Zur Bedeutung der Eigengefährdung für das Vorliegen von bedingtem Tötungsvorsatz bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr – Zweites Verfahren

BGH, Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 – LG Berlin (Fortführung von BGH, Urt. v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17)

Beitrag als PDF Version / Urteil im Volltext

1. Die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter kann abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein; so kann er bei Fassen des Tatentschlusses einen bestimmten gefahrbegründenden Sachverhalt hinnehmen, während er auf das Ausbleiben eines anderen, für ihn mit einem höheren Risiko verbundenen Geschehensablaufs vertraut.

2. Für die Prüfung, ob ein Unfallgeschehen mit tödlichen Folgen vom bedingten Vorsatz des Täters umfasst war, kommt es daher darauf an, ob er den konkreten Geschehensablauf als möglich erkannt und die damit einhergehende Eigengefahr hingenommen hat. Ist dies der Fall und verwirklicht sich dieses Geschehen, ist es für die Prüfung der Vorsatzfrage unerheblich, ob er weitere Geschehensabläufe, die aus seiner Sicht mit einer höheren und deshalb von ihm nicht gebilligten Eigengefahr verbunden waren, ebenfalls für möglich erachtet hat.
 (Amtl. Ls.)

weiterlesen …

Carolin Arnemann: Defizite der Wiederaufnahme in Strafsachen. Bestandsaufnahme und Reformvorschläge auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

Beitrag als PDF Version 

2019, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-15647-4, S. 508, Euro 109,90.

Die Dissertation von Arnemann konzentriert sich auf den in der Praxis relevantesten Wiederaufnahmegrund der neuen Tatsachen oder Beweismittel gem. § 359 Nr. 5 StPO. Allerdings werden zunächst die rechtlichen Voraussetzungen der Wiederaufnahmeverfahren umfassend vorgestellt und in einen historischen und verfassungsrechtlichen Kontext gestellt. Danach folgt eine empirische Erhebung einmal quantitativ nach Fallzahlen und einmal qualitativ durch Experteninterviews. Schließlich werden Anwendungsdefizite rund um den Novitätsbegriff des § 359 Nr. 5 StGB herausgearbeitet und de lege ferenda Vorschläge formuliert. Im Einzelnen:

weiterlesen …

Toni Böhme: Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht? Eine Untersuchung zu den Ursachen von Fehlurteilen im Strafprozess und den Möglichkeiten ihrer Vermeidung

von Prof. Dr. Anja Schiemann

Beitrag als PDF Version 

2018, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-5285-0, S. 379, Euro 99,00.

Die Dissertation von Böhme geht der Frage nach, ob es sich bei Fehlurteilen in deutschen Strafverfahren um eine unvermeidbare Systemimmanenz oder um vermeidbare Irrtümer handelt. Außerdem werden Überlegungen angestellt, wie diese Fehler verringert oder gar verhindert werden können (S. 22).

weiterlesen …

Barbara Dunkel: Fehlentscheidungen in der Justiz. Systematische Analyse von Wiederaufnahmeverfahren in Strafverfahren im Hinblick auf Häufigkeit und Risikofaktoren

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

Beitrag als PDF Version 

2018, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-5272-0, S. 284, Euro 74,00.

Die Dissertation von Dunkel stößt in eine der Forschungslücken, die Böhme in der zuvor rezensierten Dissertation aufgezeigt hat, nämlich Wiederaufnahmeverfahren in Strafverfahren systematisch zu analysieren. Zuvor definiert sie den Begriff der Fehlentscheidungen und beleuchtet das Wiederaufnahmeverfahren als Untersuchungsgegenstand. Anschließend benennt sie die Risikofaktoren für Fehlurteile und gibt den Forschungsstand hinsichtlich der Häufigkeit von Fehlurteilen wieder. Bevor sie die Aktenanalyse vornimmt, werden bisherige Erkenntnisse zum Ausmaß in einer Art Meta-Analyse ausgewertet und die vom Statistischen Bundesamt erhobenen Daten zu strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren der letzten 15 Jahre untersucht. Danach folgt eine Aktenanalyse von Wiederaufnahmeverfahren in Hamburg im Zeitraum von 2003 bis 2015. Insofern wird eine systematische Analyse punktuell nur für Hamburg vorgenommen, so dass hier weiterer Forschungsbedarf über die Grenzen Hamburgs hinaus bestehen bleibt. Dunkel ist hinsichtlich der Limitierung aber kein Vorwurf zu machen, weist sie doch auf unüberwindbare bürokratische Hürden hin, die eine größer angelegte, repräsentative Analyse unmöglich machten (S. 25). Insofern wird eine Herausforderung künftiger Studien sein, diese bürokratische Hürden zu überwinden und so umfangreich zu forschen, wie das Karl Peters in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht hat.

