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KriPoZ-RR, Beitrag 34/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 25.10.2022 – 5 StR 276/22: Der BGH bestimmt Maßstäbe zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung 

Amtlicher Leitsatz:

Für die zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung gebotene ex ante-Betrachtung ist entscheidend, wie sich die Lage aus Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt orientierten Dritten in der Tatsituation des Angeklagten nach der unter Beachtung des Zweifelssatzes zu bildenden tatrichterlichen Überzeugung darstellt. Geprägt wird die Tatsituation eines Verteidigers dabei auch durch den ihm in diesem Moment zugänglichen Erkenntnishorizont; maßgeblich ist nicht die Sicht eines allwissenden Beobachters, sondern die Perspektive des sorgfältig beobachtenden Verteidigers. 

Sachverhalt:

Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Totschlags zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte mit dem Nebenkläger, um von diesem eine Pistole zu kaufen. Nachdem der Angeklagte dem Nebenkläger und einem weiteren Zeugen, der zwischenzeitlich hinzugetreten war, das Geld zeigte, sprühte dieser Pfefferspray in Richtung des Angeklagten und der Zeuge nahm das Geld an sich. Der Angeklagte schoss, nach erfolgloser Aufforderung das Geld zurückzugeben, mindestens zweimal auf beide mit seiner mitgebrachten Waffe, verfehlte diese aber. Der Nebenkläger und Zeuge flohen. Als der Angeklagte den Nebenkläger erreichte, schoss er ein weiteres Mal und traf diesen lebensgefährlich, bevor dieser erneut floh und der Angeklagte die Verfolgung abbrach.

Das LG Bremen stellte fest, dass der Angeklagte den Tod zumindest billigend in Kauf nahm, dabei aber mit dem Willen handelte sich gegen das entwendete Geld zur Wehr zur setzen. Das LG Bremen verneinte allerdings das Vorliegen von Notwehr. Eine für § 32 StGB erforderliche Notwehrlage habe zwar vorgelegen. Es scheitere aber an der Erforderlichkeit. Dem Angeklagten sei es zumutbar gewesen vorher Warnschüsse abzugeben. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg. Das LG Bremen habe rechtsfehlerhaft das Vorliegen von Notwehr verneint. Es sei keine differenzierte Betrachtung vorgenommen worden. Die Schüsse des Angeklagten seien unter unterschiedlichen Bedingungen abgegeben worden. Das LG Bremen habe diese aber einheitlich gewürdigt. Bei dem letzten Schuss hätten sich die Tatumstände derart geändert, dass dieser allein auf den Nebenkläger abgegeben wurde. Nicht festgestellt habe das LG, wo sich das Geld zu diesem Zeitpunkt befand. 

Bei der Erforderlichkeit sei eine ex-ante-Betrachtung vorzunehmen. Das heißt, der Angegriffene darf ein Mittel wählen, welches die Gefahr endgültig beseitigt. Bei der Bestimmung sei die Sicht eines objektiven, nicht aber allwissenden, Dritten unter Beachtung des Zweifelssatzes heranzuziehen. Auch, wenn nicht erkennbar gewesen wäre, wo sich das Geld befanden habe, stelle die Verhinderung der Flucht des Nebenklägers eine geeignete Handlung zur Abwehr dar. Es lasse sich aus dem Urteil nicht entnehmen, wo sich das Geld befunden habe. Dies sei auch nicht aus einem Verteidigungswillen ableitbar, wie das LG Bremen es angenommen habe. Auch die äußeren Umstände zum Zeitpunkt des dritten Schusses (Entfernung, erfolglose erste Schüsse) seien außer Betracht gelassen worden. 

Das Urteil beruhe auf diesen Rechtsfehlern, sodass die Sache der Aufhebung und neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf. 

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