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Zwölf Thesen zur geplanten Neuaufstellung der Verbandssanktionierung

von Dr. Alexander Baur, M.A. und Dr. Philipp Maximilian Holle

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Abstract 
Seit April ist das Gesetzgebungsverfahren zu einer im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarten Reform der Verbandssanktionierung mit der Vorlage des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft offiziell angestoßen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der mittlerweile vorliegende Regierungsentwurf das nun anstehende parlamentarische Verfahren weitgehend unbeirrt passieren wird. Der nachfolgende Beitrag versucht, den vorliegenden Zwischenstand in mehreren Thesen einzuordnen und zu bewerten.

In April legislation was initiated to reform the law of sanctions for corporations. The governing parties had already agreed to do so in their coalition agreement. Thus, it is very likely that the bill titled „Act to promote integrity in business“ will pass into law without any significant al-terations. The following contribution attempts to analyse and evaluate the proposed bill posing several theses.      

I. Eine notwendige Antwort auf Defizite des bestehenden Rechts

Man wird über vieles streiten können – nicht aber darüber, dass das geltende Recht der Verbandssanktionierung mit seinem Kern in § 30 OWiG offensichtliche Schwachpunkte hat, sich an einigen Stellen wertungswidersprüchlich zeigt und deshalb reformbedürftig ist. Am einfachsten lässt sich das an der in § 30 Abs. 2 OWiG festgelegten Regelobergrenze einer Verbandsgeldbuße von fünf bzw. zehn Millionen Euro veranschaulichen. Eine angemessene Sanktionierung großer und finanzstarker Konzerne ist angesichts dieser niedrig gesetzten Obergrenze allenfalls über den Umweg einer Gewinnabschöpfung möglich (§ 30 Abs. 3 OWiG).[1] Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass schon heute ein Flickenteppich spezialgesetzlich geregelter und flexibler Sanktionsobergrenzen besteht (vgl. etwa § 81 Abs. 4 GWB und § 120 Abs. 17 bis 23 WpHG; Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO).

Als weiterer Schwachpunkt ist der für die Verfolgung und Sanktionierung von Verbandskriminalität derzeit geltende Opportunitätsgrundsatz des Ordnungswidrigkeitenrechts auszumachen. Er führt nicht nur zu regionalen Unterschieden in der Verfolgungspraxis, sondern befördert auch unterschiedliche „Verfolgungsstile“ der jeweils zuständigen Behörden.[2] In Verbindung mit der problematischen Obergrenze des § 30 Abs. 2 OWiG führt dies am Ende zu einem kaum noch legitimierbaren Sanktionsgefälle: Während in einzelnen Rechtsbereichen betroffene Verbände selbst wegen kleinerer Ordnungswidrigkeiten recht lückenlos und mit einiger Härte geahndet werden, fällt die verbandsbezogene Sanktionierung auch schwererer Straftaten bisweilen entweder ganz unter den Tisch oder kann nur mit einer unangemessen geringen Ahndung beantwortet werden.[3]

Schließlich bleibt die derzeitige Rechtslage klare Antworten auf drängende Fragen schuldig, die sich bei der Aufarbeitung von verbandsbezogenen Gesetzesverletzungen stellen.[4] Sie sorgt damit für Rechtsunsicherheit auf Seiten der Verfolgungsbehörden, der Verbände und ihrer Berater. Einen besonders neuralgischen Punkt bilden hierbei verbandsinterne Aufklärungsbemühungen. Sie sind häufig gesellschaftsrechtlich veranlasst oder folgen dem Diktat ausländischer Rechtsordnungen. Ihr Zusammenspiel mit behördlichen Ermittlungen ist im deutschen Recht wenig geklärt: Sind Organmitglieder und Mitarbeiter zur Mitwirkung an verbandsinternen Ermittlungen auch bei drohender Selbstbelastung verpflichtet? Und falls ja: Kann auf ihre Aussagen zugegriffen werden und können diese alsdann in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren verwertet werden?[5] Dürfen sich Verbände durch die Weitergabe selbstbelastender Informationen aus Mitarbeiterinterviews einen Sanktionsrabatt verdienen? Und sollten die Verfolgungsbehörden auf Arbeitsprodukte aus verbandsinternen Ermittlungen auch gegen den Willen des Verbands Zugriff nehmen können?[6]

Der Gesetzgeber tut also gut daran, neue Koordinaten in einem von Wertungswidersprüchen und Rechtsunsicherheiten durchzogenen Regelungsfeld zu setzen. Kritik blieb den Entwurfsverfassern gleichwohl nicht erspart;[7] sie verhallte aber weitestgehend ungehört. Viel spricht deswegen dafür, dass der vorliegende und politisch offensichtlich umfassend vorabgestimmte Entwurf ohne wesentliche Änderungen auch das parlamentarische Verfahren passieren wird. Im Folgenden wird versucht, das voraussichtlich 2021 mit einer zweijährigen Übergangsfrist (vgl. Art. 15 RegE) in Kraft tretende neue Recht der Verbandssanktionierung in zwölf Thesen einzuordnen und dabei dessen Stärken und Schwächen sowie die voraussichtlichen Folgen für die Praxis aufzuzeigen. Dabei offenbart sich, dass die geplante Neuaufstellung der Verbandssanktionierung einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung macht, den bestehenden Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts aber nicht immer beherzt entgegentritt, vereinzelt neue Wertungswidersprüche provoziert und vor dem Blick über den sanktionsrechtlichen Tellerrand leider allzu oft zurückscheut.

II. Thesen zum Regierungsentwurf

1. Grundausrichtung des Entwurfs

These 1: Bei den vorgeschlagenen Neuregelungen des VerSanG-RegE handelt es sich der Sache nach um Strafrecht. Die Selbsteinordnung als eine zusätzliche Sanktionsspur neben dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht führt deswegen in die Irre und hat dogmatische Unklarheiten sowie wertungsmäßige Verspannungen zur Folge.

Der Regierungsentwurf möchte mit einem neuen Stammgesetz (VerSanG) eine „eigenständige Sanktionsart“ schaffen, die vom Strafrecht und dem Ordnungswidrigkeitenrecht zu unterscheiden sein soll.[8] Die vorgeschlagene Neuaufstellung der Verbandssanktionierung trägt allerdings unverkennbar strafrechtliche Züge. So entlehnt der Entwurf die einzelnen Sanktionsinstrumente dem Strafrecht und überträgt zudem das Verfahrenssystem der StPO ohne wesentliche Abstriche auf Verbände. Zuständig für die Verfolgung und Sanktionierung sind Staatsanwaltschaften und Strafgerichte (vgl. Art. 2 RegE). Die Übertragung strafrechtlicher Regelungen setzt sich bis ins Registerrecht (§§ 54 ff. VerSanG-RegE) fort, das weitgehend in Anlehnung an das BZRG ausgestaltet wird. Der Entwurf verfolgt – strukturtypisch für eine strafrechtliche Regelung – zudem keineswegs nur präventive Ziele, wie es seine Betitelung (vormals: „Gesetz zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität“; nunmehr positiv gewendet: „Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“) nahelegen mag, sondern ist systematisch mit repressiven und unrechtsausgleichenden Elementen durchsetzt. Offenbarend ist in diesem Zusammenhang etwa § 12 VerSanG-RegE, der im Falle einer vorbehaltenen Verbandsgeldsanktion Auflagen „zur Genugtuung für das durch die Verbandstat begangene Unrecht“ ermöglicht. Wodurch sich ein „echtes Unternehmensstrafrecht“ von den vorgeschlagenen Sanktionen-, Verfahrens- und Registerregelungen noch abheben könnte, ist nicht ersichtlich.[9] Sofern der Regelungsentwurf diesbezüglich nicht bloß eine symbolische Schärfung im Blick hat, bleibt eigentlich nur noch der Verweis auf §§ 258 f. StGB: Die Verhinderung oder Erschwerung einer Sanktionierung des Verbands erfüllt derzeit wohl nicht den Tatbestand der Strafvereitelung. Insoweit dürfte es an der Vereitelung einer dem Strafgesetz gemäßen Sanktion fehlen (§ 258 Abs. 1 StGB).[10]

