Abstract
Seit einiger Zeit wird zunehmend über eine Strafbarkeit von Aussagen mit antisemitischem Charakter auf Kundgebungen und Demonstrationen diskutiert. Sowohl das Tragen sogenannter „Ungeimpft“-Sterne im Kontext der Corona-Proteste als auch antiisraelische Parolen im Nachgang der Terroranschläge der radikal islamistischen Hamas im Oktober 2023 ließen Forderungen nach strafrechtlichen Reaktionen laut werden. Der Beitrag beleuchtet das Spannungsfeld zwischen legalem Protest und strafwürdigem Antisemitismus im Lichte der Meinungsfreiheit exemplarisch anhand der genannten Beispiele und bezieht dabei die aktuelle Diskussion um eine Reform des § 130 StGB ein.
Recently, there has been increasing discussion about criminalizing statements of an anti-Semitic nature at rallies and demonstrations. Both the wearing of so-called “unvaccinated” stars in the context of the Corona protests and anti-Israeli slogans in the aftermath of the terrorist attacks by the radical Islamist Hamas in October 2023 have led to calls for criminal responses and the expansion of existing regulations. This article examines the tension between legal protest and punishable anti-Semitism, using the examples given, and incorporates the current discussion about a reform of § 130 StGB.
I. Grundsätzliches: Strafrecht zum Schutz vor Antisemitismus?
Die terroristischen Anschläge der Hamas in Israel vom Oktober 2023 haben weltweit für Entsetzen gesorgt, sie lösten jedoch auch antisemitische Reaktionen aus. In Deutschland kam es bei pro-palästinensischen Demonstrationen zu Äußerungen antisemitischer Parolen,[1] Häuser wurden mit dem Judenstern markiert[2] und jüdische Einrichtungen angegriffen.[3]
Die aktuellen Ereignisse sind Anlass für verschiedene Gesetzesinitiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland zu verbessern. Dies betrifft nicht nur das Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht,[4] sondern auch das Strafrecht. Vor dem Hintergrund der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für den Schutz jüdischen Lebens müsse der Gesetzgeber, so die CDU/CSU Fraktion im Bundestag, „ein klares Zeichen gegen Antisemitismus und judenfeindliche Tendenzen setzen und daher eine nachdrückliche Strafverfolgung antisemitischer Straftaten ermöglichen“.[5] Die Sicherheit Israels und seiner Bürger sei, so hört man derzeit häufig, „deutsche Staatsräson“,[6] die konsequente Ahndung antisemitischer Straftaten daher eine unverhandelbare Aufgabe der deutschen Strafjustiz.
In der Politik wird davon ausgegangen, dass das Strafgesetzbuch Lücken im Schutz vor antisemitischer Hetze aufweist und damit der „gesamtgesellschaftlichen wie auch forensischen Bedeutung, die antisemitisch motivierten Taten zukommt, bislang nicht ausreichend Rechnung“[7] trägt. Die eingebrachten Gesetzesvorschläge zielen auf eine Erweiterung des Strafrechts im Bereich der Äußerungsdelikte, der Bildung terroristischer Vereinigungen und bei unfriedlichen Versammlungen ab.[8] Bereits im September 2023 wurde vom Land Nordrhein-Westfalen ein Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht, mit dem vor allem Hetze in „Polizeichats“ strafrechtlich besser erfasst werden sollte.[9]
Die mit den strafrechtlichen Gesetzentwürfen verfolgten Anliegen sind grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings müssen Gesetzesinitiativen, die im Lichte aktueller Ereignisse vorgeschlagen werden, in besonderer Weise mit Bedacht erfolgen. Dies gilt vor allem für Strafgesetze, die tief in die Rechte der Betroffenen eingreifen.
Erweiterungen strafrechtlicher Bestimmungen können sinnvoll sein, wenn aktuelle Ereignisse ein Schlaglicht auf bestehende Regelungsdefizite werfen oder neue Formen strafwürdigen Verhaltens auftreten, für die das Recht bislang keine Sanktionen vorsieht. Problematisch ist eine Ausdehnung des Strafrechts hingegen dann, wenn die vorgeschlagenen Strafrechtsverschärfungen in erster Linie einer symbolischen Bekräftigung gesellschaftlicher Werte dienen und dabei die besonderen Herausforderungen und Risiken strafrechtlicher Verbotsnormen außer Acht lassen.[10] Zielt die Reform auf die Regelung eines konkreten Sachverhaltes ab – und ist nicht Ausdruck einer grundlegenden und überlegten Neubewertung der Rechtslage –, so besteht die Gefahr, dass die Folgen der Gesetzesänderung nicht hinreichend bedacht werden. (Straf-)Gesetze sind in aller Regel auf eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte anwendbar. Ein Straftatbestand muss aber für jede Konstellation, die unter die Norm subsumiert werden kann, zu einer angemessenen Rechtsfolge führen, also eine Strafbarkeit als schärfste staatliche Reaktion legitimieren können.[11]
Die Tatsache, dass eine Strafrechtserweiterung für den konkret anvisierten Fall sinnvoll ist, darf den Blick auf ihre weiterreichenden Wirkungen nicht verstellen; das gilt vor allem dann, wenn sie, wie hier, sensible Grundrechte wie die Meinungsfreiheit berührt. Eine Demokratie lebt von Rede und Gegenrede,[12] von Widerspruch zu herrschenden Vorstellungen. Meinungsfreiheit ist ein Minderheitsrecht.[13] Diese Überzeugung bildet sich ab in einem weiten Verständnis der Meinungsfreiheit, das Äußerungen unabhängig davon schützt, ob sie „begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos“ sind.[14] Die Kategorie des Rechtsstaat ist, so der ehemalige Richter am BVerfG Masing, „nicht die Moral, sondern das friedliche Zusammenleben“[15], in einer freiheitlichen Demokratie darf Anknüpfungspunkt für ein Verbot also nicht die Gefährlichkeit einer Meinung selbst sein, sondern „erst die über den Ideenaustausch hinausgehende Gefährdung von Rechtsgütern“.[16] Jedes Gesetz, das Äußerungen unter Strafe stellt, muss mit großer Vorsicht und besonnener Zurückhaltung erlassen werden.[17] Es muss im Blick behalten werden, dass Strafgesetze – auch in ihrer Kumulation – die kommunikativen Freiheitsräume der Bürger nicht unverhältnismäßig zurückdrängen dürfen.[18] Empörung – auch die berechtigte – ist hier ein Risiko für gute Gesetzgebung, denn sie verlangt nach sofortigen und harten Antworten, sie gibt Freiheit zu Gunsten von Sicherheit auf und lässt wenig Raum für kritisches Hinterfragen.
Strafrechtsänderungen als Reaktion auf aktuelle politische Ereignisse bergen zudem die Gefahr, das Strafrecht mit Erwartungen zu überfordern und zugleich effektivere Maßnahmen der Problemlösung in den Hintergrund zu drängen.[19] Strafrecht kann zu einer nachhaltigen „Bekämpfung“ von Antisemitismus nur einen begrenzten Beitrag leisten; Verbote sind ein Baustein, nicht die Lösung. Der Kampf gegen antisemitischen Hass ist ein Bildungsauftrag und eine Integrationsfrage, Respekt für jüdisches Leben zu gewährleisten, Kritik an der Politik eines Staates von der Ablehnung seines Existenzrechts zu trennen, eine gesellschaftliche Herausforderung, für die eine Gesellschaft mehr investieren muss als ein Verbotsgesetz zu erlassen. Allerdings muss sich das Strafrecht an diesen Zielen auch nicht messen lassen. Ist ein Verhalten strafwürdiges Unrecht, so ist Strafe die richtige Antwort, sie muss sich nicht durch präventive Wirkungen legitimieren.[20]
Der Beitrag möchte sich mit zwei Aspekten befassen, in denen das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Schutz vor antisemitischen Äußerungen in besonderer Weise virulent geworden ist: Das Tragen von „Ungeimpft“-Sternen als Ausdruck von politischem Protest ohne Bezug zu jüdischen Menschen (II.) und das „Leugnen“ des Existenzrechts Israels als Folge des Nahostkonflikts (III.).