weiterlesen …

Gesetzesantrag zur Stärkung der Führungsaufsicht

Gesetzentwürfe: 

Das Land Baden-Württemberg hat erneut einen Gesetzesantrag zur Stärkung der Führungsaufsicht in den Bundesrat eingebracht. Der wortgleiche Entwurf (BT Drs. 19/23570) unterfiel mit Ablauf der 19. Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskontinuität. Am 11. März 2022 erhielt die Initiative bei der Abstimmung im Plenum jedoch keine absolute Mehrheit und ist damit abgelehnt. 

 


19. Legislaturperiode: 

 

Das Land Baden-Württemberg hat einen Gesetzesantrag zur Stärkung der Führungsaufsicht in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 362/20). Da die Führungsaufsicht eine erhebliche kriminalpolitische und praktische Bedeutung habe, bedürfe sie in zweifacher Hinsicht einer Weiterentwicklung. Zum einen soll bei beharrlichen Weisungsverstößen das in § 145a StGB bisherige Höchstmaß der Freiheitsstrafe von 3 Jahren auf ein Höchstmaß von 5 Jahren angehoben werden, zum anderen soll die Umsetzung der Regelungen zur Weisung einer elektronischen Fußfessel verbessert werden. 

Der „Staufener Missbrauchsfall“ zeige beispielhaft, dass die bestehende Strafdrohung des § 145a StGB nicht ausreiche, damit Probanden die Weisungen, die zum Schutz der Allgemeinheit und vielfach von Kindern, erteilt worden sind, einzuhalten. Weisungsverstöße seien der erste Schritt auf dem Weg zum (erneuten) Missbrauch. Auch die „Kommission Kinderschutz“ habe sich bereits in ihrem Abschlussbericht aus Februar 2020 für eine Verschärfung der Strafandrohung des § 145a StGB ausgesprochen. Die Anhebung des Strafrahmens solle deutlich machen, dass es sich bei den Verstößen gegen Weisungen der Führungsaufsicht nicht um Taten im unteren Kriminalitätsbereich handle. Außerdem werde ein Höchstmaß von 5 Jahren Freiheitsstrafe dem Charakter des Delikts als konkretes Gefährdungsgdelikt besser gerecht. 

Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes erfolgt derzeit in Deutschland mit der Elektronischen Fußfessel, einem Sender, der am Unterschenkel des Verurteilten mit einem stabilen aber flexiblen Band angebracht wird. Rechtlich besteht keine Möglichkeit, die EAÜ gegen den Willen der Person anzulegen. Im Falle eines unkooperativen Verhaltens kommt strafprozessual nach der Entlassung aus der JVA nur eine Beantragung eines Untersuchungshaftbefehls gegen die verurteilte Person wegen eines Weisungsverstoßes (§ 145a StGB) in Betracht, sofern Haftgründe – denkbar wäre eine Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) – vorliegen. Daher sieht das Land Baden-Württemberg gesetzgeberischen Handlungsbedarf und spricht sich, wie die „Kommission Kinderschutz“, dafür aus, eine zwangsweise Durchsetzbarkeit der angeordneten EAÜ einzuführen. Dazu soll die nach § 68a Abs. 3 StGB zuständige Aufsichtsstelle die Befugnis erhalten, unmittelbaren Zwang gegen die verurteilte Person anwenden zu dürfen, falls sie beim Anlegen der Fußfessel nicht freiwillig mitwirkt. § 68a StGB soll in Abs. 3 folgender Satz 2 angefügt werden:

„Zur Durchsetzung einer Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 12 kann die Aufsichtsstelle unmittelbarem Zwang anordnen, wenn die verurteilte Person bei der Anlegung des für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittels nicht freiwillig mitwirkt.“

Der Gesetzentwurf wurde am 3. Juli 2020 im Bundesrat vorgestellt und zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 im Plenum gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23570). 

