KriPoZ-RR, Beitrag 60/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 05.08.2020 – 2 BvR 1985/19: Containern bleibt strafbar

Leitsatz der Redaktion:

Eine Verurteilung wegen Diebstahls aufgrund des sog. Containerns verstößt nicht gegen die Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts.

Sachverhalt:

Das AG Fürstenfeldbruck und bestätigend das Bayerische Oberste Landesgericht haben die Beschwerdeführerinnen wegen Diebstahls verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sie einige Lebensmittel aus einem verschlossenen Müllcontainer eines Supermarktes entwendet, um diese vor der Müllentsorgung zu bewahren (sog. Containern).

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Angeklagten, dass die strafgerichtlichen Verurteilungen ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und ihre allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzen würde.

Das Merkmal der Fremdheit in § 242 Abs. 1 StGB sei hier einschränkend auszulegen. Zudem dürfe das Strafrecht nur als Ultima Ratio dienen, was eine Strafbarkeit in diesem Fall als übermäßig erscheinen lasse, da die noch verzehrbaren Lebensmittel nur vor der Vernichtung gerettet worden seien und der Supermarkt kein berechtigtes Interesse mehr an ihnen gehabt habe. Der nachhaltige Umgang mit Lebensmitteln sei zudem ein Gemeinwohlbelang aus Art. 20a GG.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.

Die Annahme der Fremdheit der Lebensmittel nach einer zivilrechtsakzessorischen Betrachtung verstoße nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Auch ein Fehler bei der strafrichterlichen Beweiswürdigung sei nicht ersichtlich, indem das Tatgericht einen Besitzaufgabewillen des Berechtigten nicht vermocht habe festzustellen.

Schließlich gebiete auch das Ultima-Ratio-Prinzip keine Einschränkung des Diebstahlstatbestands in den Fällen des sog. Containerns. Zwar komme dem Übermaßverbot bei Straftatbeständen eine besondere Bedeutung zu, allerdings sei es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welches Verhalten als strafbar zu bewerten sei. Diese Entscheidung könne vom BVerfG nicht im Hinblick auf Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit, sondern nur anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe überprüft werden.

§ 242 StGB schütze das Eigentum (Art. 14 GG) als formale und zivilrechtsakzessorische Position unabhängig von seinem wirtschaftlichen Wert, was nicht gegen verfassungsrechtliche Wertungen verstoße. Die freie Verfügungsgewalt des Eigentümers über sein Eigentum sei von Jedermann zu respektieren, vor allem wenn er, wie in diesem Fall etwaige Haftungsrisiken verhindern will, indem die Lebensmittel ausschließlich an das dafür entlohnte Besorgungsunternehmen gelangen sollen.

Schließlich sei der Tatbestand auch verhältnismäßig, da er die Möglichkeit biete, Täter bei geringer Schuld dementsprechend milde zu bestrafen und von den Möglichkeiten der §§ 60, 59, 47, 56 StGB Gebrauch zu machen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Momentan befinden sich mehrere Anträge im parlamentarischen Prozess, die das sog. Containern entkriminalisieren wollen. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 38/2019

Die Pressemitteilung zur Entscheidung finden Sie hier.

BayObLG, Beschl. v. 02.10.2019 – 206 StRR 1013/19; 206 StRR 1015/19: Containern

Leitsatz der Redaktion:

Das Entwenden von Lebensmitteln aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes ist als Diebstahl strafbar.

Sachverhalt:

Das AG Fürstenfeldbruck hat die Angeklagten wegen Diebstahls verurteilt.

Nach den Feststellungen des Gerichts hatten sie sich in der Nacht auf das nichtöffentliche Gelände eines Supermarktes begeben und dort einen verschlossenen Abfallcontainer mit einem Werkzeugschlüssel geöffnet. In dem Container waren Lebensmittel zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen gesammelt worden. Die Angeklagten hatten den Container daraufhin durchsucht und einige Lebensmittel entwendet.

Entscheidung des BayObLG:

Das BayObLG verwarf die Revision der Angeklagten als unbegründet.

Zur Begründung führte es an, dass die zur Tatzeit im Eigentum des Supermarktes stehenden Lebensmittel für die Angeklagten fremd gewesen seien.

Ein erkennbarer Wille des Marktes, das Eigentum aufgeben zu wollen, sei nicht erkennbar gewesen. Dies folge schon aus dem Umstand, dass die Lebensmittel in einem verschlossenen Container für die Abholung des Entsorgungsunternehmens gelagert und vor dem Zugriff durch Dritte geschützt worden seien.

Zudem sei der Supermarkt für die Qualität der Lebensmittel, die er in den Verkehr bringe, verantwortlich. Damit habe der Markt ein berechtigtes Interesse daran, die Lebensmittel, die er für nicht mehr verkehrsfähig halte, nur an den Entsorger abzugeben und eine anderweitige Wegnahme nicht zu dulden.

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Mittlerweile hat die Fraktion Die Linke einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der das Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren soll, da solche Taten nach ihrer Motivlage nicht den Supermarkt schädigen sollen. Es ginge den Tätern vielmehr darum, Lebensmittel vor der Verschwendung zu „retten“.

Alles zum Gesetzesantrag und zur Entkriminalisierungsdebatte finden Sie hier.

Ein ähnliches Urteil erließ das AG Köln in einem Prozess um Skizzen des Künstlers Gerhard Richter, die dieser im Papiermüll entsorgen wollte. Die zugehörige Pressemitteilung finden sie hier.

 

 

„Containern“ – Strafbar aber nicht strafwürdig?

von Prof. Dr. Anja Schiemann

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Die Diskussion um die Strafwürdigkeit des sog. Containerns ist seit einer Entscheidung des AG Fürstenfeldbruck, in der zwei Studentinnen zu 8 Stunden Sozialarbeit und einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt verurteilt wurden,[1] neu entbrannt. Auf einer Petitionsplattform wurden bereits über 100.000 Unterschriften für eine Gesetzesänderung gesammelt.[2] Im April dieses Jahres hat die Fraktion Die Linke anlässlich des Falls einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen „Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle von der Strafverfolgung ausgenommen wird“.[3] Die Diskussion ist nicht neu und wird regelmäßig nach Verurteilungen geführt – häufig sind Verurteilungen glücklicherweise nicht, oftmals wird das Verfahren eingestellt. Dennoch birgt das Containern gerade wegen der unterschiedlichen Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften Strafbarkeitsrisiken, obwohl die Strafwürdigkeit eines solchen Verhaltens mehr als fraglich ist. Der Beitrag beleuchtet die geltende Rechtslage und setzt sich mit der Frage auseinander, ob de lege ferenda eine Ergänzung des § 242 StGB Not tut oder andere Möglichkeiten bestehen, das Containern an sich einzudämmen, hat es doch häufig ideologische Hintergründe und soll ein Zeichen setzen gegen Lebensmittelverschwendung.

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