KriPoZ-RR, Beitrag 02/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BGH, Urteil v. 16.12.2021 – 1 StR 197/21: BGH präzisiert Rechtsprechung zu Grenzen rechtsstaatswidriger Tatprovokation

Leitsätze der Redaktion:

Eine Straftat kann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn der Täter aufgrund des Einwirkens des Verdeckten Ermittlers eine Tat mit erheblich höherem Unrechtsgehalt begeht („Aufstiftung“).

Dabei kommt es auf das Ausmaß des ausgeübten physischen oder psychischen Drucks des Verdeckten Ermittlers und auf den Umfang der Verwicklung in Betäubungsmittelgeschäfte durch den Täter an.      

Sachverhalt:

Das LG Freiburg hat zwei Angeklagte unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen betrieb der Angeklagte H. Handel mit Kokain und Cannabisprodukten in kleinen Mengen. Vorbestraft war weder der Angeklagte H. noch der Mitangeklagte I., der sich mit dem Angeklagten zum gemeinsamen Veräußern von Betäubungsmitteln zusammenschloss.

Ein Verdeckter Ermittler erwarb von beiden Angeklagten zunächst eine kleine Menge Marihuana, anschließend – auf eigene Nachfrage – größere Mengen. Zur Beschaffung der vom Verdeckten Ermittler nachgefragten Mengen konnten die Angeklagten sich weder ihres bisherigen Lieferanten bedienen, noch waren ihnen die gängigen Preise bekannt. Es gelang den Angeklagten die gewünschte Menge über den weiteren Angeklagten Hö. zu beschaffen. Bei der letzten Übergabe der Betäubungsmittel an den Verdeckten Ermittler kam es zum Zugriff durch die Polizei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat das Urteil des LG Freiburg im Hinblick auf die Revision des Angeklagten H. teilweise aufgehoben und gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten I. erstreckt. Das LG soll eine weitere Aufklärung betreiben, ob eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation (Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK) vorgelegen habe, die ein Verfahrenshindernis begründen würde.

Verdeckte Ermittler dürften sich zwar als Scheinkäufer von Betäubungsmitteln ausgeben. Die Tatverdächtigen müssten allerdings bereits „tatgeneigt“ gewesen sein. Problematisch seien hingegen Lockspitzel-Einsätze, die bewirken, dass Personen erst zur Tat angestiftet werden. Bei der Abgrenzung sei entscheidend inwieweit bereits eine Verwicklung in BtMG-Geschäfte vorgelegen habe („Aufstiftung“) und das Ausmaß des ausgeübten psychischen oder physischen Drucks des Verdeckten Ermittlers. 

Die Revision des Angeklagten Hö. hat der 1. Strafsenat hingegen verworfen. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation hat der Senat hier verneint, da keine Beeinflussung durch den Verdeckten Ermittler festgestellt werden konnte. Die Tatprovokation des Verdeckten Ermittlers habe weder direkt noch indirekt auf ihn eingewirkt.

Anmerkung der Redaktion:

Die rechtsstaatswidrige Tatprovokation verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK). Der EGMR verurteilte Deutschland 2014 und 2020 wegen Verstößen gegen das Fairnessgebot. 

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