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BVerfG, Beschl. v. 30.09.2022 – 2 BvR 2222/21: Verfassungsbeschwerde im „NSU-Prozess“ nicht zur Entscheidung angenommen
Leitsatz der Redaktion:
Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung. Dem stehen auch die Grundsätze der EMRK nicht entgegen.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin wurde vom OLG München zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Die vor dem OLG München Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen unter anderem wegen mittäter- und mitgliedschaftlicher Beteiligung an mehreren Mordtaten einer rechtsterroristischen Vereinigung schuldig gemacht. Die gegen das Urteil eingelegte Revision der Beschwerdeführerin hat der BGH, ebenso wie die anschließende Anhörungsrüge verworfen. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde. Hierin rügt sie insbesondere, dass in der Revisionsinstanz von einer mündlichen Verhandlung abgesehen wurde.
Entscheidung des BVerfG:
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen zur Annahme nicht erfüllt seien. Weder sei eine Verletzung in Art. 103 Abs. 1 GG noch in Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ersichtlich.
I. Rechtliches Gehör
Die Zweite Kammer des Zweiten Senats stellt in ihrer Begründung zum Einen darauf ab, dass durch die Revisionsbegründung die Möglichkeit gegeben sei, sich umfassend zu äußern. Ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung bestehe nicht. Auch gegen die EMRK verstoße diese Auslegung nicht, da für Rechtsmittelverfahren eine eingeschränkte Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK gelte. Im Übrigen sei ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden, da Folgen und Inhalt des Vortrags nur fragmentarisch mitgeteilt worden seien. Dass der BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme abgewichen sei, treffe nicht zu, sodass auch in der Sache kein Gehörverstoß vorliege.
II. Willkürverbot
Die Feststellungen des OLG München warum die Beschwerdeführerin als Mittäterin einzuordnen sei, habe der Senat in verfassungsgemäßer Weise ausgeführt. Der Verwerfungsbeschluss – gegen den sich die Beschwerdeführerin ebenfalls wendet – ist nach dem BVerfG in die höchstrichterliche Rechtsprechung einzuordnen. Eine willkürliche Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO sei nicht erkennbar und der Vortrag der Beschwerdeführerin auch nicht geeignet.
III. Gesetzlicher Richter
Zuletzt macht die Beschwerdeführerin geltend, der Begriff der „kriminellen Vereinigung“ sei nicht unionsrechtlich ausgelegt worden. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG kann auch verletzt sein, wenn eine gebotene Zurückweisung unterlassen wird, so das BVerfG. Eine eigene Feststellung durch den BGH habe allerdings nicht vorgelegen.