KriPoZ-RR, Beitrag 24/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 26.01.2021 – 1 StR 289/20: Strafbarkeit wegen unerlaubter Einreise oder unerlaubten Aufenthalts bei gültiger Aufenthaltserlaubnis eines anderen EU-Staats ausgeschlossen

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Prüfung, ob eine unerlaubte Einreise oder ein unerlaubter Aufenthalt nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 96 Abs. 1 AufenthG vorliegt, ist bei einem von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellten Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 21 Abs. 1 SDÜ –vorbehaltlich der Regelung in § 95 Abs. 6 AufenthG – allein auf das objektive Kriterium eines gültigen Aufenthaltstitels abzustellen; auf den individuell verfolgten Aufenthaltszweck kommt es nicht an (Weiterführung von BGH, Urteil vom 27.April 2005 –2StR 457/04, BGHSt 50, 105).

Sachverhalt:

Das LG München I hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte er ein Geschäftsmodell betrieben, dass darauf gerichtet war, nepalesischen Staatsbürgern die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen und aufgrund einer Scheinehe auch eine unbefristete Aufenthaltsmöglichkeit im Bundesgebiet zu verschaffen. Im Rahmen dieses Geschäftsmodells hatte er auch der nepalesischen Staatsangehörigen Ra. eine Scheinehe vermittelt. Die Ra. verfügte über einen polnischen Aufenthaltstitel mit Gültigkeitsdauer bis zum 2. Juli 2020, hatte sich jedoch seit dem 23. Februar 2018 für mehrere Monate ununterbrochen in Deutschland aufgehalten.

Die Mitangeklagten S. und Sh. hatten dem Angeklagten bei der Abwicklung der Scheinehe geholfen. Sie sind vom LG allerdings mangels Vorsatzes vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Teilfreisprüche der Angeklagten S. und Sh., da zwar eine beihilfefähige Haupttat durch die Ra. vorgelgen habe, die Angeklagten jedoch bei ihrer Beihilfehandlung irrig davon ausgegangen seien, dass die Ra. über eine gültige Aufenthaltserlaubnis verfügt und sich noch nicht länger als 90 Tage im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Zwar habe sich die Ra. durch ihr Verweilen im Bundesgebiet über 90 Tage hinaus des illegalen Aufenthalts gem. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht. Der Argumentation der StA, dass die Ra. sich schon bei Einreise in das Bundesgebiet strafbar gemacht hätte, weil sie schon einen längeren Aufenthalt als 90 Tage geplant hatte, folgte der BGH jedoch nicht.

Die Frage, ob sich ein Drittausländer, der über einen von einem (anderen) Mitgliedstaat der EU ausgestellten nationalen Aufenthaltstitel verfüge, nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AufenthG strafbar mache, wenn er bereits bei Einreise die Absicht habe, einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu begründen, sei bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Auf diese Frage kam es im zu entscheidenden Fall auch eigentlich nicht an, da die Ra. sich jedenfalls nach 90 Tagen strafbar gemacht hatte. Dennoch führte der BGH zu der Streitfrage aus, dass es nur auf das objektive Vorliegen einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung und die Verweildauer in der Bundesrepublik ankomme. Die Absicht des Drittstaatlers bei Einreise in das Bundesgebiet sei irrelevant.

Dafür sprächen zum einen die Intention des Gesetzgebers, die Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2005 zu beachten, und zum anderen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG. Ebenfalls streite für dieses Ergebnis der in Art. 67 AEUV niedergelegte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und das Prinzip wechselseitigen Vertrauens.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2005 hatte der BGH entschieden, dass es für die Frage der Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts bei touristischen Schengen-Visa nicht auf den für den konkreten Aufenthaltszweck im Einzelfall notwendigen Aufenthaltstitel ankomme, sondern allein das objektive Vorliegen einer formell wirksamen Einreise- bzw. Aufenthaltsgenehmigung maßgebliches Kriterium sei. Die Entscheidung finden sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 53/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19: Richtlinienkonforme Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG

Amtliche Leitsätze:

1. Zum Begriff der dauerhaft genutzten Privatwohnung im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB.

2. Einfluss der Rückführungsrichtlinie auf die Strafbarkeit des unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

Sachverhalt:

Das LG Saarbrücken hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen, versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls, Diebstahls in zwei Fällen, versuchten Diebstahls und wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz in zwei Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte mehrere Einbrüche in Gewerbe- und Wohnimmobilien verübt, um sich eine Einnahmequelle von einiger Dauer und Erheblichkeit zu verschaffen. Teilweise hatte er Mittäter und manche Taten waren im Versuchsstadium stecken geblieben. Bei einer Tat hatte der Beschuldigte versucht, in das Haus einer älteren Frau einzubrechen, die zum Tatzeitpunkt bereits im Altenheim gelebt hatte und verstorben war. Das Haus war noch möbliert gewesen. Diesen Fall hat das LG nicht als (schweren) Wohnungseinbruchdiebstahl gewertet, da das Haus mit dem Umzug der Bewohnerin in das Altenwohnheim die Wohnungseigenschaft verloren habe.

