Michael Koenen: Auswertung von Blockchain-Inhalten zu Strafverfolgungszwecken

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2023, Nomos, ISBN: 978-3-7560-1099-8, S. 424, Euro 129,00.

Die Blockchain-Technologie ist eine Technologie zur dezentralen Datenverwaltung und trat erstmalig im Zusammenhang mit der virtuellen Kryptowährung Bitcoin in Erscheinung. Die Technologie ist aber nicht auf Kryptowährungen beschränkt, sondern kann zur Datenverwaltung insgesamt verwendet werden. Eine wesentliche Eigenschaft der Blockchain-Technologie ist, dass die verwalteten Daten in der Regel öffentlich verfügbar sind. Das macht sie dann auch so interessant für Strafverfolgungsbehörden, da ein Zugriff praktisch ohne weiteres möglich ist. Doch nicht alles, was praktisch möglich ist, ist auch rechtlich zulässig. Daher geht die Dissertation der Frage nach, ob der Einsatz von systematischen Auswertungsmethoden bei Blockchains zu Strafverfolgungszecken grundsätzlich nach der bisher geltenden Rechtslage zulässig sein kann.

Zunächst wird sich der technischen Darstellung gewidmet und diese anhand des Bitcoin-Systems vorgestellt. Danach wird die Blockchain-Technologie außerhalb des Bitcoin- und Kryptowährungskontextes sowie weitere blockchain-basierte Anwendungen beschrieben.

Kapitel 3 widmet sich dann den technischen Auswertungs- und Ermittlungsmöglichkeiten bei Blockchain-Systemen. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass in der Blockchain enthaltene Transaktionsdaten verschiedenste Ansatzpunkte zur Auswertung enthalten. Beispielsweise können eine Vielzahl von Bitcoin-Adressen einer einzelnen Entität zugeordnet werden. Zudem können die Transaktionen insgesamt nach typischem und auffälligem Transaktionsverhalten analysiert werden, bei denen bestimmte Auffälligkeiten auf illegale Aktivitäten hindeuten können. Derartige Auffälligkeiten können sogar noch präziser ermittelt werden, wenn die Hintergründe von einzelnem Transaktionsverhalten bekannt sind, um diese als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Allerdings macht der Verfasser auch gleich Limitierungen dieser Erkenntnis deutlich, da die Auswertungsmöglichkeiten einem steten Wandel unterlägen, so dass diese nicht abschließend oder allgemeingültig seien.

Weiterhin wird festgestellt, dass die Transaktionsdaten der Blockchain durch anderweitig verfügbare Daten aus dem Internet angereichert werden können, um Ermittlungsergebnisse zu erhalten. Aber auch hier räumt der Verfasser ein, dass die Auswertungsmöglichkeiten stark vom Nutzungsverhalten des Betroffenen oder von technischen Eigenheiten abhängen und insoweit nicht allgemeingültig  sind. Dies  macht es natürlich für Ermittlungsbehörden trotz prinzipieller Zugriffsmöglichkeit nicht einfacher und die in der Dissertation gewonnen Befunde sind immer vorläufige, die dem steten Wandel unterliegen. Dies ist aber keine Schwäche der Dissertation, sondern vielmehr der Schnelllebigkeit des Untersuchungsgegenstandes geschuldet.

Nach der Darlegung er technischen Funktionsweisen unterschiedlichster Ermittlungsansätze wird in Kapitel 4 der Frage nachgegangen, ob und in welche Grundrechte ein Eingriff durch diese Ermittlungsmöglichkeiten vorliegen könnte. Der Verfasser kommt nach umfangreicher Untersuchung zu dem Ergebnis, dass bei der Auswertung von Blockchain-Inhalten und der damit im Zusammenhang stehenden Daten lediglich ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben ist und dies auch erst dann, wenn über die bloße Kenntnisnahme bzw. das Herunterladen der Daten hinaus weitergehende Datenverarbeitungen vorgenommen werden. Allerdings weist der Verfasser darauf hin, dass jede über die Kenntnisnahme hinausgehende Datenverarbeitungsmaßnahme einen eigenständigen Grundrechtseingriff darstellt. Dies sei relevant, da die Auswertungsmethoden zu Strafverfolgungszwecken in der Praxis nicht einzeln und unabhängig voneinander stattfinden, sondern miteinander kombiniert werden. Für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs sei daher insbesondere zu berücksichtigen, dass einerseits jede Datenverarbeitungsmaßnahme für sich genommen auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gestützt werden müsse und andererseits auch für die Kombination der Datenverarbeitungsmaßnahmen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage erforderlich sei.