II. Antisemitismus oder Protestmittel: Das Tragen von Ungeimpft-Sternen
Die Covid-19-Pandemie hat zu erheblichen gesellschaftlichen Spannungen geführt. Neben den zahlreichen Freiheitsbeschränkungen waren insbesondere die 2G-Plus-Regeln und die Diskussionen über eine Impfpflicht Anlass für intensive Auseinandersetzungen. Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden, wurden in der öffentlichen Diskussion teilweise heftig – und teilweise unsachlich[21] – als unsolidarisch und als Treiber der Pandemie kritisiert. Ihnen wurde über einen langen Zeitraum der Zutritt zu Restaurants, Kinos und Sportveranstaltungen verweigert, ihr soziales Leben zunehmend auf den häuslichen Bereich beschränkt.
Der weitgehende Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben hat bei vielen Personen ohne Impfung nicht zu einem Umdenken, sondern zu Wut auf Politik und Mehrheitsgesellschaft geführt.[22] Diese äußerte sich in Telegram-Chats, auf Demonstrationen und „Spaziergängen“. Dabei wurde ein Phänomen sichtbar, das für das Strafrecht interessante Fragen aufwirft: Demonstranten trugen aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen gelbe „Judensterne“ mit der Aufschrift „Ungeimpft“. In Berlin wurde ein Mann vom AG Tiergarten wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt; er hatte einen gelben Davidstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ auf Facebook verbreitet. In dem Post war der gelbe Stern mit der Überschrift „Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen“ abgebildet.[23] In Würzburg ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Personen, die bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen zwar keinen „Judenstern“, aber runde gelbe Aufkleber mit der Aufschrift „Ungeimpft“ getragen hatten.[24]
Ob das Tragen eines „Ungeimpft“-Sterns von § 130 Abs. 3 StGB erfasst wird, hängt im Wesentlichen von zwei Aspekten ab: (1) Wird durch die Tat ein hinreichender Bezug zu einer „unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art“ hergestellt? und (2) Ist in dem Vergleich der eigenen Situation mit der Lage der Juden im Nationalsozialismus eine „Verharmlosung“ zu sehen?[25]
1. Die Bezugshandlung: Eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art
Nach dem Gesetzestext des § 130 Abs. 3 StGB muss sich die Tathandlung auf eine „unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art“ beziehen. In § 6 VStGB ist die Strafbarkeit des Völkermordes geregelt. Danach wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft, wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
- ein Mitglied der Gruppe tötet,
- einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
- die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
- Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,
- ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt.
Bei Vergleichen von Ungeimpften mit der Situation der europäischen Juden während der NS-Herrschaft kommt eine Bezugnahme auf Taten nach Art des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB in Betracht. Darunter würde etwa die Schaffung unmenschlicher Lebensbedingungen durch die Einweisung der Juden in Konzentrationslager fallen.[26] Die Schwelle der Nr. 3 ist hierbei aber hoch anzusetzen, es geht bei allen Varianten des § 6 VStGB um solche Angriffe auf eine Gruppe, die auf eine Existenzvernichtung gerichtet sind. Es genügen grundsätzlich weder Einschränkungen der Freizügigkeit, noch die Plünderung von Eigentum und die Zerstörung kultureller Objekte; selbst die Vertreibung einer (Teil-)Gruppe ist nicht ohne Weiteres ausreichend, um die hohe Schwelle der Nr. 3 zu erreichen.[27]
Die Verpflichtung der Juden zum Tragen eines „Judensterns“ [28] stellt für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 VStGB dar.[29] Dass die Pflicht zum Tragen des Sterns eine Vorstufe für die spätere Vernichtung der jüdischen Bevölkerung darstellte, genügt nach dem Wortlaut der Norm nicht.
In der Rechtsprechung wurde dieser Aspekt hingegen teilweise anders gewertet. So hatte das AG Saarbrücken einen Fall zu entscheiden, in dem das Bild eines „Judensterns“ gepostet worden war, wobei die Inschrift „Jude“ durch die in gleicher Schriftart dargestellten Wörter „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“ ersetzt worden war.[30] Das AG Saarbrücken bejahte eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 3 StGB mit den folgenden Erwägungen:
„Im September 1941 trat die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ in Kraft. Die hierauf basierende Kennzeichnung mit dem sogenannten Judenstern, die zunächst zur sozialen Isolation und Stigmatisierung des jüdischen Volkes führte und den Prozess der Ghettoisierung weiter förderte, mündete schließlich in Berufsverboten und der schrittweisen Entrechtung und Enteignung von Juden. Die Einführung der Pflicht zum Tragen des Judensterns war damit eine der letzten Maßnahmen der Nationalsozialisten zur Vorbereitung und vor Beginn der Deportationen.“[31]
Das Gericht stützt sich ausdrücklich darauf, dass die Verpflichtung zum Tragen des „Judensterns“ eine Maßnahme zur Vorbereitung der Deportation war. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist aber die Bezugnahme auf eine Völkermordhandlung strafbar und nicht die Bezugnahme auf eine Vorbereitungshandlung für einen Völkermord. Die Auslegung des Gerichts ist daher mit dem Wortlaut von § 130 Abs. 3 StGB nicht mehr vereinbar.[32]
Einen anderen Begründungsansatz wählte etwa das AG Augsburg. Der Angeklagte hatte ein Plakat gezeigt, auf dem sich ein gelber „Judenstern“ und der Zeitraum „1933 – 1945“ befand, auf der anderen Seite das Logo der AfD sowie der Text „2013 – ?“. Das Gericht bejahte die Voraussetzungen von § 130 Abs. 3 StGB mit der Begründung, dass „der auf dem Plakat abgebildete Judenstern ein Symbol für die Judenverfolgung schlechthin darstellt“ und der „Vergleich des Angeklagten […] daher nur als Vergleich mit der systematischen Verfolgung der Juden verstanden werden“ könne.[33]
Der „Judenstern“ wird damit nicht auf seine unmittelbare Kennzeichnungsfunktion beschränkt, sondern weitergehend als Symbol für die Vernichtung der europäischen Juden verstanden.[34] Dieses Verständnis findet sich teilweise[35] auch in der Geschichtswissenschaft, etwa wenn Georgiev schreibt, dass der „‘Gelbe Stern‘ […] zum Symbol für die Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten geworden“ sei.[36] Aus geschichts- oder politikwissenschaftlicher Perspektive ist die Deutung des „Judensterns“ als allgemeines Symbol für Vernichtung und Völkermord naheliegend. In der Geschichtswissenschaft werden Sachverhalte stets auch kausal und konsekutiv in sinnhafte Zusammenhänge gestellt.[37] Für die rechtswissenschaftliche Normanalyse ist diese Vorgehensweise allerdings nicht übertragbar: unter die im Tatbestand beschriebenen Handlungen muss – gerade wenn hier unmittelbar auf einen Rechtstext verwiesen wird – präzise subsumiert werden; eine symbolische Ausdehnung der in Bezug genommenen Akte ist eine Überdehnung des Wortlautes.
Hinzu tritt, dass die Einordnung der vom Täter relativierten Handlung als Akt des Völkermordes nach 6 § VStGB den Straftatbestand in § 130 Abs. 3 StGB maßgeblich prägt. Dies wird insbesondere deutlich im Vergleich mit § 130 Abs. 4 StGB, der nicht an konkrete Handlungen des Völkermords anknüpft, sondern jede Bezugnahme auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft genügen lässt (und im Gegenzug die Tathandlungen enger umgrenzt und ein Verharmlosen nicht erfasst). Diese vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Unterscheidung zwischen den beiden Tatbeständen würde eingeebnet, wenn eine symbolische Bezugnahme auf die Grausamkeiten des Holocausts auch für § 130 Abs. 3 StGB ausreichen würde.
