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KriPoZ-RR, Beitrag 30/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 28.09.2022 – 1 BvR 2354/13: Regelungen nach dem BVerfSchG zur Weitergabe personenbezogener Daten sind verfassungswidrig

Amtliche Leitsätze:

[…]

3. Die Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener personenbezogener Daten und Informationen durch den Verfassungsschutz zur Gefahrenabwehr kann als Übermittlungsschwelle grundsätzlich auch an die Gefahr der Begehung solcher Straftaten anknüpfen, bei denen die Strafbarkeitsschwelle durch die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen oder bloßen Rechtsgutgefährdungen in das Vorfeld von Gefahren verlagert wird. Der Gesetzgeber muss dann aber sicherstellen, dass in jedem Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr für das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut vorliegt. Diese ergibt sich nicht notwendiger Weise bereits aus der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung selbst.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess rechtskräftig verurteilt. Von diesem wurden durch die Verfassungsschutzbehörden – zwecks Bekämpfung gewaltbezogenen Rechtsextremismus – personenbezogene Daten gespeichert. Rechtsgrundlage hierzu stellt das RED-G (Rechtsextremismus-Datei-Gesetz) dar. Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Verfassungsbeschwerde gegen diese Befugnisse. Er macht eine Verletzung seines Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung geltend.

Entscheidung des BVerfG:

Der Angriff einer allgemeinen Übermittlungsbefugnis scheitert bereits aufgrund einer Gesetzänderung an einem fortdauernden Rechtsschutzbedürfnis. Die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Übermittlung heimlich erhobener personenbezogener Daten ist zulässig und begründet. Das BVerfG stellt sowohl einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit aufgrund von mehrgliedrigen Verweisungsketten, als auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fest. 

a) legitimer Zweck

Die in § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 BVerfSchG geregelten Übermittlungsbefugnisse würden dem Zweck dienen Staatsschutzdelikte effektiv zu bekämpfen. Der damit einhergehende Bevölkerungsschutz stelle einen legitimen Zweck dar.

b) geeignet und erforderlich

Der Senat zweifelt auch nicht an der Geeignetheit oder Erforderlichkeit der Befugnisse.

c) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Die Normen halten allerdings den Anforderungen an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht stand, so der Senat. Das informationelle Trennungsprinzip verlange für derart weitreichende Überwachungsbefugnisse erhöhte Rechtfertigungsvorschriften. Hierbei sei auf eine hypothetische Neuerhebung, und ob diese erlaubt werden dürfte, abzustellen. Kriterien hierbei seien der Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsgutes (1) und eine hinreichend konkrete Gefahr (2). Hierbei könne auch an die Gefahr einer Straftatenbegehung angeknüpft werden, sofern im Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr bestehe. Voraussetzung sei außerdem die Verfolgung einer besonders schweren Straftat (3). Die angegriffenen Normen verweisen auf Delikte nach §§ 74a, 120 GVG. Bei den nach dem GVG aufgezählten Delikten liegt jedoch nicht bei allen eine besonders schwere Straftat vor. Auch durch das in § 23 Nr. 1 BVerfSchG verankerte Verbot unverhältnismäßiger Übermittlungen stelle keinen zulässigen Abwägungsprozess dar. Ebenso liege im Hinblick auf eine Übermittlungsschwelle ein verfassungsrechtlicher Verstoß vor. Tatsächliche Anhaltspunkte seien nicht ausreichend, da hierdurch unabhängig von einer konkretisierten Gefahrenlage übermitteln werden könne.

Bis zum 31.12.2023 gelten die angegriffenen Normen fort, wobei einschränkende Maßgaben für die betroffenen Grundrechte gelten. 

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