 

 

Gesetzesantrag zur Anpassung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Absatz 3 Satz 2 StPO an die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Niedersachsen hat einen Gesetzesantrag zur Änderung der StPO in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 354/20). Der Entwurf sieht vor, die Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO an die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO anzupassen. 

Das Land sieht ein Problem darin, dass die Hauptverhandlung bis zu drei Wochen (§ 229 Abs. 1 StPO), bzw. bis zu einem Monat (§ 229 Abs. 2 StPO) unterbrochen werden kann, ein Urteil jedoch spätestens am elften Tag nach Schluss der Verhandlung verkündet werden muss (§ 268 Abs. 3 S. 2 StPO). Insoweit sei die reguläre Unterbrechungsfrist verkürzt. Den Grund für den Ungleichlauf der Fristen sieht Niedersachsen in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung des § 229 Abs. 1 StPO, der eine Unterbrechung der Hauptverhandlung lediglich für bis zu zehn Tage vorsah. Der nunmehr verkürzte Zeitraum führe zu terminlichen Problemen. Es sei nicht nur notwendig, dass alle Mitglieder des erkennenden Gerichts innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO zusammenfinden, sondern es sei überdies erforderlich, dass sich das Gericht in diesem kurzen Zeitfenster umfangreich beraten kann. Dies sei aber insbesondere bei der Beteiligung von Schöffen ein Problem, da diese im Regelfall neben der ehrenamtlichen Schöffentätigkeit einem Beruf nachgehen und auch dort zeitlich eingebunden sind. 

Ebenso erschließe sich nicht, warum zwar § 229 Abs. 3 StPO entsprechend auf die Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO anwendbar ist, die Frist im Übrigen aber kürzer als diejenigen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO sein soll. Daher seien die Fristen einander anzupassen, so dass zwischen dem Schluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung bis zu drei Wochen liegen dürfen. Hat die Hauptverhandlung bereits zuvor an mindestens zehn Tagen stattgefunden, soll zwischen dem Schluss der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung eine Unterbrechung bis zu einem Monat möglich werden.

Der Entwurf wurde am 3. Juli 2020 im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss zwecks weiterer Beratung an die Fachausschüsse überweisen. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 354/1/20). Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23547)

 

 

Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

Gesetzentwürfe: 

 

Am 1. Juli 2020 hat das BMJV ein Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder auf den Weg gebracht. 

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte dazu: „Mit den erschütternden sexualisierten Gewalttaten, die in den letzten Wochen aufgedeckt wurden, wurde Kindern unermessliches Leid zugefügt. Ihr Vertrauen, sicher und geborgen leben zu können, wurde auf das Schlimmste verletzt. Angesichts der Dimension dieser systematisch organisierten Gräueltaten müssen wir ein ganz klares Signal aussenden, dass der Schutz unserer Kinder oberste Priorität hat und die Täter mit aller Konsequenz verfolgt und bestraft werden.

Kein Täter darf sich vor Entdeckung sicher fühlen. Der Verfolgungsdruck muss deshalb massiv erhöht werden. Das schreckliche Unrecht dieser Taten muss auch im Strafmaß zum Ausdruck kommen. Ich will, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Wenn und Aber ein Verbrechen ist. Gleiches gilt für Kinderpornografie, mit der diese widerlichen Taten gefilmt und verbreitet werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, soll künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können.

Gleichzeitig müssen wir die Prävention stärken. Wir brauchen höhere Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Wichtige Qualifikationen für Familien- und Jugendrichter, Jugendstaatsanwälte und Verfahrensbeistände werden wir gesetzlich festschreiben.

Neben meinen heutigen Vorschlägen steht ein Vorhaben weiter ganz oben auf der Agenda: Wer es mit dem Schutz von Kindern ernst meint, muss die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Bei jedem staatlichen Handeln muss das Kindeswohl im Blick sein. Jedem Kind muss zugehört werden. Jeder Anhaltspunkt für eine Gefährdung eines Kindes muss ernst genommen werden. Das würden die Kinderrechte im Grundgesetz verdeutlichen. Im Interesse der Kinder müssen wir über meinen Vorschlag endlich in Bundestag und Bundesrat beraten.“

Das Maßnahmenpaket enthält unter anderem folgende Punkte: 