Anders dürfte sich die rechtliche Bewertung in Fällen darstellen, in denen ein direkter Bezug zur Vernichtung von Menschen vorliegt. Im Mai 2020 hatte etwa ein Mann auf einer Anti-Corona-Demonstration in Freiburg ein Schild mit der Aufschrift „Impfen macht frei“ im Stil des Eingangstors zum Konzentrationslager Auschwitz mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ hochgehalten.[38] Hier läge aufgrund des unmittelbaren Bezugs auf das Konzentrationslager Auschwitz eine Bezugnahme auf den massenhaften Mord an Juden in Konzentrationslagern und damit eine Bezugnahme auf eine Handlung der in § 6 VStGB bezeichneten Art nahe.
2. Verharmlosen i.S.d. § 130 Abs. 3 StGB?
Weiterhin stellt sich die Frage, ob das Tragen eines „Ungeimpft“-Sterns als ein „Verharmlosen“ der Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung zu verstehen ist. Dies setzt voraus, dass der Täter „das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert“.[39] Nach der Rechtsprechung des BGH sollen dabei „alle denkbaren Spielarten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Missachtung“ erfasst sein.[40] Bei relativierenden Aussagen soll „der inhaltliche Gesamtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Zuhörers […] unter Berücksichtigung der Begleitumstände“ ermittelt werden.[41]
Hierbei stellt sich eine grundsätzliche Frage, die erstaunlicherweise weder im saarländischen noch im bayrischen „Judenstern“-Verfahren thematisiert wurde: Es ist zweifelhaft, ob auch solche Vergleiche ein „Verharmlosen“ darstellen, mit denen auf eigene Unrechtserlebnisse hingewiesen werden soll. Denn die Zielrichtung des Angriffs ist hier eine andere: Die Impfgegner möchten das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht gerade nicht bagatellisieren, sondern das eigene Leid aufwerten. Dies setzt voraus, dass die Verbrechen gegen die Juden anerkannt werden: Nur wer davon ausgeht, dass den Juden schwerstes Leid zugefügt wurde, kann unter Berufung auf ihre Situation die eigene Behandlung als staatliches Unrecht kritisieren.
Entsprechende Erwägungen finden sich etwa auch in verschiedenen – allerdings nicht unbestrittenen[42] – Urteilen zu den „U-Bahn-Lied“-Fällen. Dabei handelt es sich um das Lied einer Rechtsrock-Band, das auf die Judenvernichtung in Auschwitz anspielt. Das Lied wurde von Fußballfans in abgewandelter Form zur Verhöhnung rivalisierender Fußballclubs genutzt, denen dasselbe Schicksal gewünscht wird. Sowohl das OLG Rostockals auch das OLG Dresden entschieden, dass das Singen des „U-Bahn-Liedes“ kein Verharmlosen im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB darstelle:
„Infolgedessen lässt sich der Text des Liedes dahin interpretieren, dass den ‘Gegnern‘ eine – als solche erkannte und als historische Wahrheit akzeptierte – besonders grausame und menschenverachtende Vernichtung gewünscht wird […]. Einer solchen – angesichts des Gesamtgeschehens sogar nahe liegenden – Deutung stünde ein qualitatives oder quantitatives Bagatellisieren jedoch entschieden entgegen.“[43]
Wer, so Ostendorf, die „‘feindliche‘ Fußballmannschaft und ihre Anhänger in ein Konzentrationslager, d.h. Vernichtungslager, schicken will, verharmlost nicht diese Verbrechen, sondern ‚wünscht sie diesen an den Hals‘.“[44]
Ähnlich argumentierte die Justiz im sog. „Babycaust“-Fall. Ein Abtreibungsgegner hatte im Netz folgende Ausführungen veröffentlicht: „Den Babycaust mit dem Holocaust gleichzusetzen würde bedeuten die heutigen Abtreibungsmorde zu relativieren.“; „KZ-Kommandanten oder Mörder von Ungeborenen, sind zwei Erscheinungsformen von kriminellen Menschen! Diese ‚Sumpfblüten‘ haben denselben genetischen Code“; „Das Tor von Auschwitz wird von vielen unserer heutigen Mediziner wieder weit aufgestoßen.“ Die StA Mannheim lehnte eine Verfolgung nach § 130 Abs. 3 StGB ab.[45] Sie argumentierte laut Medienberichten damit, dass durch den Vergleich mit der Abtreibung ungeborenen Lebens keine Bagatellisierung des Holocausts in quantitativer oder qualitativer Hinsicht stattfinde. Im Gegenteil: Der Holocaust werde schließlich als „Inbegriff des Grauens“ und als „grausames Verbrechen“ beschrieben; die Äußerungen seien daher keine Verharmlosung des Holocausts, sondern eine maßlose Übertreibung des Unrechts von Schwangerschaftsabbrüchen.[46]
Mit Blick auf das Tragen von „Ungeimpft“-Sternen ergibt sich dasselbe Bild. Auch hier werden die Grausamkeiten des Nationalsozialismus nicht in Abrede gestellt, sondern herangezogen, um das vermeintliche Ausmaß des eigenen Leids zu verdeutlichen. Dem wird entgegengehalten, dass in der Gleichsetzung eines offenkundig geringeren Unrechts X mit einem höheren Unrecht Y stets auch eine Abwertung von Y zu sehen sei. Rackowmeint: „Wer Bezugsobjekte gleichsetzt, stellt – sozusagen mathematisch gesehen – eine Gleichung auf; Gleichungen ist nun aber eigentümlich, dass man sie nach beiden Seiten hin auflösen kann, weshalb Überlegungen zu der Frage, ob durch die Äußerung 1 = 100 die Zahl 1 überbewertet oder die Zahl 100 unterbewertet wird, abwegig sind“.[47] Aber: Die Frage mag sich in der Mathematik nicht stellen, für die Auslegung einer Äußerung auch im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verbürgten Meinungsfreiheit ist sie allerdings relevant. Denn bei einem Kommunikationsakt handelt es sich nicht um eine mathematische Gleichung, sondern um einen auslegungsbedürftigen und in seinem Gesamtzusammenhang auch auslegungsfähigen Lebenssachverhalt. Dabei gilt zum Schutz der Meinungsfreiheit, dass eine strafrechtliche Sanktion nur in Betracht kommt, wenn „die dem Äußernden günstigeren Deutungsmöglichkeiten mit hinreichender Begründung ausgeschlossen worden sind“.[48] Für die Bewertung einer Aussage als Verharmlosung kommt es entscheidend auf ihren Kontext an.[49] Wird ein Vergleich bemüht, um das Unrecht des Völkermordes zu relativieren („Was den Juden passiert ist, war auch nicht schlimmer als X“), so liegt hierin eine Abwertung und Verharmlosung des im Nationalsozialismus begangenen Unrechts. Wird der Vergleich hingegen herangezogen, um eine eigene Unrechtserfahrung anzuprangern („Uns wird schwerstes Unrecht angetan, so wie den Juden im Nationalsozialismus“), so ist hierin bereits objektiv keine verharmlosende Aussage zu sehen, sondern eine überzogene Dramatisierung. Gerade im öffentlichen Meinungskampf sind aber überspitzte und polemische Äußerungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.[50] Die Übertreibung ist – nicht nur in der Satire, sondern auch in der politischen Auseinandersetzung – ein grundsätzlich legitimes Mittel, um auf die eigene Position aufmerksam zu machen.[51] Das Tragen des „Judensterns“ ist eine geschmacklose und kaum erträgliche Anmaßung – eine strafbare Verharmlosung nach § 130 Abs. 3 StGB ist es allerdings nicht.
3. Zwischenfazit
§ 130 StGB wird hier zu eng ausgelegt. Wer das Tragen von Ungeimpft-Sternen als tatbestandsmäßig erachtet, der wird nicht umhin kommen, eine Vielzahl öffentlicher Äußerungen ganz anderer politischer Richtung ebenfalls als strafbar bewerten zu müssen. So wurde etwa der Wahlsieg der AfD in Thüringen in engen Zusammenhang mit der Machtergreifung durch Hitler gebracht;[52] Vergleiche rechtspopulistischer Politiker mit Akteuren des NS-Regimes oder rechtsextremer Parteien mit der NSDAP sind immer wieder zu hören. Es läge dann nicht fern, auch solche Aussagen als verharmlosende Vergleiche einzustufen. Doch so geschmacklos und wenig klug diese Einordnungen sein mögen, in einer liberalen Demokratie müssen derartige Überspitzungen, mit denen Aufmerksamkeit auf ein Thema oder ein Problem gelenkt werden sollen, ertragen werden.
III. Die Leugnung des Existenzrechts Israels – Initiativen zur Reform von § 130 StGB –
Im Zuge pro-palästinensischer Demonstrationen wurde, teilweise begleitet durch das Verbrennen von Flaggen und gewalttätiger Auseinandersetzungen, das Existenzrecht des Staates Israels in Abrede gestellt.
Ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion sah vor, § 130 Abs. 1 und Abs. 2 StGB jeweils um eine dritte Tatvariante zu erweitern. Strafbar soll auch derjenige sein, der „das Existenzrecht des Staates Israel leugnet oder zur Beseitigung des Staates Israel aufruft“. Die Höchststrafe in § 130 Abs. 2 StGB soll von drei Jahren auf fünf Jahre angehoben werden. Zudem sollen Regelbeispiele ergänzt werden, die einen besonders schweren Fall vorsehen, wenn der Täter „antisemitisch handelt“.
1. Strafbarkeit nach geltendem Recht
Eine Neuregelung wäre dann nicht erforderlich, wenn Parolen wie „Tod Israel“ oder „From River to the Sea, Palestine will be free“ bereits nach geltendem Recht strafrechtlich geahndet werden könnten.
Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB wird hier meist nicht angenommen, da sich die Äußerung auf den Staat und nicht auf eine Gruppe beziehe.[53] Dem kann entgegengehalten werden, dass ein Staat nicht ohne ein Staatsvolk denkbar ist; Hass gegen den Staat Israel richtet sich damit stets auch gegen die Bürger Israels. Allerdings wird aus dem Erfordernis einer Störung des öffentlichen Friedens in § 130 Abs. 1 StGB abgeleitet, dass sich die Äußerung gegen eine in Deutschland lebende Gruppe richten muss.[54] Hass gegen israelische Juden wäre danach nicht erfasst.[55]
Eine Strafbarkeit nach § 140 StGB wäre denkbar, wenn die Parolen in einem unmittelbaren, kommentierenden Zusammenhang zu Straftaten stehen, die gegen israelische Bürger verübt wurden. Soweit sich die Forderung nach einem Ende des Staates Israels also erkennbar auf die Taten der Hamas bezieht, kann sie als Billigung dieser Taten verstanden werden. Losgelöst von diesem Kontext greift § 140 StGB jedoch nicht ein.[56] Auch eine Bestrafung nach § 111 StGB ist allenfalls in Ausnahmekonstellationen möglich. Der Tatbestand setzt die Aufforderung zur Begehung einer Straftat voraus, die im Geltungsbereich des deutschen Strafgesetzbuches begangen werden soll.[57] Dies ergibt sich daraus, dass der Tatbestand nach herrschender Meinung das Rechtsgut des „inneren Gemeinschaftsfriedens“ schützen soll.[58] In Betracht kommt hingegen eine Strafbarkeit nach § 80a StGB, der das Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression nach § 13 VStGB mit Strafe bedroht.[59] Dafür müsste die Äußerung als Aufforderung gerade zu einem Angriffskrieg verstanden werden, was – je nach Einzelfall – durchaus denkbar erscheint. Das Bundesministerium des Inneren und für Heimat hat zudem im November 2023 eine Verbotsverfügung gegen die Hamas erlassen.[60] Ausweislich der Verfügung gelte „die Parole ‚Vom Fluss bis zum Meer‘ (auf Deutsch oder anderen Sprachen)“ als Kennzeichen der Hamas.[61] Sollten die Gerichte dieser Zuordnung folgen[62], kommt eine Strafbarkeit der Äußerung dieser Parole nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht.
Dem Gesetzentwurf ist allerdings zuzugeben, dass die geltende Rechtslage – anders als die Stellungnahmen des Bundesjustizministeriums suggerieren[63] – alles andere als eindeutig ist. Ob Aufforderungen zur Beseitigung des Staates Israel strafrechtlich verfolgt werden, hängt von der jeweiligen Rechtsauffassung und dem Verfolgungswillen der jeweiligen Staatsanwaltschaft ab. Es ist daher kriminalpolitisch erst einmal nachvollziehbar, Rechtssicherheit schaffen zu wollen. Hinzu tritt, dass mit Blick auf § 130 StGB tatsächlich erhebliche Schutzlücken bestehen. Das betrifft zum einen die normative Gestaltung – insbesondere den Ausschluss ausländischer Gruppen aus § 130 Abs. 1 StGB – und zum anderen die praktische Anwendung der Vorschrift, bei der noch zu häufig die Verwendung antisemitischer Codes und Chiffren übersehen wird.[64]
2. Bedenken gegen die Neuregelung
a) Verbot von Meinungen oder falschen Tatsachenbehauptungen
Die Formulierung der „Leugnung“ des Existenzrechts Israels ist an § 130 Abs. 3 StGB angelehnt, der etwa die Leugnung „einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art“ unter Strafe stellt. „Leugnen“ im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB meint das Bestreiten, Inabredestellen oder Verneinen von (historischen) Tatsachen.[65] Tatsachen sind, anders als Meinungen, dem Beweis zugänglich.[66] So liegen die Dinge in § 130 Abs. 3 StGB, da der Völkermord an der jüdischen Bevölkerung eine historische Tatsache ist. Demgegenüber stehen jedoch bei Äußerungen, die sich gegen die Existenz des Staates Israel richten, nicht Tatsachenbehauptungen, sondern Meinungsäußerungen im Vordergrund. Mit der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ wird etwa zum Ausdruck gebracht, dass ein Staat Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer reichen solle und die insoweit das Recht von Jüdinnen und Juden auf einen eigenen Staat – in diesen Grenzen – in Abrede stellt.[67] In diesem Zusammenhang wird jedoch keine Tatsache „geleugnet“, sondern eine Meinung geäußert – nämlich die Meinung, dass der Staat Israel in seiner derzeitigen Form nicht existieren sollte. Während die Frage, ob ein Staat gegenwärtig völkerrechtlich anerkannt wird, eine beweisbare Tatsache ist, gilt dies nicht für die Frage, ob ein Staat völkerrechtlich anerkannt werden soll. Hierbei handelt es sich um eine politische Frage, die zwangsläufig einer Bewertung zugänglich ist.[68] Auch wenn Israel selbstverständlich ein völkerrechtlich anerkannter Staat ist, ist die Frage, ob er es auch sein oder bleiben sollte, ob er also einen Anspruch auf Existenz hat, einer Wertung zugänglich.[69] Eine Meinung, die aufgrund ihrer Wertungsbezogenheit ohnehin nicht dem Beweis zugänglich ist, kann aber nicht „geleugnet“ werden.
Die Formulierung des Tatbestandes kaschiert damit die wahre Natur der Vorschrift: Es geht bei den neuen Tatvarianten nicht um die Pönalisierung des Leugnens einer Tatsache, sondern um das Verbot der Äußerung einer Meinung.
b) Legitime Einschränkung der Meinungsfreiheit durch ein nicht allgemeines Gesetz?
§ 130 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 StGB-E greifen in das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ein. Die Meinungsfreiheit ist nicht beschränkt auf Äußerungen, die im Einklang mit der Verfassung stehen; das Grundgesetz erzwingt keine Werteloyalität.[70] Grundlegend hat das BVerfG in seiner „Wunsiedel“-Entscheidung dazu ausgeführt, dass selbst „die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus[fällt]“.[71]
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit kann nach Maßgabe des qualifizierten Gesetzesvorbehalts des Art. 5 Abs. 2 GG nur durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden. Darunter sind Gesetze zu verstehen, die „nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen“.[72] Damit statuiert Art. 5 Abs. 2 GG grundsätzlich ein striktes Diskriminierungsverbot gegenüber bestimmten – selbst gegenüber verfassungsfeindlichen – Meinungen.
Vor diesem Hintergrund sind die geplanten neuen Tatvarianten in § 130 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 StGB-E verfassungsrechtlich nicht haltbar. Entscheidend für die Einordnung als allgemeines Gesetz ist die Frage, ob eine Norm an Meinungsinhalte anknüpft oder losgelöst von einer konkreten inhaltlichen Positionierung formuliert ist. Ein allgemeines Gesetz darf sich nicht gegen eine Meinung als solche richten, sondern muss dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen.[73] Es fehlt an der Allgemeinheit eines Gesetzes, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst ist und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet.
Die vorgeschlagenen Tathandlungen sind erkennbar nicht inhaltsoffen formuliert, sondern beziehen sich ausschließlich auf Meinungsäußerungen, mit denen eine bestimmte, ablehnende Haltung zum Existenzrecht des Staates Israel zum Ausdruck gebracht wird.[74] Sie beschränken sich gerade nicht auf abstrakt-inhaltsbezogene, für verschiedene Haltungen offene Kriterien; vielmehr sind die Tatbestände als Antwort auf einen ganz konkreten Konflikt des aktuellen öffentlichen Meinungskampfes gedacht – und damit nachgerade Paradebeispiele für ein nicht-allgemeines Gesetz. Bei § 130 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 3 StGB-E handelt es sich also um ein Sonderrecht, das einen Eingriff in die Meinungsfreiheit grundsätzlich nicht zu rechtfertigen vermag.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat das BVerfG für § 130 Abs. 4 StGB anerkannt, mit dem die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung gerade der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe gestellt wird.[75] Das Gericht begründet die Zulässigkeit des Sonderrechts damit, dass das „menschenverachtende Regime dieser Zeit […] für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung [habe], die einzigartig ist“.[76] Der offene Widerspruch zu Art. 5 Abs. 2 GG wird dadurch aufgelöst, dass das „bewusste Absetzen von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte“ war; insoweit sei die Befürwortung der nationalsozialistischen Herrschaft „ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potenzial“ und „mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar“.[77] Die Ausführungen des BVerfG zeigen zweifelsfrei, dass es sich bei § 130 Abs. 4 StGB um eine „auf andere Konflikte nicht übertragbare einzigartige Konstellation“ handelt und eine Ausnahme von Art. 5 Abs. 2 GG allein für Vorschriften gelten kann, „die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen“.[78] Auch wenn das Existenzrecht Israels historisch mit dem Unrecht des Nationalsozialismus verknüpft ist,[79] können keine strafrechtlichen Sondervorschriften für Meinungsäußerungen, die dieses Recht in Frage stellen, erlassen werden.
3. Alternative Lösungsmöglichkeiten
Sinnvoller als die Einführung einer speziellen Norm zum Schutz vor Äußerungen, die das Existenzrechts Israels angreifen, wäre eine grundlegende Neustrukturierung des Tatbestandes der Volksverhetzung. Da eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Reform von § 130 StGB bereits an anderer Stelle erfolgt ist,[80] sollen hier nur einige wenige Worte verloren werden. Die derzeit geltende Beschränkung von § 130 Abs. 1 StGB auf inländische Gruppen über das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ist weder nach dem Wortlaut der Norm noch im Hinblick auf ihre Ratio überzeugend. Dient die Strafbarkeit der Volksverhetzung richtigerweise dem vorgelagerten Schutz von Individualrechtsgütern,[81] so ist es nicht erforderlich, dass sich die verhetzende Äußerung gerade gegen einen in Deutschland lebenden Teil der Gruppe richtet. Hass gegen Juden in Israel oder gegen Geflüchtete außerhalb der deutschen Grenzen kann auf die im Inland lebenden Mitglieder der Gruppe zurückwirken und ihre Rechtsgüter gefährden. Dies liegt in dem besonderen Botschaftscharakter gruppenbezogener Äußerungen begründet: Sie entfalten über die konkret benannte Teilgruppe hinaus Wirkkraft bezüglich aller anderen Personen, die den entsprechenden Identifikationsfaktor teilen.[82] Gerade im Rahmen des eskalierenden Nahostkonflikts ist offen zutage getreten, dass sich Wut gegen eine Gruppe im Ausland – die Juden in Israel – auch in Hass gegenüber einer Gruppe in Deutschland – den hier lebenden Juden – manifestieren kann. Jedenfalls dann, wenn Teile einer Gruppe in Deutschland leben, sind verhetzende Äußerungen auch dann strafwürdig, wenn ihre unmittelbaren Adressaten Gruppenmitglieder außerhalb Deutschlands sind.[83]
Bei einer Reform von § 130 StGB steht der Schutz von Juden und Jüdinnen als Personen und als Gruppe im Vordergrund. Soll hingegen der Staat Israel selbst strafrechtlichen Schutz genießen, so müsste eine allgemeine Regelung getroffen werden, die sich sinnvoll nicht in den Kontext von § 130 StGB, sondern in den 3. Abschnitt des StGB (§§ 102 ff. StGB) – Straftaten gegen ausländische Staaten – einordnet. Denkbar wäre die Einführung eines neuen § 103 StGB, die das Auffordern zur gewaltsamen Beseitigung eines Staates unter Strafe stellt, zu dem Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält.[84]
Eine solche Regelung wäre systematisch schlüssig; wenn etwa das verunglimpfende Zerstören einer Flagge in § 104 StGB strafbar ist, erscheint es kriminalpolitisch gut vertretbar, vergleichbare verbale Äußerungen ebenfalls zu sanktionieren. Schutzzweck wäre hier sowohl der Schutz des ausländischen Staates mit seinen Organen und Einrichtungen als auch das Interesse der Bundesregierung an ungestörten Beziehungen zu diesem Staat.[85] Für § 104 StGB ist anerkannt, dass mit der strafrechtlichen Sanktion auch der Eindruck vermieden werden soll, die Bundesrepublik toleriere Aufforderungen zur gewaltsamen Beseitigung eines anderen Staates auf deutschem Boden oder mache sich diese Aufforderung gar selbst zu eigen.[86] Diese Überlegung lässt sich auf verbale Äußerungen von erheblichem Gewicht übertragen.
Auch ein solcher Tatbestand würde zwar in den Schutzbereich der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit eingreifen. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden hier aber – anders als bei dem Vorschlag zur Pönalisierung der Leugnung des Existenzrechts in § 130 StGB – nicht. Ein neuer § 103 StGB würde die Aufforderung zur gewaltsamen Beseitigung eines jeden Staates, zu dem Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält. Die allgemeine Formulierung gewährleistet, dass die Norm im politischen Kräftefeld gegenüber verschiedenen Gruppierungen offen ist und sich die verbotene Meinungsäußerung aus unterschiedlichen politischen, religiösen oder weltanschaulichen Grundpositionen ergeben kann.[87] Damit handelt es sich um ein allgemeines Gesetz, das einen Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte.[88] Gegenstand des strafrechtlichen Verbotes wäre zudem nicht der Aufruf zu einem politischen Umsturz, sondern ausschließlich das Streben nach einer gewaltsamen Beseitigung des Staates als solchem.
Gleichwohl wurde der Vorschlag in der Diskussion des Kriminalpolitischen Kreises weit überwiegend kritisch gesehen. Die Einwände bezogen sich vor allem darauf, dass es – gerade bei Unrechtsregimen – Ausdruck legitimer Meinungsfreiheit sein kann, einen Regimewechsel auch unabhängig von vorgesehenen Wahlen anzustreben.
