Michael Nietsch (Hrsg.): Unternehmenssanktionen im Umbruch

von Rechtsanwalt Christian Heuking

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2016, Nomos Verlag, Berlin, ISBN 978-3-8487-2862-6, S. 173, 45,00 Euro.

Das Buch, das in der EBS-Schriftenreihe erschienen ist, enthält die für die Veröffentlichung überarbeiteten Beiträge des 2. Wiesbadener Compliance Tages des bei der European Business School (EBS) eingerichteten Center for Corporate Compliance. Diese Veranstaltung stand unter dem Titel „Unternehmenssanktionen im Umbruch“.Den Ausgangspunkt der Darstellung bildet der Beitrag von Nietsch, „Zurechnung als Grundlage der Unternehmenssanktion in rechtsvergleichender Perspektive“, der sich mit Modellen der Zurechnung strafrechtlich relevanten Handelns natürlicher Personen zu einem Verband befasst. Die Geschäftsherrenhaftung i.S.d. Respondeat-Superior-Prinzips und das vor allem in Europa verbreitete Repräsentationsprinzip bilden dabei die Ausgangspunkte der weiteren Betrachtung, die der Autor auf vermittelnde und ergänzende Lösungen erstreckt. In dem folgenden Abschnitt bringt er diese Zurechnungsmodelle mit der Verfolgungspraxis in Verbindung, wobei der Schwerpunkt auf dem von US-Bundesbehörden herangezogenen Prinzip des Respondeat-Superior liegt. Vor diesem Hintergrund werden die Vor- und Nachteile beider Systeme diskutiert: Bei dem Respondeat-Superior-Prinzip würden die Abkehr vom Schuldbegriff und die Verlagerung zu einer Gesamtstrafe als dessen Nachteile deutlich. Andererseits fehle der dem Repräsentationsprinzip folgenden Ermittlungspraxis jene Effizienz, die es ermögliche, auch komplexe Organisationen ohne konkreten Repräsentanten zu fassen. In beiden Fällen aber bleibt, was Nietsch moniert, die Begründung der Sanktion im Verhältnis zu den betroffenen Anteilseignern offen. Als Fazit seiner Untersuchung schlägt er für das deutsche Recht Änderungen des Verfahrensrechts und für das materielle Recht ein abgestuftes System der Unternehmenssanktion vor, das ausgehend von einer Haftung für Präventionsversagen Änderungen der §§ 30, 130 OWiG vorsieht, die er anhand der zuvor gewonnenen Ergebnisse konkret begründet.

Zeidler/van Rienen wenden sich der Frage nach der Notwendigkeit eines Unternehmensstrafrechts mit den Erfahrungen zu, die sie als Rechtsanwälte bei der Verteidigung von Unternehmen und Unternehmensverantwortlichen unter unterschiedlichen Jurisdiktionen gewonnen haben. Die aktuelle Lage in Deutschland vergleichen sie unter rechtlichen als auch unter vielfältigen praktischen Gesichtspunkten und Erfahrungen mit der in den USA. Auf der   Grundlage   dieser   Erkenntnisse  würdigen  sie  das VerbStrG-E kritisch. Zwar sehen sie positive Aspekte, allen voran die vorgesehene Anwendbarkeit von § 153 a StPO mit der Folge des Strafklageverbrauchs. Überwiegend aber teilen sie die verbreiteten Bedenken gegen den Entwurf: Ein gesetzgeberisches Defizit sei nicht festzustellen, der Entwurf führe zu Systembrüchen und enthalte handwerkliche Mängel. Das Fazit ihrer Ausführungen ist daher eindeutig: „Deutschland hat kein Unternehmensstrafrecht und braucht auch keins.“

Mit einem konkreten Anwendungsbereich von Sanktionen gegen Unternehmen befassen sich Hartung/Vogt/Arend in ihrem Beitrag „Sanktionen bei Embargoverstößen aus Bankensicht – was lässt sich aus jüngsten Fällen für Prävention und Bußgeldverfahren lernen“. Die Autoren sind bei der Deutsche Bank AG als Leiter bzw. Mitarbeiter im Bereich Sanctions and Embargos tätig. Die national unterschiedliche Ausgestaltung der Sanktions- und der Verfolgungspraxis sowie ihre rasante Entwicklung beleuchten die Autoren am Beispiel der EU und der USA. Sie arbeiten die zunehmende Bedeutung heraus, die der Finanzwirtschaft bei der Umsetzung von Sanktionen zukomme, obgleich im Warenverkehr eigentlich die Exportwirtschaft die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit von Lieferungen trage. Die sich daraus und aus dem Geflecht nationaler Sanktionsordnungen für die Finanzwirtschaft ergebenden Aufgaben und Anforderungen erläutern sie näher, ebenso die Erschwernisse, die bei Auslegung und Anwendung der Vorgaben dadurch entstehen, dass Geschwindigkeit, Komplexität und politisch bedingte Unschärfe kodifizierter Sanktionen zunehmen. Als eine Folge der zum Teil drastischen Sanktionen, die wegen Embargoverstößen gegen Banken verhängt wurden, stellen die Autoren die Non- oder Deferred Prosecution Agreements und auch OFAC-Settlements (Office of Foreign Assets Control) dar, durch die ohne Feststellung eines Fehlverhaltens eine Verfahrensbeendigung gegen Zahlung von Geldauflage vereinbart wird. Als operative Folge des Sanktionsrisikos hätten Finanzinstitute in ihre Compliance-Systeme investiert, wobei die Schwerpunkte neben den klassischen Compliance-Maßnahmen auch gezielte Investitionen in die IT-Systeme bilden. Erst das Zusammenspiel technologischer und prozessseitiger Investitionen mit organisatorischen und personellen Maßnahmen schaffe eine einheitliche Qualität der Kontrollen.