Daher wird in Kapitel 5 umfassend auf 170 Seiten der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nachgespürt. Nach ausführlichen Erörterungen insbesondere auch von § 98a StPO als Ermächtigungsgrundlage – der aber abgelehnt wird – kommen für den Verfasser als Ermächtigungsgrundlage nur die Ermittlungsgeneralklauseln der §§ 161, 163 StPO in Betracht. Dabei genügten die einschlägigen Ermittlungsgeneralklauseln grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Allerdings könnten sie nur eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für geringfügige Grundrechtseingriffe darstellen, da sie als Generalklauseln relativ unbestimmt und daher bei der Ermittlung sämtlicher Straftaten einschlägig seien, so dass ihr Heranziehen nur bei geringfügigen Grundrechtseingriffen verhältnismäßig sein könne. Ob jetzt bei den in der Dissertation vorgestellten Auswertungsmethoden nur ein solcher geringfügiger Grundrechtseingriff vorläge, hänge maßgeblich davon ab, ob eine geringe Streubreite vorläge. Und dies wiederum hänge von dem konkreten Einsatz der Auswertungsmethoden ab. Einschränkend stellt der Verfasser daher fest, dass die §§ 161, 163 StPO nur dann als verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Auswertungsmethoden in Betracht kommen, wenn die unmittelbaren Blockchain-Daten nur im konkreten Verdachtsfall und auch nur in Bezug auf diesen konkreten Verdachtsfall ausgewertet werden. Zudem müsse technisch sichergestellt werden, dass Daten, die nicht Gegenstand des konkreten Verdachts sind, ausgesondert werden. Darüber hinaus könne das öffentlich zugängliche Internet auch anlassbezogen nach weiteren Informationen durchsucht werden. Alle anderen vorgestellten Auswertungsmethoden könnten nicht auf die Ermittlungsgeneralklausel gestützt werden, insbesondere auch nicht die Kombination unterschiedlicher Auswertungsmethoden.

Insofern macht der Verfasser einen de lege ferenda Vorschlag, um sämtlich vorgestellte Auswertungsmethoden auf eine rechtliche Ermächtigungsgrundlage zu stellen. Hierzu formuliert er einen neuen § 98a Abs. 2 S. 2 StPO-E: „Zu diesem Zweck sind die Strafverfolgungsbehörden außerdem ermächtigt, allgemein zugängliche Daten zu erheben und für den Abgleich zu verarbeiten“ (S. 372). Durch diesen Zusatz könne gewährleistet werden, dass sämtliche dargestellte Auswertungsmethoden in den Anwendungsbereich der Rasterfahndung nach § 98a StPO fallen würden. Durch die Erfassung maschineller Datenabgleiche der dargestellten Auswertungsmethoden in § 98a StPO könne außerdem gewährleistet werden, dass die mit den Auswertungsmethoden verbundenen Grundrechtseingriffe in einem angemessenen Verhältnis zu den mit  ihnen  verfolgten  Zwecken stünden.  Denn anders als bei den Ermittlungsgeneralklauseln setze § 98a Abs. 1 StPO das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung aus dem Katalog der Nrn. 1-6 voraus. Insoweit könne eine entsprechende Begrenzung des Grundrechtseingriffs vorgenommen werden. Zudem würde der gesteigerten Grundrechtsintensität durch den in § 98a StPO enthaltenen Richtervorbehalt Rechnung getragen.

Ein datenschutzrechtlicher Exkurs in Kapitel 6 kommt zu dem Ergebnis, dass der Anwendungsbereich der DSGVO für die beschriebenen Auswertungsmethoden eröffnet ist.

Da einige Auswertungsmethoden unter die Ermittlungsgeneralklauseln gefasst werden könnten und andere nicht, spricht sich der Verfasser zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit für eine Neuregelung dieser Ermittlungsmöglichkeiten und eine Ermächtigungsgrundlage gemäß seines de lege ferenda Vorschlags aus. Insofern bietet diese Dissertation die Diskussionsgrundlage für eine aufgrund des technischen Fortschritts ggf. – wieder einmal – erforderliche Nachjustierung der Strafprozessordnung. Dabei werden jedoch auch die Limitierungen deutlich, die der Verfasser nicht verheimlicht, sondern immer wieder im Laufe seiner Schrift anspricht: nämlich, dass auch die Auswertungsmethoden diffiziler werden können und einem Wandel unterliegen. Insofern ist auch der vielfach beschriebenen Technikoffenheit der Strafprozessordnung bei der Formulierung neuer Ermächtigungsgrundlagen Rechnung zu tragen.

 

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