Die Schaffung einer gesonderten, aber durch und durch strafrechtsanalog gestalteten Sanktionsspur für Verbände führt zu dogmatischen Unklarheiten und wertungsmäßigen Verspannungen. Im Dunkeln bleibt bereits die Geltung strafrechtlicher Verfassungsgarantien. Für reines Präventions- oder Ordnungsrecht gelten diese nämlich nicht oder allenfalls eingeschränkt.[11] Zu nicht unerheblichen systematischen Verwerfungen führt ferner die zerfaserte Abkantung zum fortbestehenden Verbandsordnungswidrigkeitenrecht (§ 30 OWiG). Letzteres erlaubt nämlich vielfach gleichlaufende Sanktionen, deren Höhe und Intensität teilweise sogar über das im VerSanG-RegE vorgeschlagene Instrumentarium hinausgehen.[12] Der Unterschied zwischen Verbandsordnungswidrigkeiten und Verbandstaten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-RegE verengt sich damit beinahe ausschließlich auf die umfassende Geltung des Opportunitätsprinzips einerseits und die des Legalitätsprinzips andererseits. Aber selbst dieser Unterschied egalisiert sich schon angesichts der Tatsache, dass auch im VerSanG-RegE zahlreiche Opportunitätsausnahmen (vgl. §§ 35 ff. VerSanG-RegE) geregelt sind.

These 2: Der Entwurf sorgt für mehr Transparenz in der Sanktionierung und stärkt zugleich die Rechte der Geschädigten. Der Schutz der Geschädigten hätte aber weiter ausgebaut und noch konsequenter verfolgt werden können.

In Abkehr von der bisherigen Praxis zu § 30 OWiG trennt der vorgelegte Entwurf sowohl für das geplante VerSanG, aber auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht die Ahndung der Verbandstat von der Abschöpfung der durch diese erzielten Gewinne. Letztere wird künftig dem jüngst reformierten Recht der Einziehung überantwortet (vgl. Art. 8, 9 RegE). Dies führt unzweifelhaft zu einem Mehr an Transparenz in der Sanktionszumessung. Die Auftrennung von Ahndung und Abschöpfung stärkt zudem die Position derer, die durch eine Verbandstat einen Schaden erlitten haben. Diese profitieren künftig von der Auskehrung eingezogener Taterträge (§ 73b Abs. 1 Satz 2 StGB-RegE; §§ 459h ff. StPO).

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll auch die in § 14 VerSanG-RegE vorgesehene öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung zuvorderst der Information der Geschädigten  und  der  Durchsetzung  ihrer (Schadenersatz-)Rechte dienen.[13] Warum die Bekanntmachung bei der Verhängung einer Verbandssanktion im Sanktionsbescheid nicht zulässig sein soll (vgl. § 50 Abs. 2 VerSanG-RegE), erschließt sich dann allerdings nicht: Gerade beim nichtöffentlichen Abschluss des Verfahrens wäre eine Information der Geschädigten über das Sanktionsverfahren und dessen Ausgang besonders drängend. Durch den Verzicht auf eine Veröffentlichung kann freilich auf die betroffenen Verbände ein zusätzlicher Druck aufgebaut werden, von einem Einspruch abzusehen (§ 50 Abs. 4           VerSanG-RegE i.V.m. § 410 StPO).

§ 51 Abs. 2 VerSanG-RegE erklärt schließlich auch die Verletztenrechte der §§ 395-406l StPO für das Verfahren gegen einen Verband für weitgehend anwendbar. Zumindest soweit mit der Nebenklage auch den Genugtuungsinteressen der Tatopfer gedient sein soll,[14] stellt sich die Frage, ob ein solches nebenklagetypisches Genugtuungsinteresse gegenüber einem Verband überhaupt bestehen kann. Stimmiger fügt sich das Adhäsionsverfahren ein, das allerdings bei komplexen Sachverhalten und einer Vielzahl von Geschädigten rasch das Potential haben wird, das Sanktionsverfahren zu überlasten. Zu einem weitergehenden und möglicherweise gerade bei massenhaften Schadenersatzansprüchen praktikableren Schutz der Geschädigten durch eine verbindliche Feststellung des Sachverhalts nach dem Vorbild des § 33b GWB konnten sich die Entwurfsverfasser offensichtlich nicht durchringen.[15]

2. Materiellrechtliche Vorgaben des Entwurfs

These 3: Die Beschränkung auf wirtschaftlich ausgerichtete Verbände („Unternehmen“) ist nicht zweckmäßig.

In Abweichung zum im August des vergangenen Jahres inoffiziell vorgelegten Referentenentwurf adressiert der vorliegende Regierungsentwurf nur noch solche Verbände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (§ 1 VerSanG-RegE). Verbände, die dieses Merkmal nicht erfüllen, sollen weiterhin nur nach dem – offensichtlich als milder eingeschätzten – Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 30 OWiG) belangt werden können.

In der Sache begründet der Gesetzentwurf dies in Anlehnung an umweltorientierte Kriminalitätstheorien der Kriminologie:[16] Ein wirtschaftliches Umfeld wirke mit seiner Gewinnorientierung und seinem Wettbewerbsdruck kriminogen, weshalb hier Fehlanreizen besonders gegenzusteuern sei.[17] Dies ist freilich eine kriminologisch keineswegs unstreitige Annahme[18] und bleibt in den knappen Begründungszusammenhängen des vorliegenden Entwurfs eine bloße Behauptung. Die Erfahrung zeigt zudem, dass auch vordergründig nicht gewinnorientierte Verbände relevante Marktteilnehmer sein und eine Organisationsgröße erreichen können,[19] die sie in gleicher Weise anfällig für Straftaten macht.[20] Insbesondere die starren Sanktionsobergrenzen des § 30 OWiG können auch hier rasch an ihre (kriminalpräventive) Grenze geraten, zumal dann, wenn eine ergänzende Abschöpfung künftig ausgeschlossen ist. Nicht gewinnorientierte Verbände von vornherein auszunehmen, ist schließlich auch deswegen problematisch, weil dadurch ein Anreiz für die Wahl solcher Rechtsformen gesetzt wird, die das Sanktionsrisiko (vermeintlich) verringern.[21]

Soweit die Ausklammerung nicht gewinnorientierter Verbände darüber hinaus von der Befürchtung getragen sein sollte, dass diese andernfalls überlastet werden könnten,[22] verfängt auch das im Ergebnis nicht. Das Gegenteil ist richtig: Zum einen kann der drohenden Überlastung nicht gewinnorientierter Verbände ohne Weiteres durch Augenmaß bei der Einzelfallsanktionierung entgegengetreten werden. Zum anderen sprechen die wohlverstandenen Interessen nicht wirtschaftlicher Verbände sogar für deren Einbeziehung. Denn das geplante VerSanG kennt, anders als das Ordnungswidrigkeitenrecht mit § 30 nicht nur die Sanktionierung eines Verbands durch die Auferlegung einer finanziellen Belastung, sondern sieht gleich an mehreren Stellen alternativ dazu spezialpräventive Weisungen (§§ 13, 36 VerSanG-RegE) vor. Verständig erteilte Weisungen können auch und gerade bei nicht wirtschaftlich ausgerichteten und oftmals nicht professionell geführten Verbänden ein kriminalpräventiv hochwirksames und zugleich knappe finanzielle Ressourcen schonendes Instrument der Sanktionierung sein.

These 4: Es ist sachgerecht, dass der Entwurf keine bestimmten Compliance-Maßnahmen auflistet; auch bei untergesetzlichen Regelungen ist Zurückhaltung zu wahren. Richtigerweise ist es Sache der Rechtsanwendung, im Einzelfall sachgerechte Anforderungen an die Organisation der Compliance zu stellen. Dabei sind Ermessensspielräume bei der verbandsbezogenen Kriminalprävention zu achten.

