Zu den Kommentaren springen

Fortschritte im Notwehrrecht?

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch

Beitrag als PDF Version

Abstract
Der untenstehende Text ist eine recht spontane Reaktion auf Bemerkungen, die jüngst von den Kollegen Armin Engländer und Christian Rückert zu einem Kodifizierungsvorschlag für die Regelungsthemen Notwehr, Notwehrexzess und subjektives Rechtfertigungselement in der Zeitschrift „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“ präsentiert wurden. Den Entwurfstext hat eine – kleine – Gruppe von Strafrechtslehrern erarbeitet. Er wurde letztes Jahr mittels eines Aufsatzes von Elisa Hoven und Wolfgang Mitsch – ebenfalls im „Goltdammer’s Archiv“ − vorgestellt und erläutert. Engländer und Rückert äußern stellenweise Zustimmung, üben aber auch zu vielen Punkten des Entwurfs und seiner Begründung Kritik. Da der hiesige Verfasser sowohl an der Entwicklung des Entwurfstextes als auch an dem genannten GA-Aufsatz als Ko-Autor beteiligt war, möchte er − im Folgenden: ich − zu einigen der Kritiken Stellung nehmen.

The following text is a spontaneous reaction to the comments of colleagues Armin Engländer and Christian Rückert regarding the proposed changes of the provisions for self-defense, self-defense excess and the subjective element of a justification that were published in the journal “Goltdammer’s Archiv für Strafrecht”. The proposal was created by a small group of criminal law professors. It was also the basis of a published article by Elisa Hoven and myself in the aforementioned journal. Engländer and Rückert in part approve of the proposed changes, whilst also criticizing various other points of the text itself or the reasoning behind it. Since the present author was not just a part of the group of criminal law professors that created the original proposal but is also co-author of the earlier GA-article, he – hereinafter: I – wants to comment on some critical notions that were brought forth.

I. Vorbemerkung

Vorausschicken möchte ich, dass in den Beratungen der Gruppe oftmals mehr oder weniger stark voneinander abweichende Auffassungen zu einzelnen Bestandteilen des Normtextes aufeinanderprallten und lang und mühsam um eine wenigstens von der Mehrheit getragene Lösung gerungen wurde. Was in der Endfassung steht, erfährt deshalb punktuell meine Zustimmung nicht, worauf es hier jedoch nicht ankommt. Es hat aber zur Folge, dass ich mich in dem einen oder anderen Punkt den Kollegen Engländer und Rückert anschließe und diesbezüglich hier nicht zum diesen Entwurf verteidigenden advocatus aufschwingen möchte. Des Weiteren vermag ich momentan nicht zu allen Einwänden, die von Engländer und Rückert sehr pointiert und mit schönen eingängigen Beispielen vorgetragen werden, eine Stellungnahme abzugeben, weil mir – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – dazu schlicht nicht genügend einfällt. Vielleicht dazu später. Von selbst versteht es sich, dass der vorliegende Text nicht dem Bedürfnis entsprang, einer gekränkten Wissenschaftlerseele oder verletzten Eitelkeit Linderung zu verschaffen. Soweit von den Autoren auf Verbesserungsbedarf hingewiesen wird, für den ich als (Mit-)Urheber des Beanstandeten auch persönlich verantwortlich bin, nehme ich das gern an, wenn es zutrifft und versuche im Übrigen, sachlich dagegen zu argumentieren.  Das gelingt vorderhand – wie gesagt – nur in Bezug auf einige Punkte. Abschließend noch ein Satz zu der Einleitung des Textes von Engländer/Rückert:  Dass wir eine Reform des Notwehrrechts „brauchen“, hat meines Wissens keiner der Entwurfsverfasser geäußert und findet sich auch nicht in dem GA-Aufsatz von Elisa Hoven und mir. Wir würden uns ein besseres Notwehrrecht natürlich wünschen, so wie viele schon lange eine „Reform der Tötungsdelikte“ wünschen. Aber wir machen uns keine Illusionen:  ob der „Gesetzgeber“ die Anregungen, die von uns gegeben werden, jemals zur Kenntnis nehmen wird, das werden die Älteren unter uns wahrscheinlich nicht erleben. Deswegen wird niemand enttäuscht sein, wenn − was wahrscheinlich ist – in der nächsten Legislaturperiode im Koalitionsvertrag kein Wort zur „Reform des Notwehrrechts“ stehen wird.

II. Geeignete und erforderliche Verteidigung

1. Geeignetheit 

Engländer und Rückert vermissen in dem Entwurf eine Regelung zur Geeignetheit der Verteidigungshandlung.[1] Dieses Notwehrmerkmal sei sehr umstritten, was natürlich ein wichtiger Grund für gesetzliche Klarstellung ist, sofern die Praxisrelevanz dem Streit der Theoretiker entspricht. Einen eigenen Regelungsvorschlag zu dieser Rechtfertigungsvoraussetzung machen die Autoren nicht. Mir ist auch nicht bekannt, ob jemals irgendein Autor einen Normtext präsentiert hat, der explizit die Anforderungen an die Abwehrtauglichkeit der Notwehrhandlung darstellt. In Lehrbüchern und Kommentaren findet man zur Geeignetheit auch nicht viel.[2] Eindeutig unrichtig ist die von der h. M. praktizierte Herleitung des Geeignetheitserfordernisses aus dem Notwehrmerkmal „erforderlich“.[3] 

Eine Handlung, die ungeeignet ist, ist schon gar keine „Verteidigung“.[4] Absurd wäre zum Beispiel die Aussage, das Beschädigen des dem Angreifer gehörenden und an einem Laternenpfahl angeschlossenen Fahrrads (§ 303 StGB) während der vom Fahrradeigentümer begangenen Vergewaltigung sei eine nicht erforderliche „Verteidigung“.[5] Kein Mensch käme auf die Idee, diese Handlung überhaupt als „Verteidigung“ zu bezeichnen.[6] Wenn also über Konkretes zur Geeignetheit diskutiert wird, dann geht es letztlich um die Frage, was eine „Verteidigung“ ist. Wer jahrzehntelang als Strafrechtsprofessor tausende von gesprochenen oder geschriebenen studentischen Aussagen zur Notwehr gehört und gelesen hat, weiß, dass ca. 99 Prozent der Studenten nicht wissen, dass es das gesetzliche Notwehrmerkmal „Verteidigung“ überhaupt gibt, bzw. dass es eine – von der Erforderlichkeit zu trennende – eigenständige Bedeutung hat.[7] Jedenfalls erwähnen sie es bei der Prüfung der Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht, sondern springen sogleich nach Bejahung der „Notwehrlage“ zur „Erforderlichkeit“.[8] Dass nur eine den Angreifer bzw. seine Rechtsgüter beeinträchtigende Handlung die Qualität „Verteidigung“ hat,[9] scheint kaum jemand zu wissen. In der Angreifergerichtetheit erschöpft sich der Bedeutungsgehalt des Begriffs „Verteidigung“ aber nicht.  Dazu gehört die Angriffsabwendungstauglichkeit.