IV. Fazit
Der Impuls, antisemitische Straftaten konsequent zu verfolgen, ist richtig. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich strafrechtliche Verbote in einem sensiblen Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit bewegen. Das Grundgesetz schützt aus guten Gründen auch Auffassungen, die für uns als Gesellschaft schwer zu ertragen, die irrational, ungerecht oder anmaßend sind. Die Verfassung setzt darauf, dass ihnen „mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird.“[89]
Antisemitische Hetze überschreitet allerdings die Grenze zur zulässigen Meinungsäußerungsfreiheit. Eine Streichung von § 130 StGB kann daher, trotz seiner offenkundigen Unschärfen, keine Alternative sein. Stattdessen sind folgende Punkte wichtig.
(1) Eine grundlegende Überarbeitung des in seiner geltenden Fassung wenig glücklichen Volksverhetzungstatbestandes wäre wünschenswert. Dabei sollte insbesondere die Beschränkung auf inländische Gruppen aufgehoben werden, da hetzerische Äußerungen gegen Juden in Israel auf in Deutschland lebende Juden zurückwirken.
(2) Die Strafverfolgungsbehörden müssen dafür sensibilisiert werden, antisemitische Hetze von Israelkritik zu unterscheiden. Dies gilt in beide Richtungen: Weder darf legitime Israelkritik als Antisemitismus fehlverstanden werden noch darf tatsächlich antisemitische Hetze erfolgreich als politische Kritik getarnt werden können.
(3) § 130 StGB sollte von den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten restriktiv ausgelegt werden. Dabei ist, das zeigen die Fälle der „Ungeimpft-Sterne“, besonders darauf zu achten, dass die Anwendung von § 130 StGB unabhängig von einer eigenen politischen Position abhängig gemacht wird.
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Der Beitrag verbindet – überwiegend wörtlich – zwei von der Verfasserin veröffentlichte Texte. Es handelt sich dabei um Hoven, GA 2024, 383 ff. und Hoven/Obert, NStZ 2022, 331 ff. Die Verfasserin dankt den Herausgebern für die Genehmigung zum erneuten Abdruck.
[1] Vgl. nur Kehlbach, Wie weit geht die Meinungsfreiheit?, Tagesschau, 19.10.2023, online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/meinungsfreiheit-pro-palaestina-demos-100.html (zuletzt abgerufen am 19.10.2023)
[2] Krappitz, Häuser mit „Judenstern“ markiert – Özdemir fordert mehr Einsatz gegen Judenhass, Frankfurter Rundschau, 15.10.2023, online abrufbar unter: https://www.fr.de/politik/antisemitismus-krieg-israel-berlin-polizei-davidstern-judenstern-vandalismus-zr-92578690.html (zuletzt abgerufen am 19.10.2023).
[3] RBB24, Jüdische Einrichtungen mit Molotow-Cocktails angegriffen, 18.10.2023, online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-juedische-einrichtungen-mit-molotow-cocktails-angegriffen-100.html (zuletzt abgerufen am 19.10.2023).
[4] S. dazu BR24, Antisemitismus: Buschmann plant Änderung beim Aufenthaltsrecht, online abrufbar unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/antisemitismus-buschmann-plant-aenderung-beim-aufenthaltsrecht,Tu3Et8M (zuletzt abgerufen am 22.1.2024).
[5] BT-Drs. 20/9310, S. 2.
[6] BT-Drs. 20/9310, S. 9.
[7] BT-Drs. 20/9310, S. 2.
[8] Entwurf der Bundestagsfraktion der CDU/CSU eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Bekämpfung von Antisemitismus, Terror, Hass und Hetze, BT-Drucks. 20/9310, online abrufbar unter: https://kripoz.de/2024/01/15/bekaempfung-von-antisemitismus-terror-hass-und-hetze-2/ (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[9] BR-Drs. 449/23, als Gesetzentwurf des Bundesrates BT-Drs. 20/9646 dem Bundestag zugeleitet.
[10] Hoven, ZStW 135 (2023), 707 (730).
[11] Hoven, ZStW 129 (2017), 334 (335); Kaspar, ZStW 129 (2017), 401 (402); Landau, NStZ 2015, 665 (669).
[12] BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1BvB 2/51, BVerfGE 5, 85 (205); BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (208); BVerfG, Urt. v. 3.10.1969 – 1 BvR 46/65, BVerfGE 27, 71 (81); Kirchhof, DÖV 2024, 1 ff.
[13] Masing, JZ 2012, 585 (586).
[14] BVerfGE 90, 241 [247] = NJW 1994, 1779; Masing, JZ 2012, 585 (592); vgl. auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 248: „Für einen freiheitlichen Staat wäre es unangemessen, Meinungsfreiheit mit strafrechtlichen Mitteln zu regulieren und straflose Äußerungen grundsätzlich nur unter der Prämisse zuzulassen, dass die Inhalte mit der jeweils bestehenden Rechtsordnung übereinstimmen.“
[15] Masing, JZ 2012, 585 (591).
[16] Masing, JZ 2012, 585 (587).
[17] So auch Reinbacher, NK 2020, 186 (196).
[18] Rostalski, Die vulnerable Gesellschaft, 2024, S. 61 ff.
[19] Hoven, ZStW 135 (2023), 707 (719).
[20] Hoven, ZStW 135 (2023), 707 (730); Hoven, APuZ 42-43/2021, 9 (9 f.); Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, 2019, S. 19 ff.; Walter, JZ 2019, 649 (656); Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, 2013, S. 169 ff.; Duttge, in: Schumann, Das strafende Gesetz im sozialen Rechtsstaat, 2010, S. 1 (10 ff.); Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 80 ff.
[21] So war etwa die Rede von einer „Tyrannei der Ungeimpften“, davon, dass die Minderheit der Impfverweigerer die Mehrheit „terrorisiert“ oder davon, dass die Ungeimpften „indirekte Mörder“ seien, s. etwa Wimsalasena, Verbale Attacken gegen Impfgegner: Spalterische Rhetorik, taz, 17.11.2021, online abrufbar unter: https://taz.de/Verbale-Attacken-gegen-Impfgegner/!5812410/ (zuletzt abgerufen am 3.1.2025); Debionne, Polizist: „Sie sind ein indirekter Mörder, weil Sie hier andere Leute anstecken“, Berliner Zeitung, 8.12.2021, online abrufbar unter: https://www.berliner-zeitung.de/news/polizist-sie-sind-ein-indirekter-moerder-weil-sie-hier-andere-leute-anstecken-li.199382 (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[22] S. etwa forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, Befragung von nicht geimpften Personen zu den Gründen für die fehlende Inanspruchnahme der Corona-Schutzimpfung, Ergebnisbericht, 2021, S. 21.
[23] AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 29.9.2021, (234 Cs) 231 Js 925/21 (203/21); vgl. https://www.t-online.de/region/berlin/news/id_90897426/-ungeimpft-davidstern-berliner-impfgegner-wegen-volksverhetzung-verurteilt.html (zuletzt abgerufen am 9.1.2025); s. auch B.Z. Berlin, Schluss mit der Holocaust-Verharmlosung! Polizei geht gegen Corona-Demonstranten vor, 24.1.2022, online abrufbar unter: https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/schluss-mit-der-holocaust-verharmlosung-polizei-geht-gegen-corona-demonstranten-vor (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[24] Vgl. Steinke, Verharmlosung des Holocaust: Bis hierhin und nicht weiter, SZ, 16.1.2022, online abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-proteste-impfskeptiker-holocaust-verharmlosung-justiz-1.5508569?reduced=true (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[25] Keine grundlegend neuen Fragen wirft hier das Merkmal der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung auf; es wird daher nicht näher beleuchtet.
[26] Kreß, in: MüKo-StGB, Bd. 9, 4. Aufl. (2022), VStGB § 6 Rn. 56; Krauß, in LK-StGB, Bd. 8, 13. Aufl. (2021), § 130 Rn. 134; Stegbauer NStZ 2000, 281 (285).