Der schillernde, aber rechtlich konturenlose Begriff „Compliance“ spielt im vorliegenden Regelungsentwurf eine herausgehobene Rolle: Sofern die Straftaten nicht von Personen begangen werden, die in der Verbands-    hierarchie weit oben stehen, können Compliance-Bemühungen bereits die Verbandsverantwortlichkeit als solche ausschließen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-RegE). In jedem Fall aber können sie dazu führen, dass von der Verfolgung einer Verbandstat aus Opportunitätsgründen entweder ganz abgesehen wird (§ 35 Abs. 1 VerSanG-RegE) oder die Sanktion milder ausfällt (vgl. unter anderem § 15 Abs. 3 Nr. 6 und 7 VerSanG-RegE).

Vor diesem Hintergrund ist es auf den ersten Blick unmittelbar eingängig, wenn insbesondere aus Unternehmenskreisen unter Verweis auf die Gebote der Rechtssicherheit detaillierte gesetzliche Vorgaben oder zumindest anderweitige Hinweise zur pflichtgemäßen Ausgestaltung einer Compliance-Organisation gefordert werden. Davon ist richtigerweise aber gleich aus mehreren Gründen dringend abzuraten: Erstens könnten kaum allgemeingültige Compliance-Erwartungen für sämtliche Verbände im Regelungsbereich des künftigen VerSanG formuliert werden. Zweitens müssen selbst solche Compliance-Maßnahmen, die sich mittlerweile als Standard weitgehend durchgesetzt haben – etwa Hinweisgebersysteme – nicht für sämtliche Verbände gleichermaßen ein sinnvolles und deswegen obligatorisches Element ihrer Compliance-Organisation sein;[23] abstrakt-generelle Vorgaben beförderten an dieser Stelle zusätzlich die heute schon verbreitete Fehlvorstellung eines „One-Size-Fits-All“. In engem Zusammenhang damit steht ein dritter Punkt: Würde durch die (beispielhafte) Hervorhebung einzelner Compliance-Maßnahmen ein Standard formuliert und eine vermeintliche Best Practice definiert, führte dies am Ende dazu, dass alle Unternehmen die aufgeführten Compliance-Maßnahmen vorhalten, selbst wenn diese angesichts des Risikoprofils des jeweiligen Unternehmens nur geringe oder keine kriminalpräventive Wirksamkeit versprächen. Durch ausbuchstabierte Compliance-Vorgaben beförderte man so zusätzlich die standardmäßige Umsetzung auch solcher Maßnahmen, die allein durch erhoffte Sanktionsvergünstigungen im Falle einer entdeckten Verbandstat motiviert sind. Ein solches „Window Dressing“ führte nicht nur zur (kostenintensiven) Umsetzung im Einzelfall kriminalpräventiv wirkungsloser Compliance-Maßnahmen und wäre volkswirtschaftlich problematisch. Ein nicht mit echtem Commitment hinterlegter Compliance-Formalismus hätte auch das Zeug dafür, die Wirkungen verbandsinterner Kriminalprävention insgesamt zu schmälern. Die genannten Effekte wären auch zu befürchten, würden (unverbindliche) Compliance-Hinweise etwa in der Gesetzesbegründung erteilt oder in untergesetzlichen Compliance-Standards definiert – etwa in Richtlinien für das Strafverfahren (RiStBV). Auch davon ist deswegen abzuraten.

Die ohne Zweifel entstehenden Rechtsunsicherheiten dürfen jedoch nicht einseitig zulasten der Verbände gehen, sondern müssen richtigerweise über eine entsprechende Verfolgungs- und Sanktionierungspraxis aufgefangen werden. Insbesondere die zu erwartende (höchstrichterliche) Rechtsprechung zum VerSanG muss daher die bei der Ausgestaltung der Compliance-Organisation eingeräumten Handlungsspielräume der Leitungsorgane[24] wahren. Sie muss strikt ex ante bewerten, ob die Compliance-Organisation angemessen ausgestaltet und umgesetzt worden ist, und darf nicht im Nachhinein und in Anbetracht der Verbandstat Organisationsdefizite ausmachen und Compliance-Anforderungen formulieren (sog. Rückschaufehler).[25] Dabei wird es die Sanktionierungspraxis vor eine besondere Herausforderung stellen, dass sie künftig nicht nur die theoretische Konzeption der Compliance-Maßnahmen, sondern auch deren praktische Umsetzung, Ernsthaftigkeit und tatsächliche kriminalpräventive Wirksamkeit im Einzelfall prüfen muss. Letzteres ist kein unproblematisches Unterfangen und dürfte regelmäßig zu einer Frage für Sachverständige werden.

These 5: Eine klare Regelung zu einer sanktionsbefreienden oder zumindest erheblich sanktionsmindernden Selbstanzeigemöglichkeit für Verbände wäre wünschenswert gewesen. Bleibt es bei den vorgesehenen Regelungen, sind Selbstanzeigen des Verbands als besonders frühzeitige und umfassende Form der Kooperation im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten sanktionsmildernd zu berücksichtigen.

Die Kooperation mit den Verfolgungsbehörden in der Aufklärungsphase, also nachdem diese bereits Kenntnis einer Verbandstat erlangt haben, soll die Verbandssanktion mildern (§ 17 Abs. 1 VerSanG-RegE). Eine – weniger weitreichende – Vergünstigung für die Offenbarung einer bis dahin nur intern bekannten Verbandstat sieht der Gesetzentwurf nur in den allgemeinen Bemessungsgrundsätzen des § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-RegE („Bemühen des Verbands, die Verbandstat aufzudecken“) vor.

Aus kriminalpräventiver Sicht ist die verlässliche Honorierung der Selbstanzeige einer Verbandstat wünschenswert. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für die soziale Kontrolle nach außen abgeschotteter und bisweilen wenig transparenter Verbandsorganisationen. Denn man setzt dadurch einen Anreiz, dass Verbände fortlaufend und ernsthaft nach möglichen Rechtsverstößen in ihrer Sphäre suchen, diese offenlegen und so nicht zuletzt eine Sanktionierung der verantwortlichen Individuen ermöglichen. Angesichts der Unrechtsverstrickungen und Mitwisserstrukturen typischer verbandsbezogener Straftaten, die eine Aufdeckung von außen meist wenig wahrscheinlich machen, kann dadurch ein wichtiger zusätzlicher Überwachungsdruck aufgebaut und ein kriminologisch gut bestätigter Präventionseffekt erzielt werden.[26] Auch unter dogmatischen Gesichtspunkten spricht wenig gegen eine weitreichende Sanktionsvergünstigung infolge einer Selbstanzeige. Rechtstatsächlich hat sich die sanktionsbefreiende Selbstanzeige jedenfalls bei der kartellrechtlichen Verbandssanktionierung bewährt (sogenannte „Bonusregelung“);[27] im Individualstrafrecht findet sie eine Entsprechung unter anderem in § 371 AO.

Vor allem aus der Sicht kleinerer Verbände mit überschaubaren Organisationsstrukturen ist das Fehlen einer eigenständigen strafbefreienden oder wenigstens erheblich sanktionsmildernden Selbstanzeigemöglichkeit zu bedauern. Anders als größere Verbände mit weit verzweigten Organisationsstrukturen dürften diese nämlich kaum imstande sein, sich auf der nachgelagerten Ebene verbandsinterner Ermittlungen die Milderung des § 17 VerSanG-RegE zu verdienen, weil allzu häufig der relevante Sachverhalt bereits zu diesem Zeitpunkt weitgehend offen liegen wird. Vor diesem Hintergrund bliebe zu hoffen, dass sich zumindest in der künftigen Sanktionierungspraxis die Auffassung durchsetzen wird, wonach eine Selbstanzeige über den Hebel des § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-RegE eine deutlich spürbare Sanktionsmilderung begründet oder regelmäßig sogar zur (folgenlosen) Einstellung des Verfahrens (§§ 35, 36 VerSanG-RegE) führt.