Hier soll nun nicht weiter um Worte gestritten werden, sondern etwas zu der von Engländer und Rückert als umstritten bezeichneten Inhaltsbestimmung des Merkmals beigetragen werden. Die Verunsicherung rührt vor allem daher, dass in der Strafrechtslehre behauptet wird, es gebe Fälle ungeeigneter Verteidigung und die Ausübung einer solchen Verteidigung sei eine nicht gemäß § 32 StGB gerechtfertigte, somit rechtswidrige und strafbare Tat des Verteidigenden. Ungeeignet sei eine Handlung, wenn ex ante keinerlei Aussicht besteht[10], durch sie den Angriff erfolgreich abzuwehren. Berücksichtigt wird dabei bereits, dass es als erfolgreiche Abwehr auch gilt, wenn die Angriffsintensität gemildert, der Angriff hinausgezögert oder sonst dem Angreifer die Durchführung seiner Attacke erschwert wird.[11] Als Lehrbuchbeispiel wird z.B. der Fall einer Frau genannt, die von einem körperlich überlegenen Mann oder sogar mehreren Männern vergewaltigt wird und nicht den Hauch einer Chance hat,  ihre Situation durch tatbestandsmäßige Gegenwehr zum Nachteil der Angreifer („Kratzen, Beißen, Treten“[12]) zu verbessern.[13] Allerdings wird letzteres auch wieder bestritten und behauptet, es sei ex ante nie völlig auszuschließen, dass der geleistete Widerstand (z. B. Beschimpfungen, Beschädigungen an Sachen) den Angreifer zur Aufgabe des Angriffs veranlasst.[14] Realitätsnäher erscheint indessen die Annahme, dass eine vom Angreifer wahrgenommene Erfolgsaussicht des Verteidigenden jenen eher zur Steigerung als zur Minderung seiner Angriffsintensität motivieren wird.[15]

Es ist somit unklar, ob der akademische Streit nennenswerte praktische Relevanz hat, ob es tatsächlich überhaupt Fälle geben kann, in denen die tatbestandsmäßige Handlung des Angegriffenen oder eines Nothelfers zwar die Eigenschaft „Verteidigung“ hat, wegen Ungeeignetheit aber keine rechtfertigende Notwehr ist.[16] Warum also soll der Gesetzgeber oder der Verfasser eines Gesetzesentwurfs den ohnehin schon umfangreichen und komplizierten Normtext  mit einer klärenden Stellungnahme zu einem praktisch derart unbedeutenden Detail belasten? Da die Diskussion aber nicht im luftleeren Raum stattfindet, sei hier einmal unterstellt, dass es Fälle „völliger Ungeeignetheit“ gibt. Wie vor allem Volker Erb überzeugend dargelegt hat, ist die Verneinung der Rechtfertigung eine inakzeptable Rechtsfolge.  Dem sollen hier noch einige Überlegungen hinzugefügt werden.

Keinem Zweifel unterliegt, dass ein Angegriffener in vollkommen aussichtsloser Lage vom Angreifer die sofortige Beendigung des Angriffs verlangen darf. Die vergewaltigte Frau darf also ihre Peiniger anschreien, um sie zur Einstellung ihres schändlichen Tuns zu bewegen. Wenn der Angreifer ein empfindliches Gehör hat, ist die Erzeugung lauter unangenehmer Geräusche (tatbestandsmäßig gem. § 223 StGB) möglicherweise sogar eine geeignete Verteidigung. Auf eine Bekräftigung der Forderung durch Beschimpfungen (§ 185 StGB, hier rechtfertigt gewiss auch § 193 StGB) dürfte das auch zutreffen. Unterstreicht die Frau ihr berechtigtes Verlangen nach Angriffsbeendigung mit Kratzen, Beißen, Treten, ist das eine geeignete Verteidigung auch dann, wenn ex ante keine Aussicht besteht, dass der oder die Angreifer sich dadurch zur Aufgabe bewegen lässt bzw. lassen. Denn wie an anderer Stelle schon ausgeführt[17], verteidigt ein Angriffsopfer mit „symbolischer“ Gegenwehr erfolgreich seine Würde − oder Selbstachtung −, indem es nicht kapituliert, sondern heldenhaft „erhobenen Hauptes“, „mit fliegenden Fahnen“ untergeht, statt sich kampflos zu ergeben. Man sage nicht, das sei kein oder kein beachtlicher Verteidigungserfolg, nur weil das Rechtsgut schwierig zu definieren oder im Strafgesetzbuch kein Straftatbestand zu finden ist, der dieses Rechtsgut schützt. Das Gefühl, vom Angreifer gedemütigt zu werden, kann für den Betroffenen unerträglicher sein als die physischen Schmerzen, die ihm z.B. durch Folter zugefügt werden.  Wenn es dem Angegriffenen hilft, durch „aussichtslose“ Aktionen, die dem Angreifer „Nadelstiche“ beibringen, dieses Gefühl zu lindern, ist das eine erfolgreiche Verteidigung. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass unser Strafgesetzbuch einem aus „grobem Unverstand“ an das Erreichen eines unerreichbaren Ziels glaubenden Täter attestiert, einen beachtlichen – strafbarkeitsbegründenden – Handlungswillen zu haben, freilich zu seinen Ungunsten, § 23 Abs. 3 StGB. Sollte dann nicht auch umgekehrt einem Angegriffenen, der in objektiv völlig aussichtsloser Lage meint, sein Schicksal noch wenden zu können, wenigstens ein Erlaubnistatbestandsirrtum gutgeschrieben werden?

Bedenklich sind vor allem weitere rechtliche Folgen der Notwehrverneinung, Folgen, zu denen man in den Texten der Befürworter einer notwehreinschränkenden Geeignetheits-Hürde nichts findet. Während bei Nichterfüllung anderer Notwehrvoraussetzungen – z.B. „reine Tierangriffe“[18], fehlende Gegenwärtigkeit des Angriffs[19], Verletzung eines nichtangreifenden Dritten[20] – auf andere Rechtfertigungsgründe (§§ 228 BGB, § 34 StGB) oder zumindest einen Entschuldigungsgrund (§ 35 StGB) ausgewichen werden kann, ist das alles bei fehlender Geeignetheit verschlossen.  Die Untauglichkeit zur Abwendung der gegenwärtigen Gefahr muss konsequenterweise einer Rechtfertigung[21] oder Entschuldigung[22] durch Notstand entgegenstehen. Lediglich § 33 StGB soll bei Durchbrechen der „Untergrenze“ helfen, vorausgesetzt, der Angegriffene befindet sich in einem asthenischen Affekt.[23] Sofern also nicht dieser Entschuldigungsgrund greift, verschlechtert sich die Rechtslage des Angegriffenen in der Situation einer „Gegennotwehr“ bzw. „Gegennothilfe“:  diese unterliegt keinen „sozialethischen Einschränkungen“, jedenfalls nicht solchen, die an reduzierte Verantwortlichkeit des Angreifers[24] anknüpfen (dazu sogleich). Kurios ist des Weiteren, dass Dritte, die – ohne selbst aktiv verteidigen zu können – dem Angegriffenen in Teilnehmermanier z. B. durch Anfeuerungsrufe − „Wehr dich!“ − Beistand leisten wollen, sich zurückhalten müssen. Die Aufforderung zur aussichtslosen Gegenwehr ist strafbare Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat.  Diesen Teilnehmern und dem Notwehrübenden selbst droht also infolge der Verteidigungsuntauglichkeit ihres Handelns eine Rollenvertauschung mit ungünstigen rechtlichen Folgen. Der Angegriffene ist nun selbst rechtswidrig Angreifender und deshalb Ziel gerechtfertigter Notwehr- und Nothilfeaktionen aus dem Lager der ursprünglichen Angreifer. Wie oben schon angedeutet handelt es sich nicht einmal um einen entschuldigten Angriff, weshalb die Gegner sich nicht durch „sozialethische Notwehreinschränkungen“, die an ein Schulddefizit beim Angreifer anknüpfen, bremsen lassen müssen. Allerdings sind diese Angreifer, die nun zu Angegriffenen geworden sind, selbstverständlich weiterhin verpflichtet, ihren primären Angriff sofort zu beenden. Damit würden sie auch geeigneten Verteidigungsmaßnahmen des Angegriffenen den rechtlichen Boden entziehen. Dieser müsste seinerseits seine Abwehrbemühungen einstellen. Setzt er hingegen diese fort, steht nunmehr dem früheren Angreifer, dessen Angriff nicht mehr gegenwärtig ist, ein Notwehrrecht zu, gegen das Einwände nicht zu erheben sind.