Den im Juni 2015 aktuellen Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption stellt von Coelln vor: Ausgehend von Anlass und Ziel der vorgeschlagenen Regelung erläutert sie zunächst die für die Praxis besonders bedeutsame Neuregelung von § 299 StGB betreffend die Bestechung im geschäftlichen Verkehr: Ohne dass es insoweit eines Vermögensschadens bedürfe, werde das Interesse des Geschäftsherrn an loyaler Beachtung seiner Regeln geschützt. Die Neuregelung, die entgegen der Gesetzesbegründung nicht erforderlich gewesen sei, würdigt von Coelln unter Heranziehung der Diskussion, die schon zu Vorentwürfen geführt hatte, kritisch: Strafrechtliche Anknüpfung an interne Vorgaben des Gesetzgebers, verfassungsrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz, gesetzessystematische Friktionen, fehlender kriminalpolitischer Regelungsbedarf und Wertungswidersprüche zu anderen Normen sind die Stichworte, die ihre Ausführungen bestimmen. Gegen die erheblichen Bedenken einer ausufernden Strafbarkeit werden sodann Begrenzungsmöglichkeiten diskutiert: Restriktive Auslegung der Norm lehnt die Autorin letztlich ab, stellt gesetzliche Alternativlösungen vor und konstatiert für Unternehmen die Notwendigkeit, sich mit der Neuregelung zu befassen. Sodann widmet sich die Verfasserin mit einem Überblick der internationalen Dimension des Gesetzesentwurfs, der vor allem die Implementierung des Rechts der Auslandskorruption von Beamten in das deutsche StGB zum Gegenstand hat. Dass auch mit diesem Teil der Änderung der Gesetzgeber sich von EU-rechtlichen Vorgaben löst, wird dargestellt und kritisch erläutert. Als Fazit stellt die Autorin fest, der erfolgreiche Kampf gegen Korruption erfordere vor allem eine hinreichende Organisation der Strafverfolgung durch Schwerpunktstaatsanwaltschaften wie auch Sonderdienststellen der Polizei und deren personelle Ausstattung.

„Korruptionsbekämpfung aus Unternehmenssicht unter besonderer Berücksichtigung des internationalen Geschäftsverkehrs am Beispiel des Siemens Compliance Systems“ stellt Schieffer in ihrem Beitrag dar. Die Autorin ist Leiterin der Abteilung Compliance Regulatory, Policies and Legal Advice der Siemens AG. Sie stellt in ihrem Beitrag einige der insoweit wichtigsten Elemente und die Herausforderungen vor, die sich aus dem internationalen Geschäft für die unternehmensinterne Korruptionsprävention und -bekämpfung ergeben. Grundlegend skizziert sie den geltenden rechtlichen Rahmen und die organisatorischen Anforderungen an das Compliance-Management, als dessen wesentliches Mittel die Autorin Verhaltenskodizes hervorhebt, die als einheitliches Regelwerk in international agierenden Unternehmen den Anforderungen unterschiedlicher Jurisdiktionen Rechnung tragen müssten. Eine den örtlichen Gegebenheiten entsprechende Umsetz-ung werde gewährleistet, indem die wesentlichen und zentral formulierten Vorgaben durch die Compliance-Verantwortlichen vor Ort konkret umgesetzt würden. Grundsätzliches Ziel gut zu formulierender Regelwerke sei, dass Mitarbeiter ohne Anfrage bei der Compliance-Abteilung Konflikte erkennen und sich regelkonform verhalten könnten. Das Maß adäquater Präventions-Maßnahmen müsse durch Risikoanalysen ermittelt werden. Die Empfehlung differenzierter Prüfungen unter Beachtung der jeweiligen Rechtsordnungen und der Besonderheiten des konkreten Falls vertieft die Autorin sodann mittels praktischer Beispiele für die Themen „Geschenke und Einladungen“, für „Sponsoring und Corporate Responsibility“ sowie „Facilitation Payments“. Schließlich zeigt die Autorin die praktischen Auswirkungen des internationalen Geschäfts auf die Compliance-Arbeit auf und schließt die Ausführungen mit Hinweisen zu Bedeutung und Gestaltung interner Untersuchungen wie auch der Sanktionierung von Verstößen.