  • Der Begriff „sexueller Missbrauch von Kindern“ in den §§ 176 bis 176b StGB soll durch „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ ersetzt werden. 
  • Der Grundtatbestand des Kindesmissbrauchs soll ein Verbrechen werden und mit Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren bestraft werden. 
  • Taten ohne Körperkontakt erhalten einen eigenen Tatbestand mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
  • Der „minder schwere Fall“ des § 176a StGB wird gestrichen.
  • Die Verbreitung von Kinderpornografie soll ein Verbrechen werden und mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu 10 Jahren bestraft werden. Der Besitz und das Besitzverschaffen sollen mit einer Freiheitsstrafen von einem bis zu 5 Jahren betraft werden. Das gewerbs- oder bandenmäßige Handeln soll künftig mit Freiheitsstrafe von 2 bis 15 Jahren geahndet werden können.
  • Der sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen soll tatbestandsmäßig um Tathandlungen mit oder vor Dritten erweitert werden.
  • Ähnlich wie bei der Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming, soll das Vorzeigen pornografischer Inhalte eine Versuchsstrafbarkeit für die Fälle erfahren, in denen der Täter irrig glaubt, mit einem Kind zu kommunizieren, in Wahrheit aber mit einem Elternteil oder Polizeibeamten in Kontakt steht. 
  • Für Familienrichterinnen und Familienrichter sollen spezifische Eingangsqualifikationen vorgeschrieben werden, ebenso sollen besondere Qualifikationsanforderungen für Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte für den Umgang mit kindlichen Zeugen eingeführt werden. 
  • Gleiches gilt für die Verfahrensbeistände, die „Anwälte des Kindes“ im Verfahren sind. 
  • Wie bereits im Bundesrat diskutiert, sollen die Fristen für die Aufnahme von bestimmten Verurteilungen in das erweiterte Führungszeugnis sowie für die Tilgung dieser Eintragungen im Bundeszentralregister verlängert werden. 
  • Die Anordnung von Untersuchungshaft soll in besonders schweren Fällen auch ohne Haftgrund nach § 112 Absatz 2 StPO (Flucht- oder Verdunkelungsgefahr) möglich sein. 

 

 

 

 

Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Abs. 1 S. 4 und 454 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 3 StPO

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Niedersachsen hat am 5. Juni 2020 einen Gesetzentwurf zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Abs. 1 S. 4 und 454 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 3 StPO in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 278/20). Bislang sei der Einsatz von Videokonferenztechnik in der gerichtlichen Praxis nur zum Teil umgesetzt worden. Der Vorteil liege aber auf der Hand: Die Verfahrensbeteiligten können ohne Reisetätigkeit an gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen teilnehmen. Dies erleichtere die Terminierung und trage zur Verfahrensbeschleunigung bei. Insbesondere falle der Transport der Inhaftierten zum Anhörungstermin weg. 

Nach derzeitiger Rechtslage ist ein Verurteilter vor einer gerichtlichen Entscheidung, die sich auf den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung oder auf eine Aussetzung des Restes der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewährung bezieht, durch das Gericht grundsätzlich mündlich anzuhören (§ 453 Abs. 1 S. 4 und § 454 Abs. 1 S. 3 StPO). Die Durchführung des Anhörungstermins mittels Videokonferenz ist nicht geregelt und bislang nur mit Zustimmung des Verurteilten möglich. Diese könne zwar eingeholt werden, jedoch sei die Quote der Rückmeldungen seitens der Verurteilten sehr gering. 

Unter anderem sollen §§ 453 Abs. 1 und 454 Abs. 1 StPO daher den Zusatz erfahren: 

„Das Gericht kann anordnen, dass die Anhörung des Verurteilten unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Verurteilte aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird.“

Der Gesetzentwurf wurde am 5. Juni 2020 erstmals im Bundesrat vorgestellt und zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. 

Am 3. Juli 2020 beschloss der Bundesrat, den Gesetzentwurf in geänderter Fassung (BR Drs. 278/20 (B)) in den Bundestag einzubringen. Dies wurde am 12. August 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/21612). 

 

Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit im Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr

Gesetzentwürfe: 

  • Gesetzentwurf des Bundesrates: BT Drs. 20/1238
  • Gesetzentwurf des Bundesrates: BR Drs. 256/20 (B)

 

Die Bayerische Staatsregierung hat die erneute Einbringung des zunächst dem Grundsatz der Diskontinuität unterfallenen Gesetzentwurfs zur Erhöhung der Sicherheit im Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr (BR Drs. 256/20 (B)) beantragt. Die erneute Einbringung wurde am 11. Februar 2022 im Bundesrat beschlossen und das Dokument am 30. März 2022 in den Bundestag eingebracht. 

