Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Urt. v. 11.11.2020 – 5 StR 124/20: Heimtücke und niedrige Beweggründe
Leitsatz der Redaktion:
Schafft der Täter unter Ausnutzung der Arglosigkeit seines Opfers Bedingungen, die fortwirken und ihm die spätere Tötung erleichtern, kann dies Heimtücke begründen auch, wenn später nicht genau aufgeklärt werden kann, wie die eigentliche Tötung ablief.
Sachverhalt:
Das LG Lübeck hat den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt.
Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der aus dem Irak stammende Angeklagte eine Beziehung mit seinem späteren Opfer geführt und es auch heiraten wollen. Allerdings war es immer wieder zu Streitereien und Trennungen zwischen den beiden gekommen, da der Angeklagte sehr besitzergreifend und eifersüchtig gewesen war. Insbesondere hatte ihm nicht gefallen, dass sie Kontakt zu einem anderen Mann gehabt hatte.
Nach einer erneuten Trennung und Versöhnung hatte der Angeklagte das Opfer bei einem Treffen mit diesem Mann gesehen. Er war sehr wütend und eifersüchtig gewesen und hatte das Opfer für eine Aussprache mit seinem Auto abgeholt. Seine Hoffnung war, sie noch für sich gewinnen zu können. Gleichzeitig hatte er jedoch für den Fall, dass seine Hoffnungen enttäuscht würden, ein Messer eingesteckt. Nach einer längeren Fahrt hatte der Angeklagte das Fahrzeug in einer unbewohnten, ländlichen Gegend angehalten. Beide waren ausgestiegen und nachdem der Angeklagte hatte erkennen müssen, dass das Opfer kein Interesse mehr an einer Beziehung mit ihm hatte, hatte er sie erstochen und am Straßenrand liegen gelassen. Dabei hatte er nach der Wertung des LG den Tötungsentschluss spontan erst nach dem Verlassen des Wagens gefasst.
Entscheidung des BGH:
Der BGH hob das Urteil auf, da die Feststellungen des LG rechtsfehlerhaft gewesen seien.
Die Ansicht des LG, dass im Moment der Tat keine Arglosigkeit des Opfers habe festgestellt werden können und der spontane Tötungsentschluss ein bewusstes Ausnutzen einer etwaigen Arglosigkeit durch den Angeklagten ebenfalls fernliegend erscheinen lasse, sei nicht tragbar.
Zum einen spreche zwar für die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke, dass im grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs eine Arglosigkeit des Opfers nicht habe festgestellt werden können. Zum anderen genüge es bei einer geplanten Tat jedoch, wenn die Vorkehrungen, die der Täter ergreife um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, auf der Arglosigkeit des Opfers beruhten und diese im Zeitpunkt der Tötung noch fortwirkten.
Dies habe das LG außer Acht gelassen, indem es nicht erörtert habe, dass das bei Fahrtbeginn arglose Opfer von dem Angeklagten in ein unbewohntes Gebiet verbracht worden sei, wo es seinem Angriff schutzlos ausgeliefert gewesen sei.
Gegen einen spontanen Tatentschluss des Angeklagten spreche zudem, dass er sich mit dem Messer bewaffnet habe.
Auch die Ablehnung der niedrigen Beweggründe sei widersprüchlich, so der BGH.
Die Bewertung der Motivlage als niedrig erfordere eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Dabei seien die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich. Indem das LG wiederum die Spontanität des Tötungsentschlusses als Argument gegen das Mordmerkmal anführe, verkenne es abermals den Umstand, dass sich der Angeklagte vor der Tat gezielt mit dem Messer bewaffnet habe.
Anmerkungen der Redaktion:
Zur Beurteilung der Motivlage nach den sittlichen und rechtlichen Werten der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland siehe: BGH, Urt. v. 28.11.2018 – 5 StR 379/18.
Zur Heimtücke bei von langer Hand geplanten Taten siehe: BGH, Beschl. v. 31.07.2018 – 5 StR 296/18.