Die Rechtsanwälte Hugger und Pasewaldt stellen die Entwicklungen und Tendenzen zu Strafverfolgung und internen Untersuchungen bei Korruptionsverdacht in einem Vergleich von USA, Großbritannien und Deutschland dar. Sie gehen von dem Umstand aus, dass bei Korruptionssachverhalten mit internationalen Bezügen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen und drohenden Rechtsfolgen davon abhängen, welche Behörde auf welcher Grundlage tätig wird, was für die Entscheidung betroffener Unternehmen über das gebotene Vorgehen von Bedeutung sei. Ihre Erläuterung beginnen sie mit der Tätigkeit US-amerikanischer Ermittlungsbehörden, deren Rechtsgrundlagen in Gestalt des FCPA (Foreign Corrupt Practices Act von 1977) und den Zuständigkeiten der Börsenaufsicht SEC oder des Justizministeriums DOJ. Den sehr weiten Anwendungsbereich erklären sie ebenso wie die US Sentencing Guidelines und die Möglichkeiten, Strafmilderung zu erreichen, wenn nicht sogar mit einem DPA oder einem NPA die Strafverfolgung ganz vermieden werden könne. Für Großbritannien wird der UK Bribery Act als die rechtliche Grundlage des Antikorruptionsstrafrechts erläutert, für dessen Umsetzung die britische Strafverfolgungsbehörde für schwere Betrugsdelikte, das SFO (Serious Fraud Office) und die höchste britische Anklagebehörde CPS (Crown Prosecution Service) zuständig sei, die Strafen für Einzelpersonen und Unternehmen verhängen könnten. Auch insoweit stellen die Autoren den Anwendungsbereich der Regelungen, die Kooperationsmöglichkeiten und den Einsatz eines Monitors, der das Unternehmen berät und überwacht, vor. Die Regelung in Deutschland wird sodann in gleicher Systematik für die bestehende und die nach dem VerbStrG-E vorgeschlagene Rechtslage behandelt.

Mit dem Beitrag „Die Relevanz des deutschen Geldwäschestrafrechts bei Transaktionen im Ausland“ erläutert Dierkes aus der Sicht der Konzernrechtsabteilung der K+S AG das Risiko strafbarer Geldwäsche bei M&A-Transaktionen in Risikoländer. Wenn anlässlich einer Due-Diligence Informationen über steuerstrafrechtliche Ermittlungen im Zielunternehmen oder unzureichende Dokumentationen zu Kapitaltransfers in Drittländer festgestellt würden, stelle sich dem Erwerber die Frage, ob er sich einem Geldwäscherisiko aussetze. Zur Beantwortung der Frage geht der Autor anhand des § 261 StGB vor und erläutert den Gang der Prüfung in der Praxis: Die Feststellung der auch im Ausland strafbaren Vortat als Ursprung des Vorteils berge je nach Rechtsregime Schwierigkeiten, zwinge aber zu sorgfältiger Prüfung. Die dann nötige Feststellung des Kausalzusammenhangs i.S.e. Herrührens des Gegenstandes aus der Vortrat stoße ebenfalls auf tatsächliche Unsicherheiten, weil der Rechtsrahmen unklar und durch die deutsche Rechtsprechung weit ausgelegt werde. Erschlichene Steuerrückerstattungen und ersparte Aufwendungen sind sodann Fallgruppen, mit denen sich der Autor näher auseinandersetzt.

Pelz schließlich widmet sich in seinem Beitrag aus anwaltlicher Sicht der „Compliance in Hochrisikoländern“. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme zur Entwicklung des Rechtsrahmens geht er auf besondere Gefährdungslagen ein, die sich aus Sicht deutscher Unternehmen in Hochrisikoländern ergeben: Facilitation Payments, landestypische Gepflogenheiten und unterschiedliche Rechtsrahmen kennzeichneten den behandelten Gefahrenrahmen. Daran anknüpfend stellt er mit dem Tone from the Top, Schulungen und Trainings, Kontrolle der Unternehmensprozesse im Ausland und der kontinuierlichen Risikoanalyse konkret die Erfordernisse an ein adäquates Compliance-Management dar.

Durch das Buch wird insgesamt ein guter Überblick zu aktuellen Fragen gegeben, die im Hinblick auf sanktionsbewehrtes Handeln von Unternehmen für die Rechtslage in Deutschland diskutiert bzw. durch deutsche Unternehmen in Ansehung der internationalen Rechtslage in der Praxis beantwortet werden. Besonders hervorzuheben ist, dass die behandelten Themen von eher abstrakt-theoretischen Zurechnungsfragen über verschiedene Unternehmenssanktionen bis hin zur praxisbezogenen Umsetzung der aus dem Sanktionsinstrumentarium folgenden Vorgaben in international aufgestellten Unternehmen reichen. Dass die Einzelthemen von einschlägig renommierten Experten behandelt wurden, die Einblick in internationale Zusammenhänge geben, sichert dem interessierten Leser einen hohen und praxisnahen Erkenntniswert.

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