3. Verfahrensrechtliche Vorgaben des Entwurfs

These 6: Der Trennungsgrundsatz zwischen Aufklärung und Verbandsverteidigung ist sachgerecht und dient nicht nur den Belangen einer effektiven Rechtspflege, sondern auch den Interessen von Unternehmen, Organ- und Unternehmensberatern sowie Unternehmensverteidigern. Ein striktes Kooperationsverbot ginge aber zu weit.

Der vorgelegte Entwurf sieht eine Milderung der zu verhängenden Verbandssanktion für den Fall vor, dass der Verband bei der Aufklärung des Verdachts einer Verbandstat mit den Verfolgungsbehörden kooperiert und diesen selbst oder durch einen beauftragten Dritten intern untersucht (§§ 17, 41 VerSanG-RegE). Die Milderung soll davon abhängig sein, dass die Aufklärung nicht vom Verteidiger des Verbands oder eines Beschuldigten, dessen Verbandstat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt, durchgeführt wird (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-RegE). Dieser Trennungsgrundsatz geht ausweislich der Gesetzesbegründung so weit, dass ein Verbands- oder Beschuldigtenverteidiger keinen Zugriff auf Erkenntnisse der verbandsinternen Untersuchung haben darf; werden Verteidigung und interne Untersuchung von ein und derselben (Groß-)Kanzlei durchgeführt, soll eine „Chinese Wall“ zwischen den jeweiligen Berufsträgern einzurichten sein.[28] Der Verband und seine Berater erhalten Kenntnis von den Ergebnissen der internen Untersuchung im Sinne des § 17 VerSanG-RegE mithin nur nach den Regelungen zum Akteneinsichtsrecht, möglicherweise also erst nach dem Abschluss der internen Untersuchung und gegebenenfalls ergänzender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen (§ 147 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Dieser vielfach kritisierte Trennungsgrundsatz ist aus Sicht aller Beteiligten interessengerecht. Grundsätzlich festzuhalten ist zunächst einmal, dass auch die Aufklärung einer Verbandstat keineswegs ein objektives Geschäft und ein interessenfreier Prozess ist, sondern von rechtlichen Vorannahmen, strategischen Zielen und Sachverhaltshypothesen gelenkt wird. Aus diesem Grund kann bereits die Rekonstruktion eines Sachverhalts und nicht erst dessen rechtliche Bewertung zu Interessenkonflikten führen. Soll die verbandsinterne Untersuchung die staatliche Ermittlungsarbeit weitgehend ersetzen und ist eine Ergänzung und insbesondere eine umfassende Nachprüfung verbandsinterner Ermittlungsergebnisse weder vorgesehen noch zu leisten, ist eine weitgehende Unabhängigkeit des Untersuchungsführers geboten. Eine auch nur teilweise – und völlig legitime – Verpflichtung auf die Interessen des Verbands vertrüge sich trotz aller (berufs-)rechtlichen Bindungen von Verteidigern und Rechtsberatern nicht mit der objektiven Grundausrichtung der in § 17 VerSanG-RegE vorgesehenen verbandsinternen Untersuchung.

Auch aus Sicht des Verbands, seiner Verantwortlichen, seiner Rechtsberater und Verteidiger ist die Trennung angemessen. Denn selbst ohne die in § 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-RegE niedergelegten Vorgaben wäre es Rechtsberatern und Verteidigern nahezulegen, zur Vermeidung von Interessens- und Rollenkonflikten ihre Tätigkeit im Verbands- oder Beschuldigteninteresse von der verbandsinternen Untersuchung im staatlichen Aufklärungsinteresse abzusondern. Dies gilt nicht nur im Angesicht der – im Einzelfall zweifellos im Widerspruch zum Unternehmenswohl stehenden – Pflicht zur (gezielten) Suche nach und Weitergabe von belastenden Informationen an die Verfolgungsbehörden; auch entlastende Informationen bis hin zur abschließenden Verneinung eines (hinreichenden) Tatverdachts werden nur dann die gewünschte Verbindlichkeit entfalten, wenn sie nicht im Ruch stehen, das Ergebnis einer von bestimmten Interessen gelenkten, selektiven Aufklärungsarbeit zu sein.

Zu weit geht hingegen das im Entwurf anklingende strikte Kooperationsverbot zwischen verbandsinternen Ermittlern einerseits und dem Verband und seinen Rechtsberatern andererseits. Hier scheint die Befürchtung zu bestehen, dass die Effektivität der Verfolgung durch einen verfrühten Informationsaustausch gefährdet werden könnte. Das mag ein Stück weit nachvollziehbar sein; allerdings sorgt das Kooperationsverbot nicht nur für erheblichen Mehraufwand, weil das Unternehmen selbstverständlich weiterhin berechtigt und sogar verpflichtet ist, den Sachverhalt im Eigeninteresse aufzuklären.[29] Die daraus resultierenden Parallelermittlungen können auch die Aufklärung gefährden, indem beispielsweise über die Zeit Zeugenaussagen durch Mehrfachvernehmungen beeinflusst werden.[30] Im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum geht man daher zu Recht davon aus, dass bei der Aufklärungsarbeit zwischen den einzelnen Organen einer Gesellschaft kooperiert werden darf.[31] Es sollte daher – durchaus in vager Anlehnung an § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO – eine regelmäßige Teilhabe an den Zwischenergebnissen der verbandsinternen Ermittlung gewährt werden. Dies gilt vor allem bei komplexen Sachverhalten und einer damit verbundenen langen Ermittlungsdauer. Praktikabel scheint es, dem unabhängigen Aufklärer das Recht einzuräumen, den Verband und seine Rechtsberater regelmäßig und in eigener Verantwortung über bestimmte Ermittlungsergebnisse zu informieren, wenn dadurch aus seiner Sicht der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. Soweit das staatliche Aufklärungsinteresse nicht beeinträchtigt wird, spricht auch nichts dagegen, wenn der nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG beauftragte Aufklärer für den Verband erforderliche Zusatzinformationen miterhebt.

These 7: Bei internen Untersuchungen durch den Verband wäre eine klare gesetzliche Regelung zur Selbstbelastungsfreiheit wünschenswert gewesen; das gewählte „Anreizmodell“ des § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG ist halbherzig und greift aus Sicht der betroffenen Organwalter und Mitarbeiter zu kurz.

Der vorgelegte Entwurf regelt die Frage nach der Selbstbelastungsfreiheit von Organwaltern und Verbandsmitarbeitern nicht. Er macht es aber zur Voraussetzung einer sanktionsmildernden Berücksichtigung der verbandsinternen Untersuchung, dass Verbände ihren Mitarbeitern ein – zivilrechtlich nicht bestehendes[32] – Recht zur Aussage- bzw. Zeugnisverweigerung (freiwillig) einräumen.

Die Interessenskonflikte zwischen einer effektiven Rechtspflege und einer zielgerichteten Aufklärung zu Verbandszwecken (Abstellen des Verstoßes, Anpassung der Compliance-Organisation, Personalmaßnahmen, Prüfung von Schadenersatzansprüchen) einerseits sowie den Belangen der verantwortlich handelnden Gesellschaftsorgane und Verbandsmitarbeiter andererseits sind nicht einfach aufzulösen.[33] Sachgerecht ist es zunächst einmal, dass die Interessen des Verbands zurücktreten, wenn er sich durch eine verbandsinterne Untersuchung im Sinne des § 17 VerSanG-RegE zum Zuarbeiter der staatlichen Rechtspflege macht. Zu bedenken ist jedoch auch, dass Verbände unabhängig von einer Kooperationsvereinbarung mit den Verfolgungsbehörden verpflichtet sind, einen bestehenden Verdacht rechtswidrigen Verhaltens intern aufzuarbeiten.[34] Die im Zuge einer gesellschaftsrechtlich veranlassten Aufklärung erlangten Informationen sind gegen eine Kenntnisnahme durch die Strafverfolgungsbehörden nicht vollumfänglich geschützt (vgl. dazu die vorgeschlagenen Klarstellungen in § 97 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 sowie § 160a Abs. 5 StPO-RegE).[35] Insofern drohen vor allem bei nicht kooperierenden Verbänden die prozessualen Schutzrechte natürlicher Personen systematisch verkürzt zu werden. Letzteres ist auch deswegen bedenklich, weil das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit keineswegs nur die Grundrechte der Betroffenen im Blick hat, sondern auch der Wahrheitsfindung dienen soll: Es gibt gute Gründe dafür, rechtliche Entscheidungen von erzwungenen Falschaussagen freizuhalten.[36]