Die Angriffsbeendigungspflicht des Angreifers ist der wahre Grund für das „scharfe“ Notwehrrecht.[25] Rücksichtnahme auf den Angreifer zuungunsten des Angegriffenen ist im „Normalfall“ nicht begründet.[26] Schon der Limitierung der Verteidigungsbefugnis durch den Ausschluss nicht erforderlicher Handlungen korrespondiert auf Angreiferseite kein Schutzbedürfnis. Auch vor Exzessen des Notwehrübenden kann sich der Angreifer durch Nichtangreifen oder durch Angriffsbeendigung schützen (dazu sogleich 2.). Zumal die Erlaubnis von Verteidigungsexzessen einen wünschenswerten Abschreckungseffekt haben dürfte. Der BGH hat bei seiner Behandlung des Mordmerkmals „Heimtücke“ im Fall der vorsätzlichen Tötung eines Angreifers zutreffend ein Arglosigkeitsdefizit angenommen.[27] Das passt zu dem hier vertretenen grundlegend „viktimodogmatischen“ Notwehrverständnis. Für eine Beschränkung der Abwehrbefugnis auf Handlungen, die nicht ex ante als völlig abwehruntauglich erscheinen, gibt es demnach keinen Grund. Solange der Angreifer die Möglichkeit hat, seinen Angriff abzubrechen, darf der Angegriffene oder ein Nothelfer jede Handlung vollziehen, die eine „Verteidigung“ ist, gleich ob damit eine minimale Chance verbunden ist, den Angreifer zur Angriffsbeendigung zu nötigen. Besteht eine solche geringe Chance (das Fahrrad ist sehr wertvoll, sein Eigentümer „hängt“ an ihm und schon der kleinste Kratzer am Rahmen bringt ihn aus der Fassung), dann kann sogar die Sachbeschädigung im obigen (bei Fußnote 5) Fahrrad-Vergewaltiger-Beispiel gerechtfertigt sein. Die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Klarstellung im Text des § 32 StGB sehe ich nicht. Ich wüsste auch nicht, wie man sie formulieren könnte. Engländer und Rückert haben offenbar auch keine Idee, sonst hätten sie das ja vielleicht in ihrem GA-Aufsatz zumindest angedeutet.

2. Erforderlichkeit

Mit guten Gründen erklären die Verfasser das Notwehrmerkmal „Erforderlichkeit“ zum wunden Punkt der Notwehrrechtsprechung.  In  vielen Entscheidungen  werden die Anforderungen an den Notwehrübenden überspannt und ihm der Nichtgebrauch angeblich hinreichend effektiver „milderer Mittel“ vorgehalten. Oftmals dürfte das eine Überforderung sein. Verständlich ist deshalb der Vorschlag, dieser Praxis durch Gestaltung des Normtextes einen Riegel vorzuschieben. Der geltende § 32 StGB enthält dazu nichts, der Entwurf der Arbeitsgruppe bietet dazu nichts an, Engländer und Rückert im Übrigen auch nicht. Nun ist grundsätzlich für auf falscher Anwendung des Gesetzes beruhende falsche Gerichtsentscheidungen nicht der Gesetzgeber verantwortlich. Vom Verfasser von Gesetztestexten zu verlangen, die Gesetze so zu gestalten, dass selbst ein zu falscher Gesetzesanwendung neigendes Gericht im Einzelfall zu im Ergebnis richtigen Entscheidungen kommt, ist deshalb zwar vielleicht pragmatisch, jedoch nicht normativ begründet. Indessen wurde hier bereits angedeutet, dass der Beschränkung der Notwehr auf den Gebrauch des „mildesten Mittels“ keine Schutzbedürftigkeit und keine Schutzwürdigkeit des Angreifers korrespondiert. Eine Beseitigung der Notwehrschranke „erforderlich“ stünde mit den berechtigten Schutzinteressen des Angegriffenen und des Angreifers durchaus in Einklang. Jedoch hätte eine derart radikale „Entgrenzung“ des Notwehrrechts ein massives Akzeptanzproblem. Entfernte man die Worte „die erforderlich ist“ aus dem Text des § 32 Abs. 2 StGB, würden mit Sicherheit Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft alsbald die als notwendig erachteten Notwehrbegrenzungen über die „Gebotenheit“ anstreben. Am Ende wäre gar nichts gewonnen, im Gegenteil: die vormals halbwegs bestimmte Rechtfertigungsvoraussetzung „erforderlich“ wäre nicht aufgehoben, sondern im Sammelbecken der schwammigen Gebotenheits-Floskel versunken. Wer wollte dagegen Einspruch erheben, wenn ein Gericht urteilt, die Verteidigung mit einem Messerstich sei „nicht geboten“ gewesen, weil der Notwehrübende den Angriff hinreichend effektiv mit einem wuchtigen Faustschlag hätte abwenden können?  

Vernünftiger erscheint daher eine Aufweichung der Erforderlichkeits-Grenze, mit der vor allem der reduzierten kognitiven und emotionalen Fähigkeit des Angegriffenen zum Erkennen des hinreichend geeigneten und mildesten Mittels Rechnung getragen werden könnte.[28] Da die kritischen Fälle diejenigen sind, bei denen der Angegriffene sich mit dem Einsatz einer Schußwaffe, eines Messers oder eines anderen gefährlichen Gegenstands zur Wehr setzt, sollte das, was bereits im Bedeutungsgehalt von „erforderlich“ angelegt ist, klarstellend bekräftigt werden: „Sofern es zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist, darf der Notwehrübende auch Waffen und sonstige gefährliche Mittel oder Werkzeuge einsetzen.“  Da dies lediglich deklaratorischen Charakter hat, ist die Rechtsposition des Notwehrübenden durch diesen Satz noch nicht verbessert. Gerichte wären nicht daran gehindert die Erforderlichkeit zu verneinen und zu behaupten, der Angegriffene hätte sich auch ohne Waffe oder gefährlichen Gegenstand erfolgreich verteidigen können. Deswegen bedarf es zusätzlich einer Verschiebung der starren Erforderlichkeitsgrenze, wodurch Handlungen, die objektiv betrachtet[29] nicht erforderlich sind, rechtfertigungstauglich werden. Da die Erforderlichkeits-Schranke nicht vollständig abgebaut werden soll, bietet sich eine Offensichtlichkeits-Klausel an: „Eine Verteidigung ist zur Abwendung des Angriffs nicht erforderlich, wenn dieser Verteidigungserfolg offensichtlich mit einem milderen Mittel erreichbar gewesen wäre.“[30] Die Möglichkeit einer milderen Verteidigung schließt also die Rechtfertigung gravierender verletzender Abwehrmaßnahmen nicht aus, wenn sie nicht offensichtlich ist. Ein Teil von Fällen, die ansonsten dem Erlaubnistatbestandsirrtum anheim fielen, bleibt somit im Bereich der objektiven Rechtfertigung.[31] Das gilt nicht für einen mit Sonderwissen ausgestatteten Verteidiger, dem ein milderes Mittel erkennbar ist, das der „durchschnittliche“ Betrachter nicht zu erkennen vermag. Wenn die Möglichkeit der milderen Verteidigung allein für ihn offensichtlich ist, muss das genügen, um den Gebrauch des schwerer verletzenden Abwehrmittels zu untersagen. 

Mit dem Vorschlag wird die Grauzone und der Grenzbereich am Rand der Erforderlichkeit nicht beseitigt, aber zugunsten des Notwehrübenden verschoben. Selbstverständlich wird es Grenzfälle geben, in denen nicht die Erforderlichkeit, sondern die Offensichtlichkeit der Nichterforderlichkeit streitig sein wird. Wenn dann das Gericht zuungunsten des Notwehrübenden entscheidet, trifft das immerhin einen Täter, der ohnehin ein nicht erforderliches Verteidigungsmittel einsetzte. Ein intensiver Exzess liegt auch dann vor, wenn die tatsächlich gegebene Möglichkeit der erfolgreichen Verteidigung mit einem milderen Mittel nicht offensichtlich war. Nach geltendem Recht wäre der Täter in diesem Fall nicht gerechtfertigt. Ihm käme somit die Lockerung der Anforderungen an die Wahl des Verteidigungsmittels zugute, obwohl er dies eigentlich nicht verdient hat. Er sollte sich also nicht beschweren, wenn ein Gericht zutreffend die Nichterforderlichkeit feststellt und zugleich unzutreffend deren Offensichtlichkeit behauptet. Dagegen schützt das Offensichtlichkeits-Merkmal den Verteidiger, der tatsächlich die Grenze der Erforderlichkeit nicht überschreitet, dies vom Gericht aber nicht attestiert bekommt. Die richterliche Überspannung der Anforderungen an den Notwehrübenden schadet diesem nicht, sofern das Gericht seine Nichterforderlichkeits-Entscheidung nicht mit einer Offensichtlichkeits-Behauptung verstärken kann. Dies wird nicht gelingen, wenn die Verneinung der Erforderlichkeit ohnehin falsch ist.

III. Notwehreinschränkungen

1. Unbestimmtheit

Die Kodifizierung der Notwehreinschränkungen in Absatz 3 des Entwurfs zieht aus zwei Gründen den Vorwurf mangelnder Bestimmtheit auf sich:  In Satz 2 hat der Katalog klassischer Fallgruppen in Gestalt des Wortes „insbesondere“ ein Einfallstor. Die Strafrechtspraxis kann also weitere Fallgruppen erfinden und durch dieses Tor dem Anwendungsbereich der Norm hinzufügen.[32] Die Norm akzeptiert damit Notwehreinschränkungen, deren Voraussetzungen im Wortlaut nicht abgebildet sind. Eine striktere Regelung wäre möglich, hätte allerdings Nebenwirkungen, deren Einfluss auf die Akzeptanz der Norm nicht unterschätzt werden darf. Durch Streichung des Wortes „insbesondere“ wäre die Liste der Einschränkungsfälle geschlossen. Dies schüfe ein Maximum an Normbestimmtheit. Der Preis dafür wäre aber der Ausschluss jeglicher Ergänzung des Katalogs durch neuartige Falltypen. Das Lehrbuch von Kristian Kühl zeigt eine beeindruckende Reihe „Weiterer Gebotenheits-Fälle“[33] außerhalb des klassischen „Quartetts“.[34]  Auch wenn ein Teil der Probleme dieser Fälle über andere Notwehrmerkmale gelöst werden kann,[35] bleibt gewiss ein Rest, für den die Einschränkung des Notwehrrechts eine willkommene Notlösung ist.  Man denke etwa an die „Rettungs-Folter“, die vor dem Fall „Daschner“ noch gar nicht auf dem Schirm der Strafrechtswissenschaft wahrnehmbar gewesen ist.[36] Die Entwurfsverfasser können der Forderung nach einer undurchlässigen Außengrenze des Gesetzeswortlauts nur dadurch entsprechen, dass sie entweder der Notwehrrechtseinschränkung bei Rettungsfolter und anderen Fällen eine klare Absage erteilen oder umgekehrt diese Fälle in den gesetzlichen Katalog aufnehmen. Wer sich an die Auseinandersetzungen in den Jahren 2003 bis 2005 über die Nothilfe-Folter erinnert, kann sich die Heftigkeit der Kritik vorstellen, die eine restriktiv enumerative Normierung unter Ausschluss der Folter und anderer umstrittener Konstellationen auf sich zöge. Die andere Variante – eine auf Vollständigkeit bedachte Aufnahme aller denkbaren Fälle – ist praktisch nicht umsetzbar, da bei der Vielzahl und Vielfalt der in Betracht kommenden Regelungsgegenstände eine Konsensbildung illusorisch erscheint.[37] Das erkennt man schon daran, dass die meisten bei Kühl genannten Fälle in anderen Lehrbüchern[38] und Kommentaren[39] unter der „Gebotenheit“ keine Erwähnung finden.

Die zweite Aufweichung der Normgrenze im Entwurfstext beruht darauf, dass gemäß Absatz 3 Satz 3 die Erfüllung der Einschränkungsvoraussetzungen nur „in der Regel“ den Wegfall der „scharfen“ Verteidigungsbefugnis zur Folge haben soll. Nach dem Entwurf ist es also möglich, dass die Voraussetzungen eines normierten Einschränkungs-Falles erfüllt sind, dem Notwehrübenden gleichwohl das uneingeschränkte Abwehrrecht erhalten bleibt. Da der Normwortlaut keine Auskunft darüber gibt, von welchen Voraussetzungen diese Rückausnahme abhängt, ist der Gesetzestext an dieser Stelle unbestimmt.[40] Das halte ich aber nicht für problematisch und sehe darin keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, da der Vorbehalt „in der Regel“ den Täter begünstigt. Er gibt ihm ein Recht zurück, das ihm der vorgelagerte Normtext entzogen hatte.

2. Einzelne Einschränkungsgründe

Die Fülle umstrittener Einzelfragen der sozialethischen Notwehreinschränkungen ist gewaltig und nicht jedes Detail lässt sich abstrakt durch ein Gesetz so eindeutig festlegen, dass dem Rechtsanwender kein Spielraum mehr verbleibt. Manches muss der einzelfallbezogenen Wertung des Strafrechtsanwenders überlassen bleiben, wie z.B. die Entscheidung über eine Notwehreinschränkung bei einem Angreifer, der zwar nicht schuldlos, aber mit verminderter Schuldfähigkeit handelt. Man kann wohl nicht pauschal und unterschiedslos Fälle dieser Art entweder der Notwehreinschränkung ausnahmslos unterstellen oder sie ganz aus diesem Bereich heraushalten. Dies würde schon den unterschiedlichen Graden verminderter Schuldfähigkeit nicht gerecht werden. Engländer und Rückert kritisieren das Fehlen einer eindeutigen Stellungnahme des Entwurfs und beklagen die infolge der Verwendung des Wortes „insbesondere“ poröse Grenze des Normbereichs. Oben wurde aber bereits erläutert, wieso diese Gesetzestechnik als alternativlos erscheint. Deshalb muss hier in Kauf genommen werden, dass im Einzelfall ein Gericht eine Notwehreinschränkung schon dann bejaht, wenn der Angreifer „nur“ eingeschränkt schuldfähig gewesen ist. Im Regelfall dürfte der Notwehrübende aber eine gute Chance haben, dass ihm ein unbeschränktes Notwehrrecht zugebilligt wird, zumal das Gericht erhöhten Begründungsanforderungen unterliegt, wenn es einen „unbenannten“ Fall eingeschränkten Notwehrrechts bejahen will. Das ist nicht anders als bei der Annahme eines unbenannten „besonders schweren Falls“ i.S.d. § 243 Abs. 1 S. 1 StGB.[41]

Entschieden entgegenzutreten ist dem Vorschlag von Engländer und Rückert, das zentrale Merkmal der Fallgruppe „Notwehr in engen persönlichen Verhältnissen“ dem bei § 13 StGB etablierten Sprachgebrauch anzupassen und von „Garantenpflichten“[42] statt – wie der Entwurf es tut – von „Rücksichtnahmepflichten“ zu sprechen.[43]  Engländer und Rückert zitieren Elisa Hoven und mich ungenau, indem sie darauf hinweisen, dass wir diese Notwehreinschränkung mit „Garantenpflichten i.S.v. § 13 StGB“ identifizierten. In unserem Aufsatz erwähnen wir ausdrücklich „Beschützergarantenstellungen“,[44] womit unausgesprochen die Kategorie der „Überwachergarantenstellungen“ ausgegrenzt wird. Das ist auch keine redaktionelle Nachlässigkeit, sondern eine bewusste Abschichtung, die den sachlichen Gründen der Notwehreinschränkung korrespondiert. Gegenüber einem Überwachergaranten macht die Reduktion der Verteidigungsbefugnis keinen Sinn. Warum sollte der Halter eines Hundes, der von einem Straßenräuber mit einem Messer oder einer Handfeuerwaffe angegriffen wird, verpflichtet sein, den verteidigungsbereiten Hund zurückzuhalten und sich von ihm gegen den Angriff nur dann schützen zu lassen, wenn eine Flucht aussichtslos ist? Und warum sollte wiederum eine derartige Rechtsbeschränkung dann wegfallen, wenn der Angreifer seinerseits Halter eines Hundes ist und diesen dabei hat? Die Erfolgsabwendungspflichten des Überwachergaranten sind keine Pflichten zur „Rücksichtnahme“. Die Verwendung des Wortes „Garantenpflicht“ würde aber zunächst einmal ohne Unterschied Beschützer- und Überwachergaranten in die Notwehreinschränkungsregel einbeziehen. Da das nicht richtig sein kann, müssten dann im Rechtsanwendungsprozess die unpassenden Überwachergarantenstellungen wieder umständlich unter Überwindung der Wortlautgrenze aus der Vorschrift hinausbefördert werden. Das haben wir durch den Begriff „Rücksichtnahme“ vermieden. Zudem verdeutlicht dieses Wort viel anschaulicher den materiellen Grund für die Pflicht zur Schonung des Angreifers. Ein abstrakter technischer Ausdruck wie „Garant“ ist für den Laien unverständlich und nicht geeignet, die Einsicht in die Richtigkeit der Beschränkung des Verteidigungsrechts zu fördern. Im Übrigen: Dass wir über eine „ausdifferenzierte Dogmatik, der Garantenpflichten“[45] verfügen, die auch jenseits des ureigenen Wirkungsbereichs des § 13 StGB gewinnbringend eingesetzt werden kann, wage ich zu bezweifeln.

Was die Fallgruppe der „Notwehrprovokation“ anbelangt, rechne ich mich noch immer[46] zu der kleinen Meinungsgruppe, die diesem Aspekt jegliches Einschränkungspotential abspricht und zwar auch in Bezug auf den Extremfall der „Absichtsprovokation“. Da diese Fallgruppe praktische Bedeutung allein im Verhältnis zu Angreifern haben kann, denen gegenüber nicht schon aus anderen Gründen das Notwehrrecht eingeschränkt ist, es also insbesondere um vorsätzlich und  schuldhaft handelnde Angreifer geht, die erhebliche Angriffe begehen, deren Schädigungspotential zu den erwartbaren Verteidigungsfolgen in keinem Missverhältnis steht, gibt es keinen relevanten Grund für eine Beschneidung der Rechte des Notwehrübenden, denen  auf der Gegenseite eine Erweiterung der Rechte des Angreifers einschließlich etwaiger Angriffshelfer – die sogar zu „Nothelfern“ avancieren, wenn der Angegriffene mit seiner Reaktion die Grenze seines beschränkten Verteidigungsrechts überschreitet − korrespondieren würde.[47] Ich kann daher auch der Empfehlung von Engländer und Rückert, im Normtext den verschiedenen Erscheinungsformen von Angriffsprovokation (absichtlich, vorsätzlich, fahrlässig) ein differenziertes und abgestuftes Rechtsfolgensystem entgegenzusetzen[48], nichts abgewinnen. Zudem dürfte der Gesetzgeber mit einer solchen Aufgabe schlicht überfordert sein.

IV. Nothilfe

1. Erforderlichkeit

Es trifft zu, dass der Entwurf in § 32 Abs. 4 keine Auskunft darüber gibt, welches die „erforderliche Verteidigungshandlung“ ist, wenn Angegriffener und Nothelfer über unterschiedlich schädliche Abwehrmittel verfügen. Nach Engländer und Rückert soll dann stets nur das – mittels „Gesamtbetrachtung“ festzustellende − mildeste Mittel erforderlich sein.[49] Das hat zur Folge, dass derjenige, der dem Angriff nur mit einem gravierenderen Verteidigungsmittel effektiv entgegentreten kann, entweder überhaupt nicht verteidigen darf oder sich mit dem Einsatz einer zur Angriffsabwehr nicht ausreichenden Maßnahme begnügen muss. Soweit dies den mit einem Messer ausgestatteten Angegriffenen betrifft, der zu schwach ist, um sich allein mit einem Faustschlag zu verteidigen, ist das eigentlich kein Nothilfe-Thema. Reduziert ist die Selbstverteidigungsbefugnis des Angegriffenen, weil es einen potentiellen Nothelfer gibt, der den Angreifer mit weniger schädigender Handlung zurückschlagen kann. Der Angegriffene dürfe „mit seiner Verteidigung nicht über die Mittel hinausgehen, die dem Dritten zur Abwehr des Angriffs ausreichen würde“.[50] Dieser Satz ließe den Leser verwirrt und ratlos zurück, wenn nicht im übernächsten Satz die notwendige Klarstellung folgte: Diese Begrenzung der Selbstverteidigungsbefugnis  gelte  nur,  wenn  „das  Eingreifen der potentiellen Nothelferin so sicher ist, dass es sich tatsächlich um ein relativ milderes Mittel handelt“.[51] Dem ist grundsätzlich nicht zu widersprechen. Streiten kann man darüber, wie sich die Situation in den Augen des Angegriffenen darstellen muss, damit das Nothelfereingreifen „so sicher“ ist. Ich würde dem Angegriffenen die Benutzung des Messers erst dann untersagen, wenn der Nothelfer tatsächlich begonnen hat, den Angreifer mit Faustschlägen zurückzudrängen.[52] Selbstverständlich muss dem Angegriffenen der Messereinsatz jederzeit gestattet bleiben, sollte sich herausstellen, dass die „mildere“ Intervention des Nothelfers zur Angriffsabwehr doch nicht ausreicht. Auch in der umgekehrten Konstellation stimme ich Engländer und Rückert im Ergebnis zu:  „Überlässt“ der Angegriffene, der sich selbst erfolgversprechend mit milderem Mittel wehren könnte, die Verteidigung dem Nothelfer, der nur mit einer  schädlicheren Vorgehensweise dem Angriff erfolgreich entgegentreten kann, soll dieser nicht gerechtfertigt sein, wenn er tatsächlich eine die Grenze des mildesten Mittels überschreitende Verteidigungsaktion ausführt.[53] Zur Begründung dieses Ergebnisses würde ich aber auf § 32 Abs. 4 Halbsatz 2 des Entwurfs abstellen:  Wer sich nicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden abwehrtauglichen mildesten Mittel verteidigen will, sondern auf das härtere Eingreifen eines Dritten vertraut, der hat auf den maximalen Schutz, den das Notwehrrecht ihm gewährt, verzichtet.  Mit dem „Einspannen“ des Nothelfers hat der Angegriffene zugleich in Kauf genommen, dass rechtskonforme Verteidigung nur noch submaximalen Schutz bieten kann.

 2. Sozialethische Einschränkungen

Eine die Verteidigungsbefugnisse hemmende Rücksichtnahmepflicht soll nach Engländer und Rückert für das Nothilferecht nur dann beachtlich sein, wenn der Angegriffene zum Angreifer in dem besonderen Rücksichtnahmeverhältnis steht. Deshalb soll der Ehemann gegen seine einen Dritten angreifende Ehefrau ein unbeschränktes Verteidigungsrecht haben. Der Angegriffene dürfe nicht mit den „Kosten der Rücksichtnahmepflicht“, für die der Nothelfer zuständig ist, belastet werden.[54] Dieser Einwand überzeugt mich nicht. Die Stellung des Angegriffenen, der Beistand nur von einem Nothelfer bekommen kann, dem aus rechtlichen Gründen die „Hände gebunden“ sind, ist dieselbe, wie wenn ihm lediglich ein Dritter zur Seite steht, der entweder überhaupt zu schwach ist oder ausschließlich mit Handlungen wirksam verteidigen könnte, die wegen Überschreiten der Erforderlichkeitsgrenze unzulässig sind. Wenn der Nothelfer ungeeignet ist, trägt der Angegriffene immer die „Kosten“ dieses Mangels, gleich was der Grund dafür ist. Im umgekehrten Fall halte ich es entgegen Engländer und Rückert für richtig, dass das Verteidigungsrecht des Nothelfers nicht eingeschränkt ist, wenn allein den Angegriffenen gegenüber dem Angreifer eine Rücksichtnahmepflicht trifft.[55] Daran kann auch die vertretbare Konzeption eines „akzessorischen“ Nothilferechts nichts ändern. Die Rücksichtnahmepflicht ist nämlich ein „besonderes persönliches Verhältnis“ i.S.d. §§ 14 Abs. 1, 28 StGB und entfaltet spezifische Rechtswirkungen nur bei Personen, die an diesem Verhältnis beteiligt sind. Zweifellos ist weder Absatz 1 noch Absatz 2 des § 28 Abs. 2 StGB direkt anwendbar. Der dahinterstehende Rechtsgedanke gibt aber dem hier vertretenen Ergebnis argumentativen Rückhalt.

Was die Behandlung der Angriffsprovokation in Nothilfesituationen angeht, kann ich nur wiederholen, was ich bereits zur Provokation in dem Selbstverteidigungs-Fall zu Protokoll gegeben habe (oben III.2.):  Provokationen, die weder die Erfüllung der Notwehrvoraussetzungen ausschließen noch das Eingreifen eines sonstigen Notwehreinschränkungsgrundes auslösen, lassen das volle Verteidigungsrecht des Angegriffenen sowie jedes Nothelfers unberührt. Ein Nothelfer darf dem Angreifer deshalb auch dann mit dem scharfen Schwert des Notwehrrechts begegnen, wenn der Angegriffene den Angreifer in einer Weise provoziert hat, die nach h.M. das Selbstverteidigungsrecht einschränkt oder sogar ausschließt.[56]

3. Aufgedrängte Nothilfe

Engländer und Rückert halten die im Entwurfstext abgebildete „Zulässigkeit der aufgedrängten Nothilfe“ für zu weitgehend. Die Rechtfertigungswirkung muss nach ihnen immer ausgeschlossen sein, wenn der Angegriffene die Nothilfe wirksam ablehnt.[57] Die im Entwurf festgelegte Grenze des „Verzichts“ seitens des Angegriffenen entfalte zu wenig prohibitive Wirkung gegen unerwünschte Nothilfeaktionen. Sie unterscheide sich nur wenig von der den Angriff rechtfertigenden und damit schon die Entstehung einer Notwehrlage verhindernden Einwilligung.[58] Der Unterschied zwischen einer Einwilligung in die durch den Angriff verursachte Rechtsgutsverletzung und dem Verzicht auf eine Verteidigung durch den Nothelfer lässt sich aber nicht leugnen.[59] Dass ein Angegriffener das konkrete Hilfeangebot eines Dritten ablehnt, bedeutet nicht zugleich Beseitigung der Rechtswidrigkeit des Angriffs, womit ja auch das Selbstverteidigungsrecht entfiele. Zudem sollte trotz Zurückweisung der Einmischung eines unerwünschten Nothelfers die gerechtfertigte Nothilfe eines anderen erwünschten weiteren Nothelfers möglich bleiben, wenn z.B. der Angegriffene sich von diesem einen besseren Schutz erhofft als von dem ersten Nothelfer. Zugegebenermaßen wird diese Differenzierung durch die Formulierung „auf den Schutz des betroffenen Rechtsguts wirksam verzichtet“ nicht optimal zum Ausdruck gebracht. „Verzicht auf Schutz“ klingt nach „alles oder nichts“, was ich für eine zu starke und vor allem den Interessen des Angegriffenen zuwiderlaufende Beschneidung zulässiger Nothilfe halte. Das stärkste Argument gegen Eingriffe in das Nothilferecht ist entgegen Engländer und Rückert der Umstand, dass von dem Nothilfeverbot in erster Linie der Angreifer profitiert, obwohl dieser das nicht verdient hat.[60] Entfällt die Rechtfertigungswirkung der Nothilfe, macht sich der Nothelfer wegen tatbestandsmäßiger und rechtswidriger Verletzung des Angreifers strafbar. Für den Angegriffenen ist damit nichts gewonnen. Vielmehr entgeht ihm ein möglicher Schutz seines dem Angriff ausgesetzten Rechtsgutes, wenn der Nothelfer das Verbot beachtet. Notwendig ist ein Reglement, mit dem passgenau auf die Missachtung der legitimen Interessen des Angegriffenen am Unterbleiben unerwünschter Nothilfe reagiert werden kann. Teilweise ist das nach geltendem Recht möglich. Das bedeutendste Gegeninteresse basiert auf der Furcht des Angegriffenen, durch eine riskante Verteidigungsaktion des Nothelfers oder eine durch die Nothilfe ausgelöste Eskalation des Angriffs verletzt zu werden.[61] Realisiert sich dieses Risiko, wird also die körperliche Unversehrtheit des Angegriffenen[62] verletzt, macht sich der Nothelfer aus §§ 223 ff StGB strafbar. Auch bei glimpflichem Ausgang des gefährlichen Verteidigungsunternehmens steht möglicherweise eine Versuchsstrafbarkeit im Raum. Ob eine Bestrafung des Nothelfers eine vernünftige strafrechtliche „Aufarbeitung“ des Geschehens ist, wenn das Bemühen des Nothelfers erfolgreich gewesen ist und der Angegriffene keinen oder nur verhältnismäßig geringen Schaden davongetragen hat, sei dahingestellt. Immerhin besteht bei § 223 StGB ein Strafantragserfordernis (§ 230 StGB) und bei § 224 StGB kann mit §§ 153, 153a StPO operiert werden. In schlimmeren Fällen – der Nothelfer hält mit Grund sogar den Tod des Angegriffenen als „Kollateralschaden“ für möglich – dürfte die Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags trotz eines an ein Wunder grenzenden Verteidigungserfolgs ohne Schädigung des Angegriffenen richtig sein. Nothilfe darf kein Glücksspiel mit dem Leben des Angegriffenen sein.  Mit dieser strafrechtlichen Sanktionierung ist aber die Übergriffigkeit des Nothelfers hinreichend vergolten. Eine zusätzliche Strafbarkeit wegen Verletzung des Angreifers halte ich für unbegründet.[63] Ein anderer beachtlicher Grund zur Ablehnung der Nothilfe ist das Interesse des Angegriffenen an Schonung des Angreifers.[64] Hier fällt mit der Bestrafung des Nothelfers wegen Verletzung des Angreifers die Sanktionierung der Missachtung des Gegeninteresses des Angegriffenen zusammen. Komplizierter wird die Rechtslage, wenn der Angriff von mehreren ausgeführt wird und der Angegriffene nicht allen Angreifern gegenüber ein Schonungsinteresse hat. „Aufgedrängt“ ist die Nothilfe in einem solchen Fall nur, soweit sie sich gegen den Angreifer richtet, an dessen Unversehrtheit der Angegriffene interessiert ist. Auch dieses Beispiel zeigt, dass eine differenzierungstaugliche Regelung einer „Alles-oder-nichts-Regelung“ vorzuziehen ist. Das ist mit dem Entwurf noch nicht in wünschenswerter Weise gelungen, Engländer und Rückert bieten aber auch nichts Besseres an.

 V. Subjektives Rechtfertigungselement 

Obwohl Engländer und Rückert dem Vorschlag der Entwurfsverfasser zum Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements und zur rechtlichen Konsequenz seines Fehlens (§ 34a StGB-E) ohne Einschränkung zustimmen[65], sind hier einige kritische Bemerkungen veranlasst.  Der Verzicht auf ein „voluntatives Element“ hat m.E. nichts mit der (Un-)Beachtlichkeit von Motiven zu tun. Ein „Motiv“ wäre der Fall, dass der Täter sich zur Abwehr des Angriffs veranlasst fühlt, weil er damit einer von ihm verehrten Frau imponieren will bzw. weil er den Angegriffenen mag. Beides ist für die rechtliche Bewertung der Tat irrelevant. Diskussionsbedürftig wird die Sache, wenn es dem Täter in der ersten Motiv-Variante egal ist, ob seine Verteidigungsaktion auch erfolgreich sein wird, also den Angriff abwendet. Ist der Eintritt dieses Erfolges mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten und weiß der Täter dies, bedarf es keiner über diese kognitive Einstellung hinausgehender voluntativen Begleitung der Handlung. Ob dem Täter der Abwehrerfolg egal, erwünscht oder unerwünscht ist, macht keinen Unterschied. Die Tat ist gerechtfertigt. Problematisch sind die Fälle, in denen es ex ante ungewiss ist, ob die erforderliche Verteidigung den Angriff tatsächlich abwenden wird.  Denkbar ist z.B. der Fall, dass der Täter aus großer Entfernung mit einem Gewehr auf den Angreifer schießt und es für möglich hält, dass der erste Schuss den Angreifer verfehlt oder zwar trifft, den Angriff aber noch nicht unterbindet. Hier sollte man von dem Täter verlangen, dass er von vornherein die Bereitschaft hat, noch einen zweiten oder dritten Schuss abzufeuern, um den Angegriffenen vor den Folgen eines erfolgreichen Angriffs zu bewahren. Schießt der Täter nur, um den Angreifer zu erschrecken und eventuell zu verletzen, ist ihm aber die mit seiner Handlung verbundene Rettung des Angegriffenen gleichgültig, halte ich die Verneinung einer Rechtfertigung für ein vertretbares Ergebnis. Dieser Fall steht in einer Reihe mit der vorläufigen Festnahme i.S.d. § 127 Abs. 1 S. 1 StPO, die der Festnehmer allein zu dem Zweck vollzieht, den Festgenommenen einige Stunden durch Einsperrung in einem dunklen Keller zu schikanieren, ohne die Polizei zu informieren und die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Festgenommenen zu ermöglichen.[66] Die „unvollkommene Zweiaktigkeit“ dieses Rechtfertigungsgrundes[67] ist auch in Notwehrfällen möglich. Deshalb ist die Verwendung des Wortes „Kenntnis“[68] zur Kennzeichnung des subjektiven Rechtfertigungselements nicht die beste Wahl. In Bezug auf den Verteidigungserfolg verkümmert die kognitive Komponente zu einer ex-ante-Prognose. „Kennen“ kann der Täter die gegenwärtigen Umstände, von denen auf einen mehr oder weniger sicheren künftigen Verteidigungserfolg geschlossen werden kann. Der Verteidigungserfolg selbst ist hingegen kein „Umstand“, den der Notwehrübende bei Ausführung der tatbestandsmäßigen Handlung schon „kennen“ kann.[69] Zum Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements bei fahrlässigen Taten dürfte das letzte Wort auch noch nicht gesprochen sein. Der Entwurfstext nimmt dazu nicht explizit Stellung, es sei denn, man deutet den Wortlaut dahingehend, dass das Kenntniserfordernis ohne Unterschied für vorsätzliche wie für fahrlässige Taten gilt. Jedenfalls geht die in Satz 2 der Entwurfsvorschrift offen gehaltene Versuchsstrafbarkeit in Bezug auf fahrlässige Taten gegenwärtig ins Leere, da das geltende Strafrecht keine Strafbarkeit fahrlässiger Versuche anerkennt. Natürlich kann § 34a S. 2 StGB-E nicht unter Umgehung des § 23 Abs. 1 StGB eine Strafbarkeit fahrlässiger Versuche begründen.

VI. Notwehrexzess

Die Einbeziehung des „vorzeitig-extensiven“ Notwehrexzesses in die Entschuldigungsvorschrift war in der Arbeitsgruppe sehr umstritten. Es überrascht nicht, dass Engländer und Rückert diese Weite des § 33 Abs. 1 S. 2 StGB-E kritisieren.[70] Die durchaus zutreffende Feststellung, nach dem Wortlaut der Vorschrift müsse es auch beim extensiven Notwehrexzess „tatsächlich zu einem gegenwärtigen Angriff gekommen sein“, ist aber kein überzeugendes Argument gegen die Berücksichtigung des vorzeitigen Exzesses. Dass der Täter seine prophylaktische Abwehr ausführte, bevor ein Angriff überhaupt begonnen hatte, schließt ja nicht aus, dass im Anschluss an die Verteidigung der Angriff stattfindet und vielleicht sogar erfolgreich durchgeführt wird. Der Exzess setzt nur voraus, dass mit der Verteidigung „zu früh“ begonnen wird, nicht, dass sie den Angriff bereits „im Keim erstickt“, es also niemals zu einem Angriff kommt. Sieht der Täter, wie der künftige Angreifer mit Angriffsvorbereitungen beginnt, begeht er einen vorzeitigen extensiven Notwehrexzess, wenn er schon in diesem Stadium aus Furcht vor dem bevorstehenden Angriff auf ihn einschlägt. Bleibt daraufhin der geplante Angriff im Vorbereitungsstadium stecken, liegt die Situation vor, auf die sich die Kritik von Engländer und Rückert richtet. Der Einwand, der Wortlaut des § 33 Abs. 1 S. 2 StGB-E („mit dem gegenwärtigen Angriff“) erfasse diesen Fall nicht, ist berechtigt. Anders, wenn der geprügelte Angriffsvorbereiter trotz Misshandlung den Angriffsplan verwirklicht. Wenn man also den Entschuldigungsgrund nicht auf den vorzeitigen Notwehrexzess ausdehnen will, muss das anders begründet werden. Meines Erachtens ist es der fehlende Kausalzusammenhang zwischen Angriff und asthenischem Affekt, der gegen die Gleichstellung von vorzeitigem und nachzeitigem Notwehrexzess spricht. Dass die Gemütserregung als solche kein ausreichender Grund für die Delegitimierung eines Schuldvorwurfs ist, zeigt am deutlichsten das Fehlen einer entsprechenden Regelung beim rechtfertigenden Notstand („Notstandsexzess“). Nur weil der Angreifer mit seinem rechtswidrigen Angriff eine erhebliche Mitverantwortung für den asthenischen Affekt trägt, ist die Straflosigkeit des exzessiv Notwehrübenden plausibel. Solange der Angreifer die Grenze zum gegenwärtigen Angriff noch nicht überschritten hat, wiegt seine Verantwortung für die Gemütslage des noch nicht Angegriffenen nicht schwer genug. Mit ihrem diesbezüglichen Hinweis, die Schuldminderung des Täters sei „nicht notwehr-, sondern notstandsbezogen“, haben Engländer und Rückert im Ergebnis Recht.

VII. Schluss

Fortschritte im Recht und in der Rechtswissenschaft resultieren aus einem Wettstreit, in dem der Konkurrent seinen in Vorlage gegangenen Mitstreiter entweder mit einer besseren Idee überholt oder durch mehr oder weniger gut begründete Kritik an dessen Vorschlägen zur Steigerung seiner Bemühungen anspornt.  Texte wie der von Engländer und Rückert sind deshalb sehr willkommen, weil sie uns alle weiterbringen und sei es auch nur dadurch, dass sie die Verfasser eines Gesetzesentwurfs auf Irrtümer aufmerksam machen. Denselben Effekt in der entgegengesetzten Richtung erhoffe ich mir von den eigenen Worten, zu denen mich die Kollegen inspiriert haben, wofür ich ihnen dankbar bin.

