KriPoZ-RR, Beitrag 07/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BVerfG, Beschl. v. 09.02.2022 – 2 BvL 1/20: § 315d StGB ist mit dem Grundgesetz vereinbar

Amtlicher Leitsatz:

Zu Inhalt und Reichweite des Verbots einer Verschleifung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale (Art. 103 Abs. 2 GG).

Sachverhalt:

Vor dem AG Villingen-Schwenningen wird gegen den Angeklagten unter anderem wegen des Vorwurfs des Verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ein Verfahren geführt. Der Verteidiger des Angeklagten sah den Tatbestand als nicht erfüllt an, da bauartbedingt sehr viel höhere Geschwindigkeiten möglich gewesen wären.

Das AG beschloss daraufhin, das Verfahren auszusetzen und wendete sich gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG an das BVerfG mit der Frage, ob § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Das Amtsgericht sah in dem Tatbestandsmerkmal „höchstmögliche Geschwindigkeit“ einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG).

Entscheidung:

Das BVerfG hat entschieden, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Tatbestand genüge dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG).

Im Hinblick auf das streitgegenständliche Merkmal „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ sei dolus directus ersten Grades (Absicht) zu verlangen, nicht das tatsächliche Ausreizen der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs durch den Täter. Durch Auslegung lasse sich die Norm konkretisieren und durch die Rechtsprechung präzisieren, so der BGH, dessen Argumentation das BVerfG folgt. 

Auch enthalte Art. 103 Abs. 2 GG keine Pflicht, dass Tatbestandsmerkmale so formuliert werden, dass „keines in einem anderen aufgeht.“ Damit liege keine unzulässige Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen vor.

Die Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB wahre auch den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) und verstoße mangels Unverhältnismäßigkeit nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).

Anmerkung der Redaktion:

  • § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in der hier streitgegenständlichen Fassung des Sechsundfünfzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 30.09.2017 (BGBl. I S. 3532) ist hier zu finden.
  • Frühere Entscheidungen zu § 315d StGB sind in unserem KriPoZ-RR, Beitrag 20/2021 und Beitrag 12/2019 nachzulesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 225/20: § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Zur Auslegung der Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte einen sehr stark motorisierten Sportwagen ausgeliehen, um damit Freunde und Passanten mit seiner schnellen Fahrweise zu beeindrucken.

Bei einer Fahrt hatte er sein Fahrzeug innerorts bei erlaubten 50 Km/h auf ca. 163 Km/h beschleunigt und war bei einem Ausweichmanöver von der Fahrbahn abgekommen und mit einem anderen Fahrzeug kollidiert. Beide Insassen des anderen Fahrzeugs waren noch an der Unfallstelle verstorben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG.

Die von der Revision gerügte unterbliebene Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts sei rechtsfehlerfrei erfolgt. Dass LG habe den voluntativen Tötungsvorsatz zutreffend verneint, weil der Angeklagte nicht ausschließbar auf sein fahrerisches Können vertraut habe und davon ausgegangen sei, dass Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sich führen zu können.

Zwar habe er die vom Zufall abhängige drohende Gefahr eines Zusammenstoßes erkannt, allerdings habe sich die tödliche Kollision außerhalb der Fahrbahn und zu einem Zeitpunkt ereignet, als der Angeklagte schon jegliche Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte.

Zur Strafbarkeit nach § 315d StGB führte der Senat aus, dass der Gesetzgeber bei Einführung des Tatbestands gerade mit Abs. 1 Nr. 3 auch Fälle habe erfassen wollen, bei denen der Täter mit nur einem Fahrzeug in objektiver und subjektiver Hinsicht ein Kraftfahrzeugrennen nachstelle.

Das dafür erforderliche Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit sei bei jeder der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechenden Geschwindigkeit gegeben, so der BGH.

Hinsichtlich des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens könne auf die ergangene Rechtsprechung zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB zurückgegriffen werden. Wie auch bei dieser Norm bezögen sich beide Merkmale auf die objektive Tathandlung.