Die Bundesregierung nahm zu dem Entwurf wie folgt Stellung: 

„Die Bundesregierung wird den Vorschlag prüfen. Der Vorschlag des Bundesrates erscheint grundsätzlich nachvollziehbar, auch mit Blick auf die bei dem Straftatbestand der Verbotenen Kraftfahrzeugrennen in § 315d Absatz 5 des Strafgesetzbuches (StGB) für die Todesfolge bereits geregelte Erfolgsqualifikation. Eine Erfassung der Todesfolge in der Erfolgsqualifikation des § 315 Absatz 3 Nummer 2 StGB muss jedoch gleichzeitig die Kohärenz der Strafrahmen insgesamt im Blick behalten.“

 


19. Legislaturperiode

Gesetzentwürfe: 

 

Die Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern haben am 5. Juni 2020 einen Gesetzesantrag zur Erhöhung der Sicherheit im Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 256/20). In jüngerer Zeit sei immer öfter verkehrsfeindliches Verhalten in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mit § 315d StGB hat der Gesetzgeber bereits im Oktober 2017 eine Sonderregelung für verbotene Kraftfahrzeugrennen eingeführt. Nach Ansicht der Länder sei aber bislang unbeachtet geblieben, dass bei vergleichbaren Taten die Regelung einer Erfolgsqualifikation bei Todesfolge ebenfalls fehle. So regelt § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB nur die Fälle einer (vorsätzlichen) Tat nach § 315 Abs. 1 StGB, in der der Täter eine schwere Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen (wenigstens fahrlässig) verursacht. Es gehöre zu den „Ungereimtheiten des geltenden Rechts, dass die Todesfolge keinen Eingang in § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB gefunden“ habe. Bei fahrlässiger Todesverursachung komme demnach nur ein Vergehen nach § 315 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) in Betracht. Im Gegensatz dazu, stellt die fahrlässige schwere Gesundheitsschädigung ein Verbrechen dar und wird höher bestraft. Dies sei mit Blick auf das hochrangige Rechtsgut „Leben“ nicht nachvollziehbar. 

Der Gesetzentwurf sieht daher vor, den systematischen Widerspruch aufzulösen und die Todesfolge in § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB aufzunehmen. Über die Verweisung in § 315b Abs. 3 StGB wirke sich die Änderung auch auf die Fälle des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr aus. 

Der Gesetzentwurf wurde am 5. Juni 2020 im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss zwecks weiterer Beratung an die Ausschüsse weitergeleitet. 

Am 3. Juli 2020 beschloss der Bundesrat, den Gesetzentwurf über die Bundesregierung in den Bundestag einzubringen. Dies wurde am 12. August 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/21609). 

 

 

Anpassung der Revisionsbegründungsfrist

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktion der FDP hat am 28. Mai 2020 einen Antrag zur Anpassung der Revisionsbegründungsfrist in den Bundestag eingebracht. § 345 Abs. 1 StPO sieht derzeit zur Revisionsbegründungsfrist von einem Monat vor. Nach Ansicht der Fraktion kann eine solche starre Frist gerade bei langwierigen Verfahren mit langer Absetzungsdauer des Urteils einer bestmöglichen Bearbeitung des Falles nicht gerecht werden. Im Vergleich zu der nicht begrenzten Frist für die Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 1 StPO) sei die Frist zur Revisionsbegründung zu starr. Darum soll diese angepasst werden. Sie soll erst zu laufen beginnen, wenn dem Rechtsmittelführer das Urteil und das Hauptverhandlungsprotokoll zugestellt worden sind. 

Der Bundestag soll daher die Bundesregierung auffordern: 

  1. „einen Gesetzesentwurf vorzulegen, in dem die Frist des § 345 StPO zur Revisionsbegründung vergleichbar der Regelung des § 275 Abs. 1 StPO unter Berücksichtigung des Umfangs des Verfahrens gestaffelt wird,
  2. die Vorschrift des § 345 StPO so zu reformieren, dass die Revisionsbegründungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn dem Rechtsmittelführer das Urteil und das Hauptverhandlungsprotokoll zugestellt worden sind,
  3. eine absolute Obergrenze für die Absetzungsfrist gem. § 275 Abs. 1-3 StPO zu schaffen.“

 

 

 

 

 

 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen