarzer/Bleisch, Prostitution – Skandal oder Freiheitsakt?, SRF Kultur 2.2.2014, online abrufbar unter: https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/alice-schwarzer-prostitution-skandal-oder-freiheits­akt?urn=urn:srf:video:9ecae309-315c-489f-9c16-48e1f2564fc4&id=9ecae309-315c-489f-9c16-48e1f2564fc4 (zuletzt abgerufen am 27.5.2021); ähnlich für den internationalen juristischen Diskurs MacKinnon,  Trafficking, Prostitution and Inequality, UChicago Law, 14.11.2011, online abrufbar unter: https://www.law.uchicago.edu/recordings/catharine-mackinnon-trafficking-prostitution-and-inequality (zuletzt aufgerufen am 27.5.2021).
[14]    Dieser Sichtweise folgt auch eine Resolution des Europäischen Parlaments, in der festgestellt wird, dass „Prostituti­on und Zwangsprostitution Formen der Sklaverei darstellen, die mit der Menschenwürde und den Grundrechten un­vereinbar sind“, ABl EU C 285/80 vom 26.2.2014.
[15]    Vgl. Solidor, Interviewgespräch, S. A5 f., S. A42.
[16]    Vgl. Künkel in: Schrader/Künkel, S. 17 (19 ff.).
[17]    Gugel, S.6.
[18]    Vgl. Grenz, Femina Politica 2018, S. 101 sowie Abschlussbericht Reformkommission Sexualstrafrecht vom 19.7.2017, S. 193. Die vorliegende Arbeit bezieht sich nur auf diese Konstellation der heterosexuellen Sex-Arbeit. Eine differenzierte Betrachtung, welche auch nicht-binäre Geschlechter sowie Transidentitäten miteinschließt, wäre wünschenswert, vgl. Solidor, Interviewgespräch S. A11 f., ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht realisierbar, da hierzu kaum Forschung existiert und die Differenzierung im Ergebnis für die hier verfolgte Fra­gestellung wenig bedeutsam ist.
[19]    Vgl. weiterführend Gerheim, S. 8, 62, 85 sowie Gugel, S. 37. Hiermit ist zum einen die Spaltung in einen männlichen und einen weiblichen Geschlechterraum gemeint, ferner aber auch die Spaltung des weiblichen Raums in „Heilige“ und „Hure“.
[20]    Weiterführend: Grenz, Femina Politica 2018, S. 101 ff.
[21]    So treffend Benkel, KrimJ 2014, 150 (163).
[22]    S. Thieé, (Fn. 5).
[23]    Armbrüster in: MüKo-BGB, Band 1, 8. Auflage (2018), § 1 ProstG, Rn. 1.
[24]    BR-Drs. 156/16, S. 2; vgl. zur Kritik an dem Entwurf: Stellungnahme des DJB, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st16-08/ (zuletzt abgerufen am 27.5.2021).
[25]    Vgl. §§ 14 Abs. 2, 32 ProstSchG. Zur Kritik hierzu, s. Flügge, STREIT 2016, 99 ff.
[26]    Renzikowski, MüKo-StGB, Band 3, 3. Auflage (2017), Vor § 174, Rn. 37.                
[27]    Renzikowski, MüKo-StGB, Vor § 174, Rn. 38; kritisch zu diesen Begründungen Hörnle, S. 463 ff.
[28]    Auf eine ausführliche Darstellung muss hier aus Platzgründen verzichtet werden. S. jedoch zur kritischen Analyse der aktuellen Regelung der Prostitutionsdelikte Eisele, KriPoZ 2017, 330 ff.
[29]    Zu Kritik hinsichtlich systematischer Widersprüche s. Renzikowski in: MüKo-StGB, § 232a, Rn. 11, 14. Ebenso Eisele, KriPoZ 2017, 330 ff.
[30]    Vgl. Abschlussbericht Reformkommission Sexualstrafrecht, S. 212.
[31]    Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, Dokumentation Auswirkungen des „Nordischen Modells“, Az. WD 9 – 3000 – 082/19, S. 4.
[32]    Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Dokumentation WD 9 – 3000 – 082/19 „Auswirkungen des ‚Nordischen Modells‘“, S. 4 f.; Beckel/Junghans, STREIT 2014, 170 ff.
[33]    Plakativ Schwarzer in: Schwarzer, Prostitution. Ein deutscher Skandal, 2013, Rn. 9 f.
[34]    Vgl. Lembke in: Baer/Sacksofsky, S. 275 (287 f., 291 m.w.N.).
[35]    Beckel/Junghans, STREIT 2014, 170 (171); Schwarzer (Fn. 33) Rn. 9, beruft sich auf ungenannte „internationale Studien“, nach welchen 90 % aller Prostituierten sexuelle Missbrauchserfahrungen in der Kindheit gemacht hätten.
