Gesetzentwürfe:
- Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen: BT-Drs. 20/14025
- Empfehlungen der Ausschüsse: BR-Drs. 589/1/24
- Stellungnahme des Bundesrates: BR-Drs. 289/24(B)
- Gesetzentwurf der Bundesregierung: BT-Drs. 20/14342
- Strategie der Bundesregierung zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt nach der Istanbul-Konvention 2025 bis 2030: BT-Drs. 20/14479
Die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben am 4. Dezember 2024 einen Gesetzentwurf für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in den Bundestag eingebracht. Dunkelfeldbefragungen hätten gezeigt, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer physischer oder sexualisierter Gewalt geworden ist. Laut Lagebild des BKA wurden im Berichtsjahr 2023 jeden Tag mehr als 364 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt, wobei nahezu jeden zweiten Tag ein Fall tödlich endete. Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt stieg 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 % an. Dabei sind 79,2 % der Opfer von Partnerschaftsgewalt und 70,5 % der Opfer häuslicher Gewalt weiblich. Die Zahlen zeigen aber, dass auch Jungen und Männer in beträchtlichem Maß betroffen sind. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folge nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern auch die Verpflichtung des Staates, das Leben und die körperliche Unversehrtheit jedes Einzelnen vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu schützen, wenn der Grundrechtsberechtigte selbst nicht dazu in der Lage ist. Häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt sei ein strukturelles gesamtgesellschaftliches Problem massiven Ausmaßes. Das Angebot an Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen sei jedoch nicht flächendeckend genug oder es fehlten dort Kapazitäten. Ebenso fehle es an passgenauen Angeboten für Menschen mit besonderen Bedarfen und die Kostenübernahme sei nicht immer einfach zu klären. Der Gesetzentwurf sieht daher eine bundeseinheitliche Regelung zum Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt vor. Es soll für jeden Mensch, der von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt betroffen ist, ein bedarfsgerechtes Netz an Schutz- und Beratungsangeboten bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Damit soll letztlich auch der Umsetzung der Istanbul-Konvention Rechnung getragen werden.
Am 20. Dezember 2024 hat sich der Bundesrat mit dem Entwurf der Fraktionen beschäftigt und entsprechend der Empfehlungen der Ausschüsse Stellung genommen (BR-Drs. 289/24(B)). Am 2. Januar 2025 hat die Bundesregierung einem dem Fraktionsentwurf gleichlautenden Entwurf in den Bundestag eingebracht.
Am 27. Januar 2025 fand im Familienausschuss eine Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Entwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen fanden bei den Expert:innen überwiegend Zuspruch. Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund betonte, dass die Einführung eines Gewalthilfegesetzes einen notwendigen Paradigmenwechsel darstelle, der dem DJB ein „prioritäres Anliegen“ sei. Sie forderte, die Wohnsitzauflage und die Meldepflicht laut Aufenthaltsgesetz aufzuheben, damit auch „migrierte und geflüchtete Frauen und TIN-Personen“ auf diese Weise Hilfe in Anspruch nehmen könnten. Mit Blick auf die Probleme bei der Finanzierung von ambulanten Fachberatungsstellen, begrüßten auch Stefanie Fraaß vom AWO-Landesverband Bayern und Katja Griegervom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe die Gesetzesentwürfe. Sie wünschten sich eine unbefristete finanzielle Beteiligung des Bundes. Grieger plädierte zudem ebenfalls für eine Aufnahme von trans-, inter- und nicht-binären Personen. Sylvia Haller von der Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser verdeutlichte die Dringlichkeit des Gewalthilfegesetzes. “Jeder Moment, der vergeht, ist mehr Zeit in einer lebensgefährlichen Situation, weil Frauen mit ihren Kindern keinen Platz im Frauenhaus finden oder aus anderen Gründen nicht aufgenommen werden können“, so Haller. Ähnlich argumentierte Prof. Dr. Barbara Kavemann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Es sei überfällig, dass Angebote zum Schutz und zur Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in einen Rechtsanspruch überführt würden. Das Gesetz trage einen maßgeblichen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, gewaltfreiem Aufwachsen, sozialer Gerechtigkeit und damit sozialem Zusammenhalt bei. Erika Krause-Schöne vom Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei erläuterte, dass derzeit mehr als 14.000 Frauenhausplätze in Deutschland fehlten, was auch die Polizei vor große Herausforderungen stelle. Schutzbedürftige seien so meist nicht adäquat unterzubringen. Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung sah in dem Gewalthilfegesetz eine Chance, „den Ländern die Regie über gewachsene Strukturen zu lassen, sie aber durch aktive Finanzunterstützung zu einem Mehr zu animieren“, so dass ihrem Wunsch nach bis spätestens 2030 „alle Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt verlässlich und garantiert ein bedarfsgerechtes Angebot für Beratung und Schutz erhalten“. Monne Kühn vom Verein Frauen- und Kinderhaus Uelzen sowie Dennis Triebsch, Leiter des Amtes für Soziale Leistungen, Senioren und Menschen mit Behinderung der Stadt Augsburg kritisierten die Einbeziehung jeglicher Geschlechtsidentität in das Gewalthilfegesetz. Während Kühn bei Mitbewohnern männlichen Geschlechts in Frauenhäusern die Gefahr einer Retraumatisierung und Verunsicherung von betroffenen Frauen sah, legte Triebsch den Fokus auf die Kosten. Frauen seien am, häufigsten von Gewalt betroffen. Ein Rechtanspruch für alle sei nicht in angemessener Zeit und mit angemessenen Kosten umzusetzen. Vertreterinnen und Vertreter vom Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag sowie dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sprachen sich mit Blick auf den Fachkräftemangel und die Dauer von Bauvorhaben für ein Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung zum 1. Januar 2030 aus.
Am 14. Februar hat sich der Bundesrat mit dem Entwurf beschäftigt und dem Gewalthilfegesetz zugestimmt. Es soll bereits am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten. Damit die Länder Gelegenheit haben, die Voraussetzungen zu erfüllen, tritt der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung am 1. Januar 2030 in Kraft.