[27] Kreß, in: MüKo-StGB, VStGB § 6 Rn. 56.
[28] Am 1. September 1941 wurde die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ veröffentlicht, die eine „Kennzeichnungspflicht“ für alle Juden vorsah, die das sechste Lebensjahr vollendet hatten, (RGBI. 1941 I, S. 547); s. zur Vorgeschichte etwa Mayer, Staaten als Täter, 2010, S. 263.
[29] Auch Fischer ordnet den „Judenstern“ explizit als nicht ausreichend ein: „Auch die Verwendung des sog. „Judensterns“ als allgemeines Kennzeichen einer (kritisierten) angeblichen oder tatsächlichen Verfolgung ist weder Volksverhetzung noch Beleidigung von Juden“, siehe Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 130 Rn. 27.
[30] AG Saarbrücken, BeckRS 2020, 43494; bestätigt durch OLG Saarbrücken, BeckRS 2021, 4322. Der Post erfolgte im Oktober 2019 und damit vor Beginn der Covid19-Pandemie; der Post bezog sich also nicht auf eine etwaige Impfpflicht im Zusammenhang mit der Pandemie.
[31] AG Saarbrücken, BeckRS 2020, 43494.
[32] Das AG verwies in seinem Urteil auf die Kommentierung von Fischer. Die dortigen Ausführungen beziehen sich allerdings lediglich auf den Aspekt „unter der Herrschaft des Nationalsozialismus“. Die Kommentierung sagt an dieser Stelle nichts darüber aus, welche Handlungen unter § 6 VStGB fallen, s. Fischer, StGB, § 130 Rn. 27.
[33] AG Augsburg, BeckRS 2019, 57849.
[34] Ähnlich auch die Argumentation von Kubiciel, zitiert in: Kaufmann, Ist das Tragen von „Ungeimpft“-Sternen strafbar?, LTO, 2.3.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ungeimpft-judenstern-strafbar-volksverhetzung-verharmlosung-holocaust-olg-entscheidungen (zuletzt abgerufen am 3.1.2025); s. auch Rath, Ist „Babycaust“ eine Volksverhetzung?, LTO, 15.2.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/babycaust-volksverhetzung-ag-weinheim-haenel-annen-abtreibung-holocaust-beleidigung (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[35] In der geschichtswissenschaftlichen Literatur findet sich aber teilweise auch die Einordnung des „Judensterns“ als „Vorstufe zur eigentlichen Deportation der jüdischen Bevölkerung“ (Mayer, Staaten als Täter, S. 263) oder „entscheidende ‘Vorausmaßnahme‘ für die schnelle Erfassung und den störungsfreien Abtransport der Opfer“ (Kwiet, in: Benz, Die Juden in Deutschland, 1933–1945: Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, 1993, S. 615).
[36] Georgiev, ZfG 2018, 623 ff.
[37] Jordan, in: Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, Staatslexikon, 8. Aufl. (2018), Geschichtswissenschaft.
[38] Im Freiburger Fall wurde ein Strafbefehl wegen Volksverhetzung erlassen (50 Tagessätze), vgl. Fritsch, „Impfen macht frei“-Schild in Freiburg: Urteil wegen Volksverhetzung rechtskräftig, Badische Zeitung, 8.8.2021, online abrufbar unter: https://www.badische-zeitung.de/impfen-macht-frei-schild-in-freiburg-urteil-wegen-volksverhetzung-rechtskraeftig (zuletzt abgerufen am 3.1.2025); vgl. auch zu einem Urteil des AG München in einem ähnlichen Fall Spiegel, Mann muss 2500 Euro Strafe wegen „Impfung macht frei“-Eintrag bei Facebook zahlen, 2.3.2022, online abrufbar unter: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenchen-mann-muss-2500-euro-strafe-wegen-impfung-macht-frei-eintrag-bei-facebook-zahlen-a-21e8dd42-d2b1-4c8a-bd17369f3283a138 (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[39] BGH, NJW 2000, 2217 (2218); Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 130 Rn. 82; Altenhain, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), § 130 Rn. 22; Heinrich, ZJS 2017, 625 (631).
[40] BGH, NJW 2000, 2217 (2218).
[41] BGH, NJW 2000, 2217 (2218).
[42] In der Rechtsprechung wurde teilweise in den „U-Bahn-Lied“-Fällen das Vorliegen eines „Verharmlosens“ entgegen der Rechtsprechung des OLG Rostock und des OLG Dresden bejaht, s. LG Cottbus, BeckRS 2009, 8008; ebenso, aber ohne Begründung OLG Braunschweig, BeckRS 2007, 8242; LG Potsdam, Urt. v. 21.2.2017 – 27 Ns 73/16; s. auch differenzierend OLG Hamm, BeckRS 2015, 119749.
[43] OLG Rostock, BeckRS 2008, 8158; ebenso OLG Dresden, BeckRS 2020, 28410; s. auch AG Zossen, BeckRS 2016, 16218. Linke argumentiert, der Tatbestand sei bereits deswegen nicht erfüllt, weil mit dem Lied nicht (ausdrücklich) die Juden, sondern die rivalisierenden Fußballfans in Bezug genommen werden, Linke, JR 2019, 17 (21). Dieses Argument geht aber fehl, da mit der Nennung von „Auschwitz“ unmissverständlich auf die Juden und somit auf eine von Völkermordhandlungen betroffene Gruppe Bezug genommen wird.
[44] Ostendorf, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 130 Rn. 28; s. auch Linke, JR 2019, 17 (22).
[45] Rath, Ist „Babycaust“ eine Volksverhetzung?, LTO, 15.2.2022.
[46] Rath, Ist „Babycaust“ eine Volksverhetzung?, LTO, 15.2.2022.
[47] Rackow, ZIS 2010, 366 (374); s. auch Rackow, in: BeckOK-StGB, 63. Ed. (Stand: 1.8.2024), § 130 Rn. 35.3.
[48] BVerfG, NJW 2006, 3769; BVerfG, NJW 1994, 2934 m.w.N.; Altenhain, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 130 Rn. 2.
[49] Ostendorf/Kuhli, in: NK-StGB, § 130 Rn. 28.
[50] BVerfG, NJW 1991, 95 (96).
[51] S. etwa BVerfG, NJW 1983, 1415; BGH, NJW 1987, 1398.
[52] Seidel, „Machtergreifung“ in Thüringen? Parallelen zwischen AfD und NS-Zeit, WDR, 27.9.2024, online abrufbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/landtag-thueringen-vergleich-afd-nazis-100.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2025). Siehe auch zu einer vergleichbaren Darstellung im ZDF: Knaube, Maßlose Vergleiche, FAZ, 3.9.2025, online abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/afd-wahlergebnis-in-thueringen-uebertreibung-und-empoerung-in-den-medien-19961070.html (zuletzt abgerufen am 3.9.2025).
[53] Fischer, Ist Jubel über Terror strafbar?, LTO, 16.10.2023, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-fische-jubel-terror-hamas/ (zuletzt abgerufen am 2.3.2024); Hippeli, NJOZ 2023, 1536 (1537).
[54] BT-Drs. 12/6853, S. 24; Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 2. Aufl. (2012), Rn. 377; Hippeli, NJOZ 2023, 1536 (1537); Ostendorf/Kuhli, in: NK-StGB, § 130 Rn. 18.
[55] Ausführlich Hoven/Witting, KriPoZ 2024, 5 ff.
[56] S. dazu etwa Hippeli, NJOZ 2023, 1536 ff.
[57] Fahl, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 111 Rn. 10; Fischer, StGB, § 111 Rn. 6; Paeffgen, in: NK-StGB, § 111 Rn. 30, Rosenau, in: LK-StGB, Bd. 7, 13. Aufl. (2020), § 111 Rn. 51. Dies ist jedoch nicht unumstritten, a.A. etwa Bosch, in: MüKo-StGB, § 111 Rn. 12a.
[58] Bosch, in: MüKo-StGB, § 111 Rn. 12a.
