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BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen fachgerichtliche Versagung der Auskunft über Bestandsdaten gegenüber einer Social Media Plattform
Leitsatz der Redaktion:
Eine Beleidigung i.S.v. § 185 StGB liegt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht nur bei der Sonderform der Schmähkritik vor. Die Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts wird verkannt, wenn aufgrund einer solchen fehlerhaften Maßstabsbildung keine Abwägung mit Gesichtspunkten des Einzelfalles erfolgt.
Sachverhalt:
§ 14 Abs. 3 Telemediengesetz a. F. regelte die Auskunfterteilung eines Diensteanbieters. Danach durfte dieser im Einzelfall über die bei ihm vorhandenen Bestandsdaten Auskunft erteilen. Erforderlich war, dass dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte diente. Grundlage mussten rechtswidrige Inhalte i.S.v. §§ 185 bis 187 StGB sein.
Die Beschwerdeführerin begehrte von den Nutzern einer Social Media Plattform Gestattung von Auskunftsdaten über einen Nutzer, nachdem dieser verschiedene Inhalte über die Beschwerdeführerin einstellte, die diese ehrenrührig herabsetzten. Das Landgericht gestattete teilweise die Auskunftserteilung, für die übrigen Kommentare lehnte es den Straftatbestand des § 185 StGB mangels Diffamierung ab. Auch das Kammergericht beurteilte die Kommentare als persönliche Herabsetzung und Schmähung und stellte damit keine Strafbarkeit für alle Kommentare fest.
Die Beschwerdeführerin rügte daraufhin vor dem BVerfG unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, indem sie sich gegen die Entscheidungen wandte.
Entscheidung des BVerfG:
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde an und gab ihr statt. Bei der Beurteilung einer Äußerung als Beleidigung i.S.v. § 185 StGB seien die betroffenen Rechtsgüter, hier Meinungsfreiheit und persönliche Ehre, abzuwägen.
Ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung sei höher zu gewichten als „die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen.“ Auch die Privatsphäre, persönliche Integrität und die gesellschaftlichen Folgen fließen in die Abwägung ein, so das BVerfG. Die Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens oder Amtsträgern seien auch im Internet geschützt, insbesondere bei Hetze oder öffentlicher Verächtlichmachung. Gerade für Personen, die sich öffentlich engagieren müsse ein hinreichender Schutz für ihre Persönlichkeitsrechte garantiert sein.
Das BVerfG beschloss, dass die Entscheidungen der Gerichte gegen diese Anforderungen verstießen, indem sie Bedeutung und Tragweite des APR verkannten.
Es komme nicht auf die Sonderform der Schmähkritik an, sondern, dass eine Abwägung mit dem APR der Beschwerdeführerin zu erfolgen hatte. Dabei genüge nicht die Behauptung als Politikerin sei ein solcher Angriff hinzunehmen. Durch die Unterlassung der Abwägung durch die Gerichte liege eine Verletzung in das Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin und somit Verfassungswidrigkeit vor. Das Kammergericht hat nun über die strafrechtliche Beurteilung der Kommentare zu entscheiden.
Anmerkung der Redaktion:
- Hintergrund der streitgegenständlichen Kommentare sind Äußerungen der Beschwerdeführerin während einer Parlamentsdebatte im Jahr 1986.
- § 14 Abs. 3 Telemediengesetz a. F. wurde durch § 21 Abs. 2 und 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes ersetzt.