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KriPoZ-RR, Beitrag 53/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.06.2020 – 5 StR 671/19: Richtlinienkonforme Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG

Amtliche Leitsätze:

1. Zum Begriff der dauerhaft genutzten Privatwohnung im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB.

2. Einfluss der Rückführungsrichtlinie auf die Strafbarkeit des unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

Sachverhalt:

Das LG Saarbrücken hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen, versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls, Diebstahls in zwei Fällen, versuchten Diebstahls und wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz in zwei Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte mehrere Einbrüche in Gewerbe- und Wohnimmobilien verübt, um sich eine Einnahmequelle von einiger Dauer und Erheblichkeit zu verschaffen. Teilweise hatte er Mittäter und manche Taten waren im Versuchsstadium stecken geblieben. Bei einer Tat hatte der Beschuldigte versucht, in das Haus einer älteren Frau einzubrechen, die zum Tatzeitpunkt bereits im Altenheim gelebt hatte und verstorben war. Das Haus war noch möbliert gewesen. Diesen Fall hat das LG nicht als (schweren) Wohnungseinbruchdiebstahl gewertet, da das Haus mit dem Umzug der Bewohnerin in das Altenwohnheim die Wohnungseigenschaft verloren habe.

Zu den Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz hat das LG festgestellt, dass der Angeklagte als albanischer Staatsangehöriger im Jahr 2016 ohne gültigen Reisepass oder anderes ihn zum Aufenthalt berechtigenden Dokument in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war. Im Jahr 2018 war er über Ungarn erneut in den Schengenraum eingereist und hatte sich nach dem ohne Aufenthaltstitel legalen Aufenthalt von 90 Tagen nicht aus diesem entfernt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte das Urteil teilweise ab.

Das LG habe das Merkmal der Wohnung in § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu eng ausgelegt. Wohnungen seien Räumlichkeiten, die Menschen wenigstens vorübergehend zur Unterkunft dienten. Eine dauerhafte Nutzung als solche sei ebenso wenig erforderlich, wie eine Nutzung als Wohnung zur Tatzeit, so der BGH. Eine Grenze sei erst überschritten, wenn die Immobilien als Wohnung entwidmet würden. Damit habe die Wohnung der Seniorin ein taugliches Tatobjekt im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB dargestellt. Eine Strafbarkeit nach § 244 Abs. 4 StGB komme demgegenüber nicht in Betracht, da eine nicht nur vorübergehend verlassene, sondern unbewohnte Wohnung nicht unter diese Vorschrift subsumiert werden könne. Der Wortlaut fordere gerade eine dauerhafte Nutzung als Privatwohnung, sodass hier die Wohnstätte zur Tatzeit tatsächlich bewohnt sein müsse.

Diese enge Auslegung sei auch mit dem Zweck der Norm vereinbar und aufgrund der erheblich höheren Mindeststrafe auch geboten.

Zusätzlich stellte der BGH klar, dass es bei einer im Versuchsstadium stecken gebliebenen Tat ausschließlich auf das Vorstellungsbild des Täters ankomme, sodass bei einer möblierten Wohnung davon auszugehen sei, dass der Täter bei seinem Einbruchsversuch von einer dauerhaft genutzten Privatwohnung i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB ausgehe. Etwas Anderes würde beispielsweise gelten, wenn der Täter die Wohnung länger beobachtet und erkennt, dass sie zwar noch möbliert, jedoch nicht mehr tatsächlich genutzt wird.

Zu den Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz führte der BGH aus, dass sich der Angeklagte nicht wegen unerlaubter Einreise, sondern wegen unerlaubten Aufenthalts (im Jahr 2016 in Tateinheit mit passlosem Aufenthalt) strafbar gemacht habe, da er zu einem Kurzaufenthalt berechtig gewesen sei und lediglich die erforderliche Ausreise nach 90 Tagen unterlassen hätte.

Im Fall des unberechtigten Aufenthalts im Jahr 2018 sah der BGH von Strafe ab, da der Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG europarechtskonform auszulegen sei, um den Vorrang des Rückführungsverfahrens zu sichern.

Dies erfordere, dass wegen Verstoßes gegen diesen Tatbestand keine freiheitsentziehenden Maßnahmen zu verhängen sind, da diese das Rückführungsverfahren verzögern würden. Eine Geldstrafe sei darüber hinaus ebenfalls nur möglich, wenn das Strafverfahren die Rückführung nicht verzögere und die Sanktion auch nicht in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden könne. Das fordere die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (sog. Rückführungsrichtlinie).

In Deutschland könne eine Geldstrafe bei Uneinbringlichkeit in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgeändert werden, was dazu führe, dass nach richtlinienkonformer Auslegung keine Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen gegen Ausländer wegen Taten nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG verhängt werden könnten. Demnach müsse bei solchen Taten die geringstmögliche und in keinem Fall freiheitsentziehende Sanktion verhängt werden, was einem Schuldspruch bei gleichzeitigem Absehen von Strafe entspreche, so der BGH.

Den Erwägungen des 3. Strafsenats, in diesen Fällen einen persönlichen Strafaufhebungsgrund anzunehmen, schloss sich der 5. Senat nicht an, da nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich auf freiheitsentziehende Sanktionen zu verzichten sei, nicht jedoch auf einen Schuldspruch, welcher das Unrecht der Tat wenigstens noch zum Ausdruck bringen könne.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Rückführungsrichtlinie und die Rechtsprechung des EuGH finden Sie hier und hier.

Das Urteil des 3. Senats finden Sie hier.

 

 

 

 

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