[36]    Beckel/Junghans, STREIT 2014, 170 (172), gehen von einer Quote von 90 % aus, ohne jedoch Quellen für diese Zahl zu nennen. Vgl. auch: Emma-Appell gegen Prostitution, online abrufbar unter: https://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923 (zuletzt abgerufen am 27.5.2021).
[37]    Vgl. Beckel/Junghans, STREIT 2014, 170 (172); vgl. Schwarzer, (Fn. 13), Min. 8:00 ff.; MacKinnon (Fn. 13), Min. 21:00 ff.
[38]        Dieses Verständnis stimmt mit der bei Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung – Die Strafbarkeit „opferloser“ Delikte im Lichte der Rechtsphilosophie Kants, (2001), S. 143 ausgeführten Position von Olshausens überein: „Könnte der Staat seine „Würde“-Auffassung dem einzelnen auch gegen dessen Willen aufzwingen, wäre dieser jedoch entmündigt.“.
[39]    Vgl. Schrader in: Schrader/Künkel, S. 5 ff.
[40]    A.a.O., S. 5 ff.; Ähnlich auch Solidor, Interviewgespräch, S. A5.
[41]    Dreier, in: Dreier, GG, Band I, 3. Auflage (2015), Art. 1 Abs. 1, Rn. 42.
[42]    A.a.O., Rn. 42, 44.
[43]    A.a.O., Rn. 46.
[44]    Könnte und nicht muss, weil nicht zu verkennen ist, dass sich – wie schon aus den genannten Argumentationen her­vortritt – trotz der Unabwägbarkeit der Würde verschiedene staatliche Achtungs- und Schutzpflichten gegenüberste­hen. Vgl. hierzu Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 46, 133 ff. Eine Entscheidung, welche Pflicht im Falle einer „Würde-gegen-Würde“-Kollision den Vorrang verdient, muss somit dennoch getroffen wer­den. Zu den verschiedenen Konzeptionen von Menschenwürde im Hinblick auf Geschlecht, s. Baer, Würde oder Gleichheit? – Zur angemessenen Konzeption eines von Recht gegen Diskriminierung am Beispiel sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland und den USA, 1995, S. 163-165.
[45]    Weiterführend s. Lembke (Fn. 7), S. 330 ff.; Esser, in: Grubner/Birkle/Henninger, Feminismus und Freiheit – Geschlechterkritische Neuaneignung eines umkämpften Begriffs, 2016, S. 100 ff.
[46]    Welches als einer der Grundpfeiler, auf denen das Grundgesetz aufbaut, bis heute Relevanz beansprucht, vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Vorbem. Rn. 5 f.
[47]    Zit. nach Gutmann, Würde und Autonomie. Überlegungen zur Kantischen Tradition, 2010, S. 5, online abrufbar unter: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/kfg-normenbegruendung/intern/publikationen/gutmann/02_gutmann__w__rde_und_autonomie.pdf (zuletzt abgerufen am 27.5.2021).
[48]    Vgl. Esser (Fn. 45), S. 114 ff.; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz? – Kritik und Rechtfertigung paternalistischer Vorschriften über das Leben, den Körper und die Sexualität im deutschen Recht, 2003, S. 18.
[49]    Gutmann, S. 5 mit ausführlicher Kritik an dieser ausschließenden Definition; ebenso kri­tisch hierzu Mosbacher, S. 138 ff.
[50]    Vgl. Lembke (Fn. 7), S. 281.
[51]    Darauf zielt z.B. das Argument, dass in der Prostitution eine deutlich erhöhte Gewaltprävalenz herrsche und sich empirisch zeige, dass Frauen durch die Tätigkeit in der Prostitution sehr häufig schwer traumatisiert werden. Folg­lich könne eine „freiwillige Entscheidung“, sich solchen Gefahren und Erniedrigungen auszusetzen, keine objektiv Vernünftige sein.
[52]    Lembke (Fn. 7), S. 277 ff. Ähnlich schon 1995 Baer, S. 194, die feststellt, dass nach der Würdekonzeption als individuellem Gut, welches Handlungsspielräume eröffnet, außer Acht bleibt, dass Frauen aufgrund von sexueller Diskriminierung diese Handlungsspielräume in der Realität häufig nicht zustehen. Zur Kritik an der genannten feministischen Lesart Kants, s. Nagl-Docekal, in: Pauer-Studer/Nagl-Docekal, Freiheit, Gleichheit und Autonomie 2003, S. 296 (297 f.) m.w.N.
[53]    Lembke (Fn. 7), S. 282 f. Sie spricht von der „konkret aktualisierbaren Möglichkeit“ von Freiheit als Vor­aussetzung für Rechtssubjektivität und rechtliche Handlungsfähigkeit. Ähnlich auch Klimpel, S. 18 f., der feststellt, dass die grundlegende Vorstellung von der Willensfreiheit des Menschen zwar Basis und notwendige Voraussetzung für jeden Meinungsaustausch ist. Allerdings sei diese darauf zu begrenzen, dass jedenfalls nicht angenommen werden kann, dass der Mensch vollständig determiniert sei.
[54]    Lembke (Fn. 7), S. 280 (282 f.).
[55]    Klimpel, S. 29. Ähnliche Gedanken liegen auch der Ewigkeitsgarantie im Grundgesetz sowie dem Postulat „Keine Toleranz gegenüber Intoleranz“ zugrunde (vgl. Klimpel, S. 30).
[56]    Klimpel, S. 31.
[57]    BVerfGE 153, 182 (260 ff.) zum Recht auf Sterbehilfe, steht dem nicht entgegen. Aus der Wertung, dass ein selbstbestimmter Tod Ausdruck der Würde ist, folgt nicht, dass jede dauerhafte Aufgabe von Autonomie zu Lebzeiten ebenfalls zwingend anzuerkennen ist.
[58]    Klimpel, S. 39.
[59]    Mit ausführlicher Erläuterung Klimpel, S. 34 f., der auch insgesamt zu dem Ergebnis kommt, dass in der Ausübung der Prostitution kein Fall der Selbstaufgabe der Autonomie zu sehen sei, welche eine paternalistische Intervention rechtfertigen könnte, S. 231. Ähnlich auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992, S. 71 f., der jedenfalls präzisiert, dass nur ein Fall „krankhaft gestörter Selbstbestimmung“ staatliches Eingreifen legitimiert.
[60]    So liegt nach dem bekannten „Brückenbeispiel“ Mills weicher Paternalismus vor, wenn eine Person, die im Begriff ist, eine baufällige Brücke zu betreten, die Baufälligkeit aber offensichtlich nicht erkannt hat, durch Festhalten davon abgehalten wird, sich in die – unerkannte – Gefahr zu begeben. Vgl. Klimpel, S. 27 f.
[61]    Vgl. etwa zum Legitimationsproblem des strafrechtlichen „de facto“-Verbots von BtM-Konsum Mosbacher, S. 189 ff. Vergleichbar auch die Kritik an der in § 228 StGB zum Ausdruck kommende Einschränkung der Disponibilität der körperlichen Integrität, Klimpel, S. 122 ff.
[62]    So i.E. auch Mosbacher, S. 192 f.
[63]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (260 ff.); ebenso Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 143 ff.
[64]    Zur Frage sinnvoller Schutzaltersgrenzen und Kritik an dem uneinheitlichen System im Sexualstrafrecht, vgl. Renzi­kowski in: MüKo- StGB, § 232a Rn. 2 f.; vgl. Solidor, Interviewgespräch, S. A57.
[65]    Für die Frage weiterer notwendiger Voraussetzungen für eine adäquate Autonomiefähigkeit, die in diesem Zusam­menhang zu erörtern sind, s. Lembke, (Fn. 7), S. 284. Klimpel, S. 28, nennt als Mindestbedingungen zu akzeptierender Autonomie lediglich die Abwesenheit von Zwang und Irrtum.
[66]    Vgl. Mosbacher, S. 145, „Wer das Argument der Würde des Menschen an sich verbietend gegen die Interessen und Wünsche konkreter Menschen richtet, trägt eine erhebliche Begründungslast.“
[67]    Radicalis = spätlateinisch für „mit Wurzeln versehen“, radicaliter = „mit Stumpf und Stiel, von Grund aus“, s. https://www.duden.de/rechtschreibung/radikal (zuletzt abgerufen am 18.6.2021).
[68]    Paternalis = väterlich, vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Paternalismus (zuletzt abgerufen am 18.6.2021).
[69]    Vgl. unter 4. b) bb).
[70]    Autonomie mit Lembke verstanden als „verantwortete Freiheit, die nicht zufällig zwischen Optionen auswählt, sondern nach einem guten Leben strebt, möglichst ohne die Schädigung anderer.“, vgl. Fn. 7, S. 281.
[71]    Holzleithner, in: Baer/Sacksofsky, Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, 2018, S. 251 (255) folgend, die drei grundlegende Bedingungen für sexuelle Autonomie benennt: eine angemessene Auswahl an Handlungs- und Lebensmöglichkeiten, die persönlichen Kapazitäten in emotional-intellektueller sowie körperlicher Hinsicht, die es ermöglichen, diese Möglichkeiten entsprechend wahrzunehmen und umzusetzen sowie die (relative) Abwesenheit von Zwang und Manipulation.

 

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