[59] So auch Frister, zitiert in: Suliak, Aufruf zur Auslöschung Israels straflos?, LTO, 22.1.2024, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/israel-aufruf-vernichtung-existenzrecht-leugnen-antisemitismus-strafbar/ (zuletzt abgerufen am 22.1.2024).
[60] Bundesministerium des Innern und für Heimat, Vereinsverbote, Betätigungsverbot der Terrororganisation HAMAS, online aufrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/extremismus/vereinsverbote/vereinsverbotenode.html#:~:text=Am%202.,Terrororganisation%20HAMAS%20in%20Deutschland%20verboten (zuletzt abgerufen am 29.2.2024).
[61] Bundesministerium des Innern und für Heimat, Vereinsverbote, Betätigungsverbot von „Samidoun – Palestinian Solidarity Network“ und Teilorganisation „Samidoun Deutschland“, online aufrufbar unter https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/extremismus/vereinsverbote/vereinsverbotenode.html#:~:text=Am%202.,Terrororganisation%20HAMAS%20in%20Deutschland%20verboten (zuletzt abgerufen am 29.2.2024).
[62] Offengelassen in VGH Mannheim, Beschl. v. 17.12.2023 – 12 S 1947/23, BeckRS 2023, 38296 Rz. 29 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.10.2023 – 3 S 1669/23 Rn. 10; VGH München, Beschl. v. 19.10.2023 – 10 CS 23.1862, BeckRS 2023, 30057 Rn. 26. Das VG Berlin bejaht den Anfangsverdacht der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 2 StGB, siehe VG Berlin, Beschl. v. 20.12.2023 – VG 1 L 507/23, BeckRS 2023, 37849 Rn. 12. Gegen eine Strafbarkeit hingegen VG Münster, Beschl. v. 17.11.2023 – 1 L 1011/23, BeckRS 2023, 32616 Rn. 20 f. Siehe auch Kolter, „From the River to the Sea“ plötzlich strafbar?, LTO, 15.11.2023, online abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/hamas-parole-river-sea-palaestina-palestine-free-israel-antisemitisch-antisemitismus-billigung/ (zuletzt abgerufen am 29.2.2024).
[63] Suliak (Fn. 59).
[64] Hoven/Witting, KriPoZ 2024, 5 (7-10).
[65] Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 130 Rn. 19.
[66] Kaiser, in: Dreier, GG, 4. Aufl. (2023), Art. 5 Abs. 1 Rn. 61 m.w.N.
[67] Vgl. hierzu Kolter/Suliak, Auch Union im Bundestag will neuen Straftatbestand, LTO, 24.10.2023, online abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/antisemitismus-antisemitisch-israel-palstina-hamas-poseck-union-cdu-volksverhetzung/ (zuletzt abgerufen am 11.12.2023).
[68] So auch Steinbeis, Sonderrecht, Verfassungsblog, 27.10.2023, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/sonderrecht/ (zuletzt abgerufen am 11.12.2023).
[69] Ähnlich auch Conen, Stellungnahme zu BT-Drs. 20/9310, Januar 2024, 7 f., online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/986248/1107a7ae58ca35c832f81ec002157fcd/Stellungnahme-Conen_DAV.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[70] BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069 (2070); BVerfG, Beschl. v. 15.9.2008 – 1 BvR 1565/05, NJW 2009, 908 (909).
[71] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (321).
[72] Ständige Rspr., vgl. BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (209 f.); BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970 – 1 BvR 657/68, BVerfGE 28, 282 (292); BVerfG, Beschl. v. 19.11.1985 – 1 BvR 934/82, BVerfGE 71, 16 (175 f.); BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, BVerfGE 93, 266 (291).
[73] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (321 f.).
[74] Anders, aber ohne Beleg oder weitere Argumentation Franck, Stellungnahme zu BT-Drs. 20/9310, 11.1.2024, S. 4 f., online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/986250/2a6481f01ef9469fe82e359b93c0826/Stellungnahme-Franck_ZAB-Bayern.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2025).
[75] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (327).
[76] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (328).
[77] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (328 f.).
[78] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (329.). So auch Kaiser, in: Dreier, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 132.
[79] So auch Lang, Stellungnahme zu BT-Drs. 20/9310, 15.1.2024, S. 3, online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/
986254/d1d39e1196ee57df515c6d3283962169/Stellungnahme-Lang.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2025). Nicht überzeugend ist hingegen das Argument, dass bei Betrachtung der Parallelität zwischen der jüngsten deutschen und israelischen Geschichte „friedensgefährdende, verbale Angriffe auf die Existenz des Staats Israel zugleich einen Angriff auf die ‘Identität des Gemeinwesens‘ im Sinne des BVerfG sind und damit die Schaffung nichtallgemeiner Tatbestände rechtfertigen“, Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 20/9310, S. 6, online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/986252/68a33b23778287dbe5e8ab2a2552ee1b/Stellungnahme-Kubiciel.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2025). Kubiciel selbst sieht in seiner Stellungnahme insoweit auch ein „nicht unerhebliches Prozessrisiko“.
[80] Hoven/Witting, KriPoZ 2024, 5 (11 ff.).
[81] Hoven/Witting, KriPoZ 2024, 5 (7).
[82] Vgl. zu diesem Botschaftscharakter auch schon Heuser/Witting, in: Hoven, Das Phänomen „Digitaler Hass“, 2023, S. 37 (45) und Schmidt/Witting, KriPoZ 2023, 190 (192) im Kontext der Beleidigungsdelikte. Vgl. allgemeiner zu Botschaftsverbrechen anstatt vieler und m.w.N. Schmidt, in: Mangold/Payandeh, Strafrechtlicher Schutz vor Diskriminierung und Hasskriminalität, Handbuch Antidiskriminierungsrecht, 2022, S. 881 (887).
[83] Eine restriktive Auslegung der Norm könnte mit Blick auf das Schutzgut allenfalls dann vertretbar sein, wenn in Deutschland keine Mitglieder der Gruppe leben, der Hass also keine Gefahren für Rechtsgüter im Inland bedeuten kann. Eine solche Konstellation dürfte angesichts der globalen Verflechtungen faktisch keine Rolle spielen.
[84] Einen vergleichbaren Vorschlag hat das Tikvah Institut unterbreitet: Bestraft werden soll das Aufrufen zur Vernichtung eines Staates, der Mitglied der Vereinten Nationen ist, oder die Billigung der Vernichtung. Zur Begründung der Strafwürdigkeit stützt sich der Vorschlag allerdings darauf, dass mit der Artikulation antisemitischer Vernichtungsphantasien regelmäßig der öffentliche Frieden in Deutschland gestört werde. Überzeugender erscheint es, wie dargelegt, allerdings, in den §§ 102 ff. StGB nicht den öffentlichen Frieden, sondern den Schutz des ausländischen Staates und Schutz des Interesses der BRD an ungestörten Beziehungen zu diesem Staat in den Blick zu nehmen. Tikvah Institut, in: Beck/Tikvah Institut, Mögliche juristische und rechtspolitische Antworten auf BDS, 2023, S. 8, 34 f.
[85] Siehe etwa: Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 30. Aufl. (2023), Vorb. §§ 102 ff. Rn. 1; Kreß, in: MüKo-StGB, Vorb. § 102 Rn. 5; Kuhli, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 102 Rn. 1.
[86] Kargl, in: NK-StGB, § 104 Rn. 1a.
[87] Ähnlich auch GdP, Stellungnahme zu BT-Drs. 20/9310, 11.1.2024, S. 6, online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/985962/fb79c9cc5e65ced492e105e14517f39f/Stellungnahme-Hueber_GdP.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2025), die für eine Strafbarkeit der Delegitimierung von Staaten im Hinblick auf alle von den Vereinten Nationen anerkannten Staaten plädieren.
[88] Ähnlich auch Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 20/9310, S. 7.
[89] BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – Wunsiedel, BVerfGE 124, 300 (334).