 

[1]      Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (123).
[2]      Rückert, Effektive Selbstverteidigung und Notwehrrecht, 2017, S. 250: „stiefmütterlich behandelt“.
[3]      So z. B. Krey/Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2022), Rn. 508; Rengier Strafrecht Allgemeiner Teil, 15. Aufl. (2023), § 18 Rn. 33; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, Bd. 3, 13. Aufl. (2019), § 32 Rn. 167.
[4]      Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 13. Aufl. (2021), § 15 Rn. 30; ders., KriPoZ 2022, 238 (244).
[5]      Dasselbe gilt für das Beispiel von Rosenau, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 32 Rn. 24: Der Eingekerkerte tötet das Kaninchen des Entführers.
[6]      Siehe auch Rückert, Effektive Selbstverteidigung, S. 257 ganz unten: „Wenn nur ungeeignete Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen, wäre deren Anwendung keine ‘Verteidigung’, sondern ‘Vergeltung’.“
[7]      An diesem Zustand nicht ganz unschuldig ist die Ausbildungsliteratur, weil viele Anleitungsbücher zwar Falllösungen und Schemata zur Notwehrprüfung präsentieren, dabei aber das Wort „Verteidigung“ nicht erwähnen, vgl. z.B.  Beulke/Zimmermann, Klausurenkurs im Strafrecht III, 6. Aufl. (2023), Rn. 79; Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2022), § 5 Rn. 20; Kudlich, Prüfe dein Wissen Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2021), Nr. 73 (S. 57); Valerius/Ruppert, Examenskurs Strafrecht, 2023, § 4 Rn. 16; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 53. Aufl. (2023), Rn. 551.
[8]      Zuletzt erlebt in der mündlichen Prüfung beim Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamt der Bundesländer Berlin und Brandenburg am 21.3. 2024.
[9]      Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 15 Rn. 32
[10]    Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), § 32 Rn. 26.
[11]    Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 32 Rn. 25; Krey/Esser, AT, Rn. 508; Rengier, AT, § 18 Rn. 33; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 171; Rosenau, in: SSW-StGB, § 32 Rn. 23.
[12]    Dies wird aber z.B. von Rengier, AT, § 18 Rn. 34 als geeignete Abwehr bewertet.
[13]    Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 169.
[14]    Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 171; Rückert, Effektive Selbstverteidigung, S. 259; krit. dazu Erb, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 32 Rn. 151.
[15]    Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 151.
[16]    Rengier, AT, § 18 Rn. 35: „Völlig ungeeignete Notwehrhandlungen kommen kaum vor.“
[17]    Mitsch, KriPoZ 2022, 238 (245).
[18]    Rengier, AT, § 18 Rn. 7.
[19]    Rengier, AT, § 18 Rn. 22
[20]    Rengier, AT, § 18 Rn. 32.
[21]    Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 34 Rn. 19.
[22]    Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 35 Rn. 7.
[23]    Rückert, Effektive Selbstverteidigung, S. 256, 258.
[24]    Rengier, AT, § 18 Rn. 66.
[25]    Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 15 Rn. 2.
[26]    Rückert, Effektive Selbstverteidigung, S. 260.
[27]    BGHSt 48, 207; BGH, NStZ 2022, 288.
[28]    Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 131.
[29]    Obwohl das Maß und die Grenze des Erforderlichen ex ante zu bestimmen sind, urteilen die Gerichte natürlich stets ex post, was die Gefahr impliziert, dass die ex-post-Perspektive Einfluss auf die Entscheidung gewinnt. 
[30]    In § 3 Abs. 1 S. 2 des österreichischen StGB wird die Vokabel „offensichtlich“ verwendet, um den Notwehrübenden vor rechtlichen Nachteilen nicht erkennbarer Unverhältnismäßigkeit oder Unangemessenheit zu bewahren.
[31]    Ähnlich Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 132.
[32]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (126).
[33]    Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017), § 7 Rn. 265.
[34]    Frisch, Strafrecht, 2022, § 4 Rn. 179 ff; Hardtung/Putzke, Examinatorium Strafrecht, 2016, Rn. 599; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. (1996), S. 344 ff; Kühl, AT, § 7 Rn. 168; Rengier, AT, § 18 Rn. 57 ff.; Valerius/Ruppert, Examenskurs, § 4 Rn. 30-40.
[35]    So wird beispielsweise die Nichtanwendbarkeit des § 32 StGB bei „Rettungsfolter“ im Nomos-Kommentar einfach damit begründet, dass Folter keine „Verteidigung“ sei, Kindhäuser, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 32 Rn. 87.
[36]    Man recherchiere dazu beispielsweise im Notwehrkapitel des Lehrbuches von Jescheck/Weigend, (S. 334-350).
[37]    Treffend B. Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2022), Rn. 361 Fn. 799: „Die Entwicklung ist hier noch im Fluss“.
[38]    Bei Krey/Esser, AT, ist allein die „Notwehr gegen Schweigegelderpressung“ aufgeführt (Rn. 565), bei Wessels/Beulke/Satzger, AT zusätzlich die „Abwehr rechtswidriger Polizeimaßnahmen“ (Rn. 545); letzteres nicht bei Rengier, AT, dafür „Folter“ (Rn. 94-99) und „Nothilfe beim tatbestandslosen Schwangerschaftsabbruch (Rn. 100); Murmann, Grundkurs Strafrecht, 7. Aufl. (2022), erwähnt „Schweigegelderpressung“ (§ 25 Rn. 103) sowie „Rettungsfolter“ (§ 25 Rn. 104); ebenso Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2020), § 15 Rn. 100-107c; Eisele/Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2023), Rn. 247 ff; Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Aufl. (2023), § 16 Rn. 27 ff und Hilgendorf/Valerius, AT, § 5 Rn. 43 ff. nennen gar keine Einschränkungen jenseits der anerkannten klassischen Gruppen.
[39]    Bei Perron/Eisele, in:  Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 32 Rn. 62 a wird die Rettungsfolter unter „Gebotenheit“ eingeordnet, dagegen die „Notwehr gegen erpresserische und nötigende Drohungen“ als ein Thema der „Gegenwärtigkeit“ behandelt, a.a.O. Rn. 18. Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024) behandelt die Verteidigung gegen Schweigegelderpressung als Gebotenheits-Problem (§ 32 Rn. 38) und diskutiert über „Folter als Nothilfe“ (§ 32 Rn. 13) ohne erkennbare Zuordnung zu einem bestimmten Merkmal des § 32 StGB.
[40]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (127).
[41]    Schmitz, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 243 Rn. 61.
[42]    Grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Rückgriff auf § 13 StGB im vorliegenden Zusammenhang Koschmieder, StV 2024, 138 (140); ähnlich Engländer, NStZ 2016, 527 (528); Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 100.
[43]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (128).
[44]    Hoven/Mitsch, GA 2023, 241 (254).
[45]    So Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (128).
[46]    Seit Mitsch, GA 1986, 533 ff; Mitsch, Strafbare Provokation strafbarer Taten, 1986, S. 109 ff.
[47]    Ebenso Hardtung/Putzke, Examinatorium, Rn. 608.
[48]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (128).
[49]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (130).
[50]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (130).
[51]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (130).
[52]    Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 143; Mitsch, Strafrecht in der Examensklausur, 2022, § 10 Rn. 8.
[53]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (130); ebenso Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 206.
[54]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (131).
[55]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (131).
[56]    Anders Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (131).
[57]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (133).
[58]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (131).
[59]    Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444 (445).
[60]    Mitsch, KriPoZ 2022, 238 (246).
[61]    Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444 (445) Fallkonstellation 4.
[62]    Nicht bloß das „Selbstbestimmungsrecht“ oder die „Autonomie“ des Angegriffenen, so aber anscheinend Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444 (447); Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (132).
[63]    Mitsch, KriPoZ 2022, 238 (246).
[64]    Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444 (445) Fallkonstellation 2.
[65]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (134).
[66]    Mitsch, Strafrecht in der Examensklausur, § 10 Rn. 21.
[67]    Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 14 Rn. 49.
[68]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (134).
[69]    Unzulässige Verkürzung der kognitiven Komponente ist jedoch die Reduzierung auf „Kenntnis der Notwehrlage“, so Valerius/Ruppert, Examenskurs, § 4 Rn. 41. Zumindest die objektiven Notwehrmerkmale „Verteidigung“ und „erforderlich“ sind taugliche Kenntnis-Gegenstände.
[70]    Engländer/Rückert, GA 2024, 121 (135).

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung.

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen