Abstract
Der Beitrag beschäftigt sich kritisch mit zwei Gesetzentwürfen, die die Strafbarkeit von Cybergrooming (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) im vorbereitenden Stadium eines sexuellen Missbrauchs von Kindern erweitern wollen.
Sabine Horn
Hate Speech – zur Relevanz und den Folgen eines Massenphänomens
von Staatsanwalt Christoph Apostel
Abstract
Im Zusammenhang mit der Kommunikation im Internet und speziell in den sozialen Medien wird ein Anstieg von Hate Speech wahrgenommen und diskutiert. Aktualität erhielt das Phänomen durch den Fall Walter Lübcke, nach dessen Tod es zu zahlreichen Äußerungen im Netz, insbesondere durch Personen aus dem rechtsextremen Spektrum, gekommen ist, die unter das Deliktsphänomen Hate Speech subsumiert werden können. Der vorgenannte Fall und die aktuelle Debatte bieten Anlass für diesen Beitrag, Hate Speech nicht nur als für die Ermittlungsbehörden relevantes Thema, sondern aus kriminologischer Sicht und als gesamtgesellschaftliches Problem zu behandeln.
Die Sicherstellung und Auswertung des Smartphones – Kriminalpolitischer Anpassungsbedarf?
von Polizeirat Stephan Ludewig
Abstract
Zu Beginn der 1980er Jahre war es erstmals möglich ein Mobiltelefon auf dem freien Markt zu erwerben.[1] Durch technische Innovationen entwickelte sich das Mobiltelefon im Verlauf der folgenden Jahrzehnte zu dem zentralen Kommunikations- und Computergerät im Leben moderner Menschen und stellt für viele Nutzer heute den wichtigste Datenspeicher dar.[2] Im Rahmen ihrer Sicherstellung und Auswertung steht die Digitale Forensik vor einigen rechtlichen und technischen Herausforderungen. Der Beitrag beschäftigt sich mit einem möglichen rechtlichen Anpassungsbedarf der Ermächtigungsgrundlagen zur Erlangung elektronischer Beweismittel.
Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten und Präventivmaßnahmen zur Eigensicherung – Zu einem vernachlässigten Blickwinkel auf Konflikte zwischen Polizei und Bevölkerung
von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel
Abstract
Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ist ein Phänomen, das in jüngerer Zeit aufgrund der Anzahl der festzustellenden Übergriffe und ihrer sich wandelnden Qualität eine besondere Dringlichkeit erreicht hat und zwingend einer kurzfristig wirksamen und langfristig wirkenden „Gegenstrategie“ bedarf. In der Diskussion stehen dabei u. a. strafrechtliche Erwägungen, die sich etwa mit der Ahndung von Widerstandshandlungen und Übergriffen gegen Polizeivollzugsbeamte und einer wirkungsvolleren Verfolgung derartiger Delikte beschäftigen. Der gefahrenabwehrrechtliche Blickwinkel erscheint im Kontext der Thematik demgegenüber eher vernachlässigt. Dieser Aufsatz untersucht, welchen Beitrag das präventive Polizeirecht, namentlich die Regelungen zur sog. „Eigensicherung“, zur Bewältigung der Problematik leisten kann. Dazu werden die Eigensicherung in den Kontext des Gefahrenabwehrrechts eingeordnet und das bestehende Maßnahmeninstrumentarium am Beispiel des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes untersucht; es schließen sich Überlegungen zu einer Ausweitung des präventiven „Eigensicherungsrechts“ an.
Barton/Eschelbach/Hettinger/Kempf/Krehl/Salditt [Hrsg.]: Festschrift für Thomas Fischer zum 65. Geburtstag
von Rechtsreferendar Martin Linke
2018, Verlag C. H. Beck, ISBN:978-3-406-72459-6, S. 1263, Euro 179,00
I. Einleitung
Zu seinem 65. Geburtstag wurde Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am BGH a.D. eine Festschrift gewidmet, die mit 86 Beiträgen zu insgesamt 10 Rubriken aus der Feder von 89 Autoren aufwartet. Traditionell werden die Aufsätze in verschiedene Kategorien unterteilt. Bereits der Blick in das Inhaltsverzeichnis verspricht durch ausgewiesene Experten verfasste spannende, teils grundlegende dogmatische Fragen betreffende, teils hoch aktuelle Beiträge. Die Erwartungshaltung an die Festschrift ist daher schon vor der Lektüre einzelner Abhandlungen hoch. Und sie wird nicht enttäuscht.
Thomas Giering: Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung. Zugleich ein Versuch der Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und Sicherungsverwahrung nach vorpositiven Begründungsansätzen und geltender Rechtslage
2018, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15181-3, S. 385, Euro 89,90.
Die Dissertation beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Strafe und Sicherungsverwahrung gem. §§ 66, 66a StGB, wobei primär die Rechtsprechung überprüft wird, die eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung im Bereich der Strafzumessung annimmt. Da die Sicherungsverwahrung neben der Strafe einen Freiheitsentzug für den Täter bedeutet, der über das Maß der verwirklichten Schuld deutlich hinausgehen kann, schränkt die Rechtsprechung diese Belastung dadurch ein, dass unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung die Sicherungsverwahrung bei der Bemessung der Freiheitsstrafe berücksichtigt wird.
Erlanger Cybercrime Tag 2019: Cyber-Finanzkriminalität und Virtuelle Geldwäsche
von Akad. Rat a.Z. Dr. Christian Rückert und Wiss. Mit. Marlene Wüst
Der Tagungsbericht enthält sprachlich bereinigte Zusammenfassungen der Transkriptionen der Vorträge und Diskussionsbeiträge. Der Vortragsstil der einzelnen Beiträge wurde überwiegend beibehalten. Dementsprechend wur-de auch auf Fußnoten verzichtet. Der Erlanger Cybercrime Tag 2019 wurde vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert.
Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von im politischen Leben des Volkes stehenden Personen
Gesetzentwürfe:
- Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz: BR Drs. 418/19
- Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 418/1/19
- Gesetzentwurf des Bundesrates: BT Drs. 19/16401
Das Land Rheinland-Pfalz hat am 9. September 2019 einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von im politischen Leben des Volkes stehenden Personen (BR Drs. 418/19) in den Bundesrat eingebracht. Gerade Politiker, die im öffentlichen Leben stehen, seien strafrechtlich besonders vor beleidigenden und bedrohenden Äußerungen in sozialen Netzwerken zu schützen. Bislang seien nach h.M. in Rspr. und Literatur durch § 188 StGB (Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens) nur Mitglieder der Bundes- und Landesregierungen, Mitglieder des Bundestages, die Abgeordneten Deutschlands im europäischen Parlament sowie Spitzenfunktionäre politischer Parteien erfasst und Politiker auf kommunaler Ebene gerade nicht. Ihnen komme nur ein begrenzter Einfluss auf das politische Leben im Gesamtstaat zu. Dem Land Rheinland-Pfalz erscheint diese Sichtweise anlässlich des beträchtlichen Fortschritts auf dem Gebiet der Kommunikation, insbes. auf Äußerungsplattformen im Internet und in den sozialen Medien, realitätsfern. Vielmehr seien es gerade die auf kommunalpolitischer Ebene tätigen Personen, die eine Internethetzte oftmals besonders stark treffe.
2017 haben sich bereits die Justizminister im Rahmen ihrer Frühjahrskonferenz dafür ausgesprochen, die Ehrverletzungsdelikte (§§ 185 ff. StGB) mit Blick auf die Besonderheiten einer Tatbegehung im Internet auf einen Anpassungsbedarf zu überprüfen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, § 188 StGB dahingehend zu ergänzen, dass auch auf kommunaler Ebene tätige Politiker vor üblen Nachreden und Verleumdungen geschützt werden. Im gleichen Zuge soll das Strafantragserfordernis des § 194 StGB gelockert werden. Der Tatbestand des § 241 StGB soll eine Strafrahmenerhöhung auf drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe erfahren, wenn die Tat öffentlich oder durch das Verbreiten von Schriften begangen wird. Für den Fall, dass sich die Bedrohung auf eine in § 188 StGB genannte Person bezieht, ist der erhöhte Strafrahmen des § 188 Abs. 1 StGB vorgesehen.
In seiner Plenarsitzung am 29. November 2019 beschloss der Bundesrat, den Gesetzentwurf an die Bundesregierung weiterzuleiten. Am 8. Januar 2020 brachte er einen entsprechenden Gesetzentwurf (BT Drs. 19/16401) in den Bundestag ein.
Bezüglich der Änderungen der §§ 188 und 241 StGB gab es bereits einen Vorstoß des BMJV, das am 19. Dezember 2019 einen entsprechenden Referentenentwurf auf den Weg brachte. Der Entwurf nimmt auf die Länderinitiative Bezug, sieht aber in dem vorgeschlagenen Weg eine bessere Umsetzung der Ziele. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.
Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland
Sechzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland vom 30. November 2020: BGBl. I 2020, S. 2600 ff.
Gesetzentwürfe:
- Referentenentwurf des BMJV
- Regierungsentwurf: BT Drs. 19/19859
- Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 167/1/20
- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: BT Drs. 19/23179
Am 4. September 2019 hat das BMJV einen Referentenentwurf zur Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland vorgelegt.
Der Begriff der „Schriften“ (§ 11 Abs. 3 StGB), werde der heutigen Lebenswirklichkeit bei den entsprechenden Tatbegehungsformen nicht mehr gerecht, da die Verbreitung strafbarer Inhalte nunmehr durch moderne Informations- und Kommunikationstechnik erfolge. Insbesondere sei es dadurch nicht mehr erforderlich, dass bei Übertragungen von Inhalten eine Speicherung beim Empfänger stattfindet. Aufgrund dessen wurden bereits mit den Änderungen des Neunundvierzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10 – 49. StrÄndG) im Bereich der Pornographiedelikte (§§ 184 ff. StGB) und der Volksverhetzung (§ 130 StGB) Spezialregelungen eingefügt. Dort bereite jedoch der verwendete Begriff der „Telemedien“ Auslegungsschwierigkeiten. In den Schriftenverbreitungstatbeständen des Ersten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB, seien solche Sonderregelungen zur Erfassung moderner Kommunikationstechnik zudem entweder gar nicht oder nur in Einzelansätzen vorhanden.
Der Referentenentwurf sieht daher vor, den Schriftenbegriff des § 11 Absatz 3 StGB zu einem „Inhaltsbegriff“ werden zu lassen, indem nicht mehr auf das Trägermedium, sondern auf den Oberbegriff des Inhalts abgestellt wird. Der Begriff der Schriften aus § 11 Abs. 3 StGB soll als Untergruppe des neuen Oberbegriffs erhalten bleiben, damit auch das Verbreiten oder Zugänglichmachen entsprechender verkörperter Inhalte erfasst wirf. Die sog. Schriftendelikte werden damit zu „Inhaltsdelikten“, die alle technischen Methoden der Informationsübertragung erfassen.
Um von der technischen Entwicklung fortan unabhängig zu sein, sollen einige Regelungen „vor die Klammer gezogen“ werden:
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- „Alle – zukünftigen – Inhaltsdelikte sollen grundsätzlich auch die Übertragung von strafbaren Inhalten in Echtzeit erfassen (wie dies derzeit vor allem schon bei den Pornographietatbeständen und der Volksverhetzung der Fall ist); dies soll auch für die Liveübertragung des gesprochenen Wortes, insbesondere mittels IP-Telefonie, gelten.
- Indem nicht mehr (allein) auf den Datenträger abgestellt wird, verliert die Frage an Bedeutung, ob und wie der Inhalt beim Empfänger abgespeichert werden muss, um eine Verbreitung zu bejahen.
- Die Abgrenzungsprobleme, die der in Spezialvorschriften des StGB (zum Beispiel § 184d) verwendete Begriff „Telemedien“ verursacht, sollen beseitigt werden. Insbesondere soll es keine Rolle mehr spielen, ob eine bestimmte Übertragungsform (namentlich Instant-Messaging-Dienste wie zum Beispiel „WhatsApp“ oder E-Mail-Dienste wie zum Beispiel „Gmail“) zu den Telekommunikationsdiensten oder telekommunikationsgestützten Diensten zählen, die nach § 1 Absatz 1 des Telemediengesetzes vom Begriff der „Telemedien“ ausgeschlossen sind; auch die Abgrenzung zwischen „Telemedien“ und „Rundfunk“ soll entfallen und beide Übertragungswege sollen einheitlich behandelt werden.“
Alle Tatbestände, die bislang auf den Schriftenbegriff verwiesen, sollen an den „Inhaltsbegriff“ angepasst werden. Da dies gerade im Pornographiestrafrecht mehrere Änderungen erfordere, soll dies ebenso dazu genutzt werden Korrekturen an den Tatbeständen vorzunehmen, die bereits von der Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfohlen wurden.
In einem weiteren Teil sieht der Referentenentwurf vor, die Begriffe des „Schwachsinns“ und der „Abartigkeit“ in § 20 StGB und § 12 Abs. 2 OWiG durch die Begriffe der „Intelligenzminderung“ und „Störung“ zu ersetzen. Eine inhaltliche Änderung sei damit jedoch nicht verbunden.
Des Weiteren seien aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung des BGH die vom Ausland ausgehenden Handlungen im Bereich der §§ 86, 86a und 130 StGB nicht mehr angemessen erfasst. Gleiches gelte ebenso für § 111 StGB. Anlehnend an die Systematik der §§ 89a bis 89c StGB soll ein jeweils gesonderter Absatz in die Tatbestände eingefügt werden, der die Strafbarkeit unter bestimmten Voraussetzungen auf die im Ausland begangene Handlungen erstreckt.
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- „Bei den §§ 86, 86a und 130 StGB-E muss das „Verbreiten“ zu einer „im Inland wahrnehmbaren“ Verbreitung führen, ein „der Öffentlichkeit Zugänglichmachen“ muss gegenüber der „inländischen“ Öffentlichkeit erfolgen und bei § 111 StGB-E muss die Aufforderung – die sich auf eine im Inland zu begehende Tat bezieht – „im Inland wahrnehmbar“ sein.
- Bei § 130 StGB-E muss die Tat zudem geeignet sein, den inländischen öffentlichen Frieden zu stören.“
Am 11. März 2020 hat die Bundesregierung den vom BMJV vorgelegten Entwurf beschlossen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht: „Unsere Rechtsordnung darf niemanden diskriminieren. Das muss auch in der Wortwahl der Gesetze zum Ausdruck kommen. Überkommene herabsetzende Begriffe wie ‚Schwachsinn‘ und ‚Abartigkeit‘, die es in der Fachwelt längst nicht mehr gibt, haben auch im Strafgesetzbuch nichts zu suchen. Sie sollen durch neutrale Begriffe ersetzt werden. Zudem ändern wir mit diesem Gesetzentwurf durchgängig den veralteten Begriff der ‚Schriften‘ so, dass alle Methoden der Inhaltsübertragung erfasst werden, also auch auf elektronischem Weg.“
Der Bundestag debattierte erstmals am 18. Juni 2020 über den Entwurf. Er wurde im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Dieser nahm den geänderten Regierungsentwurf am 7. Oktober 2020 mit den Stimmen der Koalition, Linken und Grünen und gegen die Stimmen der AfD unter Enthaltung der FDP an.
Der Bundestag stimmte schließlich in seiner Sitzung am 8. Oktober 2020 auf Grundlage der Beschlussempfehlung und des Berichtes des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (BT Drs. 19/23179) für den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf. Der Bundesrat befasste sich am 6. November 2020 abschließend mit dem Regierungsentwurf. Obwohl die in der Stellungnahme ausgesprochenen Empfehlungen nicht berücksichtigt wurden, verzichtete er auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Das sechzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland vom 30. November 2020 (BGBl. I 2020, S. 2600 ff.) wurde am 3. Dezember 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt am 1. Januar 2021 in Kraft.
Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes
Gesetz zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes vom 30. März 2021: BGBl. I 2021, S. 402 ff.
Gesetzentwürfe:
- Regierungsentwurf: BT Drs. 19/12088
- Ausschussempfehlung: BT Drs. 19/16116
- Gesetzesbeschluss des Bundestages: BR Drs. 24/20
Am 8. August 2019 brachte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes (BT Drs. 19/12088) in den Bundestag ein.
Grund hierfür ist das Urteil des BVerfG vom 20. April 2016 (BVerfGE 141, 220) sowie die Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 89).
Das BVerfG hat in seinem Urteil das BKAG in seiner Fassung vom 25. Dezember 2008 teilweise für verfassungswidrig erklärt und im gleichen Zuge einige Anforderungen an die Nutzung und Übermittlung staatlich erhobener Daten gestellt. Insbesondere die Grundsätze der Zweckbindung und Zweckänderung seien für die Nutzung und Erhebung der Daten zu beachten. Die Erhebung personenbezogener Daten, die aus eingriffsintensiven Maßnahmen resultieren, sei grundsätzlich zum Zweck des zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens möglich. Eine weitergehende Nutzung sei im Rahmen der ursprünglichen Zwecke dieser Daten erlaubt, jedoch nur dann, wenn dieselbe Behörde im Rahmen desselben Aufgabenkreises die Daten zum Schutz derselben Rechtsgüter und zur Verfolgung oder Verhütung derselben Straftaten einsetze. Eine darüber hinausgehende Nutzung sei nur im Rahmen einer Zweckänderung möglich, die sich an den Verhältnismäßigkeitsanforderungen für eine solche Zweckänderung zu orientieren habe. Sie müsse demnach dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von Straftaten dienen, die eine verfassungsrechtliche Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen würde. Dieses Schutzniveau der Daten dürfe auch durch eine Übermittlung personenbezogener Daten von deutschen Behörden an Drittstaaten oder durch eine Entgegennahme rechtswidrig erlangter Daten nicht ausgehöhlt werden.
Die Richtlinie (EU) 2016/680 war bis zum 25. Mai 2018 in nationales Recht umzusetzen. Sie verfolgt das Ziel, den Datenschutz im Rahmen der Tätigkeit der Strafverfolgung- und Gefahrenabwehrbehörden zu vereinheitlichen und gleichzeitig ein hohes Schutzniveau für personenbezogene Daten sicherzustellen. Des Weiteren soll der unionsweite Informationsaustausch verbessert werden.
All diese Grundsätze sollen nun durch eine konstitutive Neufassung des Zollfahndungsdienstgesetzes umgesetzt und erforderliche Regelungen aufgenommen werden.
Vorgesehen ist u.a.:
- die Schaffung der Möglichkeit zum Einsatz Verdeckter Ermittler
- die Befugnis zur Identifizierung und Lokalisierung von Mobilfunkkarten und Telekommunikationsendgeräten, bspw. durch IMSI-Catcher oder WLAN-Catcher im Rahmen der Gefahrenabwehr
- die Erweiterung der Auskunftspflichten von Betroffenen und Dritten
Am 25. November 2019 fand im Finanzausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Der Regierungsentwurf erntete Lob aus den Reihen der Zollverwaltung, während die Datenschützer und Anwälte den Entwurf durchaus kritisch sahen.
Das Zollkriminalamt hob hervor, dass insgesamt ein modernes Gesetz vorliege, das „sich folgerichtig in die aktuelle Gesetzgebung für Sicherheitsbehörden und die Strafverfolgung“ einpasse. Insbesondere wurde der geplante Einsatz Verdeckter Ermittler hervorgehoben, da es aufgrund des Täterverhaltens schon lange erforderlich geworden sei, eine Mischung unterschiedlichster Methoden und Ansätze für die Informationsgewinnung einzusetzen. Der Deutsche Anwaltverein sieht genau darin jedoch eine Erweiterung grundrechtsintensiver Eingriffe und stellte die Frage, warum überhaupt Verdeckte Ermittler zum Einsatz kommen müssten. Die Zollgewerkschaft lobte die präventiven Möglichkeiten bei der Post- und Telekommunikationsüberwachung. Marius Kühne, kritisierte hingegen als Zollbeamter den Umfang der geplanten Neustrukturierung, die eine Verdoppelung der Paragrafenzahl mit sich bringe. Damit werde für die Kollegen die Abfrage in Datenbanken zu kompliziert. Prof. Dr. Klaus Gärditz und Prof. Dr. Kurt Graulich sprachen von einem gelungenen Entwurf, der sich an den Leitsätzen des BVerfG orientiere.
Kritik übte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit an der Begründung der Erforderlichkeit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern. Eine reine Nützlichkeit sei seiner Ansicht nach hierfür nicht ausreichend. Außerdem bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Bestandsdatenauskunft, da der Entwurf eine permanente Erhebung und weitere Verwendung der Daten sowie die Zuordnung von Internetprotokoll-Adressen vorsehe.
Die Bezirksgruppe Zoll der Gewerkschaft der Polizei legte in der Anhörung einen eigenen Gesetzentwurf vor. Ihrer Ansicht nach sollte das Zollkriminalamt als eigene Behörde geführt werden. Außerdem sollte der Zollfahndungsdienst auch materiell-rechtlich als Polizei angesehen werden. Des Weiteren sieht der Entwurf der Gewerkschaft die gleichen datenschutzrechtlichen Bestimmungen vor wie der Regierungsentwurf.
Aufgrund des enormen Umfangs der komplexen Änderungsvorschläge sprach Prof. Dr. Hartmut Aden die Empfehlung aus, den Gesetzentwurf aufgrund seiner vielen Defizite zurückzuziehen und das Gesetzgebungsverfahren erneut zu starten.
Am 18. Dezember 2019 hat der Finanzausschuss dem Regierungsentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen zugestimmt.
Am 19. Dezember 2019 hat der Bundestag den Entwurf in der geänderten Ausschussfassung (BT Drs. 19/16116) angenommen.
Am 26. März 2021 hat der Bundesrat dem Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft zugestimmt. Nur wenige Stunden zuvor hatte auch der Bundestag aufgrund der Empfehlung des Vermittlungsausschusses (BT Drs. 19/27900) den Entwurf verabschiedet. Der Bundespräsident hatte das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität sowie das Gesetz zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstes so lange nicht ausgefertigt. Beide Entwürfe wurden nun ebenfalls an die Vorgaben des BVerfG angepasst.
Am 1. April 2021 wurde das Gesetz zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 402 ff.). Es tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.