Schließlich brauche es in subjektiver Hinsicht noch die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dieses Merkmal sei maßgebliches Abgrenzungskriterium zu alltäglichen, im Straßenverkehr vorkommenden, Geschwindigkeitsüberschreitungen. Erfüllt sei das Merkmal, wenn der Täter die Absicht aufweise, die nach seinen Vorstellungen unter den konkreten situativen Gegebenheiten ‒ wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. ‒ maximal mögliche Geschwindigkeit auf einer unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerheblichen Strecke zu erreichen. Ist diese größtmögliche Geschwindigkeit für den Täter nur ein Zwischenziel, genüge dies auch, da der Tatbestand eine einschränkende Auslegung nicht erfordere.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Tatbestand war 2017 als Reaktion auf mehrere tödliche Straßenrennen, die teilweise eine Verurteilung wegen Mordes nach sich gezogen haben, in das StGB eingefügt worden. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19: Flucht vor Polizeiwagen kann Rennen i. S. d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sein

Amtlicher Leitsatz:

Das in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Handeln, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, setzt lediglich voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten oder nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximale mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Welche weiteren Ziele der Täter verfolgt, ist unerheblich. Auch der Wille des Täters, vor einem ihn verfolgenden Polizeifahrzeug zu fliehen, schließt die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, nicht aus.

Sachverhalt:

Das AG Münsingen hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt.

Dieser war mit seinem PKW einem polizeilichen Haltesignal bei einer Verkehrskontrolle nicht nachgekommen und anschließend mit stark überhöhter Geschwindigkeit geflohen. Dabei überfuhr er eine rote Ampel und schnitt mit einer Geschwindigkeit von 160 bis 180 km/h bei erlaubten 70 km/h die Kurven einer unübersichtlichen Landstraße in grob verkehrsgefährdender Weise.

Entscheidung des OLG Stuttgart:

Das OLG verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet.

Nach Ansicht des Gerichts fordere § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht die Absicht, die mit dem Fahrzeug objektiv höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, sondern es genüge, dass eine relative Höchstgeschwindigkeit unter Berücksichtigung von Kriterien wie der fahrzeugspezifischen Höchstgeschwindigkeit, dem subj. Geschwindigkeitsempfinden, der Verkehrslage und den Witterungsbedingungen erreicht werden solle.

Auch müsse diese Absicht, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Dafür spreche vor allem der Schutzzweck des neuen § 315d StGB, der das abstrakt höhere Gefährdungspotential einer Fahrt mit Renncharakter adressiere. Für dieses erhöhte Gefährdungspotential sei es unerheblich, welche Motive oder Beweggründe die Absicht des Täters, eine relative Höchstgeschwindigkeit erreichen zu wollen, letztlich ausgelöst hätten. Daher sei eine Unterscheidung zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation nicht sachdienlich.

Zudem gebe der Wortlaut der Norm keinen Anlass dazu, eine Flucht vor einem Polizeiwagen nicht als Wettbewerb oder Leistungsprüfung einzustufen. Der typische Unterschied zwischen einem Rennen als Wettbewerb und einer bloßen Geschwindigkeitsüberschreitung sei nämlich, dass die Aufmerksamkeit des Täters bei einem Rennen nicht nur dem Verkehr gelte, sondern auch von seinem Gegner gebunden werde. Dieser Umstand liege allerdings bei Verfolgungsjagden durch die Polizei ebenfalls vor, so das OLG.

Anmerkung der Redaktion:

Der Tatbestand der verbotenen Kraftfahrzeugrennen wurde am 12. Oktober 2017 in das StGB eingefügt. Anlass waren einige sog. Ampelrennen in Innenstädten deutscher Großstädte, die teilweise für Fahrer oder Passanten tödlich endeten (siehe beispielsweise hier). Weitere Informationen zu § 315d StGB finden Sie hier. Zudem erschien ein Beitrag zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB von Dahlke und Hoffmann-Holland in der KriPoZ. Auch Prof. Eisele veröffentlichte einen Aufsatz zu den verbotenen Straßenrennen.

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