Möchte man nicht ein grundsätzliches Aussage- und Zeugnisverweigerungsrecht bei verbandsinternen Untersuchungen gesetzlich verankern und es bei den geltenden zivilrechtlichen Grundsätzen belassen, spricht deswegen viel dafür, dass eine belastende Aussage zwar gegen den Verband, nicht aber im Strafverfahren gegen die jeweils betroffene natürliche Person verwertet werden darf. Es ist zwar richtig, dass damit die Avancen einer effektiven Strafrechtspflege in ihre Schranken gewiesen werden.[37] Das ist an dieser Stelle aber die Folge rechtsstaatlicher Verfahrensbindungen. Hinzukommt, dass mit einer Aussagepflicht gegenüber dem Verband bei gleichzeitiger Einschränkung der strafprozessualen Verwertbarkeit der Aussage ein guter Weg gefunden sein könnte, das Interesse des Verbands an rückhaltloser Aufklärung zu schützen: So kann der Verband beispielsweise unrechtsverstrickten Mitarbeitern zusagen, auch bei Offenlegung selbstbelastender Informationen nicht gegen sie vorzugehen, um so im Verbandsinteresse wahrheitsgemäße Aussagen zu erlangen. Die Wirksamkeit solcher Amnestieregelungen bricht in sich zusammen, wenn zu befürchten ist, dass erhobene Informationen infolge einer Beschlagnahme zur unmittelbaren Grundlage der individualstrafrechtlichen Verfolgung werden können.

These 8: Die Sonderrolle des Kartellrechts ist sachlich nicht begründbar.

Für die Verfolgung und Sanktionierung verbandsbezogener Straftaten sind künftig Staatsanwaltschaften und Strafgerichte (vgl. § 23 VerSanG-RegE, Art. 2 RegE) zuständig. Eine Bereichsausnahme soll für das Kartellrecht gelten: Nach § 42 Abs. 3 VerSanG-RegE hat die Staatsanwaltschaft von der verbandsbezogenen Verfolgung einer Kartellstraftat – zu denken ist vor allem an § 298 StGB – abzusehen, wenn eine Kartellbehörde die Tat ordnungswidrigkeitenrechtlich verfolgt oder das Verfahren einstellt. Der vorgelegte Entwurf hält damit an der bestehenden Regelung des § 82 GWB fest. Begründet wird dies unter anderem mit der besonderen Kompetenz und Sachnähe der Kartellbehörden in der Kartellbekämpfung.[38]

Für eine reformierte Verbandssanktionierung, die mit ihren Neuregelungen für eine effektive und rechtsstaatliche Kriminalprävention einstehen will, ist eine solche Selbstbeschränkung bei der Kartellverfolgung ein Schwächeausweis, der sachlich nicht zu begründen und unter rechtlichen Gesichtspunkten kaum nachvollziehbar ist. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil das geplante VerSanG umfangreiche Verfahrensrechte einräumt und trittsichere Möglichkeiten zur Sanktionsminderung vorsieht. Die Gewährung von Verfahrensrechten und die Auswahl der Sanktionsinstrumente von behördlichen Ermessenentscheidungen abhängig machen zu wollen, rückte die gesetzlichen Regelungen bedenklich an die Willkürgrenze. Besser schiene ein Kooperationsmodell, das eine enge Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaften und Kartellämtern einfordert, so wie es etwa im Kapitalmarktrecht in § 122 WpHG für die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften und BaFin niedergelegt ist. Eine solche Abstimmung sorgt nicht nur für die notwendige sachkundige Unterstützung der Verfolgungsbehörden und Gerichte, sondern dürfte künftig ohnehin noch wichtiger werden, weil auch bei der Sanktionierung nach dem geplanten VerSanG präventive Weisungen möglich sein sollen (§ 13 VerSanG-RegE), die es sorgsam mit Maßnahmen der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde abzustimmen gilt.

Schließlich ist auch die im Entwurf vorgesehene parallele Registerführung fragwürdig. Künftig soll zusätzlich zum Bundeszentralregister und zum Wettbewerbsregister (vgl. §§ 1 ff. WRegG) ein Verbandssanktionsregister (§§ 54 ff. VerSanG-RegE) geführt werden. Begründet wird dies mit unterschiedlichen Zwecken der jeweiligen Register.[39] Die Führung eines Registers ist freilich nicht zwangsläufig auf einen bestimmten Zweck festgelegt. Solange notwendige Informationen enthalten sind und etwa auch bestimmte Bußgeldentscheidungen (vgl. § 2 Abs. 2 WRegG) aufgenommen werden, kann unterschiedlichen Zwecken mit differenzierten Auskunftsregelungen Rechnung getragen werden. Eine einheitliche Registerführung wäre deshalb, auch angesichts der durchaus beträchtlichen Kosten,[40] zu begrüßen gewesen.

4. Gesellschaftsrechtliche Bezüge des Entwurfs

These 9: Die geplanten Neuregelungen treffen naturgemäß auf Verbände mit unterschiedlicher rechtlicher Struktur. Um Wertungswidersprüche und dysfunktionale Wirkungen zu vermeiden, muss ein Verbandssanktionengesetz daher seine gesellschaftsrechtlich verlängerten Wirkungen auf unterschiedlich strukturierte Verbände und deren Organe im Blick haben. Insbesondere muss es sicherstellen, dass seine Präventionsziele in sämtlichen vorgefundenen Konstellationen erreicht und nicht durch gesellschaftsrechtliche Mechanismen sachwidrig verkürzt oder gar verhindert werden können. Soweit mit seinen Zwecken vereinbar, sollte es die Beantwortung von Detailfragen aber dem Gesellschaftsrecht überlassen.

Das Verbandssanktionengesetz erstreckt sich gleichermaßen auf juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine sowie rechtsfähige Personengesellschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-RegE). Von den bezweckten kriminalpräventiven Wirkungen der vorgesehenen Sanktionen sollen sie allesamt in gleicher Weise erfasst werden. Die geplanten Regelungen erkennen dabei, dass die bezweckte Kriminalprävention durch den gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatz unterlaufen werden könnte. Folgerichtig erkennt § 9 Abs. 2 Satz 2 und 3 VerSanG-RegE bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion die gesellschaftsrechtliche Trennung von Mutter- und Tochtergesellschaften nicht an und richtet die Bemessung des Verbandssanktionsgeldes am Umsatz des gesamten Unternehmens als wirtschaftliche Einheit aus (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 VerSanG-RegE).[41] Ergänzend sieht es vor, dass verhängte Sanktionen auf andere Mitglieder der wirtschaftlichen Einheit übergeleitet werden können, wenn der eigentliche Sanktionsadressat in sanktionsvereitelnder Weise erlischt oder dessen Vermögen verschoben wird (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-RegE).[42]

Nicht recht in dieses Bild passt, dass der vorliegende Regierungsentwurf bei der originären Begründung der Verbandsverantwortlichkeit am Rechtsträgerprinzip festhalten will. Hier bedarf es stets der Straftat einer Leitungsperson des jeweiligen Verbands oder einer Tat, die „in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands begangen“ wurde (vgl. § 3 Abs. 1 VerSanG-RegE). Das ist mit Blick auf den Nutzen, der dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip gemeinhin zugeschrieben wird, ein gangbarer, mit Blick auf die konzernweite Verantwortlichkeit im Kartellrecht aber wertungswidersprüchlicher Weg. Misslich ist daran, dass die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-RegE formulierte Aufsichtspflicht starke Anleihe an § 130 Abs. 1 OWiG nimmt, der vorliegende Entwurf aber kein Wort dazu verliert, dass diese mittlerweile wohl überwiegend konzernweit verstanden wird. Sofern man der Positionierung des VerSanG-RegE keine Ausstrahlungswirkung auf § 130 Abs. 1 OWiG beimisst, käme man zu dem in der Sache zwar vertretbaren, aber nicht unbedingt stimmigen Ergebnis, dass eine originäre Konzernverantwortlichkeit nur im Verbandsordnungswidrigkeitenrecht gegeben ist.

In dieses uneinheitliche Bild passt zudem, dass der Gesetzgeber in verfahrensrechtlicher Hinsicht am gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatz festhält und diesen sogar durch eine Übertragung strafprozessualer Grundsätze flankiert und weiter ausbaut. So soll das Verbot der Mehrfachverteidigung im Sinne von § 146 StPO auch die Verteidigung mehrerer Verbände wegen derselben Tat und unabhängig davon verhindern, ob diese konzernrechtlich miteinander verbunden sind[43] und eine Mehrfachvertretung daher gesellschaftsrechtlich zulässig sein könnte. Zumindest für den Vertragskonzern stellt sich hier die Frage, ob ein derart striktes und strafrechtlich gedachtes Verbot der Mehrfachvertretung sachgerecht ist. Nicht geregelt ist, inwieweit es im Rahmen der internen Aufarbeitung (§ 17 VerSanG-RegE) zulässig sein kann, im Konzern einheitlich vorzugehen. Mehr noch als die „Konzernverteidigung“ kann dies sinnvoll sein, weil es nicht nur Ressourcen schont, sondern auch die Aufklärung effektiv machen kann, indem Doppelermittlungen oder das mosaikartige Zusammenfügen im Konzern gesammelter Erkenntnisse vermieden wird. Gesellschaftsrechtlich ist ein solches Vorgehen grundsätzlich zulässig.[44]

Schließlich unterscheiden sich die einzelnen Gesellschaftsformen, auf die sich das Verbandssanktionengesetz erstreckt, mehr oder minder stark in ihrer rechtlich vorgegebenen Binnenstruktur. Hier bleibt insbesondere unklar, inwieweit neben den Aufarbeitungsbemühungen des Leitungsorgans auch Anstrengungen von anderen Organen – etwa des Aufsichtsrats – und sonstigen gesellschaftsrechtlichen Institutionen sanktionsmildernd zu berücksichtigen sind. Als weitgehend offen muss es gelten, ob auch Aufklärungs- und Compliance-Maßnahmen, die von den Anteilseignern angestoßen werden, Berücksichtigung finden können. In Betracht kommen hier etwa die Sonderprüfung (§§ 142 ff. AktG) und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Verwaltungsorgane (§§ 147 ff. AktG). Es stellt sich in diesem Zusammenhang schließlich auch die Frage, wie mit einem widersprüchlichen Benehmen einzelner Gesellschaftsorgane umzugehen ist.

These 10: Der vorgelegte Entwurf setzt mit § 17 VerSanG-RegE einen Anreiz für eine frühzeitige Kooperation des Verbands mit den Behörden und einen „einvernehmlichen Verfahrensabschluss“. In Verbindung mit dem gesellschaftsrechtlichen Pflichtenkanon und Haftungsregime für Gesellschaftsorgane wird daraus ein zusätzlicher Kooperationsdruck entstehen. Aus generalpräventiver Sicht wäre dies nicht unproblematisch und kann insbesondere zu Lasten der Verteidigungsinteressen involvierter natürlicher Personen gehen. 

Die Entscheidung, ob sich ein verantwortliches Organ namens der Gesellschaft für oder gegen eine Kooperation im Sinne des § 17 VerSanG-RegE entscheidet, stellt richtigerweise eine unternehmerische Risikoentscheidung dar, die dem Haftungsprivileg der sogenannten Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) unterfällt. Gleichwohl dürfte die Entscheidung für eine Kooperation mit den Verfolgungsbehörden ex post kaum je einmal als pflichtwidrig eingeschätzt werden. Mit Blick auf eine schadenersatzrechtliche Einstandspflicht der Leitungsorgane wird zudem kaum der Nachweis gelingen, dass ohne Kooperation das verminderte Verbandssanktionsgeld (gänzlich) hätte vermieden werden können. Umgekehrt scheint es eher denkbar, Leitungsorgane, die sich gegen eine Kooperation entscheiden, für eine Verbandssanktion in ungeminderter Höhe erfolgreich in Anspruch zu nehmen. Diese Ausgangslage wird dazu führen, dass sich Leitungsorgane als handlungsmächtige Agenten in aller Regel für eine Kooperation ihres Prinzipals entscheiden werden. In diese Richtung werden Leitungsorgane zusätzlich noch dadurch gedrängt werden, dass sie auch bei Ablehnung einer Kooperation zur gesellschaftsinternen Aufklärung der Verbandstat verpflichtet bleiben und die entstehenden Aufklärungsergebnisse auch nach neuem Recht dem Zugriff der Verfolgungsbehörden nicht entzogen sind (vgl. § 97 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 sowie § 160a Abs. 5 StPO-RegE).

Wird die frühzeitige Kooperation zwischen Verband und Strafverfolgungsbehörden zur Regel, bleibt dies nicht ohne Auswirkung auf die Verteidigung. Da die Sachverhaltsaufklärung weitgehend in der Verantwortungssphäre des Verbands selbst liegt, wird dieser deren Ergebnisse und die Rechtmäßigkeit ihrer Erlangung kaum noch in Zweifel ziehen können. Vorrangiges Verteidigungsziel wird bei konsentiertem Sachverhalt das konkrete Sanktionsmaß sein und das Bestreben, das Verfahren möglichst ohne Öffentlichkeitswirkung und eine breite Offenlegung der Ergebnisse verbandsinterner Untersuchungen zu beenden. Kooperationen bei der Sachverhaltsaufklärung werden daher regelmäßig in verfahrensbeendende Absprachen übergehen. Nichtöffentliche Erledigungsformen – namentlich die Einstellung unter Auflagen (§ 36 VerSanG-RegE) und der Sanktionsbescheid (§ 50 VerSanG-RegE) – dürften dadurch zusätzlich befördert werden. Unter Gesichtspunkten der Generalprävention wäre eine solche Praxis eher kritisch einzuschätzen.[45]

Das mit der Neuregelung gesponnene Interessensgeflecht ist auch insoweit problematisch, als es zu Lasten der Verteidigungsinteressen involvierter natürlicher Personen gehen könnte. Involvierte Mitarbeiter dürften vielfach schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt faktisch in die Kooperation zwischen Verband und Strafverfolgungsbehörden regelrecht mitgerissen und zumindest unterschwellig zu paralleler Kooperation gedrängt werden. Bedenklich ist dies schon deswegen, weil das Individualstrafrecht eine ähnlich weitreichende Milderungsvorschrift nicht kennt[46] und natürliche Personen in aller Regel deutlich weniger Einblick in den verteidigungsrelevanten Gesamtsachverhalt haben werden als (kooperierende) Verbände und Verfolgungsbehörden.

These 11: Die Ausgestaltung der Selbstbelastungsfreiheit des Verbands könnte dazu führen, dass der Verband sich gedrängt sieht, an problematischen Organmitgliedern festzuhalten.

Das Verbandssanktionengesetz billigt dem Verband Selbstbelastungsfreiheit im Sanktionsverfahren zu. Kon-kret bedeutet dies, dass es dem gesetzlichen Vertreter des Verbands im Sanktionsverfahren freisteht, sich zur Sache zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 VerSanG-RegE). Auch in anderen Verfahren kann der gesetzliche Vertreter des Verbands als Zeuge die Auskunft verweigern (§ 33 Abs. 2 Satz 1 VerSanG-RegE). Zur Beurteilung der Frage, ob eine Person als gesetzlicher Vertreter des Verbands oder als Zeuge zu vernehmen ist, soll es ausweislich der Regierungsbegründung – wie im Zivilprozess[47] – auf den Zeitpunkt der Vernehmung ankommen. Ob eine Person ein Schweigerecht zugunsten des Verbandes hat, kann sich demzufolge während des Verfahrens ändern. Einem gesetzlichen Vertreter, der sein Amt niedergelegt hat oder abberufen wird, steht ab diesem Moment kein Aussageverweigerungsrecht für den Verband mehr zu.

Diese gesetzliche Ausgangslage könnte sich nachteilig auf die interne und externe Bewältigung einer Verbandstat auswirken. Zumindest einem nicht kooperierenden Verband wäre es nämlich nicht zu verdenken, wenn er auch problematische Organwalter möglichst lange im Amt hielte, um sich dadurch deren Aussageverweigerungsrecht zu erhalten.

These 12: Der Entwurf bezieht zur Zulässigkeit des zivilrechtlichen Innenregresses gegen Leitungsorgane und Verbandsmitarbeiter keine Stellung und scheint die Pro-blematik der Rechtsprechung überlassen zu wollen. Damit entscheiden jedoch zivilrechtliche Haftungsmechanismen darüber, wer eine Verbandsgeldsanktion am Ende zu tragen hat und ob der Präventionshebel des VerSanG systematisch auf natürliche Personen verlängert wird. Eine derart zentrale Frage, die die Grundausrichtung der Kriminalprävention betrifft, hätte der vorgelegte Regierungsentwurf nicht der (zivilen) Rechtsprechung überlassen dürfen.

Der vorgelegte Entwurf enthält keine ausdrückliche Regelung zu der Frage, ob ein verhängtes Verbandssanktionsgeld von den dafür (mit-)verantwortlichen natürlichen Personen zurückgefordert werden kann. Unbeantwortet bleibt damit zwangsläufig auch die Folgefrage, ob sich Unternehmen oder Unternehmenserwerber im Bereich des M&A[48] künftig gegen Verbandssanktionsgelder versichern können, die ihre Leitungsorgane verursachen oder denen sie sich infolge einer Unternehmensübernahme ausgesetzt sehen.[49] Im Schrifttum sind diese Fragen umstritten;[50] die Zivilrechtsprechung hat sich zur parallelen Problematik bei der Verbandsgeldbuße bislang noch nicht abschließend positioniert.[51] Das österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz regelt einen Ausschluss des Binnenregresses (§ 11 Ö-VbVG);[52] alternative Regelungsentwürfe schlagen ebenfalls ein Regressverbot vor.[53] Das Gesamtgefüge des VerSang-RegE spricht hingegen dafür, dass ein Regress künftig zulässig ist. Schon der Umstand, dass die finanzielle Belastung, die mit der Verbandsgeldsanktion verbunden ist, künftig als Haftungsbetrag problemlos verlagert werden kann (§§ 7, 31 VerSanG-RegE), deutet darauf hin, dass die pekuniäre Sanktionsfolge nicht mit einer höchstpersönlichen Zuschreibung einhergeht.[54]

Es ist zu bedauern, dass der Regierungsentwurf die Pro-blematik des Binnenregresses nicht angeht. Denn bei diesem handelt es sich keineswegs um eine einfache zivilrechtliche Anschlussproblematik. Vielmehr ist der Binnenregress zentral für die präventive Grundausrichtung eines künftigen VerSanG. Er kann nämlich entweder dazu genutzt werden, den Präventionshebel gezielt und systematisch bis zu den verantwortlich handelnden natürlichen Personen zu verlängern. Einzelne Stellen in der Begründung des Referentenentwurfs legen es durchaus nahe, in diesem Sinne verstanden zu werden.[55] Dafür mag sprechen, dass es am Ende die natürlichen Personen sind, die die relevanten Entscheidungen treffen und die Rechtstreue des Verbands maßgeblich (mit-)prägen. Gleichzeitig setzte man mit einer solchen Sanktionsverlängerung einen Anreiz für klare Verantwortungsstrukturen innerhalb der Verbandshierarchie. Denn nur wenn eine individuelle Verantwortungszuschreibung am Ende gelingt, ist der Binnenregress erfolgreich und der Verband kann sich schadlos halten. Entscheidet man sich hingegen für ein Regressverbot, bleibt es bei einer Präventionswirkung nach dem Gießkannenprinzip. Ohne Regress werden von der Präventionswirkung einer angedrohten Sanktion nämlich sämtliche Stakeholder erfasst – nicht zuletzt die Anteilseigner: Für diese werden systematisch Anreize ausgeschaltet, in solche Unternehmen zu investieren, deren Organwalter mit rechtlich riskanten Geschäftspraktiken oder durch die Einsparung von Compliance-Maßnahmen hohe Gewinne erwirtschaften.

III. Fazit: Ein wichtiger Schritt – aber nicht der ganz große Wurf

Es steht außer Frage, dass eine Reform der geltenden Verbandssanktionierung überfällig ist und der nun vorliegende Regierungsentwurf einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung macht. Der vorgelegte Entwurf begegnet den Defiziten des geltenden Rechts und schafft mit seinen Regelungsvorschlägen im Großen und Ganzen einen wünschenswerten Ausgleich zwischen den Interessen von Verbänden – und zwar denen der rechtstreuen und denen der nicht rechtstreuen gleichermaßen –, den Interessen der Leitungsorgane und Verbandsmitarbeiter sowie dem berechtigten Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven (Straf-)Rechtspflege und Kriminalprävention. Was seine Grundkonzeption angeht, ist dem Entwurf allenfalls vorzuwerfen, dass er ohne tiefergehende Begründung und ohne  ein  auf  genuin  verbandstypische  Kriminalitätsrisiken und Kriminalitätsentstehungsmechanismen bezogenes Präventionskonzept schlicht individualstrafrechtliche Regelungen auf den Verband überträgt.[56] Das geplante VerSanG befindet sich damit aber durchaus in guter Gesellschaft: Auch die vorliegenden Alternativentwürfe folgen überwiegend einer dem Individualstrafrecht entlehnten Grundausrichtung.[57]

Wohl am meisten zu bedauern ist es, dass das künftige Recht der Verbandssanktionierung systematisch vor zivilrechtlichen Fragen zurückschreckt. Das betrifft namentlich die unvollkommene Regelung der Selbstbelastungsfreiheit bei verbandsinternen Untersuchungen und die Zurückhaltung beim Binnenregress. Hier wäre es wünschenswert gewesen, wenn ein ambitioniertes Reformvorhaben nicht in einer letztlich strafrechtlich geprägten Binnenperspektive verharrt und damit gleichsam auf halbem Wege stehen bleibt.

Vor diesem Hintergrund sollte die angekündigte Evaluation der Neuregelungen[58] insbesondere auf diesen Gesichtspunkt das Augenmerk richten und in Erfahrung bringen, wie die eingeführten sanktionsrechtlichen Mechanismen mit dem Gesellschafts- und Arbeitsrecht, aber auch dem zivilen Schadenersatzrecht ineinandergreifen.[59] Es gilt deswegen nicht nur sicherzustellen, dass die Arbeitsweise und Erledigungsstrategien der Staatsanwaltschaften und Gerichte zuverlässig statistisch erfasst und nachvollziehbar gemacht werden. Vielmehr gilt es auch, die gesellschafts-, arbeits- und schadenersatzrechtliche Verarbeitung der Neuregelungen systematisch zu erfassen und in ihren (kriminalpräventiven) Folgen abzuschätzen. Auf das Ergebnis einer solchen Evaluation darf man gespannt sein.