Zu den Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz hat das LG festgestellt, dass der Angeklagte als albanischer Staatsangehöriger im Jahr 2016 ohne gültigen Reisepass oder anderes ihn zum Aufenthalt berechtigenden Dokument in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war. Im Jahr 2018 war er über Ungarn erneut in den Schengenraum eingereist und hatte sich nach dem ohne Aufenthaltstitel legalen Aufenthalt von 90 Tagen nicht aus diesem entfernt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte das Urteil teilweise ab.

Das LG habe das Merkmal der Wohnung in § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu eng ausgelegt. Wohnungen seien Räumlichkeiten, die Menschen wenigstens vorübergehend zur Unterkunft dienten. Eine dauerhafte Nutzung als solche sei ebenso wenig erforderlich, wie eine Nutzung als Wohnung zur Tatzeit, so der BGH. Eine Grenze sei erst überschritten, wenn die Immobilien als Wohnung entwidmet würden. Damit habe die Wohnung der Seniorin ein taugliches Tatobjekt im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB dargestellt. Eine Strafbarkeit nach § 244 Abs. 4 StGB komme demgegenüber nicht in Betracht, da eine nicht nur vorübergehend verlassene, sondern unbewohnte Wohnung nicht unter diese Vorschrift subsumiert werden könne. Der Wortlaut fordere gerade eine dauerhafte Nutzung als Privatwohnung, sodass hier die Wohnstätte zur Tatzeit tatsächlich bewohnt sein müsse.

Diese enge Auslegung sei auch mit dem Zweck der Norm vereinbar und aufgrund der erheblich höheren Mindeststrafe auch geboten.

Zusätzlich stellte der BGH klar, dass es bei einer im Versuchsstadium stecken gebliebenen Tat ausschließlich auf das Vorstellungsbild des Täters ankomme, sodass bei einer möblierten Wohnung davon auszugehen sei, dass der Täter bei seinem Einbruchsversuch von einer dauerhaft genutzten Privatwohnung i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB ausgehe. Etwas Anderes würde beispielsweise gelten, wenn der Täter die Wohnung länger beobachtet und erkennt, dass sie zwar noch möbliert, jedoch nicht mehr tatsächlich genutzt wird.

Zu den Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz führte der BGH aus, dass sich der Angeklagte nicht wegen unerlaubter Einreise, sondern wegen unerlaubten Aufenthalts (im Jahr 2016 in Tateinheit mit passlosem Aufenthalt) strafbar gemacht habe, da er zu einem Kurzaufenthalt berechtig gewesen sei und lediglich die erforderliche Ausreise nach 90 Tagen unterlassen hätte.

Im Fall des unberechtigten Aufenthalts im Jahr 2018 sah der BGH von Strafe ab, da der Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG europarechtskonform auszulegen sei, um den Vorrang des Rückführungsverfahrens zu sichern.

Dies erfordere, dass wegen Verstoßes gegen diesen Tatbestand keine freiheitsentziehenden Maßnahmen zu verhängen sind, da diese das Rückführungsverfahren verzögern würden. Eine Geldstrafe sei darüber hinaus ebenfalls nur möglich, wenn das Strafverfahren die Rückführung nicht verzögere und die Sanktion auch nicht in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden könne. Das fordere die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (sog. Rückführungsrichtlinie).

In Deutschland könne eine Geldstrafe bei Uneinbringlichkeit in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgeändert werden, was dazu führe, dass nach richtlinienkonformer Auslegung keine Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen gegen Ausländer wegen Taten nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG verhängt werden könnten. Demnach müsse bei solchen Taten die geringstmögliche und in keinem Fall freiheitsentziehende Sanktion verhängt werden, was einem Schuldspruch bei gleichzeitigem Absehen von Strafe entspreche, so der BGH.

Den Erwägungen des 3. Strafsenats, in diesen Fällen einen persönlichen Strafaufhebungsgrund anzunehmen, schloss sich der 5. Senat nicht an, da nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich auf freiheitsentziehende Sanktionen zu verzichten sei, nicht jedoch auf einen Schuldspruch, welcher das Unrecht der Tat wenigstens noch zum Ausdruck bringen könne.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Rückführungsrichtlinie und die Rechtsprechung des EuGH finden Sie hier und hier.

Das Urteil des 3. Senats finden Sie hier.

 

 

 

 

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