 

[1]      Vgl. auch Kubiciel/Gräbener, ZRP 2016, 137; Weigend/Hoven, ZRP 2018, 30.
[2]      Vgl. auch Krems, ZIS 2015, 5 (6); Kubiciel/Gräbener, ZRP 2016, 137; Weigend/Hoven, ZRP 2018, 30 f.
[3]      Letzteres zeigte jüngst eindrücklich der Fall der Volkswagen Aktiengesellschaft. Von der im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal verhängten Geldbuße in Höhe von einer Milliarde Euro entfielen gerade einmal fünf Millionen Euro auf den Ahndungsanteil; der Abschöpfungsteil der Verbandsgeldbuße wurde auf 995 Mio. Euro festgesetzt.
[4]      Vgl. Baur/Holle, ZRP 2019, 186.
[5]      Vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen und den diskutierten Lösungsansätzen Greco/Caracas, NStZ 2015, 7 ff.
[6]      Vertiefend etwa Baur, NZG 2019, 1094 (1094 ff.).
[7]      Vgl. etwa aus jüngerer Zeit Kainer/Feinauer, NZA 2020, 363 ff. sowie mit berechtigter Grundsatzkritik Rostalski, NJW 2020, 2087 ff.
[8]      Vgl. dazu Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 56 f.
[9]      Vgl. dazu aber Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 71, wo der Übergang zu einem Unternehmensstrafrecht in Aussicht gestellt wird.
[10]    Zu den diesbezüglichen Voraussetzungen der §§ 258 f. StGB vgl. anstelle vieler Cramer, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 258 Rn. 6.
[11]    Vgl. dazu im Überblick Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 2 Rn. 39 ff. m.w.N. sowie jüngst zur Einziehung den Vorlagebeschluss des 3. Senats BGH, NJW 2019, 1891 ff. m. Anm. Trüg.
[12]    So liegt etwa die umsatzbezogene Höchstgrenze für einzelne Verstöße nach dem WpHG nicht nur bei zehn, sondern bei 15 Prozent des Konzernumsatzes (§ 120 Abs. 18 Satz 2 Nr. 1 WpHG). Die Veröffentlichung von Behördenentscheidungen ist ebenfalls vielfach spezialgesetzlich für ordnungswidrigkeitenrechtliche Behördenentscheidungen vorgesehen und ist bisweilen sogar unabhängig von der Rechtskraft der Entscheidung zulässig (vgl. etwa § 125 WpHG).
[13]    Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 57 f., 90 f.
[14]    Grundlegend BGH, NJW 1979, 1310; vgl. dazu auch Valerius, in: MüKo-StPO, 2019, § 395 Rn. 4.
[15]    Unklar bleibt, in welchem Umfang auch Verbände ihrerseits Verletztenrechte beanspruchen können. Die Frage stellt sich insbesondere für eine Nebenklagebefugnis des Verbands; vgl. dazu Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, 2016, Rn. 617 ff.
[16]    Vgl. mit Blick auf das Corporate Crime zusammenfassend Bergmann, MSchKrim 99 (2016), 3 (11) m.w.N.
[17]    Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 72.
[18]    Zur Wirksamkeit von theoriebasierten Präventionsstrategien vgl. Kölbel, MSchKrim 100 (2017), 430 ff. sowie Schell-Buesey/Simpson/Rorie/Alper, Criminology & Public Policy, 2016, S. 387 ff.
[19]    Vgl. dazu auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 52.
[20]    Zu denken ist etwa an Großvereine wie den Deutschen Fußball-Bund e.V. (DFB) oder den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club e.V. (ADAC).
[21]    Vgl. mit Blick auf § 299 StGB Pieth/Zerbes, ZIS 2016, 619 (623).
[22]    Vgl. in diese Richtung Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 72.
[23]    Vgl. dazu schon Baur/Holle, AG 2017, 379 (380 ff.).
[24]    Zu den Handlungsspielräumen der Leitungsorgane in Bezug auf die Organisation der Compliance statt aller Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 61 und Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. (2020), § 76 Rn. 13 ff. jeweils m.w.N.
[25]    Zum Rückschaufehler aus strafrechtlicher Sicht vgl. etwa Lindemann, RW 2019, 137 ff.; aus gesellschaftsrechtlicher Sicht vgl. Ott/Klein, AG 2017, 209 ff.
[26]    Vgl. Paternoster/Bachmann, in: The Oxford Handbook of Criminological Theory, 2015, S. 649, 659 ff.
[27]    Vgl. dazu etwa Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage (2020), § 81 GWB Rn. 602: „Aus rein pragmatischer Sicht ist festzustellen, dass Bonusregelungen jedenfalls im Kartellordnungswidrigkeitenrecht maßgeblich zur Ent- und Aufdeckung von Kartellabsprachen, die den Wettbewerbsbehörden zuvor unbekannt waren, beigetragen haben.
[28]    Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 99.
[29] Vgl. zu den gesellschaftsrechtlichen Aufarbeitungsmechanismen Baur/Holle/Reiling, JZ 2019, 1025 (1027 f.) m.w.N.; ferner Holle, ZHR 182 (2018), 569 ff.
[30]    Vgl. dazu Baur, NZG 2018, 1092 (1096); zu weiteren möglichen Friktionen vgl. ferner Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Erscheinen).
[31]    Eingehend etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, BeckOGK (Stand: 15.01.2020), § 91 Rn. 73 m.w.N.
[32]    Vgl. dazu etwa Herrmann/Zeidler, NZA 2018, 1499 (1501); Schrader/Thoms/Mahler, NZA 2018, 965 (968 ff.) jeweils m.w.N.
[33]    Vgl. schon Baur, NZG 2018, 1092 (1096 f.); Baur/Holle, ZRP 2019, 186 (188).
[34]    Vgl. zu den gesellschaftsrechtlichen Aufarbeitungsmechanismen abermals Baur/Holle/Reiling, JZ 2019, 1025 (1027 f.) m.w.N.
[35]    Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 137 f.
[36]    Dazu auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 101.
[37]    So die Begründung der ablehnenden Haltung in Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 102.
[38]    Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 120, 143 ff.; zur Problematik vgl. auch Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Erscheinen).
[39]    Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 145.
[40]    Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 64 f.
[41]    Aus dogmatischer Sicht nicht zu Unrecht kritisch Rostalski, NJW 2020, 2087 (2090); zu sinnvollen Ausdifferenzierungen vgl. Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Erscheinen).
[42]    Abermals kritisch Rostalski, NJW 2020, 2087 (2090).
[43]    Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 110.
[44]    Im faktischen Aktienkonzern bedarf es hierfür freilich der Mitwirkung des Tochtervorstands, der seinerseits gewissen Restriktionen unterliegt; eingehend Holle (Fn. 24), S. 123 ff.
[45]    Zu den Folgen für den Schutz der Geschädigten vgl. bereits oben These 3.
[46]    Vgl. dazu den voraussetzungsreicheren § 46b StGB; im Übrigen bleibt es bei einer Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB; vgl. dazu Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 46 Rn. 39.
[47]    Vgl. hierzu etwa Merkt, in: MüKo-GmbHG, 3. Aufl. (2018), § 13 Rn. 51.
[48]    Vgl. zum M&A-Kontext auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 82 f.
[49]    Zur Versicherbarkeit vgl. etwa Thomas, NZG 2015, 1409 (1416 ff.).
[50]    Eingehend hierzu Baur/Holle, ZIP 2018, 459 ff.
[51]    Offenlassend zuletzt BAG, NJW 2018, 184 ff.; dazu Baur/Holle, ZIP 2018, 459 ff.
[52]    § 11 Ö-VbVG lautet: „Für Sanktionen und Rechtsfolgen, die den Verband auf Grund dieses Bundesgesetzes treffen, ist ein Rückgriff auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter ausgeschlossen.
[53]    Vgl. Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes, NZWiSt 2018, 1 ff., § 10; Saliger/Tsambikakis/Mückenberger/Huber, Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes, 2019, § 16.
[54]    Vgl. auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 82, 125; für einen Regressausschluss aber Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Erscheinen).
[55]    So deuten etwa die Ausführungen zur Schadenswiedergutmachung in Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 89 darauf hin, dass die Verbandssanktionierung das handelnde Individuum fest im Blick hat, wenn es dort heißt, die (finanzielle) Schadenswiedergutmachung durch den Verband solle auch dazu führen, dass sich die für den Verband handelnden Personen ihrer Verantwortung bewusst werden.
[56]    Baur/Holle, ZRP 2019, 186 (189): „Anthropomorphisierung auf die Verbandsebene“.
[57]    Vgl. zu einem anderen Regelungsmodell Baur/Holle/Reiling, JZ  2019, 1025 (1032 ff.).
[58]    Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 71.
[59]    Zu diesem Ineinandergreifen vgl. Baur/Holle/Reiling, JZ 2019, 1025 (1031 ff.).

 

 

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